Kategorie: Kurzmeldungen

  • Psychodynamische Therapien

    Psychodynamische Therapien sind bei Menschen mit psychischen Erkrankungen nach dem aktuellen Stand der Forschung genauso wirksam wie andere „evidenzbasierte“ Verfahren wie beispielsweise die Kognitive Verhaltenstherapie. Dies geht aus einem gemeinsamen Forschungsprojekt von Wissenschaftler/innen der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), der Psychologischen Hochschule Berlin (PHB), der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt (AAU) sowie der Technischen Universität Dresden (TUD) hervor, dessen Ergebnisse am 1. Oktober in der renommierten Zeitschrift „American Journal of Psychiatry“ veröffentlicht wurden.

    Psychodynamische Therapieverfahren zählen in der aktuellen Versorgungspraxis neben psychopharmakologischen und kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlungsansätzen weltweit zu den am weitesten verbreiteten Behandlungsangeboten für Menschen mit psychischen Erkrankungen. In Zusammenhang mit Forderungen nach mehr Wirksamkeitsnachweisen gerieten psychodynamische Therapien in der jüngeren Vergangenheit zunehmend unter Rechtfertigungsdruck. In aktuellen Behandlungsleitlinien erscheinen sie häufig nur als Methode der zweiten Wahl, in manchen Ländern ist sogar ein weitgehender Ausschluss von der Regelversorgung zu verzeichnen.

    Vor diesem Hintergrund gingen Christiane Steinert (JLU), Thomas Munder (PHB), Sven Rabung (AAU), Jürgen Hoyer (TUD) und Falk Leichsenring (JLU) der Frage nach, wie wirksam psychodynamische Therapien im Vergleich zu „evidenzbasierten“ Verfahren sind. In einer Meta-Analyse fassten die Autor/innen 23 hochwertige randomisiert-kontrollierte Studien zusammen, in denen insgesamt 2.751 Patientinnen und Patienten mit psychischen Erkrankungen untersucht wurden. 21 Studien verglichen psychodynamische Therapie mit kognitiver Verhaltenstherapie, zwei Studien mit Pharmakotherapie. Die behandelten Störungsbilder umfassen depressive Erkrankungen (acht Studien), Angststörungen (vier Studien), Posttraumatische Belastungsstörungen (eine Studie), Essstörungen (vier Studien), Substanzbezogene Störungen (zwei Studien) und Persönlichkeitsstörungen (vier Studien).

    Anders als in herkömmlichen Meta-Analysen wurden die in diesen Studien miteinander verglichenen Behandlungen nicht auf Unterschiedlichkeit, sondern erstmalig explizit hinsichtlich ihrer Gleichwertigkeit bewertet, was strengere methodische Maßstäbe erfordert. Zusätzlich berücksichtigten die Wissenschaftler/innen die Qualität der einbezogenen Studien sowie mögliche Interessenskonflikte innerhalb der Studien aber auch innerhalb des eigenen Forschungsteams. Sven Rabung zum Ergebnis der Studie: „Die zusammenfassende Auswertung der vorliegenden Studien belegt, dass die psychodynamischen Therapien grundsätzlich als genauso wirksam wie die evidenzbasierten Vergleichsbehandlungen, und speziell auch die kognitive Verhaltenstherapie, gelten können.“

    Rabung führt weiter aus: „Die vorliegende Meta-Analyse belegt somit eindrücklich das Potential psychodynamischer Therapien als gleichwertige Behandlungsoption im Reigen der verfügbaren evidenzbasierten Behandlungsalternativen. Dies ist von großer Versorgungsrelevanz, da jedes Therapieverfahren nur bei einem Teil der Patient/innen zum gewünschten Erfolg führt und deswegen potente Behandlungsalternativen benötigt werden.“

    Publikation:
    Steinert C, Munder T, Rabung S, Hoyer J, Leichsenring F: Psychodynamic Therapy: As Efficacious as Other Empiracally Supported Treatments? A Meta-Analysis Testing Equivalence of Outcomes. Am J Psychiatry 2017; 174:943–953; doi: 10.1176/appi.ajp.2017.17010057
    Begleitendes Editorial: Milrod B: The Evolution of Meta-Analysis in Psychotherapy Research. Am J Psychiatry 2017; 174:913–914; doi: 10.1176/appi.ajp.2017.17050539

