Kategorie: Kurzmeldungen

  • Lifestyle-Drogen

    Die Deutsche Herzstiftung warnt vor lebensgefährlichen Herzschäden durch den Konsum von Amphetaminen. Häufig sind Menschen unter 30 Jahren betroffen. Meist am Wochenende werden die jungen Patienten mit schwerster Luftnot in die Notfallambulanz eingeliefert. Ihr Blutkreislauf ist derart instabil, dass sie künstlich beatmet und massiv medikamentös behandelt werden müssen. Die Ursache für die schwere Funktionsstörung ihres Herzens: feine Narben durchziehen den Herzmuskel und verdrängen funktionstüchtige Herzmuskelanteile. Deshalb arbeitet die linke Herzkammer nur noch schwach. Die toxikologische Untersuchung der Patienten ergibt eine hohe Amphetamindosis. Herzspezialisten in Deutschlands Kliniken bemerken einen Zuwachs an derartigen Notfällen. Meist sind es junge Patienten um die 20 bis 25 Jahre. Allein 2012 waren es bundesweit 36 dieser Art.

    „Wir haben in unserer Klinik seither immer wieder Fälle mit schweren, durch Amphetamine ausgelöste Herzschäden behandelt“, bestätigt Prof. Dr. med. Heinrich Klues, Chefarzt der Medizinischen Klinik I für Kardiologie und konservative Intensivmedizin am Helios Klinikum Krefeld. „Bei allen Patienten fanden wir vergleichbare Schadensmuster, vorrangig eine hochgradig eingeschränkte Pumpleistung der linken Herzkammer“, berichtet Klues, der auch im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung (www.herzstiftung.de) sitzt, in einem Artikel über die medizinischen Hintergründe und verheerenden Folgen von Lifestyle-Drogen für Herz und Kreislauf. Dazu zählen beschleunigtes Verengen der Herzkranzgefäße (Arteriosklerose), Herzschwäche und gefährliche Rhythmusstörungen bis hin zum plötzlichen Herztod. Sein Titelbeitrag „Von der Technoparty auf die Intensivstation – Die gefährlichen Lifestyle-Drogen“ erscheint in Ausgabe 4/2019 der Herzstiftungs-Zeitschrift HERZ heute. Der Artikel sensibilisiert zudem das Umfeld der Betroffenen für das Thema und gibt Rat, wohin sich Familien und Schulen wenden können. Die Ausgabe 4/2019 von HERZ heute kann kostenfrei bei der Herzstiftung unter Tel. 069/95 51 28 400 oder unter bestellung@herzstiftung.de angefordert werden.

    Amphetamine wirken wie künstlich erzeugter Stress

    Amphetamine ähneln in ihrem chemischen Aufbau körpereigenen Botenstoffen (Neurotransmitter) und veranlassen eine unkontrollierte und ungehemmte Ausschüttung dieser Neurotransmitter. Die Folge ist ein Feuerwerk an Nervenimpulsen im Gehirn, was der Körper als künstlich erzeugten Stress erlebt. Darin wirken Amphetamine aufputschend und leistungssteigernd. Mediziner vermuten in dem dauerhaft erzeugten Stresszustand auch die eigentliche Ursache für die Vernarbungen im Herzmuskelgewebe der Betroffenen. „Die Wirkung der Amphetamine ist auch deshalb bei jungen Erwachsenen so zerstörerisch, weil sie medizinisch zumeist erst dann auffällig werden, wenn ihr Herz bereits lebensbedrohlich geschädigt ist“, so Klues. Bei seinen Patienten bestand oftmals Unwissenheit über die Inhaltsstoffe, die Dosis oder mögliche Beimengungen der „Partydroge“. Als weiteren Gefahrenaspekt nennt der Krefelder Kardiologe, dass Arztbesuche von Jugendlichen und jungen Erwachsenen eher selten sind – dadurch wird die Chance einer frühen Diagnose verpasst; Angehörige dieser Altersgruppe verfügen über große Leistungsreserven und zeigen erst spät Symptome; erste Anzeichen werden häufig nicht beachtet oder fehlgedeutet. Zudem zählten Fragen nach dem Drogenkonsum oder das Veranlassen von Drogentests nicht zu den Standards in Praxen und Krankenhäusern. Das dürfte auch daran liegen, dass sich bis 2010 in der internationalen Fachliteratur kaum Hinweise auf eine direkte Schädigung des Herzens durch Amphetamine fanden.

    Wachsendem Trend zu Amphetaminen mehr Aufmerksamkeit schenken

    Nach europäischen und US-amerikanischen Statistiken werden Amphetamine vor allem von jungen Männern und Frauen im Alter zwischen 18 und 24 Jahren konsumiert. Auch jüngere Konsumenten ab dem zwölften Lebensjahr sind beschrieben. Weltweit gibt es laut „United Nations Drug Report 2017“ über 37 Millionen Abhängige, die regelmäßig Amphetamine, vor allem Methamphetamin, einnehmen. Experten wie der Klinikarzt Klues sehen es als „sehr wahrscheinlich, dass die Anzahl der Menschen, die aufgrund ihres Amphetaminkonsums eine schwere Herzschädigung erleiden, nicht nur in den USA, sondern auch in Europa stark zunehmen wird“. Vor diesem Hintergrund mahnt die Deutsche Herzstiftung zu mehr Aufmerksamkeit für die Folgen des regelmäßigen Amphetaminkonsums auf Herz und Gefäße, aber auch auf das Nervensystem sowie andere Organe wie Gehirn, Leber und Nieren. „Größere Sensibilität im familiären Umfeld und in den Schulen der Jugendlichen, aber auch bei den Ärzten in Praxen und Kliniken ist erforderlich“, meint Klues. Für Betroffene gibt es neben Selbsthilfegruppen professionelle Suchtberatungsstellen (Adressen z.B. im Verzeichnis der BZgA), die bundesweite „Sucht & Drogen Hotline“ und nicht zuletzt die Telefonseelsorge.

    Hintergrund zu Amphetaminen

    In ihrem chemischen Aufbau ähneln Amphetamine körpereigenen Botenstoffen (Neurotransmitter). Die natürlichen Botenstoffe veranlassen an Synapsen – den chemischen Kontaktstellen zwischen Nervenzellen –, dass die elektrische Erregung von einer Nervenzelle auf eine andere Nervenzelle übertragen wird. Amphetamine verdrängen die natürlichen Boten aus ihren Reservoirs in den Nervenzellen. Infolgedessen werden Neurotransmitter unkontrolliert und ungehemmt ausgeschüttet: Unabhängig davon, ob eine Nervenzelle „feuert“ oder nicht, gelangen die Botenstoffe in den Spalt zwischen zwei Nervenzellen. Auf diese Weise veranlassen Amphetamine ein regelrechtes Feuerwerk an Nervenimpulsen im Gehirn. Die natürlichen Mechanismen der Erregungsweiterleitung werden außer Kraft gesetzt. Es kommt zu einem massiven, künstlich erzeugten Stress. Im Stressmodus sind alle unsere Sinne aufs Äußerste geschärft, wir empfinden keine Müdigkeit, keinen Hunger und Durst, die Luftwege erweitern sich, das Atmen fällt leichter, selbst das Schmerzempfinden ist reduziert. Herzfrequenz und Blutdruck steigen rapide an.

    Originalpublikation:
    Klues, H., „Von der Technoparty auf die Intensivstation – Die gefährlichen Lifestyle-Drogen“, in: Deutsche Herzstiftung (Hg.), HERZ heute, Ausg. 4/2019, Frankfurt a. M. 2019.

