Kategorie: Kurzmeldungen

  • Suchtgefährdete alte Menschen

    Erica Metzner, Leiterin des Suchthilfezentrums (l.), und Beate Schwarz, Projektleiterin „Sucht im Alter“. Foto: Stadtmission Nürnberg

    Unter dem Titel „Gesundheit für Ältere gestalten – Lebensqualität fördern“ hatte der Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek) zur Bewerbung um den vdek-Zukunftspreis 2017 aufgerufen. Das Projekt SAM (Suchtgefährdete Alte Menschen) der Stadtmission Nürnberg wurde mit dem zweiten Platz und einem Preisgeld von 3.500 Euro ausgezeichnet.

    Das Projekt SAM (Suchtgefährdete Alte Menschen) der Stadtmission Nürnberg unterstützt Pflegekräfte und
    Pflegeeinrichtungen dabei, Betreute mit problematischem Alkohol- oder Medikamentenkonsum besser zu versorgen. Dabei sollen gemeinsam mit den Betroffenen Wege des Umgangs mit der Suchterkrankung gefunden werden. Auch Angehörige erhalten bei SAM Beratung und Unterstützung.

    Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit bei älteren Menschen ist ein Massenphänomen. Nach offiziellen Statistiken sind etwa 400.000 der über 60-Jährigen in Deutschland alkoholabhängig, und etwa zehn Prozent der Bewohner in Alten- und Pflegeheimen haben einen problematischen Alkoholkonsum. Eine Medikamentenabhängigkeit, insbesondere von Schlaf- und Schmerzmitteln, besteht nach Schätzungen gar bei 25 Prozent aller über 70-Jährigen. Eine große Herausforderung für die Einrichtungen – und ein Feld mit dringendem Handlungsbedarf. „Das sind jedoch absolute Tabuthemen“, sagt Sozialpädagogin Erica Metzner, Leiterin des Suchthilfezentrums der Stadtmission Nürnberg. „Zum einen herrscht eine gewisse Handlungsangst bei den Pflegekräften. Schließlich sollen die Persönlichkeitsrechte der Bewohner respektiert werden. Zum anderen sehen auch Angehörige bei auffälligem Verhalten oft weg und sagen sich, der Betroffene ist halt so, weil er alt ist.“

    Am Suchthilfezentrum stiegen die Anfragen von ambulanten und stationären Einrichtungen zum Umgang mit Suchterkrankten in den letzten Jahren immer weiter an. Das nahm Metzner zum Anlass, das Projekt SAM ins Leben zu rufen. SAM ist Ende 2016 mit einer Laufzeit von drei Jahren gestartet. Die Einrichtungen erhalten von der Stadtmission Coachings, um eine Leitlinie für ihr Haus zu entwickeln: Wie steht die Einrichtung als Ganzes zur Suchtproblematik? Wie können Risiken und Risikofälle wahrgenommen und dokumentiert werden? „Es geht um die Prozessgestaltung“, sagt Projektleiterin Beate Schwarz, ebenfalls ausgebildete Sozialpädagogin. „Die Einrichtung definiert für sich: So geht unser Dienst mit Suchtfällen um.“ Pflegekräfte werden im Anschluss an die Leitlinienarbeit zum konkreten Umgang mit den betreuten alten Menschen geschult: Wie verhalte ich mich? Wie kann ich den Konsum oder die Risiken ansprechen?

    Auch eine Angehörigengruppe wurde ins Leben gerufen. Die Teilnehmenden erhalten Entlastung und Unterstützung in ihrer schwierigen Rolle als engste Bezugspersonen – und oftmals einzige Sozialkontakte der Betroffenen. Ihnen wird auch vermittelt, wie sie Verhaltensweisen umsetzen können, die sie selbst stärken. Eine ehrenamtliche Helferin, die früher selbst suchtkrank war, bringt zudem ihre Erfahrungen in die Gruppe ein.

    Nicht über, sondern mit den Betroffenen zu entscheiden, müsse das Ziel sein, sagt Metzner. Sie sieht es als gesamtgesellschaftliche Aufgabe an, Sucht als Krankheit, als eine psychische Erkrankung zu sehen und davon wegzukommen, Betroffene mit Schuldzuschreibungen und Abwertung zu versehen. Denn mit einer Krankheit kann man umgehen, und sie ist behandelbar. „Es gibt allerdings keinen Umgang mit Sucht, ohne das Kind beim Namen zu nennen“, ergänzt Schwarz.
    Kontakt: beate.schwarz@stadtmission-nuernberg.de

    Text: Raffaele Nostitz
    Quelle: „ersatzkasse magazin. spezial“, Oktober 2017, hrsg. v. vdek

  • Wie wirksam ist die Suchtrehabilitationsbehandlung?

    Zur Wirksamkeit der abstinenzorientierten Suchtrehabilitationsbehandlung liegen zwar keine randomisierten Kontrollgruppenstudien vor, aber die in den großen Fachverbänden zusammengeschlossenen Rehabilitationseinrichtungen führen regelmäßige Katamnesebefragungen der entlassenen Patientinnen und Patienten durch. Die aktuellen Daten vermitteln ein differenziertes Bild der Rehabilitationsbehandlung.

    Standards zur Berechnung der Erfolgsquote

    Katamnesebefragungen in der Suchthilfe orientieren sich in Deutschland seit vielen Jahren an den Katamnesestandards der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie. Diesen Standards zufolge sollen Katamnesebefragungen regelmäßig ein Jahr nach der Entlassung aus der Behandlung als Vollerhebung durchgeführt werden. Zur Berechnung der Erfolgsquote werden vier verschiedene Standards errechnet, die sich hinsichtlich der Bezugsgröße (nur regulär entlassene Patientinnen und Patienten oder alle Patientinnen und Patienten) und hinsichtlich der Behandlung unklarer Fälle und so genannter Non-Responder (Entlassene, die sich nicht an der Katamnesbefragung beteiligt haben) unterscheiden. Die höchsten Erfolgsquoten berechnen sich mit dem DGSS-Standard 1, der sich nur auf reguläre Entlassungen und nur auf die Responder bezieht. Die niedrigste Erfolgsquote ergibt DGSS-Standard 4, der sich auf alle Patientinnen und Patienten (also auch auf nicht regulär entlassene) bezieht und alle unklaren Fälle und Non-Responder als Rückfälle und somit nicht erfolgreiche Fälle behandelt.