    Pressestelle der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, 06.10.2017

  • Fetale Alkoholspektrumstörung

    Unter der Schirmherrschaft der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler, trafen sich am 29./30. September 2017 Vertreter aus Medizin, Wissenschaft und Politik auf der Fachtagung des Vereins FASD Deutschland. Anlässlich dieser Tagung appelliert die Drogenbeauftragte erneut, auf Alkohol in der Schwangerschaft komplett zu verzichten, und veröffentlicht die aktualisierte Informationsbroschüre „Die Fetale Alkoholspektrumstörung – Die wichtigsten Fragen der sozialrechtlichen Praxis“.

    Die Fetale Alkoholspektrumstörung ist eine oftmals unterschätze oder gänzlich unentdeckte Erkrankung mit gravierenden Folgen: Die Symptome reichen von intellektuellen Beeinträchtigungen, Wachstumsminderung und Verhaltensstörungen bis hin zu Herzfehlern. Viele dieser gesundheitlichen Auswirkungen bedeuten für die Betroffenen umfangreiche Einschränkungen im Alltag sowie im schulischen und beruflichen Bereich. Dabei ist FASD kein Randproblem: Jedes Jahr kommen in Deutschland bis zu 10.000 Kinder mit der allein durch Alkoholkonsum in der Schwangerschaft verursachten unumkehrbaren Fetalen Alkoholspektrumstörung (FAS/FASD) auf die Welt.

    Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler: „FASD ist in jedem Fall vermeidbar. Deswegen kann man nur appellieren, in der Schwangerschaft konsequent zu bleiben und auf alkoholische Getränke jeder Art zu verzichten. Alles andere gefährdet die Gesundheit der Kinder. Ich setze mich seit langem dafür ein, dass Betroffene die richtige Unterstützung erhalten. Noch immer sind viele Angehörige und Betroffene unsicher, welche Rechte sie haben und welche Hilfsangebote sie wahrnehmen können“, so die Drogenbeauftragte. „Betroffenen kann der Lebensweg durch gezielte Unterstützung enorm erleichtert werden. Dabei helfen kann der jetzt überarbeitete Ratgeber zu allen sozialrechtlichen Fragen rund um die Erkrankung FASD.“

    Die Drogenbeauftragte hat sich von Beginn ihrer Amtszeit intensiv für die Prävention von FASD, eine bessere Diagnose und eine aktivere Unterstützung der Betroffenen eingesetzt.  Auch ihr aktueller Jahresschwerpunkt „Kinder aus suchtbelasteten Familien“ widmet sich den Auswirkungen der Sucht der Eltern auf die Kinder – etwa 3 Millionen Kinder in Deutschland haben mindestens einen suchtkranken Elternteil.

    Informationen über die sozialrechtlichen Grundlagen sind nicht nur für die Betroffenen und deren Angehörige, sondern auch für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sozial- und Jugendämter von großer Bedeutung. Durch die Pflegestärkungsgesetze I und II, das Regelbedarf-Ermittlungsgesetz, die Reform der Kinder- und Jugendhilfe sowie durch das Bundesteilhabegesetz haben sich wichtige Änderungen ergeben, die ab sofort in der überarbeiteten Version nachzulesen sind.

    Pressestelle der Bundesdrogenbeauftragten, 28.09.2017

  • Neue Substitutions-Richtlinie

    Am 2. Oktober 2017 tritt die neue Substitutions-Richtlinie der Bundesärztekammer zur Behandlung von Opioidabhängigen in Kraft.

    „Bessere Therapiemöglichkeiten und mehr Rechtssicherheit für Ärzte – dieses Ziel verfolgt  die neue Substitutions-Richtlinie der Bundesärztekammer (BÄK) zur Behandlung Opioidabhängiger, die am Montag in Kraft tritt.“ Darauf weist Dr. Josef Mischo hin, der als Vorsitzender der BÄK-Arbeitsgruppe „Sucht und Drogen“ gemeinsam mit dem Präsidenten der Sächsischen Landesärztekammer, Erik Bodendieck, und einer ärztlichen Expertengruppe die Richtlinie erarbeitet hat. Den Patienten könne nun ärztlicherseits noch besser geholfen werden, ihr Leben zu ordnen, nicht mehr straffällig zu werden und einen Weg zurück ins Arbeitsleben zu finden.