    Pressestelle der Deutschen Herzstiftung e.V./Deutsche Stiftung für Herzforschung, 25.11.2019

  • Feintuning der Kommunikation

    Nervenzellen kommunizieren über Botenstoffe miteinander. Dabei gilt: Je mehr Botenstoff, desto stärker das Signal. Drogen oder Krankheiten beeinflussen diese Vorgänge und können das Signal abschwächen oder verstärken. Forscher*innen der Charité – Universitätsmedizin Berlin konnten nun gemeinsam mit Kolleg*innen um den von der Stiftung Charité geförderten Einstein BIH Visiting Fellow Thomas Südhof von der Stanford University, Nobelpreisträger für Medizin des Jahres 2013, aufklären, wie den „Modulatoren“ der Kommunikation dies gelingt. Ihre Ergebnisse haben sie in der Zeitschrift Cell veröffentlicht.

    Der häufigste Botenstoff im Gehirn ist Glutamat. So genannte modulatorische Botenstoffe wie Adrenalin, Dopamin und Serotonin beeinflussen die Signalweiterleitung mit Glutamat und verändern damit unsere Wahrnehmung, unsere Gefühle und unsere Handlungen. Auch alle psychoaktiven Drogen wirken über dieses modulatorische System, bei vielen psychiatrischen Erkrankungen wie Depressionen oder Suchtkrankheiten ist es gestört.

    Forscher*innen um Professor Christian Rosenmund vom Institut für Neurophysiologie der Charité und dem Excellenzcluster NeuroCure haben nun mit amerikanischen Kolleg*innen um den Einstein BIH Visiting Fellow Thomas Südhof herausgefunden, wie dieses neuromodulatorische System funktioniert. „Wir konnten zeigen, dass das Molekül Synapsin hierbei eine bedeutende Rolle spielt“, sagt Dr. Christopher Patzke, Co-Erstautor der Arbeit und PostDoc im Südhof-Labor. „Es sitzt auf der Oberfläche der synaptischen Vesikel und verändert durch die Wirkung von verschiedensten Neuromodulatoren seine Form. Das führt dazu, dass sich die Vesikel in den Synapsen entweder zusammenschließen und mehr Botenstoffe ausschütten, was das Signal verstärkt. Oder die Vesikel ziehen sich aus der Synapse zurück, schütten weniger Botenstoff aus, und das Signal wird abgeschwächt.“

    Dass die Wissenschaftler*innen diese Vorgänge nun erstmals beobachten konnten, verdanken sie einer neuen Technik des Rosenmund-Labors: „Wir stimulieren isolierte Nervenzellen elektrisch und schockgefrieren sie zeitlich hochpräzise mit Flüssigstickstoff“, erklärt Co-Erstautorin Dr. Marisa Brockmann, PostDo. „Im Elektronenmikroskop konnten wir anschließend die winzigen, ultraschnellen Bewegungen wie unter Zeitlupe beobachten.“

    Nobelpreisträger Thomas Südhof freut sich über die erfolgreiche Zusammenarbeit. „Wir wissen, dass Mutationen im Synapsin-Gen Entwicklungsstörungen, Epilepsie und Autismus auslösen können. Durch unsere Arbeit verstehen wir jetzt besser, warum das so ist, und darüber hinaus haben wir nun einen potentiellen Weg, wie eine medikamentöse Behandlung erfolgen kann.“ „Diese Arbeit ist nicht nur von fundamentaler Bedeutung, um die Funktion unseres Gehirns zu verstehen. Sie zeigt auch, wie die Synapsenfunktion bei psychiatrischen Erkrankungen gestört sein kann“, sagt Christian Rosenmund. „Die Zusammenarbeit unserer Labore hat sich hier ideal ergänzt und wir sind froh und dankbar, mit der Stiftung Charité, der Einstein Stiftung Berlin und dem Berlin Institute of Health Institutionen zu haben, die es uns erlauben, in diesem spannenden Forschungsprojekt zu kollaborieren.“

    Professor Axel Radlach Pries, Vorstandsvorsitzender des BIH (Interim) und Dekan der Charité, zeigte sich erfreut über die aktuelle Publikation in der Zeitschrift Cell: „Die hervorragende Arbeit von Christian Rosenmund und Thomas Südhof bestätigt uns darin, dass es eine gute Idee ist, exzellente Köpfe am Berlin Institute of Health zusammenzubringen.“

    Originalpublikation:
    Patzke et al., 2019, Neuromodulator Signaling Bidirectionally Controls Vesicle Numbers in Human Synapses, Cell (2019). https://doi.org/10.1016/j.cell.2019.09.011

    Pressestelle des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung / Berlin Institute of Health (BIH), 04.11.2019

  • Sterblichkeit: Höchstes Sterberisiko für Arme und Arbeitslose

    Wie stark die Sterblichkeit in Deutschland von Bildung, Einkommen oder Beschäftigungsstatus abhängt, haben Forscher zum ersten Mal belastbar berechnet. Demnach verdoppelt Arbeitslosigkeit das Sterberisiko.

    Wie beeinflussen Faktoren wie Bildung, Einkommen oder Beschäftigungsstatus das Sterberisiko – also die Sterblichkeit – von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland? Das berechneten Pavel Grigoriev, Rembrandt Scholz und Vladimir M. Shkolnikov, Forscher des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung (MPIDR), erstmals verlässlich auf Basis eines staatlichen Datensatzes der Deutschen Rentenversicherung, der mehrere Millionen Versicherte umfasst. Sie veröffentlichten ihre Ergebnisse jetzt im Wissenschaftsmagazin BMJ Open.

    „Zum ersten Mal stehen wir auf sicherer Datenbasis, wenn wir die einzelnen Faktoren und ihren Einfluss auf die Sterblichkeit in Deutschland bewerten“, sagt Pavel Grigoriev. Ähnliche Untersuchungen für Deutschland nutzten bisher wesentlich kleinere Datensätze, die aus Forschungsumfragen stammten und daher weniger aussagekräftig waren.

    Ost- oder Westdeutschland per se nicht entscheidend

    Die neuen Ergebnisse unterstreichen, wie wichtig es ist, einen Job zu haben: Arbeitslosigkeit verdoppelt das Sterberisiko. Noch wichtiger ist das Einkommen, vor allem für die Männer: Die Sterblichkeit des am schlechtesten verdienenden Fünftels lag um 150 Prozent über der des am besten verdienenden Fünftels. Schlechtere Bildung erhöhte das Sterberisiko für Männer hingegen nur um etwa 30 Prozent.

    Das Sterberisiko steht für die Wahrscheinlichkeit zu sterben – und zwar unabhängig vom Alter. Um die Sterberisiken vergleichbar zu machen, rechneten die Forscher den Einfluss des Alters heraus. So spielt es etwa keine Rolle, dass Arbeitslose im Durchschnitt älter sind als Menschen mit Job, und schon daher häufiger sterben. Vielmehr wurde die Altersstruktur aller Bevölkerungsgruppen statistisch so angeglichen, dass alle die gleiche Zusammensetzung hatten. Sterblichkeitsunterschiede sind darum nur noch auf die verbleibenden Faktoren wie Arbeitslosigkeit oder Einkommen zurückzuführen.

    „Einen verschwindend geringen Einfluss auf das Sterberisiko hat die Wohnregion“, sagt Pavel Grigoriev. Zwar sei das Sterberisiko im Osten etwa für die Männer um ein Viertel höher als im Westen. Rechnet man aber die Einflüsse von Arbeitslosigkeit, Bildung, Einkommen und Nationalität heraus, verschwindet der Unterschied.

    Dass die Sterblichkeit der Männer im Osten höher ist, liegt also daran, dass es dort einen höheren Anteil an Arbeitslosen, an weniger Gebildeten und an Menschen mit geringerem Einkommen gibt. Denn all diese Faktoren erhöhen die Sterblichkeit. Andere in Ost und West unterschiedliche Faktoren, wie etwa die medizinische Infrastruktur, scheinen hingegen eine verschwindende Rolle zu spielen.