    In der abstinenzorientierten Rehabilitation gilt als erfolgreich, wer ein Jahr nach der Entlassung dauerhaft abstinent oder nach einem oder mehreren Rückfällen mindestens seit 30 Tagen abstinent lebt. Standard 1 führt zu einer Überschätzung, Standard 4 zu einer Unterschätzung der tatsächlichen Anzahl abstinent lebender ehemaliger Patientinnen und Patienten. Da Standard 4 dem international üblichen intention-to-treat-Konzept entspricht, beziehen sich alle folgenden Erfolgsdaten auf diesen Standard.

    Fachkliniken für Alkohol- und Medikamentenabhängige

    Der Fachverband Sucht e.V. (FVS) hat 2017 die Katamnesedaten für den Entlassjahrgang 2014 veröffentlicht. In den Fachkliniken für Alkohol- und Medikamentenabhängige liegt die katamnestische Erfolgsquote für den konservativen Standard 4 bezogen auf 11.033 ehemalige Patientinnen und Patienten bei 40,9 Prozent. Betrachtet man die katamnestische Erfolgsquote über einen längeren Zeitraum, so zeigt sich ein langsamer, aber stetiger Rückgang. Um ältere Katamneseergebnisse vergleichen zu können, muss man sich dabei auf das frühere Erfolgskriterium „Abstinenz nach Rückfall drei Monate“ beziehen. In den 1990er Jahren lag die Erfolgsquote danach über oder um die 50 Prozent, zwischen 2000 und 2009 über 40 Prozent und seit 2010 unter 40 Prozent, für den Entlassjahrgang 2014 nach diesem älteren Kriterium bei 37,4 Prozent.

    Frauen sind erfolgreicher als Männer, über 40-Jährige erfolgreicher als Jüngere. Am höchsten liegt die katamnestische Erfolgsquote bei einer Behandlungsdauer von zwölf bis 16 Wochen, sowohl bei kürzerer als auch bei längerer Behandlungsdauer geht die Erfolgsquote zurück. Weitere Faktoren, die mit einer höheren Erfolgsquote korrelieren, sind feste Partnerschaften, Erwerbstätigkeit vor der Aufnahme sowie ein planmäßiger Behandlungsabschluss. Die Abhängigkeitsdauer steht nicht in einem signifikanten Zusammenhang mit dem Behandlungserfolg. In knapp 85 Prozent der Fälle ist die Rentenversicherung der Kostenträger und in rund 13 Prozent eine Krankenkasse. Die Arbeitsunfähigkeit geht zwischen Therapiebeginn und Katamnesezeitpunkt deutlich zurück (von 62 auf 39 Prozent), während der Anteil der Erwerbstätigen nur moderat (von 46 auf 52 Prozent) steigt.

    Vom Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe e.V. (buss) liegen seit August 2017 die Katamnesedaten für den Entlassjahrgang 2015 vor. Die katamnestische Erfolgsquote liegt diesen Daten zufolge bei 38,6 Prozent.

    Tageskliniken

    In Tageskliniken, in denen eine ganztägige ambulante Suchtrehabilitationsbehandlung angeboten wird, liegen die katamnestischen Erfolgsquoten bei der Auswertung des FVS (Entlassjahrgang 2014) bei einer Gesamtzahl entlassener Patientinnen und Patienten von 336 bei 40,5 Prozent, beim buss (Entlassjahrgang 2015) bei einer Gesamtzahl von 183 bei 37,7 Prozent, insgesamt also ungefähr auf dem Niveau der stationären Behandlung in den Fachkliniken. Die Merkmale der Klientel unterscheiden sich allerdings: In der ganztägig ambulanten Rehabilitation der FVS-Einrichtungen sind mehr Frauen, mehr Ältere, mehr Erwerbstätige und mehr Klientinnen bzw. Klienten, die in einer festen Partnerschaft leben, als in den Fachkliniken des FVS.

    Ambulante Suchtrehabilitation

    Bereits 2016 haben Caritas und Diakonie Ergebnisse ihrer Katamnesebefragung zur ambulanten Suchtrehabilitation in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen für den Entlassjahrgang 2014 vorgestellt. Befragt wurden 2.791 Personen, von denen 85 Prozent wegen einer Alkohol- oder Medikamentendiagnose und der Rest wegen illegaler Drogen oder pathologischem Glückspiel in Behandlung waren. Je nachdem, ob alle Einrichtungen oder nur diejenigen mit einem Rücklauf von mindestens 45 Prozent betrachtet werden, lag die katamnestische Erfolgsquote nach DGSS-4-Standard zwischen 49,6 und 52,4 Prozent und damit höher als in der stationären und ganztägig ambulanten Rehabilitation. In der ambulanten Rehabilitation waren mehr Frauen, mehr Erwerbstätige, weniger Bezieher von Arbeitslosengeld 1 und 2 und mehr Patientinnen in festen Beziehungen als in den Fach-kliniken und in den Tageskliniken.

    Fachkliniken für Drogenabhängige

    Deutlich niedriger liegt die katamnestische Erfolgsquote in der stationären abstinenzorientierten Drogenrehabilitation. Bei einer deutlich geringeren Rücklaufquote als in den Fachkliniken für Alkohol- und Medikamentenabhängige liegt der Anteil der Abstinenten (dauerhaft und 30 Tage nach Rückfall) auf der Basis von 253 Fällen in der buss-Katamnese in Drogeneinrichtungen bei 22,5 Prozent. Die FVS-Katamnese errechnet auf der Grundlage von 1.508 Fällen eine Erfolgsquote von 23,8 Prozent. Dabei differenziert die Katamnese des Fachverbandes Sucht in Fachkliniken für Drogenrehabilitation zwischen verschiedenen Substanzen. Während die Erfolgsquote bei Cannabis, Kokain und Stimulanzien zwischen 24,6 und 27,6 Prozent schwankt, liegt sie für Opioide bei 11,9 Prozent. Wie nicht anders zu erwarten, unterscheiden sich die Merkmale der Rehabilitand/innen in Drogeneinrichtungen deutlich von den Merkmalen der Rehabilitand/innen in Alkoholeinrichtungen: In den Drogeneinrichtungen war das Durchschnittsalter mit 29,8 Jahren gut 16 Jahre jünger als in den Alkoholeinrichtungen (46,2 Jahre). Der Anteil der Erwerbstätigen, der regulären Beendigungen und der Patientinnen und Patienten mit einer festen Partnerbeziehung liegt in den Drogeneinrichtungen jeweils deutlich niedriger als in den Alkoholeinrichtungen.