    Etwa die Hälfte aller Opioidabhängigen befindet sich derzeit in einer Substitutionsbehandlung. Der Bundesrat hatte mit der im Mai 2017 verabschiedeten Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) den Rahmen für diese Behandlung neu gestaltet und ärztlich-therapeutische Belange in die Richtlinienkompetenz der BÄK übertragen.

    Ärzte können nun die Therapieziele flexibler an die aktuelle Situation ihres Patienten anpassen. Die Konsiliarregelung, die die gemeinsame Behandlung mit suchtmedizinisch nicht erfahrenen Kolleginnen und Kollegen ermöglicht, wird von drei auf zehn Patienten erhöht. Stabile, gut re-integrierte Patienten können das Substitutionsmittel bis zu 30 Tage lang eigenverantwortlich einnehmen, wenn es zum Beispiel ihre Arbeit oder längere Urlaubszeiten erfordern. Da viele langjährig Substituierte inzwischen auch in Pflegeheimen oder Hospizen leben, wird den behandelnden Ärzten die Betreuung dieser Patienten in diesen Einrichtungen erleichtert.

    „Es ist gut, dass die Politik die Richtlinienkompetenz in diesem wichtigen Bereich auf die ärztliche Selbstverwaltung übertragen hat. Die Therapie unterliegt damit nicht mehr starren gesetzlichen Regelungen, die bislang immer auch die Gefahr von Strafverfahren für die behandelnden Ärzte nach sich zogen. Sie kann jetzt auch besser als bisher an den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft und den Erfordernissen des konkreten Einzelfalls angepasst werden“, sagt Bodendieck.

    Mit der Neuregelung verbindet die Bundesärztekammer auch die Hoffnung, dass sich nun weitere Ärzte für diese lebensrettende und medizinisch hoch wirksame Behandlung motivieren lassen.

    Die Richtlinie der Bundesärztekammer zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opioidabhängiger tritt am Montag, 02.10.2017, mit der Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft. Sie kann auch auf der Internetseite der Bundesärztekammer eingesehen werden: http://www.bundesaerztekammer.de/richtlinien/richtlinien/substitutionstherapie/

    Pressemitteilung der Bundesärztekammer (BÄK), 29.09.2017

  • Das Rentenalter

    Der Internationale Tag der älteren Menschen der Vereinten Nationen, der regelmäßig am 1. Oktober begangen wird, bietet Anlass, daran zu erinnern, dass das Rentenalter eine Herausforderung in Sachen Alkohol darstellt. Bei den 65- bis 74-Jährigen weisen sieben Prozent einen chronisch risikoreichen Alkoholkonsum auf. Schätzungen zufolge hat sich bei einem Drittel der alkoholabhängigen älteren Menschen die Sucht erst nach der Pensionierung entwickelt.

    Die Pensionierung, mit der das Arbeitsleben zu Ende geht, stellt eine grundlegende Veränderung dar, die eine ganze Reihe an Fragestellungen und eine gewisse Destabilisierung mit sich bringt. Mitunter geht sie mit einem Verlust an sozialen Kontakten und auch einer Sinnkrise einher. Hinzu kommen womöglich Gesundheitsprobleme oder der Tod von nahestehenden Personen. Für manche Menschen wird der Alkohol zur Zuflucht, die sich dann in eine Falle verwandelt. Zudem wirkt Alkohol ab 55 Jahren anders, da der Organismus sich mit den Jahren verändert: Mit dem Älterwerden nimmt der Wasseranteil des Körpers ab. Damit wird der Alkohol in weniger Flüssigkeit verteilt und wirkt stärker. Es ist also Vorsicht geboten, auch wenn ansonsten alles in Ordnung ist.