    Ostdeutschland: Achtfaches Sterberisiko für Männer mit niedrigstem Status

    Wie extrem der sozioökonomische Status, vor allem Einkommen, Arbeitsstatus und Bildung, die Überlebenschancen beeinflusst, zeigt die am stärksten benachteiligte Gruppe der Männer im Osten: 14 Prozent zählen hier zur untersten Einkommens- und Bildungsschicht. Diese Gruppe hat im Vergleich zur höchsten Einkommens- und Bildungsschicht ein mehr als achtmal so hohes Sterberisiko. In Westdeutschland ist die am stärksten benachteiligte Gruppe unter den Männern mit rund elf Prozent Bevölkerungsanteil kleiner und mit einem gut fünfmal so hohen Sterberisiko etwas weniger benachteiligt. Zumindest für die Männer sind die Sterberisiken im Osten also deutlich ungleicher verteilt als im Westen. Trotzdem beeinflussen auch im Westen Einkommen und Arbeitslosigkeit das Sterberisiko erheblich (s. Abb. 1).

    Abb. 1 ©Max-Planck-Institut für demografische Forschung

    Bei den Frauen sind die Unterschiede vor allem beim Einkommen weniger stark ausgeprägt. Arbeitslosigkeit und Bildung wiegen gleich schwer wie bei den Männern.

    Ihre für Deutschland einmaligen Einsichten in die sozialen Zusammenhänge von Sterberisiken gelangen den MPIDR-Forschern, indem sie Rentenversicherungsdaten von 27 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auswerteten. Sie fassten anonymisierte Informationen von allen Rentenversicherten in Deutschland zusammen, die im Jahr 2013 zwischen 30 und 59 Jahre alt waren.

    Deutsche Datenschutzregeln verhindern mehr Wissen über Sterberisiken

    Im internationalen Vergleich, vor allem zu skandinavischen Ländern, sei Deutschland beim Thema Datenverfügbarkeit aber sehr schlecht aufgestellt. Vor allem Daten über Zusammenhänge zwischen Sterblichkeit und sozioökonomischem Status der Bevölkerung in Deutschland seien schwer zu bekommen, sagt MPIDR-Forscher Grigoriev. „Das liegt vor allem an der strengen Auslegung des Datenschutzes für staatliche Datensätze über die Bevölkerung in Deutschland.“

    Verschiedene personenbezogene Daten zu verknüpfen, ist in Deutschland nicht erlaubt. Für Forscherinnen und Forscher wären solche Datensätze eine wichtige Grundlage ihrer Arbeit, die mit anderen Faktoren zum Wohlergehen der Bevölkerung beiträgt. „In Deutschland werden an verschiedenen Stellen mit viel Aufwand und Einsatz von Steuergeldern große Mengen an Daten erhoben. Nicht nur die demografische Forschung in Deutschland würde stark davon profitieren, wenn sie leichter zugänglich wären“, sagt Grigoriev.

    Für Grigoriev steht außer Frage, dass die wissenschaftliche Arbeit mit solchen Daten nur bei vollständiger Anonymisierung erlaubt sein darf, die eine Identifizierung von Einzelpersonen komplett unmöglich macht. Dies sei durch informationstechnische Vorkehrungen erreichbar und stehe auch nicht im Widerspruch zur Europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Letztlich interessiert sich die demografische Forschung nicht für die Einzeldaten bestimmter Personen. Sie nutzt sie nur als Zwischenschritt, um Ergebnisse für große Gruppen zu berechnen – wie etwa die Sterblichkeit für verschiedene Einkommensschichten.

    Originalpublikation:
    Original-Publikation: Grigoriev, P., R. Scholz, and V. M. Shkolnikov: Socioeconomic differences in mortality among 27 million economically active Germans: a cross-sectional analysis of the German Pension Fund data. BMJ Open. DOI: http://dx.doi.org/10.1136/bmjopen-2018-028001;

    Weitere Informationen finden Sie unter http://www.demogr.mpg.de/go/SterblichkeitUndArbeit

    Pressestelle des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung, 08.10.2019

  • Wunsch nach einem langen, gesunden und erfüllten Leben

    Viele Menschen wünschen sich ein langes, gesundes und erfülltes Leben. Ob und inwieweit dieser Wunsch in Erfüllung geht, hängt von vielen externen und individuellen Faktoren ab. Die neue Ausgabe des Magazins „Demografische Forschung. Aus Erster Hand“ beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Lebensumfeldes auf die Gesundheit, vermeidbaren Ursachen für verbleibende Sterblichkeitsunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland und einer Diskussion über die Lücke zwischen Kinderwunsch und Wirklichkeit in europäischen Ländern.

    „Demografische Forschung. Aus Erster Hand“ ist eine gemeinsame Publikation des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung, des Rostocker Zentrums zur Erforschung des Demografischen Wandels, des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, des Vienna Institute of Demography / Austrian Academy of Sciences und des Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital.

    Die Themen der aktuell erschienenen Ausgabe 4/2019 sind:

    • Schlechtes Lebensumfeld – schlechte Gesundheit. Welche kurzfristigen und längerfristigen gesundheitlichen Auswirkungen haben Umwelt, Infrastruktur und Wohnung?
      (Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels)
      Die Luft ist verschmutzt, der Weg zum nächsten Bus weit und die Wohnung ist renovierungsbedürftig: Wer ein schlechtes Lebensumfeld hat, leidet häufiger auch unter gesundheitlichen Problemen. Wie stark dieser Zusammenhang ist, welche lang- oder kurzfristigen Folgen es gibt und ob sich diese zwischen den Geschlechtern unterscheiden, analysiert eine neue Studie der Universität Rostock.
    • Vermeidbare Todesfälle. Die Sterblichkeit in Ost und West hat sich weitestgehend angeglichen – mit einer Ausnahme
      (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung)
      Wer raucht, übergewichtig ist oder medizinisch nicht gut versorgt wird, stirbt oft früher, als es unter optimalen Bedingungen der Fall gewesen wäre. Demografen sprechen dann von vermeidbarer Sterblichkeit. Diese hat sich, wie eine neue Studie zeigt, im Osten und Westen Norddeutschlands zwar so gut wie angeglichen – das gilt jedoch nur für die Städte.
    • Die große Lücke. Vor allem in Deutschland und Österreich bleiben viele Frauen ungewollt kinderlos (Vienna Institute of Demography)
      Würden Frauen überall in Europa so viele Kinder bekommen, wie sie sich in jungen Jahren wünschen, dann wäre das so genannte Bestandserhaltungsniveau von 2,1 Kindern pro Frau fast überall erreicht. Tatsächlich aber liegen Wunsch und Wirklichkeit teilweise weit auseinander, wie eine neue Studie aus Wien zeigt. Die Unterschiede zwischen den 20 untersuchten Ländern sind dabei deutlich.

    Originalpublikation:
    https://www.demografische-forschung.org/  

    Pressestelle des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung, 17.12.2019

  • Gewalt gegen Frauen

    Am 25. November, dem „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“, hat Bundesfrauenministerin Dr. Franziska Giffey die neuen Zahlen der „Kriminalstatistischen Auswertung zu Partnerschaftsgewalt 2018“ des Bundeskriminalamtes vorgestellt. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Zahlen weiterhin hoch und sogar in einigen Bereichen noch leicht gestiegen.

    81,3 Prozent der Betroffenen sind Frauen

    2018 wurden laut der BKA-Statistik insgesamt 140.755 Personen (Vorjahr: 138.893) Opfer versuchter und vollendeter Gewalt, d. h. von Mord und Totschlag, Körperverletzungen, Vergewaltigung, sexueller Nötigung, sexuellen Übergriffen, Bedrohung, Stalking, Nötigung, Freiheitsberaubung, Zuhälterei und Zwangsprostitution. 81,3 Prozent davon sind Frauen, 18,7 Prozent Männer. Somit waren insgesamt 114.393 Frauen (2017: 113.965) und 26.362 Männer (2017: 24.928) von Partnerschaftsgewalt betroffen.