    Quelle: HLS-Forschungsbrief, Ausgabe 48/Dezember 2017
    Download des gesamten Forschungsbriefes sowie früherer Ausgaben unter:
    https://www.hls-online.org/service/materialien/hls-forschungsbriefe/

    Literatur:
    • Bachmeier, R., Feindel, H., Herder, F. et al. (2017): Effektivität der stationären Suchtrehabilitation – FVS-Katamnese des Entlassjahrgangs 2014 von Fachkliniken für Alkohol- und Medikamentenabhängige. Sucht-Aktuell, 24: 53-69.
    • Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe (2017): Auswertung der Katamnesedaten zum Entlassjahrgang 2015 – Alkoholeinrichtungen. Online unter: http://suchthilfe.de/informationen/statistik.php
    • Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe (2017): Auswertung der Katamnesedaten zum Entlassjahrgang 2015 – Tageskliniken. Online unter: http://suchthilfe.de/informationen/statistik.php
    • Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe (2017): Auswertung der Katamnesedaten zum Entlassjahrgang 2015 – Drogeneinrichtungen. Online unter: http://suchthilfe.de/informationen/statistik.php
    • Fischer, M., Kemmann, D., Domma-Reichart, J. et al. (2017): Effektivität der stationären abstinenzorientierten Drogenrehabilitation. FVS- Katamnese des Entlassjahrgangs 2014 von Fachkliniken für Drogenrehabilitation. SuchtAktuell, 24: 70-78.
    • Medenwaldt, J. (2016): Katamnesen Ambulante Rehabilitation Sucht von DCV und GVS – Wesentliche Ergebnisse aus vier Erhebungsjahrgängen 2013 bis 2016. Online unter: http://www.sucht.org/angebote/publikationen/dokumentation/ergebnisse-der-katamnesen-ambulante-rehabilitation-sucht-wirkungsdialog-und-daraus-abgeleitete-perspektiven/
    • Schneider, B., Mielke, D., Bachmeier, R. et al. (2017): Effektivität der Ganztägig Ambulanten Suchtrehabilitation – Fachverband Sucht – Katamnese des Entlassjahrganges 2014 aus Einrichtungen Alkohol- und Medikamentenabhängiger. SuchtAktuell, 24: 90-100.
  • Bericht zur Drogensituation in Deutschland (REITOX) veröffentlicht

    Workbook Drogen
    Kurzbericht

    Seit 15. Dezember ist der jährlich erscheinende „Bericht zur Drogensituation in Deutschland“, früher unter dem Namen „REITOX-Bericht“ bekannt, online verfügbar. Das Standardwerk zur Situation illegaler Drogen in Deutschland liefert in acht thematisch in sich geschlossenen Kapiteln („Workbooks“) umfangreiche Informationen zu den verschiedenen Aspekten des Phänomens illegale Drogen in Deutschland.

    Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler: „Der heute vorgelegte Bericht zeigt, dass wir mit unseren Maßnahmen gegen den Konsum von illegalen Drogen zwar vieles, aber längst noch nicht alles erreicht haben. In weiten Teilen ist der Konsum illegaler Drogen in Deutschland stabil. Was wir in den kommenden Jahren aber ganz dringend brauchen, ist eine wirklich flächendeckende Präventionsarbeit in Sachen Cannabis. Keine andere illegale Droge ist so weit verbreitet, und keine andere führt so viele Menschen in ambulante und stationäre Therapieangebote. Ganz klar ist auch, dass die Versorgung suchtkranker Menschen in und nach der Haft besser werden muss und wir mehr gegen die Stigmatisierung suchtkranker Menschen tun müssen. Sucht ist eine Krankheit und als solche müssen wir sie behandeln.“

    Nach den Ergebnissen des Epidemiologischen Suchtsurveys 2015 hat mehr als jeder vierte erwachsene Deutsche (zwischen 18 und 64 Jahren) bereits mindestens einmal im Leben illegale Drogen konsumiert. Cannabis ist dabei unverändert die mit Abstand am häufigsten konsumierte illegale Droge: Unter den 12- bis 17-Jährigen gaben 7,3 Prozent an, in den letzten zwölf Monaten wenigstens einmal Cannabis konsumiert zu haben, bei den 18- bis 64-Jährigen waren es 6,1 Prozent. Über die letzten 25 Jahre hinweg zeigt die Cannabisprävalenz mit Schwankungen einen insgesamt zunehmenden Trend. Der Wirkstoffgehalt des in Deutschland sichergestellten Cannabis steigt seit Jahren an und hat in diesem Jahr erneut einen Höchststand erreicht. Der markanteste Anstieg von Wirkstoffgehalten ist in diesem Jahr aber bei den Amphetaminen zu verzeichnen: von 2015 auf 2016 hat er sich vervierfacht. Für MDMA lässt sich eine Verdopplung des Wirkstoffgehaltes verzeichnen.

    Unter den Stimulanzien dominieren in Deutschland bei den 18- bis 64-Jährigen die Amphetamine mit einer 12-Monats-Prävaenz von einem Prozent. Während Indikatoren aus Strafverfolgung und Behandlung in den letzten Jahren auf eine steigende Bedeutung von Amphetamin und Methamphetamin hinweisen, zeichnet sich dieser Anstieg in den bundesweiten Erhebungen in der Allgemeinbevölkerung nicht ab.

    Dr. Tim Pfeiffer-Gerschel, Leiter der DBDD: „Das Drogenangebot und die Konsumgewohnheiten verändern sich zunehmend. Dies erfordert im Sinne einer umfassenden Auseinandersetzung mit der Drogensituation ein Bündel aus verschiedenen Maßnahmen, die dieser wachsenden Komplexität gerecht werden. Dazu gehören z. B. sowohl die Entwicklung weiterer Präventionsangebote insbesondere im Bereich der neuen psychoaktiven Stoffe (NPS) als auch der Einsatz des Medikamentes Naloxon, um tödliche Überdosierungen unter Konsumentinnen und Konsumenten von Opiaten – vor allem Heroin – zu verhindern. Auch die Erweiterung der Angebote zur Cannabisprävention liegt angesichts der Verbreitung dieser Droge nahe, um negative gesundheitliche und soziale Folgen des Konsums zu minimieren.“

    Maßnahmen zur Prävention des Konsums illegaler Drogen werden in Deutschland regelmäßig und zielgruppenspezifisch auf kommunaler, regionaler und Bundesebene durchgeführt. Im Jahr 2016 haben die kommunalen Fachkräfte mehr als 34.000 suchtpräventive Maßnahmen dokumentiert. Die am häufigsten thematisierte illegale Substanz war Cannabis, gefolgt von amphetaminartigen Stimulanzien. Mit seiner hohen Reichweite trägt das Informationsportal www.drugcom.de der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) wesentlich zur Prävention des Konsums illegaler Drogen bei. Das BZgA-Portal bietet neben Wissens- und Selbsttests auch ein individualisiertes Verhaltensänderungsprogramm zur Reduzierung des Cannabiskonsums.