    Allzu häufig will das Umfeld nicht reagieren – oder traut sich nicht. Ein Glas Alkohol zum Essen gilt de facto als Ausdruck von Wohlergehen und Lebensfreude. Mitunter geht der Alkoholkonsum jedoch weit über die empfohlene Menge von einem Standardglas pro Tag hinaus. Bei den 65- bis 74-Jährigen weisen sieben Prozent einen problematischen Alkoholkonsum auf. Bei ihnen geht die Lebensqualität zurück, wobei das Umfeld nicht immer merkt, dass Alkohol mit im Spiel ist. Dazu kommt, dass man mit zunehmendem Alter in der Regel immer mehr Medikamente einnimmt. Und deren Wirkung kann durch Alkohol verstärkt, vermindert oder verändert werden.

    Dass Alkoholkonsum bei älteren Personen häufig unerkannt bleibt, lässt sich durch mehrere Faktoren erklären. Zunächst einmal ist da die Isolierung, in der eine ältere Person unter Umständen lebt. Außerdem können Suchtsymptome auch mit den normalen Symptomen des Älterwerdens verwechselt werden: Denn Stürze, Gleichgewichts-, Sprach-, Gedächtnis- und Schlafstörungen oder auch Depressionen sind gängige Alterserscheinungen, können aber auch mit Alkoholmissbrauch im Zusammenhang stehen.

    Wenn Alkoholprobleme erkannt und mit altersgerechten Therapieansätzen behandelt werden, können sie vollkommen behoben und damit die Lebensqualität für die ältere Person gesteigert werden. Hierbei ist bevorzugt auf vorhandene Ressourcen zu setzen: Gerade das persönliche Umfeld spielt eine besonders wichtige Rolle, insbesondere um einen festen Tagesrhythmus zu etablieren.

    Broschüren von Sucht Schweiz zum Thema „Alkohol beim Älterwerden“ finden sie hier.

    Pressestelle von Sucht Schweiz, 28.09.2017

  • „Um wie viel Geld geht es hier?“

    *29 Millionen Euro verlieren Spielerinnen und Spieler an Geldspielautomaten im Monat in hessischen Spielhallen.

    „Was schätzen Sie, wie viel Geld im Monat in hessischen Spielhallen verspielt wird?“* Das werden Bürgerinnen und Bürger in hessischen Innenstädten am Aktionstag zur Glücksspielsucht gefragt. Die Hessische Landesstelle für Suchtfragen (HLS) und die örtlichen Fachberatungen für Glücksspielsucht informieren mit einer landesweiten Öffentlichkeitsaktion über die Schattenseiten des Glücksspiels.

    Das Geschäft mit dem Glücksspiel boomt. Nach aktuellen Angaben lag der Gesamtumsatz des deutschen Glücksspiel-Marktes im Jahr 2015 bei 40,3 Milliarden Euro, ein Anstieg um 3,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Über 62 Prozent vom Umsatz entfallen allein auf die Geldspielautomaten, das bedeutet bundesweit 25,3 Milliarden Euro Jahresumsatz in Spielhallen und gastronomischen Betrieben! Dabei gilt das Spielen an Geldspielautomaten als das risikoreichste Glücksspiel: Fast 82 Prozent der Personen, die in die hessischen Fachberatungen für Glücksspielsucht kommen, sind von Geldspielautomaten abhängig.

    Die Profite der Anbieter sind gleichzeitig die Verluste der Spielenden. Denn Anbieter von Glücksspielen profitieren nur dann, wenn die Spielerinnen und Spieler mehr verlieren als gewinnen. Häufig geht eine hohe Verschuldung der Spielerinnen und Spieler damit einher: Bundesweit haben 16 Prozent der pathologischen Glücksspielenden Schulden von über 25.000 Euro.

    „Betroffene Glücksspielerinnen und Glücksspieler haben nicht nur die Kontrolle über das Glücksspiel verloren. Das verspielte Geld und die Konsequenzen daraus haben bereits viele Familien ruiniert“, so die Landeskoordinatorin für Glücksspielsucht der HLS, Daniela Senger-Hoffmann. Das erleben auch tagtäglich die Fachberatungen in Hessen, die im vergangenen Jahr fast 1.600 Glücksspielsüchtige und deren Angehörige beraten haben. Finanzieller Ruin, Beschaffungskriminalität, Aufgabe von sozialen Beziehungen und Suizidversuche prägen die Lebenssituation der rund 34.000 problematischen und pathologischen Spielerinnen und Spieler in Hessen. Hinzu kommen Kosten für Strafverfahren und Strafvollzug, Behandlungs- und Therapiekosten, Kosten durch Arbeitsausfälle, Hilfen zum Lebensunterhalt für Betroffene und deren Angehörige.