    Bei Vergewaltigung, sexuellen Übergriffen und sexueller Nötigung in Partnerschaften sind die Opfer zu 98,4 Prozent weiblich, bei Bedrohung, Stalking, Nötigung in der Partnerschaft sind es 88,5 Prozent. Bei vorsätzlicher einfacher Körperverletzung sind es 79,9 Prozent, bei Mord und Totschlag in Paarbeziehungen sind 77 Prozent der Opfer Frauen.

    Die Statistik beinhaltet noch weitere alarmierende Zahlen: 122 Frauen wurden 2018 durch Partnerschaftsgewalt getötet (durch Mord, Totschlag und Körperverletzung mit Todesfolge; 2017: 147). Das bedeutet: an jedem dritten Tag. Mehr als ein Mal pro Stunde wird statistisch gesehen eine Frau durch ihren Partner gefährlich körperlich verletzt.

    Dunkelziffer: Jede dritte Frau einmal im Leben von Gewalt betroffen

    Die aufgeführten Zahlen bilden nur jene Straftaten ab, die überhaupt zur Anzeige gebracht wurden. Die Dunkelziffer ist weitaus höher: Nach so genannten Dunkelfeldstudien ist jede dritte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben von Gewalt betroffen (also nicht nur von Partnerschaftsgewalt). Statistisch gesehen sind das mehr als zwölf  Millionen Frauen.

    Bundesfrauenministerin Dr. Franziska Giffey: „Gewalt gegen Frauen geht uns alle an, sie kommt in allen sozialen Schichten und Altersgruppen vor. Die neuen Zahlen des BKA sind nach wie vor schockierend. Sie zeigen, dass wir alle in unserem direkten Umfeld Frauen kennen, die betroffen sind: Es kann die Freundin sein, die Kollegin, die Nachbarin oder die eigene Schwester. Wir alle können etwas dagegen unternehmen. Als Frauenministerin arbeite ich mit aller Kraft daran, dass Betroffene die Hilfe bekommen, die sie benötigen, um sich von Gewalt zu befreien. Und deshalb starten wir heute auch die bundesweite Initiative „Stärker als Gewalt“. Ziel der Initiative ist es, von Gewalt betroffene Frauen und Männer zu ermutigen, sich Unterstützung zu holen, und die Hilfsangebote besser bekannt machen. Gemeinsam mit zahlreichen Partnerinnen und Partnern der Initiative wollen wir zugleich darüber informieren, was jede und jeder einzelne tun kann, um Gewalt zu verhindern oder zu beenden. Denn gemeinsam sind wir stärker als Gewalt.“

    Start der Initiative „Stärker als Gewalt“

    In der bundesweiten Initiative „Stärker als Gewalt“ haben sich bislang 13 Organisationen zusammengeschlossen, die im Bereich Hilfe und Unterstützung aktiv sind. Die Initiative wendet sich ausdrücklich an betroffene Frauen und Männer, aber auch an ihr Umfeld. Die neue Internetseite der Initiative bündelt eine Vielzahl an Hilfs- und Beratungsangeboten: www.stärker-als-gewalt.de. Wie können wir Frauen helfen, die Gewalt erleben? Wo bekommen wir Unterstützung? Darauf gibt die Website Antworten.

    Die wichtigen Partnerorganisationen der Initiative sind: Das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen, die Frauenhauskoordinierung e.V., der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe e.V., die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser, Weibernetz e.V., das Bundesforum Männer e.V., die Landesfachstelle Männerarbeit Sachsen, der Sozialdienst Katholischer Männer e.V., die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, der Bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V., der Dachverband der Migrantinnenorganisationen, die Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. und die Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen.

    Die Initiative ist eingebettet in ein Gesamtprogramm der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegenüber Frauen und ihren Kindern im Rahmen der Umsetzung der Istanbul-Konvention und des Koalitionsvertrags. Seit 2018 arbeitet der von Ministerin Giffey eingerichtete Runde Tisch von Bund, Ländern und Gemeinden, mit dem das Hilfenetz deutlich verstärkt und verbessert werden soll. Mit dem Bundesförderprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ will das Bundesfrauenministerium in den nächsten vier Jahren ab 2020 insgesamt 120 Millionen Euro zusätzlich für den Ausbau von Beratungsstellen und Frauenhäusern bereitstellen.

    Hilfetelefon berät rund um die Uhr in 17 Sprachen

    Hilfe und Rat gibt es auch beim bundesweiten Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“. Unter der Nummer 08000 116 016 bekommen Betroffene und ihr Umfeld Unterstützung und Informationen, zum Beispiel über Beratungsstellen in ihrer Nähe.

    Die Leiterin des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“, Petra Söchting, hat auf der Pressekonferenz aus der Praxis berichtet. Sie betont: „Gewalt gegen Frauen ist und bleibt ein Thema, bei dem wir alle hinschauen und aktiv werden müssen. Wir müssen uns einmischen, wenn uns Klischees und Vorurteile begegnen, die Gewalt verharmlosen oder rechtfertigen. Und wir müssen uns dafür einsetzen, dass Betroffene Hilfe und Unterstützung bekommen. Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ bietet rund um die Uhr anonym, kostenlos und in 17 Fremdsprachen eine Erstberatung für von Gewalt betroffene Frauen an. Wir unterstützen, bestärken und ermutigen sie, die nächsten Schritte zu gehen und sich aus Gewaltsituationen zu lösen. Auch  Menschen aus dem persönlichen Umfeld der Frauen sowie Fachkräfte können sich an das Hilfetelefon wenden. Die 08000 116 016 sollte daher jede und jeder kennen.“

    Weitere BKA-Zahlen im Einzelnen

    2018 wurden in Deutschland Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt (versuchte und vollendete Delikte):

    • von vorsätzlicher einfacher Körperverletzung: 68.482
    • von Bedrohung, Stalking, Nötigung: 28.657
    • von gefährlicher Körperverletzung: 12.093
    • von sexuellen Übergriffen, sexueller Nötigung, Vergewaltigung: 3.086
    • von Freiheitsberaubung: 1.612
    • von Mord und Totschlag: 324
    • insgesamt starben 122 Frauen

    Von den insgesamt 117.473 erfassten Tatverdächtigen waren 78.759 (67,0 Prozent) deutsche Staatsangehörige. Nach Deutschen wurden als Tatverdächtige am häufigsten türkische Staatsangehörige (6.694 Personen; 5,7 Prozent aller Tatverdächtigen) erfasst, gefolgt von polnischen (3.042; 2,6 Prozent), syrischen (2.759; 2,3 Prozent) und rumänischen (1.909; 1,6 Prozent) Staatsangehörigen.

    Von den insgesamt 140.755 erfassten Opfern waren 99.304 (70,6 Prozent) deutsche Staatsangehörige. Nach Deutschen wurden als Opfer am häufigsten türkische Staatsangehörige (5.580 Personen; 4,0 Prozent) erfasst, gefolgt von polnischen (4.492; 3,2 Prozent) Staatsangehörigen.

