Kategorie: Kurzmeldungen

  • Durch Alkohol in die Notaufnahme

    Notfallmediziner am Jenaer Uniklinikum behandeln mehr als 600 alkoholisierte Patienten jährlich. Foto: UKJ/ Anna Schroll
    Notfallmediziner am Jenaer Uniklinikum behandeln mehr als 600 alkoholisierte Patienten jährlich. Foto: UKJ/ Anna Schroll

    Alkoholisierte Patienten sind ein alltägliches Problem in der Notaufnahme: Allein im Jahr 2011 behandelten die Mediziner der Zentralen Notfallaufnahme (ZNA) am Universitätsklinikum Jena (UKJ) über 600 alkoholisierte Patienten, dies entspricht etwa 2,5 Prozent aller Patienten der ZNA. Doch wann werden die meisten alkoholisierten Patienten versorgt? Und ist der maßlose Umgang mit Alkohol ein Phänomen der Jugend? Um diese Fragen zu beantworten, untersuchten die Mediziner der ZNA und der Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie am UKJ die alkoholisch bedingten Aufnahmen am Jenaer Uniklinikum in den Jahren 2010 und 2011.

    Die Anzahl alkoholisierter Patienten steigt: Während 2010 580 Patienten alkoholbedingt aufgenommen wurden, waren es im darauffolgenden Jahr 632. Etwa zwei bis drei Patienten wöchentlich besitzen einen deutlich erhöhten Promillewert, damit bezeichnen Mediziner Werte ab zwei Promille. „Wer bei diesen Patienten ausschließlich an Jugendliche nach einer langen Partynacht denkt, liegt falsch“, so Dr. Steffen Herdtle, Oberarzt an der ZNA des UKJ. Denn die Studie zeigt, dass auch Personen über 50 Jahre besonders häufig alkoholbedingt aufgenommen wurden. Insgesamt sind etwa 80 Prozent aller Patienten männlich.

    Die Jenaer Notfallmediziner behandeln diese Patienten meist in den nächtlichen Stunden zwischen 20.00 und 5.00 Uhr, etwa die Hälfte der Betroffenen zwischen Freitag und Sonntag. Zudem gibt es in den Sommermonaten Spitzenwerte. „Vor allem an Tagen mit besonderen Ereignissen oder an Feiertagen wie am Männer- bzw. Vatertag werden mehr Patienten als sonst aufgrund ihres Alkoholkonsums in der Notfallaufnahme behandelt“, bestätigt Herdtle.

    „Bei alkoholisierten Patienten sprechen wir von Hochrisikopatienten“, sagt Herdtle. Oft ist unklar, ob die Beschwerden des gestürzten Patienten alkoholbedingt oder durch Blutungen im Kopf entstehen. „Deshalb fällt die Diagnostik bei diesen Patienten sehr gründlich aus, vor allem die bildgebenden Verfahren“, bestätigt Herdtle. Die Mediziner benötigen bei der Behandlung alkoholisierter Patienten ein besonderes Maß an Professionalität, um speziell auf sie einzugehen.

    Während die Studie die meisten Erwartungen der Mediziner hinsichtlich Uhrzeit und Häufigkeit der Aufnahme von alkoholisierter Patienten bestätigte, gab es auch eine überraschende Erkenntnis: Die Ergebnisse am Jenaer Klinikum stimmen mit den Resultaten einer ähnlichen japanischen Studie exakt überein – sowohl die Verteilung der Geschlechter und des Alters, als auch die Häufigkeit und der Zeitpunkt der Aufnahme alkoholisierter Patienten.

    Pressestelle des Universitätsklinikums Jena, 21.07.2016

  • Lotsennetzwerke der SuchtSelbstHilfe

    Cover_rIn der SuchtSelbstHilfe nehmen betroffene Menschen ihr Leben selbst in die Hand und helfen anderen auf dem Weg in ein ‚un-abhängiges‘ Leben. Helfer/innen in schwerer See nennt man Lotsen. Viele Lotsen bilden gemeinsam ein Lotsennetzwerk. Lotsennetzwerke der SuchtSelbstHilfe gibt es seit über zehn Jahren, und inzwischen liegen viele Erfahrungen vor. Sie zu systematisieren und ihre Qualität zu beschreiben, ist eine wichtige Voraussetzung dafür, die Idee des Lotsennetzwerks weiterzuverbreiten und noch mehr betroffenen Menschen sichere Übergänge aus der Suchterkrankung zu bieten. Der Fachverband Drogen- und Suchthilfe e. V. (fdr) hat daher einen Leitfaden für Lotsennetzwerke formuliert, der als Vorlage für neue Projekte nützlich sein kann und gleichzeitig dem Qualitätsmanagement in den einzelnen Netzwerken dient.

    Den Leitfaden für Lotsennetzwerke können Sie hier herunterladen.
    Gedruckte Exemplare können Sie per E-Mail bestellen: mail@fdr-online.info
    Mehr Informationen zum Lotsennetzwerk des fdr finden Sie hier: http://www.lotsennetzwerk.de/

    Fachverband Drogen- und Suchthilfe (fdr), 11.08.2016

  • Energy Drinks & Co

    Microsoft Word - Dokument2Ein neuer Webfilm des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) aus der interaktiven Reihe „Verbraucher fragen – Das BfR antwortet“ informiert über die gesundheitlichen Risiken durch den Konsum von Koffein, insbesondere durch Energy Drinks. „Es besteht in der Öffentlichkeit wenig Klarheit darüber, welche Auswirkungen koffeinhaltige Getränke auf die Gesundheit haben können“, sagt BfR-Präsident Professor Dr. Dr. Andreas Hensel. „Wer übermäßig viel Energy Drinks in kurzer Zeit konsumiert, dazu erhöhte Mengen Alkohol trinkt, sich körperlich intensiv betätigt und/oder wenig schläft, kann unter Umständen schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen erleiden.“ Verbraucherinnen und Verbraucher hatten über das interaktive BfR-Online-Format die Möglichkeit, ihre Fragen zum Thema zu stellen und anschließend die für sie wichtigste Frage zu wählen. Die drei meistgewählten Fragen beantwortet das BfR in dem jetzt veröffentlichten Webfilm unter http://www.bfr.bund.de.