    „Wenn all diese durch eine Glücksspielsucht bedingten Folgen und die sozialen Kosten berücksichtigt werden, ergeben sich nach einer aktuellen gesundheitsökonomischen Analyse volkswirtschaftliche Kosten von rund 6,6 Milliarden Euro pro Jahr“, fasst der Geschäftsführer der HLS, Wolfgang Schmidt-Rosengarten, zusammen. Vor diesem Hintergrund drängt die HLS auf die Einhaltung des Spielerschutzes und fordert die Herabstufung der Geldspielgeräte auf den vom Gesetzgeber ursprünglich beabsichtigten Charakter eines Unterhaltungsgerätes.

    Die in der Presseinformation genutzten Daten basieren auf Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).

    Zusatzinformationen:
    Um den Weg in die Glücksspielsucht zu vermeiden sowie den bereits Betroffenen wie auch Angehörigen Hilfen anbieten zu können, finanziert das Land Hessen an 15 Standorten Fachberatungen für Glücksspielsucht, die in das bestehende hessische Suchthilfesystem integriert sind. Weiterhin stellt das Land Mittel für eine landesweite Koordination bei der HLS zur Verfügung. Diese zusätzlichen Personalstellen werden von dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration und vom Hessischen Ministerium des Innern und für Sport im Rahmen des Glücksspielstaatsvertrages bereitgestellt.

    Hessische Landesstelle für Suchtfragen (HLS), 25.09.2017

  • „Das Stigma von Suchterkrankungen verstehen und überwinden“

    Im September 2016 fand in Greifswald gemeinsam mit der DG-Sucht eine vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte Klausurwoche zum Thema „Das Stigma von Suchterkrankungen verstehen und überwinden“ statt. Die Ergebnisse der Tagung, die federführend von Georg Schomerus, einem international angesehenen Stigmaforscher von der Universität Greifswald, in Kooperation mit Annemarie Heberlein (Medizinische Hochschule Hannover) und Hans-Jürgen Rumpf (Universität zu Lübeck) durchgeführt wurde, liegen seit Frühjahr 2017 in Form eines Memorandums vor. Das Memorandum wurde von einer interdisziplinären und internationalen Gruppe von Wissenschaftlern, Praktikern und Betroffenen konsentiert und unternimmt den Versuch, das Phänomen der Stigmatisierung von Menschen mit Suchtkrankheiten zu erklären und Wege aufzuzeigen, wie ein stigmafreier Umgang mit Suchtkrankheiten aussehen kann. Zu folgenden Bereichen werden Empfehlungen formuliert: Empowerment, qualitative Verbesserungen im Hilfesystem, konzeptionelle und rechtliche Weiterentwicklungen, Forschung sowie Koordination und Kommunikation der Anti-Stigma Aktivitäten.

    Seit seinem Erscheinen wurde das Memorandum im Rahmen verschiedener Fachveranstaltungen vorgestellt und diskutiert, u. a. auf dem Deutschen Suchtkongress 2017, der Mitte September in Lübeck stattgefunden hat. Das Memorandum finden Sie hier.

    Quelle: Website der DG-Sucht, September 2017

  • Medien, Nikotin, Alkohol? Mehr Sicherheit im Erziehungsalltag!

    Eltern stehen vor komplexen Erziehungsaufgaben. Sie begleiten ihre Kinder dabei, einen vernünftigen Umgang mit digitalen Medien, aber auch anderen ‚Verführern‘ wie Alkohol und Zigaretten zu entwickeln. Insbesondere die Digitalisierung und die Zunahme an Mobilgeräten verändert die familiäre Kommunikation und verunsichert viele Eltern stark: Die wenigsten Eltern wissen, was ihr Kind im Netz tut und welchen Einfluss WhatsApp, facebook und youtube auf Heranwachsende haben. Gleichzeitig ist der Einfluss der Eltern auf das Gesundheitsverhalten der Kinder sehr viel größer als vermutet. Zentrale Faktoren, die den späteren Substanzkonsum der Kinder beeinflussen, sind das Interesse der Eltern am Freizeitverhalten, nachvollziehbare und durchgesetzte Regeln sowie das vertrauensvolle Gespräch zwischen Eltern und Kind.