    Der vorliegende „Bericht zur Drogensituation in Deutschland“ wird jährlich durch die Deutsche Drogenbeobachtungsstelle (DBDD) als Beitrag zum Europäischen Drogenbericht erstellt. Die acht Workbooks, ein zehnseitiger deutschsprachiger Kurzbericht sowie die aktuellen Veröffentlichungen der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) finden Sie unter www.dbdd.de.

    Gemeinsame Pressemitteilung der Bundesdrogenbeauftragten und der DBDD, 15.12.2017

  • Sucht bei Kindern und Jugendlichen

    Wie kann verhindert werden, dass Kinder und Jugendliche Suchtverhalten entwickeln? Und wie kann die therapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Suchtstörungen verbessert werden? Antworten auf diese Fragen wollen Psychologen, Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendpsychiater in einem neuen Forschungsverbund finden, der vom Deutschen Zentrum für Suchtfragen im Kindes- und Jugendalter (DZSKJ) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) geleitet wird. Der Startschuss für das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 3,6 Millionen Euro geförderten Vorhaben erfolgte am 1. Dezember.

    „Suchtstörungen tragen maßgeblich zur Krankheitslast in entwickelten Gesellschaften bei und stellen ein erhebliches Entwicklungsrisiko für Kinder und Jugendliche dar“, erklärt Prof. Dr. Rainer Thomasius, Ärztlicher Leiter des DZSKJ und Koordinator des neuen Projekts. Trotz wissenschaftlicher Fortschritte im Verständnis über die Entstehung von Suchtstörungen seien die Effekte von Prävention und Behandlung der Suchtstörungen vergleichsweise gering. „Notwendig sind deshalb wirkungsvolle, an neuen Erkenntnissen orientierte Interventionsmaßnahmen.“ Konkrete Ziele des Forschungsvorhabens sind die Entwicklung kindgerechter Versorgungsansätze für psychische Störungen, die Erforschung prägender Einflüsse auf die Gesundheit und die jeweilige Krankheit sowie die Entwicklung von Risikogruppen-bezogenen Präventionsansätzen.

    Das Verbundprojekt mit dem Namen „IMAC-Mind“* wird vom BMBF im Rahmen der „Förderinitiative Gesund – ein Leben lang“ für vier Jahre mit insgesamt 3,6 Millionen Euro gefördert, knapp 1,1 Millionen Euro davon gehen ans DZSKJ. Beteiligt sind sieben Institute: neben dem UKE das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, die Uniklinik Erlangen-Nürnberg, die Katholische Hochschule Köln, die Universitätsmedizin Rostock, die Uni Bochum sowie das Institut für Therapieforschung in München. Die Fäden des Gesamtprojekts laufen in Hamburg zusammen: „Wir freuen uns und sind stolz, dieses wichtige Projekt zu koordinieren“, sagt Prof. Thomasius. „Und es zeigt auch, welch bedeutsame Rolle das DZSKJ bei Suchtfragen im Kindes- und Jugendalter innehat.“ Das Wissenschaftler-Team will jetzt zielgruppenspezifische und entwicklungsangepasste Interventionen sowohl für Jugendliche mit ersten psychopathologischen Symptomen als auch für stationär behandelte Jugendliche mit Substanzgebrauchsstörungen entwickeln. Ein weiteres im UKE angesiedeltes Teilprojekt hat die Aufgabe, die Forschungsarbeiten aller Teilprojekte methodisch und statistisch zu begleiten. Dies erfolgt im Institut für Medizinische Biometrie und Epidemiologie.

    Weitere Projekte zur Alkoholprävention bei Kindern und Jugendlichen, an denen das DZSKJ beteiligt ist, sind das internationale, von der Europäischen Kommission unterstützte Vorhaben „Localize it!“, der vom BMBF-geförderte Forschungsverbund „Pro-HEAD“ und ein von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) unterstütztes Projekt, das sich mit Gesundheitsförderungs- und Präventionsansätzen bei Kindern aus suchtbelasteten Familien befasst.

    * IMAC-Mind: Improving Mental Health and Reducing Addiction in Childhood and Adolescence through Mindfulness: Mechanisms, Prevention and Treatment; auf Deutsch: Verbesserung der psychischen Gesundheit und Verringerung von Suchtgefahr im Kindes- und Jugendalter durch Achtsamkeit: Mechanismen, Prävention und Behandlung

    Pressestelle des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), 30.11.2017

  • Reha-Forum für kleinere Einrichtungen

    Eröffnung des Reha-Forums durch Christian Heise (bwlv)

    Wie klein ist eine kleine Reha-Einrichtung? Diese Frage stand am Anfang des Reha-Forums, zu dem der Fachverband Drogen- und Suchthilfe e.V. (fdr+) in Kooperation mit dem Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe e.V. (buss) eingeladen hatte. 70 Teilnehmende kamen am 28. November nach Frankfurt am Main. Zu ihnen gehörten Mitarbeiter/innen aus Suchtreha-Einrichtungen und der Leistungsträger. Die Tagung war geplant als Forum für Wissen, Erfahrung und Austausch für kleinere Suchtreha-Einrichtungen und wollte Gestaltungsmöglichkeiten und Perspektiven für Träger und Fachkräfte in der ambulanten und stationären Rehabilitation Suchtkranker ausloten.

    Sportlich begann Prof. Dr. Andreas Koch mit seinem Eröffnungsvortrag, in dem er Tipps und Kniffe vermittelte, wie Anbieter in der medizinischen Rehabilitation Suchtkranker angesichts von Belegungsrückgang und höheren Anforderungen für die Reha einen sicheren Stand behalten. Er definierte „kleine Einrichtungen“ als Fachkliniken mit bis zu 50 Betten. Sie machen ca. 100 von insgesamt 180 Einrichtungen/Abteilungen aus und bieten rund 4.000 von 13.000 Plätzen. Den durch die Größe entstehenden Nachteilen im Kostenbereich und bei der Belegung setzte Prof. Koch Vorteile des Setting entgegen, die sich in Flexibilität, Vertrautheit und Wertschätzung ausdrücken. Durch Belegungsrückgang und Fachkräftemangel sind diese jedoch bedroht. Anhand der aktuellen Maßnahmen in der Reha-Steuerung zeichnete er Entwicklungslinien für die Suchtreha auf und gab Empfehlungen für die strategische Ausrichtung.