    Energy Drinks (deutsch Energiegetränke) sind Getränke, die oft in hohen Konzentrationen Koffein, meist zusammen mit den Stoffen Taurin, Inosit und Glucuronolacton, enthalten. In einigen Fallberichten wurden nach dem Konsum von Energy Drinks schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen beschrieben. Das in Energy Drinks enthaltene Koffein stimuliert das Herzkreislauf- und das zentrale Nervensystem. Bei hohen Koffeinzufuhren können unerwünschte Wirkungen wie z. B. erhöhte Erregbarkeit, Herzrasen, Herzrhythmusstörungen sowie ein erhöhter Blutdruck auftreten.

    Aus Sicht des BfR können sich gesundheitliche Risiken ergeben, wenn Energy Drinks in hohen Mengen getrunken werden. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass insbesondere der gleichzeitige Konsum größerer Mengen von Energy Drinks und höherer Mengen an Alkohol und/oder ausgiebige körperliche Betätigung das Risiko für negative gesundheitliche Effekte erhöhen. Bestimmten Verbrauchergruppen wie Kindern, Schwangeren, Stillenden und koffeinempfindlichen Personen wird empfohlen daher auf den Konsum von derartigen Energiegetränken zu verzichten.

    Im Online-Tool „Verbraucher fragen – Das BfR antwortet“ wählten Verbraucherinnen und Verbraucher insbesondere Fragen, die sich auf die Risikobewertung von Energy Drinks im Vergleich zu anderen koffeinhaltigen Getränken beziehen. Energy Drinks enthalten etwa 80 Milligramm Koffein pro Dose (250 Milliliter) und gehören damit – zusammen mit Filterkaffee – zu den Getränken, die am meisten Koffein enthalten. Eine Dose Energy Drink enthält vergleichbar viel Koffein wie ein Becher (200 Milliliter) Filterkaffee und etwa doppelt so viel wie ein Becher Schwarztee. Im Vergleich zu einer Dose Cola oder einem Becher Grünem Tee ist in Energy Drinks mehr als doppelt so viel Koffein enthalten.

    Für gesunde Erwachsene gilt die Aufnahme von bis zu 200 Milligramm Koffein, also etwa zwei Bechern Kaffee oder zwei Dosen Energy Drinks, innerhalb kurzer Zeit als gesundheitlich unbedenklich. Über den Tag verteilt können Erwachsene etwa das Doppelte trinken. Für Schwangere und Stillende gilt dies nicht. Sie sollten auch über den Tag verteilt nicht mehr als zwei Becher Kaffee trinken. Kinder und Jugendliche vertragen schon allein aufgrund ihres geringeren Körpergewichts weniger.

    Die Angaben stellen keine Empfehlungen des BfR dar, sondern bezeichnen lediglich die Mengen, die bei der gesunden Allgemeinbevölkerung als gesundheitlich unbedenklich angesehen werden. Die Empfindlichkeit gegenüber Koffein kann individuell sehr verschieden sein. So führt bei manchen Personen schon eine Tasse Kaffee zu Schlafstörungen. Daher sollte eine geringere Aufnahme von Koffein als die oben angegebene Menge bei empfindlichen Personen angestrebt werden. Bei manchen Personengruppen können erhöhte Koffeindosen zu besonderen gesundheitlichen Risiken führen, z. B. bei Personen mit bestimmten Herzkreislauferkrankungen. Solche Personen sollten auf den Konsum von Koffein insbesondere in höheren Dosen verzichten.

    Erwachsene nehmen in Deutschland Koffein vor allem über Kaffee auf. Insbesondere bei Jugendlichen können Energy Drinks in relevantem Umfang zur Gesamtaufnahme an Koffein beitragen: Befragungen bei deutschen Jugendlichen aus dem Jahr 2012 weisen auf einen Anteil von ca. zehn Prozent hin. Auch Kinder nehmen schon Koffein auf, vor allem über Schokolade. Eine Tafel Zartbitterschokolade enthält so viel Koffein wie ein Becher Schwarztee, was etwa einer halben Dose Energy Drink entspricht. Eine Tafel Vollmichschokolade enthält ein Viertel des Koffeingehalts einer Dose Energy Drink.

    Weitere Informationen zur Wirkung von Koffein sowie einen Zähler für die Koffeinaufnahme bietet das Informationsportal des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) an: http://www.check-deine-dosis.de

    Weitere Informationen zu den Videos des BfR in der Mediathek unter: http://www.bfr.bund.de/de/mediathek.html

    Über das BfR

    Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ist eine wissenschaftlich unabhängige Einrichtung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Es berät die Bundesregierung und die Bundesländer zu Fragen der Lebensmittel-, Chemikalien- und Produktsicherheit. Das BfR betreibt eigene Forschung zu Themen, die in engem Zusammenhang mit seinen Bewertungsaufgaben stehen.

    Pressestelle des Bundesinstituts für Risikobewertung, 03.08.2016

  • MEDIAN verstärkt sich durch die AHG

    Die AHG Allgemeine Hospitalgesellschaft AG, Düsseldorf, wird künftig zu MEDIAN gehören. MEDIAN verstärkt sich so in einem Zug um 45 Einrichtungen und macht damit einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einem bundesweit flächendeckenden Leistungsangebot. Zugleich stärkt MEDIAN das therapeutische Spektrum und baut außerdem sein Innovationspotenzial weiter aus. Für die AHG und die Unternehmerfamilie Glahn ist der Zusammenschluss eine wichtige Entscheidung für eine sichere Zukunft ihrer Kliniken, Therapiezentren und Wiedereingliederungseinrichtungen. Im Laufe des kommenden Jahres werden die beiden Gesundheitsunternehmen – vorbehaltlich der Zustimmung des Kartellamtes – fusionieren. Ein entsprechender Vertrag wurde Ende Juli zwischen den Beteiligten unterzeichnet. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart.