    Die gesamte Auswertung finden Sie hier:
    https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Lagebilder/Partnerschaftsgewalt/partnerschaftsgewalt_node.html

    Pressestelle des Bundesfamilienministeriums, 25.11.2019

  • Studie zu E-Zigaretten

    In den USA ist es nach dem Gebrauch elektronischer Zigaretten (E-Zigaretten) zu mehr als 2.000 Fällen mit teilweise schweren Lungenschädigungen und 47 Todesfällen gekommen (Stand 20. November 2019). Wie eine umfassende Auswertung der Anfragen bei den Giftinformationszentren in Deutschland durch die Gesellschaft für Klinische Toxikologie und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ergab, betraf die Mehrzahl der Anfragen hierzulande das unbeabsichtigte Verschlucken der meist nikotinhaltigen Nachfülllösungen („E-Liquids“), häufig durch Kinder. Darunter fanden sich auch zwei als lebensbedrohlich eingestufte Fälle. Das BfR rät daher zur kindersicheren Aufbewahrung von E-Zigaretten und E-Liquids. Anhaltende Atembeschwerden und Lungenschäden nach Inhalieren (wie aus den USA berichtet) wurden in der Studie nicht festgestellt. „Trotz der nun vorliegenden Ergebnisse müssen wir hinsichtlich des Gebrauchs von E-Zigaretten weiter wachsam sein“, sagt BfR-Präsident Professor Dr. Dr. Andreas Hensel. „Vor allem raten wir nachdrücklich davon ab, Liquids selbst zu mischen.“

    Eine mögliche Ursache der schweren Lungenerkrankungen in den USA ist laut den amerikanischen Centers for Disease Control (CDC) Vitamin-E-Acetat, eine ölige Flüssigkeit, die in manchen Liquids enthalten ist und die in der Lungenflüssigkeit von Patienten nachgewiesen wurde.

    Bei den in Deutschland im Rahmen der PiMont-Studie (PiMont steht für „Pilotprojekt Monitoring von Vergiftungen“) registrierten 851 Vergiftungen und Vergiftungsverdachtsfällen nach Kontakt mit E-Zigaretten oder E-Liquids wurde in acht Prozent ein bestimmungsgemäßer Gebrauch (Einatmen, Inhalation) angegeben. Das versehentliche Verschlucken von Liquids stellt mit 82 Prozent der Fälle den häufigsten Grund für Anfragen zu E-Zigaretten bei den Giftinformationszentren dar. Häufig sind Kleinkinder betroffen. Das in E-Liquids meist enthaltene Nikotin kann beim Verschlucken schon in geringen Mengen zu deutlichen Gesundheitsbeschwerden führen, wie starkem Erbrechen. Bei der Aufnahme größerer Mengen von Nikotin kann es zu lebensbedrohlichen Vergiftungserscheinungen kommen. E-Liquids sollten daher immer in dafür geeigneten, etikettierten Behältnissen mit kindergesichertem Verschluss aufbewahrt werden.

    Im Zeitraum Mai 2018 bis Februar 2019 wurden in der PiMont-Studie insgesamt 167 Vergiftungsfälle und Fälle mit Vergiftungsverdacht genauer erfasst: Nach Einatmen des Dampfes hatten die Patienten in über 90 Prozent der Fälle keine oder nur leichte Symptome. Sieben Fällen wurde ein mittlerer Schweregrad zugeordnet, davon sechs Fälle nach Verschlucken und ein Fall mit wiederholtem Erbrechen nach Einatmen. Bei zwei Patienten kam es zu schwerer Vergiftung. In diesen beiden Fällen hatten die Betroffenen starke Bewusstseinsstörungen und weitere Symptome, nachdem sie ein E-Liquid verschluckt hatten.

    Die Fallsammlung zu E-Zigaretten ist eines von acht Teilvorhaben in der PiMont-Untersuchung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Beteiligt an der PiMont-Studie sind neben dem BfR die Gesellschaft für Klinische Toxikologie und alle acht deutschen Giftinformationszentren. Die Datensammlung erfolgte für den Zeitraum Januar 2015 bis November 2017 sowie prospektiv mit umfassenderen Fallberichten für Mai 2018 bis Februar 2019. Ergebnisse werden in Kürze in einem Abschlussberichts veröffentlicht.

    Das BfR steht auch nach Abschluss der Fallsammlung in engem Kontakt zu den Giftinformationszentren, um gegebenenfalls neue Fallberichte in die Bewertung einfließen zu lassen.

    Pressestelle des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), 06.12.2019

  • Branchenanalyse medizinische Rehabilitation

    Medizinische Rehabilitation wird in einer alternden Gesellschaft immer wichtiger – und schwieriger. Viele Beschäftigte in Reha-Einrichtungen klagen über hohen Arbeitsdruck bei niedrigen Löhnen. Das zeigt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie zur Situation der Reha-Branche.

    Fast zwei Millionen Menschen pro Jahr unterziehen sich einer Reha-Maßnahme. Dafür stehen in Deutschland über 1.000 Reha-Einrichtungen bereit. Der größte Teil wird von privaten Firmen betrieben, ein Teil gehört zum öffentlichen Dienst, andere werden von Kirchen oder Wohlfahrtsverbänden getragen. Die Branche hat knapp 123.000 Beschäftigte, von denen viele in Teilzeit arbeiten. Die größte Teilgruppe sind Angehörige therapeutischer Berufe. Auf Vollzeitstellen umgerechnet wären es 92.000 Beschäftigte. Wie es um die Arbeitsbedingungen und -zufriedenheit in diesem Bereich steht, haben die Ökonomin Sabine Baldauf und die Politologin Dr. Katrin Vitols von der Unternehmensberatung wmp Consult mit Förderung der Hans-Böckler-Stiftung untersucht. Ihr Fazit: Steigende Arbeitsverdichtung und knappe Entlohnung sind weit verbreitet. „Die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen in Rehabilitationseinrichtungen müssen attraktiver werden.“

    Personalmangel, unzureichende Entlohnung

    Die Forscherinnen haben für ihre Studie ausführliche Interviews mit Branchenexpertinnen und -experten der Beschäftigten- und Arbeitgeberseite geführt sowie mehr als 230 Arbeitnehmervertreterinnen und Arbeitnehmervertreter befragt. Dabei berichten 88 Prozent von Arbeitsverdichtung im Pflegedienst. 81 Prozent geben zu Protokoll, dass ihre Einrichtung unter einem Mangel an Pflege-Fachkräften leidet – Ähnliches gilt für den ärztlichen Dienst. 68 Prozent sagen, dass Pflegekräfte abwandern – in Krankenhäuser mit besserer Finanzausstattung, entsprechend höherer Bezahlung und mehr Aufstiegsmöglichkeiten. Lediglich 13 Prozent der Befragten finden, dass es in ihrem Betrieb ausreichend Pflegepersonal gibt. Nur sechs bis neun Prozent der Befragten aus Pflegedienst, Physio- und Ergotherapie sowie dem Servicebereich empfinden ihre Entlohnung als angemessen. Die Tarifbindung in der Branche ist bislang niedrig.

    Die Zahl der Patienten ist zwar in den vergangenen Jahren nicht merklich gestiegen, doch ein entscheidender Faktor hat sich deutlich verändert, so Baldauf und Vitols: Reha-Einrichtungen haben es heute oft mit kränkeren und häufig auch älteren Patienten zu tun als in früheren Zeiten. „Eine verkürzte Verweildauer in Akutkrankenhäusern und Multimorbidität“ – Patienten haben mehrere Krankheiten gleichzeitig – führten zu „stark gestiegenen Schweregraden der Erkrankungen unter den Rehabilitanden“, so die Forscherinnen. So nimmt der Pflege- und Betreuungsbedarf zu. Da gleichzeitig das Beschäftigungsvolumen in der Branche – umgerechnet auf Vollzeitstellen – stagniert, hat sich die Arbeitsbelastung der Beschäftigten erhöht. Die Alterung der Bevölkerung und die wachsende Zahl von Patienten mit psychischen Krankheiten dürften diese Entwicklung in Zukunft noch beschleunigen. Hinzu kämen neue Anforderungen durch die Digitalisierung, die zunächst einmal Mehrarbeit und Schulungsbedarf bedeuten.