    Um Eltern zu motivieren, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen und sich bei Fragen Hilfe zu holen, veröffentlichen die Fachstelle für Suchtprävention Berlin gGmbH und die AOK Nordost – Die Gesundheitskasse drei Kurzfilme im Cartoon-Format, die ‚mit einem Augenzwinkern‘ Tipps im Umgang mit den benannten Themen vermitteln und auf weitere Unterstützungsangebote aufmerksam machen.

    „Das besondere an den Filmen ist, dass sie mit wenig Sprache auskommen und somit auch für Eltern attraktiv sind, die nicht so gerne lange Informationsbroschüren lesen oder dies vielleicht auch nicht gut können“, so Kerstin Jüngling, Geschäftsführerin der Fachstelle für Suchtprävention Berlin gGmbH. „Besonders freuen würde es uns, wenn die Filme von Eltern an andere Eltern verschickt und weitergegeben werden und somit möglichst viele Familien erreichen.“

    Werner Mall, Leiter des Unternehmensbereichs Prävention der AOK Nordost – Die Gesundheitskasse, betont: „Eltern sind Vorbilder für ihre Kinder, auch im Umgang mit Medien und Suchtmitteln wie Nikotin und Alkohol. Mit dem Programm „8 bis 12“ wollen wir Eltern in ihrer Erziehungskompetenz stärken. Die Kurzfilme, die im Rahmen des Programmes nun produziert wurden, transportieren Themen der Gesundheitsförderung und Suchtprävention direkt in die Familien.“

    Die Filme stehen der Öffentlichkeit und somit allen Familien auf www.8bis12.de, auf facebook sowie dem youtube-Kanal der Fachstelle für Suchtprävention Berlin gGmbH zur Verfügung.

    Pressemitteilung der Fachstelle für Suchtprävention Berlin gGmbH und der AOK Nordost – Die Gesundheitskasse, 08.09.2017

  • Hilfe gegen Heißhungeranfälle

    Professorin Dr. Martina de Zwaan. Foto: MHH/Kaiser

    Die Binge-Eating-Störung kann mit kognitiver Verhaltenstherapie behandelt werden. Aber auch ein verhaltenstherapeutisches Selbsthilfeprogramm, das das Internet nutzt und nicht anonym ist, hilft gut gegen diese Essstörung. Das hat Professorin Dr. Martina de Zwaan, Direktorin der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), gemeinsam mit Professorin Dr. Anja Hilbert von der Universität Leipzig herausgefunden. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift JAMA Psychiatry veröffentlicht.

    Menschen mit einer Binge-Eating-Störung essen bei wiederkehrenden Essanfällen unkontrolliert große Mengen an Lebensmitteln, was zu starkem Übergewicht führen kann. „Die Essanfälle werden meist durch negative Gefühle ausgelöst, die während des Essens unterbrochen werden. Mit Hilfe einer kognitiven Verhaltenstherapie lernen die Betroffenen, ihr Essverhalten zu normalisieren, weitere Gewichtszunahmen zu verhindern und mit ihren psychischen Problemen anders als durch Essen umzugehen“, erklärt Professorin de Zwaan. Doch Therapieplätze sind rar. Deshalb wollten die Forscherinnen herausfinden, ob auch ein bestimmtes Selbsthilfeprogramm hilft, das ebenfalls auf der kognitiven Verhaltenstherapie beruht. Es nutzt das Internet und beinhaltet ein persönliches erstes Gespräch sowie regelmäßige E-Mail-Kontakte mit dem Behandler. „Es kann schnell begonnen und unabhängig von Ort und Zeit durchgeführt werden. Darüber hinaus haben viele Patienten weniger Hemmungen, ein solches Programm durchzuarbeiten, als zu therapeutischen Sitzungen zu gehen“, erklärt Professorin de Zwaan.