    „MEDIAN und AHG sind eine perfekte Verbindung“, kommentiert Dr. André M. Schmidt, CEO von MEDIAN. „Die regionalen Schwerpunkte der AHG insbesondere in Westdeutschland ergänzen passgenau unsere bisherigen Standorte. Außerdem stärken wir durch das Zusammengehen mit Blick auf unser Leistungsspektrum den Bereich Psychosomatik und bauen die Bereiche Sucht und Wiedereingliederung deutlich aus.“ MEDIAN plane, einen separaten Fachbereich für die Soziotherapie und ein eigenes Medical Board zur Bündelung des Know-hows im Bereich Sucht aufzubauen. „In der Psychosomatik wird uns das Fachwissen der AHG einen starken Schub bei der Entwicklung neuer Therapieprozesse liefern, die wir dann deutschlandweit über unsere Einrichtungen ausrollen können“, so Schmidt weiter. „Bei der Vernetzung stationärer, ambulanter und nachsorgender Angebote hat die AHG in den vergangenen Jahren deutliche Akzente gesetzt, die wir bei MEDIAN gemeinsam weiterentwickeln werden.“

    „Das Miteinander von AHG und MEDIAN ist ein Zusammenschluss zweier starker Unternehmen mit dem Ziel, sich gemeinsam noch besser den Herausforderungen der Gesundheitsversorgung in Deutschland zu stellen“, kommentiert Norbert Glahn, Sohn des Unternehmensgründers Wolfgang Glahn und CEO der AHG, die Transaktion. „Jetzt profitieren wir davon, dass die AHG sich in den vergangenen drei Jahren unter Ausnutzung aller Synergien strategisch, organisatorisch und therapeutisch optimal aufgestellt hat.“ Die AHG erbringt seit mehr als 40 Jahren erfolgreich Therapieleistungen für Menschen mit psychosomatischen und Abhängigkeitserkrankungen und gehört zu den führenden Unternehmen der Branche. „Die AHG war in den letzten 40 Jahren ein zentraler Dreh- und Angelpunkt für unsere Familiengeschichte“, so Norbert Glahn. „Die Entscheidung zum Verkauf ist uns deshalb nicht leicht gefallen. Wir erleben aber auch in unserer Branche einen immer stärker werdenden Konzentrationsprozess hin zu größeren und schlagkräftigeren unternehmerischen Einheiten. Als Familienunternehmen ist für uns die langfristige Verantwortung für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch für alle uns anvertrauten Menschen ein zentrales Anliegen. Darum übergeben wir die AHG nun an ein Unternehmen, von dem wir sicher sind, dass es eine erfolgreiche Zukunft hat.“

    MEDIAN ist ein Gesundheitsunternehmen mit derzeit 78 Rehabilitationskliniken, Akutkrankenhäusern, Pflege- und Wiedereingliederungseinrichtungen an 45 Standorten. Mit ca. 13.000 Mitarbeitern und mehr als 13.500 Betten bzw. Behandlungsplätzen ist das Unternehmen Deutschlands größter privater Betreiber von Rehabilitationseinrichtungen. Die AHG Allgemeine Hospitalgesellschaft mit Sitz in Düsseldorf ist einer der größten deutschen Therapieanbieter in den Fachgebieten Psychosomatik, Abhängigkeitserkrankungen und Soziotherapie. Das Unternehmen umfasst 45 Kliniken, Therapiezentren und Ambulanzen mit rund 4.000 Betten und hat mehr als 2.500 Beschäftigte. Durch den Zusammenschluss von MEDIAN und der AHG entsteht ein Unternehmen mit 17.500 Betten und Behandlungsplätzen in 123 Kliniken und Einrichtungen, das sich ausschließlich auf Nachsorge- und Teilhabeleistungen sowie Psychiatrie konzentriert. Die gut 15.500 Beschäftigten der Gruppen behandeln und betreuen dann jährlich mehr als 225.000 Patienten und Bewohner in 14 Bundesländern.

    Pressestellen der MEDIAN Kliniken und der AHG, 29.07.2016

    Anmerkung der Redaktion:

    MEDIAN gehört seit Dezember 2014 dem Finanzinvestor Waterland Private Equity, der 2011 schon den Reha-Anbieter RHM-Kliniken und Pflegeheime übernommen hat. 2015 wurden die beiden Gruppen RHM-Kliniken und Pflegeheime und MEDIAN zusammengeführt und agieren seitdem unter dem Namen MEDIAN.

  • Digitale Technologien in Sozialen Einrichtungen

    Soziale Einrichtungen setzen digitale Technologien bereits in vielen Feldern ein. Häufig werden technische Lösungen dabei zum ersten Mal in diesem Kontext angewendet. Das bietet Chancen, bringt Herausforderungen mit sich und verändert die Praxis. Der Forschungsschwerpunkt „Digitale Technologien und Soziale Dienste“ (DiTeS) der Technischen Hochschule Köln lädt Interessierte ein, gemeinsam mit den Wissenschaftler/innen im Rahmen des „DiTeS Dialogs 2016“ Chancen und Probleme zu identifizieren, Good Practices zu erarbeiten und gemeinsam Ideen für Förderanträge zu  entwickeln.

    Der DiTeS Dialog bietet:

    • Anregungen für die alltägliche Organisationspraxis durch gegenseitige Vorstellung innovativer Ansätze und Erfahrungen als ‚Vorreiter‘ bei der Nutzung digitaler Technologien,
    • einen gemeinsamen Diskurs über Potenziale und Probleme durch die Nutzung digitaler Technologien und über erforderliche Rahmenbedingungen,
    • den Aufbau eines Netzwerks, um dauerhaft voneinander zu lernen und Anregungen auszutauschen,
    • eine Ideenwerkstatt zur Projektförderung durch die Vorstellung der Förderlandschaft und die Entwicklung von Projektideen,
    • den Austausch mit Wissenschaftler/innen des Forschungsschwerpunkts DiTeS und Impulsvorträge

    Die Anzahl der Plätze ist auf 20 begrenzt. Zur Bewerbung eingeladen sind Träger und soziale Einrichtungen, die digitale Technologien auf neuartige Weise nutzen (wollen) und ihre Konzepte, Erfahrungen etc. vorstellen möchten. Interessierte können sich bis zum 10. September 2016 bewerben, indem sie an den Forschungsschwerpunkt DiTeS schreiben, wie digitale Technologien in ihrer Praxis zum Einsatz kommen (sollen) und über welche Themen der Digitalisierung Sozialer Arbeit, Gesundheit und Pflege sie sich unterhalten möchten.

    Bewerbung und weitere Informationen:
    http://dites.web.th-koeln.de/

    Termin und Veranstaltungsort:
    03. und 04. November 2016
    Tagungshotel Schloss Gnadenthal in Kleve
    Für Unterbringung und Verpflegung wird ein Beitrag von 130 Euro erhoben.