    Finanzinvestoren kaufen Kliniken

    Bezogen auf die Profitabilität der Einrichtungen zeigt sich ein heterogenes Bild. Während große private Ketten häufig gute Gewinne machen, stehen manche kleinere Kliniken finanziell unter Druck. Etliche wurden bereits von Konkurrenten übernommen. Seit einigen Jahren sind zudem internationale Finanzinvestoren in der Rehabilitationsbranche tätig. Mehrfach von einem Finanzinvestor zum anderen weiterverkauft wurden beispielsweise die Immobilien der Berliner Median Kliniken. Den Einstieg von Firmenhändlern bringen Befragte zum Teil mit erhöhtem Druck auf Löhne und Qualitätsstandards in Verbindung.

    Die Wachstums- und Gewinnorientierung der Reha-Einrichtungen – aber auch die schwierige Ertragslage einiger Häuser – führen laut der Studie dazu, dass Kostendruck, Einspar- und Rationalisierungsprogramme in vielen Rehabilitationskliniken zum Alltag gehören. Finanziert werden Reha-Leistungen zum größten Teil von der Kranken- und Rentenversicherung. Bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist es meist die Rentenversicherung, die für die Kosten aufkommt. Die Idee dahinter: Für die Rentenversicherung wird auf diese Weise ein Anreiz geschaffen, Arbeitnehmer bei der Wiederherstellung ihrer Gesundheit zu unterstützen – denn Reha ist in der Regel billiger als die dauerhafte Zahlung einer Erwerbsminderungsrente. Solche Anreizstrukturen sollten nach Baldauf und Vitols ausgebaut werden. Heute hätten beispielsweise die Krankenkassen, die für Reha-Maßnahmen von Nicht-Erwerbstätigen aufkommen, keine finanziellen Vorteile davon, wenn sie Reha-Programme bewilligen, die letztlich Pflegebedürftigkeit verhindern. Die Ausgaben für medizinische Rehabilitation sind in den vergangenen zehn Jahren zwar im gleichen Umfang gewachsen wie die Gesundheitsausgaben insgesamt. Doch unter dem Strich ist die Vergütung von Reha-Leistungen nicht immer ausreichend: „Die Höhe der Vergütungssätze orientiert sich dabei nicht durchgängig an den tatsächlichen Kosten der Einrichtung oder der Qualität der Leistung“, schreiben die Forscherinnen.

    Die Forscherinnen weisen auf einen Bereich hin, den es auszubauen gelte: die Gesundheitsprävention. Viele Studien belegten, dass sich Vorsorgeprogramme volkswirtschaftlich auszahlen. Auch bei den Arbeitgebern steige die Bereitschaft, in die Gesundheit ihrer Beschäftigten zu investieren. Schließlich hätten viele Firmen angesichts der aktuellen Arbeitsmarktsituation ein großes Interesse daran, keine Fachkräfte zu verlieren.

    Originalublikation:
    Sabine Baldauf, Katrin Vitols: Branchenanalyse medizinische Rehabilitation: Wirtschaftliche Perspektiven, Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen in medizinischen Rehabilitationseinrichtungen, Working Paper Nr. 160 der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung, Oktober 2019. Download

    Pressestelle der Hans-Böckler-Stiftung, 30.10.2019

  • Vertrauen ist Kopfsache

    Eine intakte basolaterale Amygdala ist notwendig, um einer Person Vertrauen zu schenken. Zu diesem Ergebnis kam ein Team von Psycholog*nnen um Lisa Rosenberger und Jack van Honk. In einer neuen Studie erforschten sie die Vertrauensbildung von Patientinnen mit dem seltenen Urbach-Wiethe-Syndrom, das durch Verkalkungen von Teilen des Gehirns gekennzeichnet ist. Die Ergebnisse sind wegweisend für personalisierte Behandlungsmethoden von psychischen Erkrankungen und erscheinen aktuell in „Current Biology“.

    Vertrauen ist ein Grundbaustein für unsere Beziehungen mit anderen. Naives Vertrauen führt zu Ausbeutung; extremes Misstrauen manifestiert sich in psychischen Erkrankungen wie der paranoiden und der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Eine genaue Identifizierung der Bausteine des Gehirnnetzwerks, das die Vertrauensbildung reguliert, ist notwendig, um neue medizinische Behandlungen entwickeln zu können.

    Die Forscher*innen untersuchten Patientinnen mit dem Urbach-Wiethe-Syndrom. Dieses ist eine genetisch bedingte, äußerst seltene Krankheit mit weltweit nur ungefähr 100 bekannten Fällen, von denen ein Großteil in Südafrika vorkommt. Für das Forschungsprojekt hat das Team dort bei fünf Patientinnen Daten erhoben. Die Gehirnschädigungen der Patientinnen sind ausschließlich auf eine Teilregion der Amygdala, die so genannte basolaterale Amygdala, beschränkt – eine solche spezifische Gehirnschädigung ist einzigartig in der menschlichen Hirnforschung.

    In der Studie wurde ein Verhaltensexperiment durchgeführt – das so genannte Vertrauensspiel, bei dem die Teilnehmerinnen bei ökonomischen Interaktionen lernen, dass einer großzügigen Mitspielerin zu vertrauen ist und einer selbstsüchtigen Mitspielerin nicht. Die Urbach-Wiethe-Patientinnen mit der basolateralen Amygdala-Schädigung konnten das nicht lernen und haben sowohl die großzügige als auch die selbstsüchtige Mitspielerin gleichbehandelt.

    „Wir haben mit Hilfe von Kontrollmessungen gezeigt, dass die Schädigung der basolateralen Amygdala – und nicht etwa allgemeine Lernprobleme oder der sozioökonomische Status – für die Defizite bei der Vertrauensbildung der Probandinnen verantwortlich ist“, sagt Rosenberger. Durch die defekte basolaterale Amygdala wurden Informationen über die Vertrauenswürdigkeit der Mitspielerinnen nicht an die notwendigen Regionen des involvierten Gehirnnetzwerks weitergeleitet, wodurch die Patientinnen ihr Vertrauen gegenüber den Mitspielerinnen nicht verändern konnten.

    Die Ergebnisse der Studie erweitern die Kenntnisse über das Gehirnnetzwerk und die Mechanismen der Vertrauensbildung. Das ist eine wichtige Basis für die Entwicklung moderner, personalisierter Behandlungsmöglichkeiten von psychischen Störungen mit Vertrauensdefiziten. Gleichzeitig bestätigen die Ergebnisse, dass die Amygdala nicht als eine uniforme Gehirnregion betrachtet werden sollte, sondern dass Teilregionen unabhängige Funktionen haben.

    Originalpublikation in „Current Biology“:
    Lisa A. Rosenberger, Christoph Eisenegger, Michael Naef, David Terburg, Jorique Fourie, Dan Stein und Jack van Honk (2019). The human basolateral amygdala is indispensable for social experiential learning. Current Biology. DOI: 10.1016/j.cub.2019.08.078

    Die Studie wurde im Rahmen des WWTF-Projekts „The neurobiology of belief updating during dynamic social interaction“ und eines Marietta-Blau-Stipendiums durchgeführt.

    Pressestelle der Universität Wien, 11.10.2019

  • EU-Drogenmarktbericht 2019 von EMCDDA und Europol

    Der EU-Drogenmarktbericht 2019 in englischer Sprache steht als Download zur Verfügung.