    Umsetzung von Anforderungen in kleinen Einrichtungen

    Graphic Recording zum Vortrag von Dr. Dorothee Deuker (DRV Bund)

    Aus Sicht der Rentenversicherung schilderte Dr. med. Dorothee Deuker von der Deutschen Rentenversicherung Bund die Umsetzung von Personal-, Struktur- und Qualitätsanforderungen in kleinen Einrichtungen. Ausgehend von den gesetzlichen Grundlagen erläuterte sie, wie Reha- Leistungen auf dem Weg des Qualitätsmanagements  vergleichbar werden und welche Strukturanforderungen dazu zu erfüllen sind. Sie betonte, dass die DRV bei der Beurteilung von Einrichtungen nicht nach der Größe unterscheidet. Die DRV habe festgestellt, dass gerade bei den Abhängigkeitserkrankungen die Anforderungen häufig auf kleinere Abteilungsgrößen zu übertragen sind. Bezogen auf kleine Einrichtungen sagte Dr. Deuker: „Bei grundsätzlich gleichen Erwartungen an die Rehabilitationsleistungen müssen flexible Lösungen gefunden und Kooperationen in geeigneter Weise genutzt werden.“ Mit Beispielen zur Umsetzung der Strukturanforderungen und Ergebnissen der Rehabilitandenbefragungen veranschaulichte sie die statistischen Daten zum Thema Qualitätssicherung und ‑management. Ihren Beitrag rundete sie mit Ausführungen zum Wunsch- und Wahlrecht und zur MeeR- Studie (Merkmale einer erfolgreichen Rehabilitation) ab.

    In der Region liegt die Kraft

    Dr. Arthur Günthner und Georg Wiegand sind nach ihrer Tätigkeit bei der Deutschen Rentenversicherung mittlerweile Rentner, aber noch immer im wissenschaftlichen Beirat des Fachverbandes Drogen- und Suchthilfe e.V. aktiv. Sie nahmen sich des Themas „Arbeit in der medizinischen Rehabilitation mit regionalen Bezügen“ an. Dr. Günthner machte deutlich, dass die Strukturanforderungen der DRV Freiräume für den Dialog zwischen dem federführenden Leistungsträger und der Einrichtung lassen hinsichtlich der Berücksichtigung regional relevanter Kriterien und der Größe von Einrichtungen. Eine ausführliche Beschreibung der Beziehung zwischen regionalem Kontext und Reha-Erfolg führte zur Würdigung des Modells „Reha-Fallbegleitung“, das insbesondere in der Region wirksam ist. Dr. Günthner stellte fest: „Eine flächendeckende Versorgung erfordert die Einbeziehung auch kleiner Einrichtungen.“

    Georg Wiegand widmete sich dem Aspekt Teilhabe und stellte fest, es sei „illusorisch anzunehmen, die Gesamtlast des Individuums ließe sich mit wenigen Wochen wohnortferner stationärer, abstinenzfokussierter medizinischer und psychotherapeutischer Behandlung in eine langfristig stabile Teilhabe am Erwerbsleben transferieren“. Vielmehr gelte es, die Kräfte der Region für die Teilhabe zu nutzen, was er am Beispiel des Modells „Kombi Nord“ erläuterte. Als „Werkzeuge des Gelingens“ bezeichnete er regionale Verbünde aus Einrichtungen aller Reha-Formen mit gut aufeinander abgestimmten Konzeptionen, die eine nahtlose Weiterbehandlung in der Region gewährleisten.

    Größe allein ist kein Erfolgsgarant

    Themen der Diskussion

    Nach den Vorträgen wurde diskutiert. Es zeigte sich, dass nicht die Einrichtungsgröße allein entscheidend ist, sondern Patientenorientierung, Durchlässigkeit und Diversifizierung maßgeblich zum Erfolg beitragen. Neben der konsequenten Weiterentwicklung von Konzepten müssen auch immer wieder die spezifischen Vorteile kleinerer Einrichtungen betont werden, wenn es um die großen Entwürfe von Maßnahmen der Qualitätssicherung und um Empfehlungen geht. Auch eine andere Struktur bei der Berechnung der Kostensätze, die die Basiskosten mehr in den Mittelpunkt rückt, wurde vorgeschlagen. Vor allem braucht das Versorgungssystem für Suchtkranke aber Unterstützung aus der Politik, die diesen Bereich zu lange ausgeblendet hat.

    Illustriert und dokumentiert wurde die Tagung mit Graphic Recording von Tanja Föhr. Die entstandenen Plakatwände und die Präsentationen zu den Vorträgen können auf der Website des fdr+ betrachtet und heruntergeladen werden: https://fdr-online.info/project/fdrrehaforum-2017/

    Jost Leune, Fachverband Drogen- und Suchthilfe e.V., 30.11.2017

  • Qualitätsverbund Gesundheit feiert Jubiläum

    Podiumsdiskussion bei der Jubiläumsveranstaltung. Foto: Schwärzberg Klinik GmbH

    Zehn Jahre gemeinsam für die beste Reha – dies ist ein Grund zum Feiern: Der Qualitätsverbund Gesundheit blickt auf zehn erfolgreiche Jahre seines Bestehens zurück. Anlässlich des ersten runden Jubiläums hatte der Verbund von inzwischen 30 Rehabilitationseinrichtungen am 17. November zu einer Jubiläumsveranstaltung ins Kurhaus Bad Rappenau eingeladen.

    Die medizinische Rehabilitation ist ein wichtiger Bestandteil zur Erhaltung und Wiederherstellung von Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Arbeitsfähigkeit. Der demografische Wandel, die Verlängerung der Lebensarbeitszeit, aber auch steigende Anforderungen im Beruf verbunden mit dem Wandel hin zur Arbeitswelt 4.0 bringen zum Teil ganz neue Krankheitsbilder mit sich, auf die sich nicht nur die Arbeitnehmer und Unternehmen einstellen müssen, sondern auch Leistungserbringer in der Rehabilitation sowie die Renten- und Krankenkassen. Gemeinsames Ziel ist die Erhaltung und Wiederherstellung von Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Arbeitsfähigkeit.

    Dies lässt sich durch eine konsequente Weiterentwicklung von rehabilitationsmedizinischen Therapien sowie durch eine möglichst gute Qualität in der Behandlung erreichen. Um dies zu gewährleisten, wurde vor zehn Jahren der Qualitätsverbund Gesundheit ins Leben gerufen. Das Motto „Gemeinsam für die beste Reha“ vereint inzwischen 30 Rehabilitationseinrichtungen mit rund 5.000 Betten in dem Bestreben, die Qualität ihrer Leistungen zu verbessern, voneinander zu lernen, Qualitätsmanagement zu optimieren und die Wirksamkeit der Rehabilitation unter Beweis zu stellen.