    Der Einfluss digitaler Technologien auf organisationale Prozesse und die Interaktion zwischen Fachkräften und Adressat/innen nimmt auch in sozialen Diensten spürbar zu. Der Nutzen und die Auswirkungen der digitalen Technik sind hier jedoch bislang kaum erforscht. Der neue Forschungsschwerpunkt „Digitale Technologien und Soziale Dienste“ (DiTeS) an der TH Köln untersucht Phänomene der Digitalisierung in den vielfältigen Feldern Sozialer Dienste, entwickelt Szenarien für eine realitätsnahe Anwendung digitaler Technologien und trägt neu gewonnene Erkenntnisse, aber auch Fragen und Herausforderungen in den wissenschaftlichen, fachpolitischen und öffentlichen Diskurs. Eine zentrale Rolle spielt dabei auch die Untersuchung der ethischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Implikationen.

    Pressemitteilung des „DiTes Dialog“-Organisationsteams, 01.08.2016

  • DRUCK-Studie – Drogen und chronische Infektionskrankheiten in Deutschland

    Cover_AbschlussberichtIm Juni 2016 veröffentlichte das Robert Koch-Institut (RKI) den Abschlussbericht der DRUCK-Studie (Drogen und chronische Infektionskrankheiten in Deutschland). Er steht auf der Homepage des RKI zum Download zur Verfügung. Im Folgenden wird die dem Bericht entnommene „Zusammenfassung“ (S. 9–14) wiedergegeben. Neben den Studienergebnissen enthält sie Empfehlungen für Drogenhilfe und Ärzteschaft im Hinblick auf Prävention und Kontrolle von sexuell und durch Blut übertragenen Infektionen.

    Hintergrund

    Bei intravenös (i.v.) konsumierenden Drogengebrauchenden (IVD) sind Infektionen mit dem Humanen Immundefizienz-Virus (HIV), Hepatitis C (HCV) und Hepatitis B (HBV) deutlich stärker als in der Allgemeinbevölkerung verbreitet. Die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut empfiehlt eine HBV-Immunisierung für IVD als Indikationsimpfung. Um Seroprävalenzdaten für HIV, HBV und HCV sowie damit gekoppelte Daten zu Wissen, Risiko- und Präventionsverhalten von IVD in Bezug auf die Infektionen zu erfassen, wurde 2011 vom RKI die DRUCK-Studie (Drogen und chronische Infektionskrankheiten in Deutschland), ein multizentrischer Sero- und Verhaltenssurvey unter IVD, initiiert. Die Ergebnisse sollen in gezielte Präventionsempfehlungen zum Schutz vor HIV und Hepatitiden bei IVD einfließen. In anderen europäischen Ländern hat sich eine erhöhte Prävalenz des Humanen T-Lymphotropen Virus (HTLV) unter IVD gezeigt. Da Daten zur Epidemiologie diesbezüglich für Deutschland fehlen, sollte zusätzlich die HTLV-Prävalenz unter IVD ermittelt werden.

    Methoden

    Intravenös konsumierende Drogengebrauchende, die innerhalb der letzten zwölf Monate in der jeweiligen Studienstadt Drogen gespritzt hatten und mindestens 16 Jahre alt waren, wurden von 2011 bis 2014 durch ein modifiziertes Schneeballverfahren (Respondent driven sampling) rekrutiert und in niedrigschwelligen Einrichtungen der Drogenhilfe in Berlin, Essen, Frankfurt am Main, Hamburg, Hannover, Köln, Leipzig und München untersucht. Neben einem ausführlichen fragebogengestützten Interview wurden Kapillarblutproben auf Filterpapier getropft und anonym auf Labormarker für HBV, HCV, HIV und HTLV untersucht. Den Teilnehmenden wurde darüber hinaus ein anonymer HIV-Schnelltest mit Beratung und Ergebnismitteilung direkt vor Ort angeboten. Zusätzlich wurde eine gezielte Kurzberatung zu Wissenslücken, die sich im Interview herausstellten, angeboten sowie die Möglichkeit, die Ergebnisse der Labortestungen auf HCV und HIV in einem ärztlichen Beratungsgespräch im Nachgang zu erfahren.

    Ergebnisse

    Es wurden insgesamt 2.077 intravenös konsumierende Drogengebrauchende in die Studie eingeschlossen, je nach Studienstadt zwischen 130 und 337. Sowohl in der Prävalenz von Hepatitis B, Hepatitis C und HIV als auch in der Häufigkeit soziodemographischer Faktoren und Verhaltensfaktoren bestanden teils deutliche Unterschiede zwischen den Studienstädten. Es wurden in keiner der Proben Hinweise für eine HTLV-Infektion gefunden. In der Gesamtstudienpopulation waren 23 Prozent Frauen und 77 Prozent Männer, zwischen den Studienstädten bewegte sich der Frauenanteil zwischen 18 und 35 Prozent. Das mediane Alter der Teilnehmenden betrug insgesamt 38 Jahre (29–41 Jahre in den Studienstädten) mit einer Altersspanne der Gesamtpopulation von 17–65 Jahren. Von allen Teilnehmenden waren 78 Prozent in Deutschland geboren. Insgesamt hatten 37 Prozent (18–45 Prozent) einen Migrationshintergrund (erste und zweite Generation), wobei die größte Gruppe der Erstgenerationsmigrant/innen aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion stammte (zehn Prozent der Gesamtstudienpopulation).

    Insgesamt wurden IVD mit größtenteils seit über zehn Jahren bestehendem injizierendem Drogenkonsum erreicht. Die meisten (80 Prozent) hatten in den letzten 30 Tagen Drogen injiziert, von diesen ein Drittel täglich. Ein Großteil hatte suchttherapeutische Erfahrung, zwischen 57 und 89 Prozent je nach Stadt waren jemals in Opioidsubstitutionstherapie (OST), 31–66 Prozent waren aktuell in OST. Zu den am häufigsten aktuell konsumierten Substanzen der Gesamtpopulation gehörten Heroin (74 Prozent), Benzodiazepine (50 Prozent), Kokain (49 Prozent), nicht ärztlich verschriebenes Methadon (38 Prozent) und Crack (25 Prozent), wobei Letzteres fast ausschließlich in Frankfurt, Hamburg und Hannover konsumiert wurde. In Leipzig wurde ein hoher Anteil von Methamphetamin-Konsum beschrieben (67 Prozent in Leipzig, sechs Prozent der Gesamtstudienpopulation), in München ein hoher Pregabalin-Konsum (57 Prozent in München, 23 Prozent der Gesamtstudienpopulation). Am häufigsten wurden aktuell Opioide (meist Heroin) als Monosubstanz injiziert, mit teils erheblichen regionalen Unterschieden, gefolgt von Kokain. Polykonsum meist von Heroin und Kokain als Cocktail als häufigste injizierte Substanzen wurde von zehn  Prozent der Teilnehmenden mit injizierendem Konsum in den letzten 30 Tagen angegeben.