    An der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützten Studie nahmen sieben deutsche Zentren mit insgesamt rund 180 Patientinnen und Patienten teil. Die Behandlung umfasste 20 wöchentliche Kontakte zu Therapeuten über vier Monate. Die Hälfte der Teilnehmenden hatte verhaltenstherapeutische Einzelsitzungen mit Therapeuten, die andere Hälfte im Selbsthilfeprogramm Kontakt per E-Mail. Das Ergebnis: Bei allen Teilnehmern verringerten sich die Essanfälle deutlich. Auch weitere Schwierigkeiten wie beispielsweise depressive Verstimmungen, Ängstlichkeit und die Sorge um das Gewicht nahmen ab.

    Die persönliche Therapie wirkte schneller. Direkt nach der Behandlung und sechs Monate später hatten diese Patienten deutlich weniger Essanfälle als die anderen. Doch nach 18 Monaten hatten sich die Effekte angeglichen. Insgesamt hatten sich bei allen Patienten die Essanfälle verringert. „Diese nicht-anonyme Internet-basierte Therapie stellt somit eine gute Alternative dar. Sie kann auch genutzt werden, um die Zeit bis zum Beginn einer persönlichen Therapie zu überbrücken. Deshalb sollte sie ins Gesundheitssystem integriert werden“, sagt Professorin de Zwaan. Allerdings müsse beachtet werden, dass Suizidalität und andere schwere psychische Leiden, die auch bei Personen mit dieser Essstörung vorkommen, in persönlichen Gesprächen besser behandelt werden können.

    Originalpublikation: http://jamanetwork.com/journals/jamapsychiatry/fullarticle/2646394

    Pressestelle der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), 14.08.2017

  • Maßnahmen gegen schädlichen Alkoholkonsum

    Europa hat den höchsten Alkoholkonsum und die höchste damit zusammenhängende Krankheitslast in der Welt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat einen Bericht über die Anstrengungen der europäischen Staaten zur Reduzierung des schädlichen Alkoholkonsums vorgelegt. Deutschland schneidet dabei in vielen Bereichen nur mittelmäßig, häufig sogar als Schlusslicht ab. „Der Bericht macht deutlich, dass die deutsche Politik dringend Maßnahmen gegen den hohen Alkoholkonsum ergreifen muss“, erklärte Dr. Dietrich Garlichs, Sprecher der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK).

    Im Jahr 2011 hatten alle 53 Mitgliedsstaaten der europäischen WHO-Region dem „European action plan to reduce the harmful use of alcohol 2012–2020“ (EAPA) zugestimmt. Ziel des Aktionsplans ist es, mithilfe verschiedener Maßnahmen wie Preispolitik, Prävention am Arbeitsplatz, Promillegrenzen für Autofahrer, Altersbeschränkungen bei der Abgabe sowie Einschränkungen von Marketing und Werbung alkoholassoziierte Probleme zu reduzieren. Jetzt hat die WHO überprüft, inwiefern die Mitgliedsstaaten die empfohlenen Maßnahmen umgesetzt haben – und legt den Bericht „Policy in action. A tool for measuring alcohol policy implementation“ vor.

    Betrachtet man die Staaten im Detail, zeigt die Auswertung: Deutschland liegt im Bereich Politik/Aufklärung von 29 Ländern auf dem 23. Platz, im Bereich Prävention am Arbeitsplatz/in der Kommune von 29 Ländern zusammen mit Österreich auf dem vorletzten Rang, bei Maßnahmen gegen Alkohol am Steuer von 30 Ländern auf dem 26. Platz und bei den Maßnahmen gegen illegalen Handel und Herstellung von Alkohol auf der vorletzten Position von 53 Staaten. „Was die Einschränkung der Verfügbarkeit von Alkohol angeht, bilden wir unter 30 Ländern sogar das Schlusslicht“, erläutert Dr. Ute Mons, Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention am Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg. Lediglich bei Marketingbeschränkungen und Maßnahmen zur Verringerung der negativen Auswirkungen des schädlichen Alkoholkonsums belegt Deutschland mittlere Plätze, das heißt Rang zwölf von 30 bzw. 15 von 31.