    Zu den gemeinsamen Projekten gehören zum Beispiel Mitarbeiter- und Patientenbefragungen, Audits und systematisches Benchmarking, bei dem nicht nur Auswertungen des Verbundes, sondern auch Qualitätsdaten der DRV abgebildet werden. Außerdem engagiert sich der Qualitätsverbund in der Versorgungsforschung. Gemeinsam mit der DRV Baden-Württemberg initiierte er die Reha-QM-Outcome-Studie, mit der nachgewiesen werden konnte, dass sich die Qualität in den letzten zehn Jahren messbar verbessert hat und den Patienten und dem Sozialsystem zugutekommt.

    Prof. Dr. Edwin Toepler, Koordinator und Wissenschaftlicher Leiter des Qualitätsverbundes, fasst zusammen: „‚Gemeinsam für die beste Reha‘ ist nicht etwa ein beliebiges Motto, das dem Marketing dient, sondern ein geteiltes Ziel, das konsequent verfolgt wird und nachweisbare Erfolge hervorbringt. Alle Aktivitäten im Verbund sind getragen von dem Willen, voneinander zu lernen und Lösungen zu entwickeln, die imstande sind, unsere tägliche Arbeit auf höchstem Qualitätsniveau nachhaltig zu erleichtern.“

    Weitere Informationen über die Entwicklung und Aktivitäten des Qualitätsverbundes Gesundheit finden sich im Qualitätsbericht zum zehnjährigen Jubiläum und auf www.qualitaetsverbund-gesundheit.de.

    Redaktion KONTUREN, 06.12.2017

  • Wider besseres Wissen

    Kurzfristige Belohnungs- und Bestrafungserlebnisse verzerren unser Urteilsvermögen und halten uns davon ab, die besten Lösungen für langfristige Entscheidungen zu finden. So ist die Entscheidung, langfristig abzunehmen, zunächst mit zeitnaher Anstrengung verbunden, die Entscheidung, Fastfood zu essen, unmittelbar zwar belohnend, langfristig aber negativ. Den Zusammenhang zwischen kurzfristigen Ergebnissen und langfristigem Entscheiden wurde in einer Studie von Neuropsychologen um Dr. rer. nat. Adrian Fischer von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg untersucht, die soeben im Fachjournal „Nature Communications“ veröffentlicht wurde. Die Forschungsergebnisse könnten künftig helfen, zum Beispiel Suchtverhalten und -mechanismen besser zu verstehen und zu behandeln.

    „Der Mensch kann als einziges Lebewesen Wissen direkt nutzen, um sich – ungeachtet kurzfristiger Belohnungen oder Bestrafungen – für langfristig optimale Lösungen zu entscheiden“, so Dr. Adrian Fischer. „Manchmal basieren diese Entscheidungen auf eigenen Erfahrungen, aber oft müssen wir uns auf abstrakte Informationen verlassen, da wir langfristige Konsequenzen unserer Entscheidungen nicht selbst erlebt haben.“ Zum Beispiel verzichteten viele Menschen auf ungesundes Essen, aber nicht etwa, weil sie schon selbst erlebt hätten, dass Gewicht oder Cholesterinspiegel stiegen, sondern aufgrund von Informationen über die negativen Langzeitfolgen. „Unsere Daten zeigen aber, dass auch Menschen, die wissen, dass Fastfood langfristig schlecht ist, unter bestimmten Bedingungen die Folgen verharmlosen: Hat es uns gut geschmeckt, halten wir wider besseres Wissen die Langzeitfolgen für weniger schlimm. Gleiches gilt umgekehrt für das Erleben von Bestrafungen.“

    Die Wissenschaftler verglichen die Entscheidungen ihrer Probanden auch mit denen von Computerprogrammen: Wählte der Computer immer die langfristig vernünftigen Lösungen, waren die Versuchspersonen bei der Entscheidungsfindung von kurzfristigen, zeitlich davorliegenden Erlebnissen stark beeinflusst und nicht mehr in der Lage, künftige Konsequenzen korrekt einzuschätzen. Mittels funktioneller Kernspintomographie fanden die Forscher außerdem heraus, dass überraschenderweise gerade die Versuchsteilnehmer am besten in der Lage waren, spätere Konsequenzen ihrer Entscheidungen real einzuschätzen, deren Hirnaktivität am stärksten kurzfristige Ereignisse widerspiegelte. „Das legt nahe“, so Dr. Adrian Fischer, „dass nicht ein Mangel von Wissen einzelne Menschen schlechtere langfristige Entscheidungen treffen lässt, sondern die fehlende Integration von direkten Erlebnissen.“ Die vollständige Studie steht zur Verfügung unter http://link.ovgu.de/naturepaperfischer.

    Pressestelle der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, 23.11.2017

  • Potential und Risiken des Cannabiskonsums

    Am 27. November 2017 wurde der Ergebnisbericht der vom Bundesgesundheitsministerium geförderten Studie „Cannabis: Potential und Risiken. Eine wissenschaftliche Analyse (CaPRis)“ veröffentlicht. Die Studie wurde unter der Leitung von Privat-Dozentin Dr. rer. nat. Eva Hoch von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am LMU-Klinikum in München und Privat-Dozentin Dr. rer. nat. Miriam Schneider vom Institut für Entwicklungspsychologie und Biologische Psychologie der Universität Heidelberg durchgeführt. Sie fasst den aktuellen Forschungsstand zum Thema Cannabis zusammen. Im Rahmen der Studie wurden alle hierfür bedeutsamen in den letzten zehn Jahren in deutscher und englischer Sprache publizierten Daten und Forschungsarbeiten ausgewertet. Dargestellt werden sowohl die Risiken des Cannabiskonsums zu Rauschzwecken als auch der Nutzen von Cannabinoiden zum medizinischen Gebrauch.

    „Wir sehen eine erstaunlich rasante Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Wirkung von Cannabinoiden, den Inhaltsstoffen der Hanfpflanze Cannabis sativa“, meint Privat-Dozentin Dr. Eva Hoch. Die Leiterin der Meta-Studie hat gemeinsam mit ihrer Forschergruppe und 30 nationalen und internationalen Experten über 2.000 wissenschaftliche Studien ausgewertet.

    „In den letzten zehn Jahren ist vor allem ein deutlicher Anstieg der wissenschaftlichen Literatur zu vermerken, die sich mit den Risiken des Cannabiskonsums zu Rauschzwecken befasst“, berichtet Dr. Eva Hoch. In der Studie wird ein detailreiches Bild unterschiedlich ausgeprägter Risiken für akuten und chronischen Konsum aufgezeigt. So finden sich z. B. eindeutige Einschränkungen in der Gedächtnisleistung, der Aufmerksamkeit und der Psychomotorik. Organisch kann sich Cannabis negativ auf die Atemfunktion und das Herz-Kreislaufsystem auswirken (z. B. Herzinfarkt und Bluthochdruck). Cannabiskonsum steht auch im Zusammenhang mit Einbußen im Bildungserfolg und kann abhängig machen. Besondere Risiken liegen im frühen Konsumbeginn in der Adoleszenz, intensiven Gebrauchsmustern sowie dem Co-Konsum von Tabak.