    In der Gesamtstudienpopulation wiesen 70 Prozent der Proben serologische Marker mindestens einer der drei untersuchten Infektionen auf. Die Seroprävalenz von HIV bewegte sich zwischen null und neun Prozent, von HCV zwischen 42 und 75 Prozent, wobei eine aktive Infektion mit nachweisbarer Virus-RNA in 23 bis 54 Prozent vorlag. Die HBV-Prävalenz betrug zwischen fünf und 33 Prozent. Davon lagen chronische HBV-Infektionen in 0,3 bis 2,5  Prozent der Städtepopulationen vor. Ko-Infektionen von zwei oder drei Infektionen lagen bei einem Drittel der Infizierten vor, entsprechend 24 Prozent der Gesamtstudienpopulation. Die Anti HBs-Seroprävalenz als Marker einer Impfung lag zwischen 15 und 52  Prozent. Zwischen 16 und 69 Prozent wiesen keine HBV-Marker auf und waren vor einer Infektion nicht geschützt. Den stärksten Effekt auf den Impfstatus hatte das lokale Setting in der Studienstadt. Von den HIV-Infizierten kannten 80 Prozent bereits ihre Diagnose, und 55 Prozent waren aktuell in antiretroviraler Therapie. Von den HCV-Infizierten mit Behandlungsindikation hatten 85 Prozent mindestens schon einmal einen positiven HCV-Antikörpertest gehabt, und 19 Prozent waren nach eigener Auskunft erfolgreich mit interferonbasierter Therapie behandelt worden.

    Von allen Teilnehmenden mit injizierendem Konsum in den letzten 30 Tagen berichteten neun Prozent, von anderen gebrauchte Spritzen und Nadeln benutzt zu haben, zehn Prozent hatten selbst benutzte Spritzen/Nadeln an andere weitergegeben, 19 Prozent hatten gebrauchte Filter/Löffel benutzt, und 21 Prozent selbst benutzte Filter/Löffel weitergegeben. Wassergefäße hatten in den letzten 30 Tagen 22 Prozent geteilt. Das Teilen von Spritzen und Nadeln war assoziiert mit einer ungenügenden Versorgung mit sterilen Nadeln und Spritzen je Konsumvorgang, wohingegen das Teilen von Löffeln, Filter und Wasser insbesondere beeinflusst wurde durch ein ungenügendes Wissen über die Möglichkeit einer HCV-Übertragung durch dieses Verhalten. Personen mit besserem Wissen praktizierten das Verhalten seltener. Insgesamt waren zwischen 46 und 52 Prozent der Teilnehmenden nicht ausreichend mit sterilen Nadeln und Spritzen für die in den letzten 30 Tagen berechneten injizierenden Konsumvorgänge versorgt. Ein Fünftel der Teilnehmenden wusste nicht, dass durch das Teilen von Filtern, Löffeln und Wasser HCV übertragen werden kann, fast die Hälfte kannte nicht das Risiko des Teilens von Sniefröhrchen. Erhebliche Wissenslücken zeigten sich bei der HBV-Impfung, noch größere bei der HIV-Postexpositionsprophylaxe. Sexuelle Aktivität im letzten Jahr wurde von 83 Prozent der Frauen und 73 Prozent der Männer angegeben. Sexuelle Risiken in Form von wechselnden Sexpartner/innen (mindestens zwei in den letzten zwölf Monaten) gingen 30 Prozent der Frauen und 41 Prozent der Männer ein, sexuelle Kontakte zwischen Männern berichteten drei Prozent der Männer, und 32 Prozent der Frauen und 14 Prozent der Männer berichteten Sex im Tausch gegen Geld oder Drogen.

    Hafterfahrung wurde von 81 Prozent berichtet mit einer mittleren Gesamthaftdauer von drei Jahren und sechs Monaten. 30 Prozent der jemals Inhaftierten gaben i.v.-Drogenkonsum in Haft an. Inhaftierung stellte sich als unabhängiger Risikofaktor für eine HCV-Infektion heraus, wobei die Stärke des Einflusses mit der Dauer der Gesamthaftzeit sowie mit der Anzahl der Inhaftierungen zunahm.

    Zwischen einem und 46 Prozent der Teilnehmenden je Studienstadt wünschten die Durchführung eines anonymen HIV-Schnelltestes, und 30 bis 80  Prozent nahmen eine kostenlose und freiwillige Kurzberatung zum HIV-Schnelltest und/oder zur Schließung von Wissenslücken wahr. […]

    Die Ergebnisse der DRUCK-Studie haben damit eine Vielzahl von konkreten Handlungsbedarfen zur Prävention und Kontrolle von sexuell und durch Blut übertragenen Infektionen bei i.v.-konsumierenden Drogengebrauchenden aufgezeigt, aus denen die folgenden aufgelisteten Empfehlungen abzuleiten sind.

    Empfehlungen

    Für die niedrigschwellige Drogenhilfe:

    • Die bedarfsorientierte Ausgabe von Konsumutensilien (wie Spritzen, Nadeln, Filter, Löffel, Wasser zur Injektion) sollte flächendeckend implementiert werden.
    • Es sollten gezielte Kurzberatungen insbesondere bei Wissenslücken zu Transmissionswegen, insbesondere zu HCV, zur HBV-Impfung und HIV-Behandlung und PEP (Postexpositionsprophylaxe) implementiert werden.
    • HIV-Testangebote (z. B. HIV-Schnelltestung) und die Testung auf HCV (Antikörpertest und PCR) sollten als regelmäßiges Angebot implementiert werden.
    • Die Testung zu Infektionskrankheiten sollte von qualifizierter Beratung zur Bedeutung des Testergebnisses begleitet werden.
    • Es sollte ein regelmäßiges Schulungsangebot zur Qualifizierung von (nicht-medizinischem) Personal in niedrigschwelligen Drogenhilfen als (Test-)Beratende implementiert werden.
    • Es sollten nach Möglichkeit HBV-Impfkampagnen oder regelmäßige Impfangebote auch niedrigschwellig implementiert werden, verbunden mit einer Beratung zur Impfung.
    • Es sollten je nach lokalen Gegebenheiten Präventionsangebote speziell für Frauen und ggf. für junge und neue IVD implementiert bzw. ausgebaut werden.