    Mindestens 30 Milliarden Euro gibt die europäische Bevölkerung jedes Jahr auf Endverbraucherebene für Drogen aus, womit der Drogenmarkt eine Haupteinnahmequelle für kriminelle Organisationen in der Europäischen Union ist. Diese Zahl wurde im November im EU-Drogenmarktbericht 2019 bekanntgegeben, der von der EU-Drogenbeobachtungsstelle (EMCDDA) und Europol veröffentlicht wird. Etwa zwei Fünftel des Gesamtvolumens (39 Prozent) entfallen auf Cannabis, 31 Prozent auf Kokain, 25 Prozent auf Heroin und fünf Prozent auf Amphetamine und MDMA.

    Die beiden Agenturen haben sich zusammengeschlossen, um zum dritten Mal einen aktuellen Überblick über den europäischen Markt für illegale Drogen zu liefern. Der Bericht zeigt Trends entlang der Lieferkette von Produktion bis Verkauf auf. Es wird beschrieben, welche weitreichenden Auswirkungen der Drogenmarkt auf Gesundheit und Sicherheit hat und weshalb ein ganzheitlicher Ansatz für eine wirksame Drogenkontrollpolitik von entscheidender Bedeutung ist.

    Die strategische und maßnahmenorientierte Analyse kombiniert Daten aus dem Drogenüberwachungssystem der EMCDDA mit operativen Erkenntnissen von Europol im Bereich der organisierten Kriminalität. Aus den jüngsten Daten (sofern nicht anders angegeben, beziehen sich die Daten in diesem Bericht auf das Jahr 2017) geht hervor, dass die allgemeine Verfügbarkeit von Drogen in Europa nach wie vor „sehr hoch“ ist und Konsumierende Zugang zu einer großen Vielfalt von Produkten mit hohem Reinheitsgrad und hoher Wirksamkeit haben, während die Preise konstant bleiben oder sinken. Ein wichtiges Querschnittsthema im Bericht sind die Umweltauswirkungen der Drogenproduktion, einschließlich Waldrodung und Entsorgung chemischer Abfälle, die zu ökologischen Schäden, Sicherheitsrisiken und hohen Reinigungskosten führen können.

    Zunehmende Gewalt und Korruption im Zusammenhang mit Aktivitäten des europäischen Drogenmarkts

    Der Bericht hebt die wachsende Bedeutung Europas sowohl als Zielregion für den Handel wie auch als Drogenproduktionsregion hervor und zeigt auf, inwiefern Gewalt und Korruption, welche seit langem in traditionellen Drogenproduktionsländern beobachtet werden, sich nun in der EU immer stärker abzeichnen. Zu den weitreichenden Folgen des Drogenmarktes, die in der Analyse dargelegt werden, zählen seine negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft (z. B. Bandengewalt, drogenbedingte Tötungsdelikte) und die Belastung öffentlicher Einrichtungen. Die Zusammenhänge zwischen dem Drogenmarkt und einem breiteren Spektrum krimineller Aktivitäten (z. B. Menschenhandel, Terrorismus) werden ebenso beleuchtet wie seine negativen Auswirkungen auf die legale Wirtschaft (z. B. wie die mit dem Drogenhandel verbundene Geldwäsche seriöse Unternehmen schwächt.

    Handel, Technologie und kriminelle Instrumente – marktfördernde Faktoren

    Dem Bericht zufolge sind Globalisierung, Technologie/Innovation sowie kriminelle Instrumente drei Kräfte, die die Entwicklung des Drogenmarktes steuern und antreiben. Auf einem stärker global vernetzten und technologiefähigen Markt nutzen kriminelle Organisationen die Chancen, die sich aus der Ausweitung der Handelsmärkte, damit verbundenen logistischen Entwicklungen und der Digitalisierung ergeben. Der Bericht schildert bedenkliche Entwicklungen durch die größere Diversifizierung des Drogenhandels auf dem Seeweg und den Missbrauch der allgemeinen Luftfahrt (z. B. Privatflugzeuge, Drohnen) für kriminelle Zwecke. Auch die Nutzung von Post- und Paketdiensten für die Beförderung von Drogen nimmt entsprechend dem wachsenden Trend zu Online-Einkäufen in Europa und dem größeren Warenverkehr rasch zu.

    Surface-Web- und Darknet-Märkte sowie Social Media, Messaging-Services und mobile Apps ermöglichen den Verkauf von Drogen über das Internet. Neben Darknet-Märkten, die sich nach wie vor hartnäckig halten (rund zehn sind heute noch aktiv), sind inzwischen auch Online-Verkaufsshops und -Märkte, die spezifische Nationalitäten und Sprachgruppen als Zielgruppe haben, in Erscheinung getreten. Illegale Schusswaffen, verschlüsselte Smartphones und falsche Dokumente gehören zu den wichtigsten kriminellen Instrumenten, die von Drogenhändlern zunehmend eingesetzt werden.

    Wichtige Drogenmärkte unter der Lupe

    Der Bericht befasst sich eingehend mit den Märkten für die wichtigsten Drogen in Europa und betrachtet den Weg von der Produktion bis zum Konsum.

    • Cannabis – Produkte von immer größerer Vielfalt:
      Mit einem geschätzten Wert von mindestens 11,6 Milliarden Euro handelt es sich um den größten Drogenmarkt in Europa, wobei rund 25 Millionen Europäerinnen und Europäer (zwischen 15 und 64 Jahren) die Droge im vergangenen Jahr konsumiert haben. Der Bericht veranschaulicht, dass Cannabiskraut und -harz zwar nach wie vor den Markt dominieren, Cannabisprodukte in Europa jedoch immer vielfältiger werden. Hochwirksame Extrakte, auf Cannabis basierende medizinische und gesundheitsorientierte Produkte sowie immer mehr Cannabidiol (CBD) oder Produkte mit niedrigem THC-Gehalt werden in verschiedenen Formen verkauft. Daher müssen ihre Wirksamkeit und ihre potenziellen gesundheitlichen Auswirkungen genau überwacht werden. Die zunehmende Gewalt zwischen kriminellen Organisationen, die mit Cannabis handeln, stellt eine zusätzliche Belastung für die Strafverfolgung dar.
    • Heroin und andere Opioide – schwerwiegende Gesundheitsrisiken und Bedenken in Bezug auf Vorläufersubstanzen:
      Der Konsum von Opioiden ist nach wie vor für den größten Teil der Schäden (darunter Todesfälle) verantwortlich, die mit dem illegalen Drogenkonsum in der EU in Verbindung stehen. Mit rund 1,3 Millionen problematischen Opioid-Konsumierenden (hauptsächlich Heroin) in der EU beträgt der geschätzte Handelswert des Heroinmarktes mindestens 7,4 Milliarden Euro pro Jahr. Die Balkanroute ist immer noch der wichtigste Korridor für Heroin in die EU, doch es gibt Anzeichen für einen zunehmenden Heroinschmuggel entlang der südlichen Route, insbesondere über den Suezkanal. Es gibt außerdem Hinweise darauf, dass die Heroinvorläufersubstanz Essigsäureanhydrid innerhalb der EU abgezweigt und illegal in heroinproduzierende Gebiete exportiert wird. Hochwirksame synthetische Opioide (z. B. Fentanyl-Derivate) stellen ein steigendes Gesundheitsrisiko dar. Diese werden zunehmend online gehandelt und per Post versandt, häufig in kleinen Paketen, die eine große Zahl potenzieller Dosen für Konsumierende enthalten.
    • Kokain – Rekordproduktion und expandierende Märkte:
      Hierbei handelt es sich um die am zweithäufigsten konsumierte illegale Droge in der EU, deren Markthandelswert auf 9,1 Milliarden Euro geschätzt wird. Etwa vier Millionen Europäerinnen und Europäer (zwischen 15 und 64 Jahren) haben diese Droge ihren Angaben zufolge im vergangenen Jahr konsumiert. Die Nutzung konzentriert sich nach wie vor auf den Süden und Westen Europas, doch der Markt scheint sich auszuweiten. Die Rekordproduktion in Lateinamerika hat den illegalen Handel in die EU (vor allem in Seecontainern) verstärkt. Hier wurden Rekordbeschlagnahmungen verzeichnet. Die Präsenz europäisch organisierter krimineller Gruppen in Lateinamerika ermöglicht eine „End-to-end“-Steuerung der Lieferkette. Dies kurbelt möglicherweise den Wettbewerb auf dem Kokainmarkt an, der mit Gewalt in der EU in Zusammenhang steht. Die EU scheint sich zu einem Transitgebiet für Kokain, das für andere Märkte bestimmt ist (z. B. Naher und Mittlerer Osten, Asien), zu entwickeln.
    • Amphetamin, Methamphetamin und MDMA – Großproduktion in Europa für den inländischen Konsum und Export:
      Diese Drogen machen etwa fünf Prozent des gesamten Drogenmarktes in der EU aus, wobei der geschätzte EU-Markthandelswert für Amphetamin und Methamphetamin mindestens eine Milliarde Euro und für MDMA mindestens 0,5 Milliarden Euro beträgt. Rund 1,7 Millionen Europäerinnen und Europäer (zwischen 15 und 64 Jahren) haben im vergangenen Jahr Amphetamin oder Methamphetamin ausprobiert und rund 2,6 Millionen MDMA („Ecstasy“). Die Produktion dieser Substanzen erfolgt teilweise in „industriellem Maßstab“ in der EU für den inländischen Konsum und für den Export. Neue Produktionsmethoden liefern reinere und günstigere Produkte, wobei kriminelle Organisationen die gesamte Logistikkette kontrollieren.
    • Neue psychoaktive Substanzen (NPS) – weniger Neuentdeckungen, doch starke Substanzen stellen ernsthafte Gesundheitsbedrohungen dar:
      Hierbei handelt es sich um verschiedene Substanzen, die nicht Gegenstand internationaler Drogenkontrollen sind. Der Wert des NPS-Marktes ist unbekannt. Im Jahr 2018 wurden 55 NPS im Rahmen des EU-Frühwarnsystems erstmalig gemeldet, wodurch die Gesamtzahl der überwachten NPS auf 731 gestiegen ist. Die Hauptquellenländer sind China und in geringerem Maße Indien. Es wird davon ausgegangen, dass politische Reaktionen und Strafverfolgungsmaßnahmen in Quellenländern zur Verlangsamung des Auftretens von NPS beigetragen haben (im Jahr 2014 wurden noch 101 NPS erstmalig gemeldet). NPS stellen jedoch nach wie vor eine ernsthafte grenzüberschreitende Gesundheitsbedrohung dar, da starke synthetische Opioide, Cannabinoide und „gefälschte“ Benzodiazepine auf dem Markt auftauchen, die mit Berichten über gesundheitliche Notfälle und Todesfälle in Zusammenhang stehen.