    „Der WHO-Bericht macht deutlich, dass in Deutschland noch Handlungsbedarf besteht, was die Verringerung des schädlichen Alkoholkonsums betrifft“, resümiert Mons. „Hier sind die politisch Verantwortlichen gefordert, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, zum Beispiel durch eine Erhöhung der Alkoholsteuern und Erhebung nach Alkoholgehalt sowie eine einheitliche Altersgrenze von 18 Jahren für die Abgabe von Alkohol und den Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit.“

    Download „Policy in action: A tool for measuring alcohol policy implementation (2017)”
    Die Ergebnisse für einzelne Länder finden Sie hier.

    Pressestelle der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK), 28.07.2017

  • Deutschland, die Raucherecke Europas?

    Jeder vierte Erwachsene in Deutschland greift regelmäßig zur Zigarette. Damit liegt die Zahl der Raucher hierzulande höher als in den meisten anderen Industrieländern. In einem aktuellen Report der Weltgesundheitsorganisation (WHO) schneidet die Bundesrepublik in Sachen Tabakkontrolle im Vergleich zu anderen Ländern schlecht ab. Seit Einführung der ‚Schockbilder‘ habe die Bundesregierung keine weiteren Maßnahmen mehr eingeleitet, kritisiert die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Die Fachgesellschaft fordert unter anderem ein komplettes Werbeverbot für Tabakwaren sowie professionelle Entwöhnungsprogramme auf Rezept.

    Nur Österreich schneidet im europäischen Vergleich noch schlechter ab als Deutschland, wenn es darum geht, Maßnahmen gegen das Rauchen einzuführen. Nur hierzulande dürfen Tabakkonzerne noch auf Plakaten oder Großveranstaltungen wie etwa Musikfestivals für ihre Produkte werben. „Ein umfassendes Werbeverbot wäre wichtig, damit junge Leute gar nicht erst mit dem Rauchen anfangen“, sagt Professor Dr. med. Berthold Jany, Pastpräsident der DGP. Ein solches Verbot ist im Bundestag auf absehbare Zeit jedoch nicht geplant. Von den Empfehlungen der WHO zur Tabakkontrolle hat die deutsche Regierung zuletzt die Schockbilder auf Zigarettenpackungen und das Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden und Gaststätten umgesetzt.

    Auch das Gesundheitssystem berücksichtige die Folgen des Rauchens und der Abhängigkeit noch zu wenig, fügt Jany hinzu. „Rauchen ist kein Lifestyle-Problem, sondern eine Sucht – deshalb scheitern die meisten Raucher, wenn sie ohne professionelle Hilfe versuchen aufzuhören“, erklärt der Chefarzt der Abteilung Innere Medizin im Klinikum Würzburg Mitte. Wirksame Hilfen bieten Medikamente, die den Drang zu rauchen unterdrücken, medizinische Beratung und verhaltenstherapeutische Programme. Eine Entwöhnung auf Rezept gibt es in Deutschland aber nicht: Die meisten Kurse und wirksame Medikamente muss der Raucher aus eigener Tasche bezahlen.

    Rauchen schadet fast jedem Organ im menschlichen Körper und ist der wichtigste vermeidbare Risikofaktor für Krebs, Herz-Kreislauf-Schäden und chronische Lungenerkrankungen. Über 13 Prozent aller Todesfälle in Deutschland gehen auf den Konsum von Zigaretten zurück. Trotz der gesundheitlichen Gefahren fehlt es in Deutschland jedoch an effektiven Aufklärungskampagnen, die vor den Folgen des Rauchens warnen. In Ländern wie Kanada, Indien, Großbritannien oder die Türkei, die in den vergangenen zehn Jahren umfassende Rauchverbote eingeführt und nationale Programme zum Rauchstopp gestartet haben, ging der Anteil der Raucher hingegen deutlich zurück. „Die Maßnahmen der WHO haben sich in Untersuchungen als wirksam erwiesen und sind auch für Länder mit kleinem Budget umsetzbar“, betont Jany. „Es wird Zeit, dass Deutschland dem guten Beispiel anderer Industrienationen folgt.“

    Publikation:
    World Health Organization: WHO-report on the global tobacco epidemic, 2017 – Monitoring tobacco use and prevention policies. http://www.who.int/mediacentre/news/releases/2017/tobacco-report/en/

    Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), 02.08.2017