    Für Substitutionseinrichtungen und Einrichtungen der Suchthilfe:

    • Der regelmäßige Kontakt mit IVD sollte besser zur HBV-Impfung genutzt werden, begleitet von einer Beratung zur Sinnhaftigkeit der Impfung.
    • Nach der letzten Boosterimpfung sollte entsprechend der STIKO-Empfehlungen der Impftiter gemessen und dokumentiert werden.
    • Personen, die fortgesetzt Infektionsrisiken ausgesetzt sind und einer Testung bedürfen, sollten regelmäßig auf HIV (Antikörpertest) und HCV (Antikörpertest und PCR) getestet werden. Das schließt eine Beratung zur Bedeutung des Testergebnisses ein.
    • Alle HIV- und HCV-Positiven sollten zur Prüfung einer Therapieindikation und Behandlung zu infektiologisch oder hepatologisch tätigen Ärzten und HIV-Schwerpunkteinrichtungen überwiesen werden.
    • Substituierte sollten gezielt zur HBV-Impfung, zur HIV-PEP und zur Möglichkeit einer HCV-Übertragung durch das Teilen von Filtern, Löffeln, Wassergefäßen und Sniefröhrchen informiert werden.
    • Das Suchtmedizinsystem sollte sich auf lokaler Ebene stärker mit niedrigschwelligem Setting und Infektiologie/HIV-Schwerpunkteinrichtungen/Hepatologie vernetzen.

    Für Justizvollzugsanstalten und Einrichtungen des Jugend- und Maßregelvollzugs:

    • Es sollte in diesen Einrichtungen flächendeckend ein HBV-Impfangebot, begleitet von einer Beratung zur Bedeutung der Impfung, implementiert werden.
    • Vertrauliche und freiwillige Testung auf HCV sollte ebenso wie die Testung auf HIV allen Inhaftierten angeboten werden, begleitet von einem Beratungsgespräch zur Erläuterung des Testergebnisses und Möglichkeiten der Behandlung.
    • Inhaftierte mit einer HIV- oder HCV-Infektion sollten der Behandlung zugeführt werden.
    • Inhaftierten IVD sollte der Zugang zu evidenzbasierten Maßnahmen der Prävention von HBV, HCV und HIV gewährt werden. Dazu sollte der Zugang zu einer ausreichend dosierten Opioidsubstitutionstherapie, zu Kondomen und Konsumutensilien verbessert werden.
    • Das Übergangsmanagement sollte hinsichtlich der Prävention von Unsafe use verbessert werden.

    Für die Ärzteschaft:

    • Die Ärzteschaft insgesamt (Allgemeinärzte, Gynäkologen, Internisten, Infektiologen) und die Suchtärzteschaft im Besonderen sollte darüber informiert werden, dass Ärzte für IVD die wichtigste Informationsquelle zu HBV, HCV und HIV darstellen.
    • Die Ärzteschaft sollte über das Ausmaß und Art der Wissenslücken von IVD zu HBV, HCV und HIV informiert werden.
    • Die Ärzteschaft sollte die HBV-Indikationsimpfung bei den von der STIKO empfohlenen Gruppen (Drogengebrauchende, Inhaftierte, HIV-Infizierte, HCV-Infizierte) besser umsetzen. Nach der letzten Boosterimpfung sollte entsprechend der STIKO-Empfehlungen der Impftiter gemessen und dokumentiert werden.
    • Alle Ärzte incl. Suchtärzte, Ärzte in Rettungsstellen und im Krankenhaus, Allgemeinärzte und Hausärzte, die Testungen auf Infektionskrankheiten bei IVD durchführen, sollen dies mit einer ausführlichen Erläuterung des Testergebnisses verknüpfen.
    • Die Ärzteschaft sollte über den Verbesserungsbedarf der HCV- und HIV-Therapieraten von IVD informiert werden. Die Indikationsstellung und Durchführung der Therapie beider Infektionen sollen leitliniengerecht erfolgen.

    Für alle auf lokaler Ebene:

    • Insbesondere Frauen, junge Drogengebrauchende unter 25 Jahren und Personen, die erst kürzlich ihren injizierenden Konsum begonnen haben, sollten auf lokaler Ebene gezielt für Maßnahmen der Prävention erreicht werden.
    • Insgesamt ist zu empfehlen, dass sich vorhandene Strukturen auf lokaler Ebene (u. a. Drogenhilfe, Suchthilfe, Substitutionseinrichtungen, Infektiologie/Hepatologie) besser vernetzen und zusammenarbeiten.

    Bibliographische Angaben:
    Robert Koch-Institut. Abschlussbericht der Studie „Drogen und chronischen Infektionskrankheiten in Deutschland“ (DRUCK-Studie), Berlin 2016.
    DOI: 10.17886/rkipubl-2016-007

  • Welt-Hepatitis-Tag

    Anlässlich des Welt-Hepatitis-Tags am 28. Juli sind zwei neue Veröffentlichungen des Robert Koch-Instituts zu Hepatitis C erschienen: ein Themenheft der Gesundheitsberichterstattung (GBE) und ein umfassender Beitrag im Epidemiologischen Bulletin 29/2016 zur aktuellen Situation. „Infektionen mit dem Hepatitis C-Virus verlaufen in den meisten Fällen chronisch und zählen zu den wichtigsten Ursachen von Leberzirrhose und Leberkrebs. Daher zählt Hepatitis C zu den wichtigen Public Health-Themen“, sagt Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts.