    Im Bereich der medizinischen Anwendung von Cannabis wurde ein Nutzen bei der Indikation „Übelkeit und Erbrechen bzw. Appetitstimulation“ bei Menschen mit chemotherapeutisch behandelter Krebserkrankung und HIV/AIDS sowie eine leichte Besserung der Symptomatik bei chronischen Schmerzen gefunden. Auch die Spastizität bei Multipler Sklerose verbesserte sich in den Studien. Aufgrund der begrenzten Datenlagen können zu vielen anderen Krankheitsbildern noch keine Aussagen zur Wirksamkeit gemacht werden. Hier sind weitere Datenerhebungen notwendig.

    Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler: „In der öffentlichen Debatte werden die Folgen des Konsums zu Rauschzwecken von Cannabis häufig verharmlost. Die Möglichkeiten des medizinischen Einsatzes sind bisher auf bestimmte Indikationen begrenzt. In beiden Bereichen ist mir an einer klaren und realistischen Sicht der Dinge gelegen: Regelmäßiges Kiffen ist gerade für Kinder und Jugendliche wirklich gefährlich. Die Entwicklung einer Cannabisabhängigkeit ist keine Seltenheit, das Risiko für psychische Störungen wie etwa Depressionen, Angsterkrankungen und Psychosen erhöht sich. Das gilt zumindest bis zum Abschluss der Gehirnentwicklung mit Anfang 20. Ein anderes Thema ist Cannabisarznei: Medizinalhanf kann die Übelkeit oder Appetitlosigkeit von Krebs- oder HIV- Patienten lindern. Auch bei chronischen Schmerzpatienten kann es zu einer leichten Schmerzreduzierung kommen. Bei verschiedenen anderen Krankheiten, die im Moment diskutiert werden, sind solche Wirkungen nicht nachgewiesen. Wir müssen auf jeden Fall intensiver über die Gefahren des Cannabiskonsums aufklären und die medizinische Versorgung cannabisabhängiger Menschen verbessern.“

    Die gesamte Studie, mit detaillierter Aufstellung und Diskussion der Ergebnisse umfasst ca. 500 Seiten und wird demnächst in einem wissenschaftlichen Verlag (Springer) veröffentlicht. Der Ergebnisbericht, der die Kernaussagen der Studie enthält, steht auf der Internetseite des BMG zur Verfügung: www.bundesgesundheitsministerium.de/Publikationen

    Pressestelle des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität München, 28.11.2017

  • Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember

    Anlässlich des Welt-AIDS-Tages am 1. Dezember 2017 hat das Robert Koch-Institut neue Zahlen zum HIV/AIDS-Geschehen in Deutschland veröffentlicht.

    Dazu erklärt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe: „Die Zahlen zeigen, dass wir mit unserer erfolgreichen Präventionsarbeit und den guten Behandlungsangeboten auf dem richtigen Weg sind. Deutschland gehört zu den Ländern mit den niedrigsten HIV-Neuinfektionsraten in Europa. Diese Anstrengungen müssen kraftvoll fortgesetzt werden mit dem Ziel, die Zahl der Ansteckungen weiter zu senken. Dazu gehört auch, über die Krankheit zu informieren und so Ängste und Unsicherheiten im Umgang mit HIV-infizierten Menschen abzubauen, damit ein vorurteilsloses Zusammenleben zur Selbstverständlichkeit wird.“

    Im Jahr 2016 haben sich etwa 3.100 Menschen in Deutschland mit HIV infiziert, die Zahl der Neuinfektionen bleibt damit insgesamt gegenüber 2015 konstant. Bei der Gruppe der Männer, die Sex mit Männern haben, ist die Zahl der geschätzten Neuinfektionen in den vergangenen Jahren zurückgegangen, von 2.500 im Jahr 2013 auf 2.100 in 2016. Dies zeigen die neuen Zahlen des Robert Koch-Instituts zum HIV/AIDS-Geschehen in Deutschland, die im Epidemiologischen Bulletin 47/2017 veröffentlicht sind.

    Rund 460 Menschen starben 2016 mit oder an HIV. Insgesamt lebten Ende 2016 in Deutschland etwa 88.400 Menschen mit HIV, darunter rund 56.100 Männer, die Sex mit Männern haben, etwa 11.200 Heterosexuelle und etwa 8.200 intravenöse Drogengebraucher. „Die Trends in diesen Gruppen verlaufen unterschiedlich“, betont Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts. „Die sinkende Infektionszahl bei der größten Gruppe von Betroffenen, den Männern, die Sex mit Männern haben, ist eine gute Nachricht. Aber bei Heterosexuellen steigen die geschätzten Neuinfektionszahlen seit 2010 auf jetzt 750 im Jahr 2016. Auch bei Drogengebrauchern sehen wir einen Anstieg seit 2010 auf etwa 240 Neuinfektionen in 2016. Geschätzte 12.700 der 88.400 Menschen mit HIV wissen nicht, dass sie infiziert sind. Die hohe Zahl von nicht diagnostizierten Menschen mit HIV zu senken, ist ein wichtiges Ziel“, unterstreicht Lothar H. Wieler.

    Menschen, bei denen die HIV-Infektion erst spät erkannt wird, leiden oft an Erkrankungen, die in ihrer Gesamtheit als AIDS bezeichnet werden, wie zum Beispiel Lungenentzündungen durch Pilze. Das führt nicht nur zu erhöhten Behandlungskosten, sondern erhöht auch das Sterberisiko. Zudem kann das Virus unwissentlich weiter übertragen werden. Vor allem heterosexuellen Personen ist ihr HIV-Infektionsrisiko häufig nicht bewusst, was zu geringerer Testhäufigkeit und späten HIV-Diagnosen beiträgt. Niedergelassene Ärzte sollten einen Test auf HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen entsprechend den Leitlinien anbieten.

    UNAIDS, das Gemeinsame Programm der Vereinten Nationen zu HIV/AIDS, hat im Jahr 2014 das „90-90-90-Ziel“ formuliert: Es sollten mindestens 90 Prozent aller Menschen mit HIV diagnostiziert sein, von diesen sollten mindestens 90 Prozent mit antiretroviralen Medikamenten behandelt werden, und mindestens 90 Prozent der Therapien sollten erfolgreich verlaufen, sodass kein HI-Virus mehr im Blut nachweisbar ist. 2016 sind in Deutschland etwa 86 Prozent der Menschen mit HIV diagnostiziert, etwa 86 Prozent sind antiretroviral behandelt und etwa 93 Prozent der behandelten Personen sind erfolgreich therapiert.