    Bekämpfung der Drogenmärkte: Maßnahmen für aktuelle und zukünftige Szenarien

    Auf einem Drogenmarkt, der immer komplexer, anpassungsfähiger und dynamischer wird, muss dem Bericht zufolge die Politik und Reaktion der EU ebenso flexibel, anpassungsfähig und vernetzt sein. Der Bericht stellt ein breites Spektrum laufender Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Drogenlieferkette vor – von operativen Maßnahmen über Korruptionsbekämpfung in Häfen bis hin zur Schulung von Beamten in der Vernichtung illegaler Drogenlaboratorien. Es wird auch eine Reihe verfügbarer politischer Instrumente beschrieben (z. B. Koordinierungsstrukturen, Rechtsvorschriften, Kooperationsprogramme und Finanzierungsinstrumente).

    Zu den wichtigsten Handlungsfeldern, die im Bericht genannt werden, gehören die Bekämpfung der Geschäftsmodelle krimineller Organisationen auf höchster Ebene, die auf dem globalen Drogenmarkt aktiv sind, sowie die Beseitigung von Schwachstellen an den Außengrenzen. Um mit Innovationen im Bereich der Drogenproduktion Schritt zu halten, werden Investitionen in forensische und toxikologische Kapazitäten benötigt.

    EMCDDA und Europol betonen, dass die Verfolgung eines zukunftsorientierten Ansatzes das Reaktionsvermögen der EU im Hinblick auf potenzielle zukünftige Herausforderungen erhöhen wird. Diese umfassen etwa den Umgang mit virtuellen Währungen, Drohnentechnologie, Automatisierung in der Lieferkettenlogistik und künstliche Intelligenz.

    Pressestelle der EMCDDA, 26.11.2019

  • Hilft Nikotin beim Lernen?

    „Mit dem Rauchen aufzuhören, ist kinderleicht, das habe ich schon hundertmal geschafft“, soll der Schriftsteller Marc Twain gesagt haben. Das Rauchen aufzugeben, fällt vielen Menschen wohl eher schwer. Schließlich regt Nikotin Nervenzellen an und steigert zumindest kurzfristig Prozesse der Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Gedächtnisbildung. Vor allem letzter Punkt ist für die Forschung interessant und wird nun in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo) genauer beleuchtet.

    Neurowissenschaftlerin Dr. Min-Fang Kuo wird mit ihrem Team in den nächsten drei Jahren den Einfluss von Nikotin auf die Gehirnaktivität untersuchen. Die Neurowissenschaftlerin wird dabei erforschen, wie Neuroplastizität und kognitive Funktionen bei Teilnehmenden unterschiedlichen Alters mit und ohne Nikotinabhängigkeit beeinflusst werden, wenn Nikotinrezeptoren aktiviert werden. Neuroplastizität bezeichnet die Fähigkeit des Gehirns, sich zu verändern und so etwas Neues zu lernen. Insgesamt sollen knapp 90 Personen untersucht werden. Bei dem Versuch wird jedoch niemand rauchen müssen. Die Teilnehmenden erhalten den Wirkstoff Varenicline, der die nikotinischen Rezeptoren aktiviert und therapeutisch zur Raucherentwöhnung eingesetzt wird. Sollten Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen oder Übelkeit auftreten, stehen den Probanden medizinische Betreuer zur Verfügung. Zur Kontrolle werden auch Placebos, also Mittel ohne Wirkstoff, eingesetzt.

    Bei der Untersuchung kommen zwei Methoden zum Einsatz: Nicht-invasive Hirnstimulation und Elektroenzephalographie (EEG). Neuroplastizität wird dabei sowohl durch eine Lernaufgabe angeregt als auch durch die elektrischen Impulse der nicht-invasiven Hirnstimulation. Parallel zu der Lernaufgabe wird mittels EEG erfasst, welche Bereiche im Gehirn gleichzeitig aktiv sind und wie schnell diese arbeiten. Für die Auswertung wird der Zusammenhang zwischen Gehirnaktivität und den Reaktionen auf die Lernaufgabe untersucht. Hierbei wird eine Rolle spielen, inwiefern sich Raucher und Nichtraucher bzw. jüngere und ältere Probanden voneinander unterscheiden.

    Mit diesem Wissen kann dann überlegt werden, wie sich Alterungsprozesse des Gehirns kompensieren lassen und inwiefern nikotinhaltige oder ähnlich wirkende Medikamente bei der Behandlung von Demenz sinnvoll sein können. „Das heißt nicht, dass Rauchen gesund ist. Das Nikotin einer Zigarette regt das Gehirn nur kurzfristig an, hat aber in Kombination mit den anderen Inhaltsstoffen des Tabaks langfristig immense negative Folgen“, sagt Kuo. Tatsächlich ist die Leistung des Gehirns zumindest kurzfristig geringer, wenn jemand mit dem Rauchen aufgehört hat. Wie lange sich dieser Effekt hält, muss in folgenden Studien untersucht werden.

    Pressestelle des Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung an der TU Dortmund, 09.10.2019