    GBE-Themenheft Hepatitis C

    Aus dem RKI-Gesundheitssurvey DEGS ist bekannt, dass in Deutschland 0,2 bis 0,3 Prozent der Allgemeinbevölkerung chronisch mit Hepatitis C infiziert sind, ähnlich viele sind mit Hepatitis B infiziert. Damit gehört Deutschland zu den Ländern mit einer geringen Verbreitung von Hepatitis B und C in der Allgemeinbevölkerung. Es gibt jedoch stärker betroffene Gruppen: Personen, die sich Drogen injizieren, Personen mit HIV-Infektion oder Haftinsassen. Das GBE-Themenheft bietet auf rund 30 Seiten einen Überblick über Krankheitsbild, Diagnostik, Therapie, Verbreitung, Übertragungswege und Risikofaktoren, Prävention, Versorgung, Kosten sowie Aktivitäten. Das GBE-Themenheft ist online abrufbar und kann kostenlos bestellt werden (gbe@rki.de).

    Die hohe Bedeutung für die Gesundheit der Bevölkerung (Public Health) zeigt sich auch darin, dass die Weltgesundheitsorganisation im Mai 2016 auf der Weltgesundheitsversammlung die erste „Global Health Sector Strategy on Viral Hepatitis, 2016–2021“ verabschiedet hat. Im Epidemiologischen Bulletin sind die internationalen Aktivitäten ebenso dargestellt wie die nationalen. Dazu zählt insbesondere die „Nationale Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen“, die vom Bundesministerium für Gesundheit und vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im April 2016 vorgestellt wurde.

    Das Robert Koch-Institut hat mehrere Studien durchgeführt, um die Datenlage zu verbessern: zur Morbidität, Mortalität und Krankheitslast von Hepatitis-B und -C-Infektionen und ihren Folgeerkrankungen. Derzeit wird die Publikation der Ergebnisse vorbereitet. Auch eine Auswertung der Verschreibungen antiviraler Medikamente gegen Hepatitis C ist zur Publikation eingereicht.

    Epidemiologisches Bulletin 29/2016

    Das Epidemiologische Bulletin bietet darüber hinaus Informationen über die Situation der Hepatitis B und C bei besonders betroffenen Gruppen: Zu injizierenden Drogengebrauchenden gibt es aus der DRUCK-Studie des RKI neue Daten. Der Abschlussbericht, der Empfehlungen für Drogenhilfe und Ärzteschaft enthält, wurde im Juni 2016 veröffentlicht. Neue Daten gibt es auch aus einer Studie zu den Präventionsbedürfnissen bezüglich Virushepatitiden, sexuell übertragbaren Infektionen und HIV bei Migrantinnen und Migranten aus Subsahara-Afrika. So war beispielsweise nur zwischen 16 Prozent (Studienstandort München) und 26 Prozent (Berlin) der Teilnehmer bekannt, dass es gegen Hepatitis C keine Impfung gibt.

    Hepatitis B wird sexuell, durch Blut oder von der Mutter auf das Kind übertragen, Hepatitis C in erster Linie auf dem Blutweg. Vor einer Hepatitis B kann man sich mit einer effektiven Impfung schützen, die in Deutschland für alle Kinder und Jugendlichen und bestimmte Gruppen mit erhöhtem Risiko empfohlen ist. Eine Impfung gegen Hepatitis C ist nicht verfügbar. Präventionsstrategien müssen daher auf eine Verringerung der Übertragungsrisiken zielen. Eine zielgruppengerichtete Prävention ist neben der Diagnostik und Fallfindung und einer qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung und Therapie chronisch infizierter Patienten von größter Bedeutung. Da die Infektion häufig asymptomatisch verläuft, können systematische Untersuchungsangebote für Gruppen mit hohem Risiko sinnvoll sein.

    Pressestelle des Robert Koch-Instituts, 25.07.2016

  • Kriminologische Analyse von Amoktaten

    Ursachen und Prävention von Amoktaten zu erforschen, ist das Ziel des Verbundprojekts TARGET (Tat- und Fallanalysen hoch expressiver zielgerichteter Gewalt), an dem die Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) mit dem Teilprojekt „Kriminologische Analyse von Amoktaten – junge und erwachsene Täter von Amoktaten, Amokdrohungen“ beteiligt ist. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat das Verbundprojekt von März 2013 bis Juni 2016 gefördert. Bei der Abschlusstagung des Gießener TARGET-Teilprojekts am 23. Juni 2016 wurden die Ergebnisse vorgestellt. Im Rahmen dieses kriminologischen Teilprojekts wurden interdisziplinär Fälle junger und erwachsener Täter von (versuchten) Mehrfachtötungen anhand von Strafakten, Interviews und psychiatrisch-psychologischen Gutachten analysiert.

    Das Team von Prof. Dr. Britta Bannenberg, Professorin für Kriminologie an der JLU und Leiterin des Gießener Teilprojekts, hat im Rahmen von TARGET nahezu alle Amoktaten junger Täter bis 24 Jahre in Deutschland zwischen 1990 und 2016 untersucht – insgesamt 35 Fälle, darunter die Taten aus Erfurt, Emsdetten und Winnenden/Wendlingen. Die Gießener Studie zeigt, dass die jungen Amoktäter eine geplante Mehrfachtötung begehen, weil sie als sonderbare Einzelgänger psychopathologisch auffällig sind und ein Motivbündel von Wut, Hass und Rachegedanken entwickeln, das nicht rational begründet ist. Ihre Persönlichkeit zeigt narzisstische und paranoide Züge, die jungen (ganz überwiegend männlichen) Täter sind extrem leicht zu kränken, aber nicht impulsiv oder aggressiv auffällig. Sie fühlen sich oft gedemütigt und schlecht behandelt, ohne dass die Umwelt dieses nachvollziehen kann, und beginnen, im Internet nach Vorbildern und Ventilen für ihre Wut zu suchen. Sie sinnen lange über ‚Rache‘ und eine grandiose Mordtat nach, entwickeln ausgeprägte Gewalt- und Tötungsphantasien. Insbesondere in der Tat an der Columbine High School im April 1999, die im Internet in vielfältiger Form auffindbar ist, finden sie eine Möglichkeit der Identifikation, so die Erkenntnisse der Forscherinnen und Forscher.