    Die Einschätzung der HIV-Situation erfolgt in jedem Jahr neu auf der Grundlage aller zur Verfügung stehenden Daten und Informationen. Die Eckdaten stellen keine Fortschreibung früher veröffentlichter Schätzungen dar. Durch zusätzliche Daten und Informationen sowie durch Anpassung der Methodik können sich die Ergebnisse der Berechnungen von Jahr zu Jahr verändern und liefern jedes Jahr eine aktualisierte Einschätzung des gesamten bisherigen Verlaufs der HIV-Epidemie.

    Weitere Informationen unter www.rki.de/hiv

    Gemeinsame Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit und Robert Koch-Instituts, 23.11.2017

  • Cannabis ist kein Allheilmittel in der Schmerztherapie

    Seit März 2017 stehen Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen durch eine Gesetzesänderung nun auch cannabisbasierte Arzneimittel zur Schmerzlinderung zur Verfügung. Die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. und die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG) weisen darauf hin, dass lediglich bei einem Bruchteil der Erkrankungen mit chronischen Schmerzen erwiesen ist, dass cannabisbasierte Arzneimittel helfen. Von einer Eigentherapie mit Cannabisblüten raten Experten ausdrücklich ab, da die Dosierungen ungenau seien und es zu unerwünschten, gesundheitsschädlichen Nebenwirkungen kommen könne.

    „Es besteht keine ausreichende Evidenz, dass cannabisbasierte Arzneimittel in der Therapie bei Tumorschmerzen, rheumatischen und gastrointestinalen Schmerzen oder bei Appetitlosigkeit bei Krebs und AIDS wirksam sind“, erklärt Professor Dr. med. Winfried Häuser, Präsident des Deutschen Schmerzkongresses 2017 und Ärztlicher Leiter des Schwerpunktes Psychosomatik der Klinik Innere Medizin I des Klinikums Saarbrücken. Häuser wertete zusammen mit Kollegen aus insgesamt 750 identifizierten Studien elf systematische Übersichten zu diesem Thema aus, die zwischen Januar 2009 bis Januar 2017 erschienen sind. Die Forscher kommen in der aktuell im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichten Arbeit (https://www.aerzteblatt.de/archiv/193428) zu dem Ergebnis, dass keine ausreichende Evidenz für cannabisbasierte Arzneimittel (Dronabinol, Nabilon, Medizinalhanf, THC/CBD-Spray) bei Tumorschmerzen, rheumatischen und gastrointestinalen Schmerzen besteht. Auch positive Effekte bei Appetitlosigkeit, unter der Krebspatienten und Menschen mit AIDS häufig leiden, sind nach der wissenschaftlichen Auswertung nicht erwiesen. „Eine ausreichende Quantität der Evidenz besteht nur beim neuropathischen Schmerz“, ergänzt Häuser.

    „Cannabis als Schmerzmittel ist seit der Gesetzesänderung im März en vogue. Die intensive Medienberichterstattung hat dazu geführt, dass zum Teil auch Kopfschmerzpatienten eine Verordnung vehement einfordern“, berichtet PD Dr. med. Stefanie Förderreuther, Präsidentin der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) e.V. „Doch leider ist die Studienlage auch in diesem Bereich noch zu dürftig, als dass wir eine reguläre Behandlung mit Cannabinoiden empfehlen würden. Wir brauchen Studien, die beweisen, dass eines oder verschiedene Cannabinoide in der Behandlung von definierten Kopfschmerzsyndromen nicht nur wirksam, sondern vor allem auch sicher sind. Anders als bei allen zur Kopfschmerzbehandlung zugelassenen Substanzen fehlen entsprechende Daten.“ Die Oberärztin der Neurologischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München warnt daher insbesondere vor der übereilten Verordnung von Cannabis bei Kopfschmerzen und Migräne.

    Die weibliche Hanfpflanze Cannabis sativa enthält etwa 500 verschiedene Komponenten, davon circa 100 Cannabinoide. Zwar ist die medizinische Wirksamkeit bei Schmerzlinderung und Entzündungen von zwei Cannabinoiden, nämlich Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD), in Einzelfällen und durch einige klinische Studien erwiesen. Doch die Wirkeffekte auf den menschlichen Körper sind noch weitgehend unerforscht. „Es müssen zunächst für jedes Krankheitsbild methodisch gut gemachte randomisierte placebokontrollierte Studien vorliegen, die den gewünschten Effekt einer Schmerzlinderung belegen und die Art, Schwere und Häufigkeit von Nebenwirkungen wie zum Beispiel Verwirrtheit oder Psychosen erfassen“, betont Förderreuther. „Es ist darüber hinaus sehr wichtig, verschiedene Formen von cannabishaltiger Medizin zu unterscheiden“, erläutert Häuser. Derzeit sind 14 Sorten Cannabisblüten auf Rezept erhältlich – so genannter Medizinalhanf. Die Konzentration des darin enthaltenen Tetrahydrocannabinols (THC) liegt zwischen ein und 22 Prozent, die des Cannabidiols (CBD) zwischen 0,05 und 9 Prozent. „Erschwerend hinzu kommt, dass uns Dosierungsangaben für einzelne Indikationen fehlen“, mahnt Häuser. Des Weiteren stehen aus diesen Blüten gewonnene Extrakte mit definierten Konzentrationen an THC sowie synthetisch hergestellte THC-Analoga zur Verfügung.

    Die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. begrüßt dennoch die Gesetzesänderung des Bundestags. Sie hebt nun die bisherige Barriere bei der Kostenerstattung von cannabishaltigen Rezeptur- und Fertigarzneimitteln auf. „Wichtig ist allerdings, dass Cannabinoide nicht als isoliertes Therapieverfahren, sondern in Kombination mit physiotherapeutischen und schmerzpsychotherapeutischen Verfahren genutzt werden“, fordern Häuser und Förderreuther. Jede Form einer Eigentherapie lehnen die Experten wegen unüberschaubaren Nebenwirkungen durch drohende Dosis-Schwankungen ab.

    Publikation:
    Häuser W, Fitzcharles M-A, Radbruch L, Petzke F: Cannabinoide in der Schmerz- und Palliativmedizin. Eine Übersicht systematischer Reviews und prospektiver Beobachtungsstudien. Dtsch Arztebl Int 2017; 114(38): 627-34; DOI: 10.3238/arztebl.2017.0627.

    Pressestelle der Deutschen Schmerzgesellschaft, 27.09.2017