    Das zeigt, dass es jugendtypische Aspekte dieser Taten gibt: Die Inszenierung der Tat und die Selbststilisierung als sich rächendes Opfer, was mit der Realität nichts gemein hat, sind jugendtypische Facetten dieser Taten. Deshalb haben die in der Öffentlichkeit häufig als Ursache missverstandenen Ego-Shooter, Gewaltvideos und hasserfüllten Liedtexte sowie die Waffenaffinität nach Ansicht der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch eine besondere Bedeutung: Als Inspiration und Verstärker für die schon vorhandenen Gewaltphantasien spielen sie eine Rolle bei der Selbstdarstellung der im realen Leben erfolglosen, überforderten und sich ständig gekränkt fühlenden Täter. Teilweise planen die Täter die Medienresonanz bewusst ein.

    Verwenden die Täter Schusswaffen, ist die Opferzahl in der Regel besonders hoch. Die jungen Täter griffen bei den untersuchten Fällen meist auf nicht ordnungsgemäß gesicherte Schusswaffen im Haushalt zurück. Alternativ verwendeten sie Hieb- und Stichwaffen sowie Brandsätze. Die Forscherinnen und Forscher stellten sowohl bei den jugendlichen als auch bei der heterogeneren Gruppe der erwachsenen Täter eine hohe Bedeutung des Suizids bzw. des Suizidversuchs nach der Tat fest. Es handelt sich hier nicht um depressive Verzweiflung, sondern um die Inszenierung eigener Großartigkeit. Die Täter demonstrieren ihre Macht und ihren Hass auf die Gesellschaft und/oder besonders attackierte Gruppen mit einer öffentlichkeitswirksamen Mehrfachtötung, der der Suizid folgt.

    Das Gießener Team analysierte zudem eine Auswahl von 40 erwachsenen Tätern – überwiegend männliche Einzelgänger, die Studie umfasste nur zwei Frauen. Bei den Erwachsenen dominiert die Psychose vor allem in Form der paranoiden Schizophrenie bei etwa einem Drittel, ein weiteres Drittel hat eine paranoide Persönlichkeitsstörung. Auch die anderen erwachsenen Täter sind psychopathologisch auffällig und zeigen häufig narzisstische und paranoide Züge. Sie sind leicht zu kränken, fühlen sich schlecht behandelt und nicht beachtet. Es finden sich auch psychopathische Persönlichkeiten ohne Empathie mit sadistischen Anteilen. Die Erwachsenen in den analysierten Fällen sind häufiger querulatorisch auffällig und scheitern in Beruf und Partnerschaft. Anders als bei jugendlichen Tätern spielt bei ihnen Alkohol- und Drogenmissbrauch eine Rolle als Verstärker.

    Erwachsene, so ein weiteres Ergebnis der Studie, orientieren sich nicht konkret an medialen Vorbildern und ahmen auch keine Kleidungsstile und andere jugendtypische Attribute nach, sie hinterlassen seltener Selbstzeugnisse. „Allerdings dürften auch sie von Zeitströmungen und Medienberichten über extreme Gewalttaten inspiriert sein“, so Prof. Bannenberg. Kern ihrer Motive seien Hass und Groll auf bestimmte Gruppen oder die Gesellschaft als Ganzes, weshalb sie ihre Taten auch oft als Racheakte verstehen.

    Bei der Prävention ist nach Aussage der Studie danach zu unterscheiden, ob die Täter vor der Tat erkennbar sind und welche Behandlungsmöglichkeiten nach der Inhaftierung bzw. der Unterbringung im Maßregelvollzug wirksam sind. In der Untersuchung zeigte sich, dass junge Täter im schulischen Kontext vor allem ihren Mitschülerinnen und Mitschülern als seltsam oder bedrohlich auffallen und frühe Interventionen häufiger sind als bei Erwachsenen. Auch ist das Droh- und Warnverhalten der jungen Täter ausgeprägter. Bei Erwachsenen werden viele Warnsignale und Andeutungen der Tat häufig nicht ernst genommen oder nur im familiären Umfeld registriert. Polizei und Psychiatrie werden in der Regel nicht informiert – auch nicht, wenn die Personen als Sportschützen Zugang zu Schusswaffen haben. Auch im beruflichen Kontext wird nicht die Polizei eingeschaltet. Eher versucht man, die betreffenden Mitarbeiter zu kündigen.

    „Die Prognose verurteilter und untergebrachter Täter ist nur dann gut, wenn sich die Persönlichkeitsstörung nicht verfestigt, persönliche Entwicklungsperspektiven ergriffen werden und eine Distanzierung von den Hassgedanken gelingt“, so Prof. Dr. Britta Bannenberg. „Dies ist insgesamt eher selten.“

    Zur Studie

    Als Amoktaten wurden in der Studie beabsichtigte oder vollendete Mehrfachtötungen gewertet. Die qualitativen Fallanalysen stützen sich auf Strafakten und Asservate, Selbstzeugnisse der Täter, Interviews mit ihnen, den Opfern und Menschen aus dem sozialen Umfeld sowie auf psychiatrisch-psychologische Einschätzungen. Sofern die Täter nach der Tat durch Suizid oder provozierten Suizid verstorben sind, erfolgte auch eine psychologische Autopsie, bei der Daten aus der Vergangenheit der Personen genutzt werden, um Motive für die Tat zu finden.

    Beratungsnetzwerk Amokprävention

    Prof. Bannenberg berät kostenlos Menschen bei der Abklärung einer Amok-Bedrohung (Gefahrenprognose) und beim Umgang mit der bedrohlichen Person. Wer sich Sorgen macht über das Verhalten einer Person, sich unsicher ist, ob von jemandem eine Gefahr ausgeht, ob man die Polizei benachrichtigen oder externe Berater einschalten sollte, kann sich an der Professur für Kriminologie der JLU Rat holen. Prof. Bannenberg arbeitet dabei mit dem Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden zusammen.

    Kontakt und weitere Informationen:

    Prof. Dr. Britta Bannenberg
    Telefon: 0641 99-21570
    http://www.uni-giessen.de/fbz/fb01/professuren/bannenberg

    Pressestelle der Justus-Liebig-Universität Gießen, 23.06.2016

  • ‚Handy-Diät‘ und Null-Promille-Grenze im Straßenverkehr

    Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V. (DGOU) sieht die am 12. Juli 2016 vom Statistischen Bundesamt veröffentlichte Verkehrsunfallstatistik 2015 mit Sorge: 3.459 Menschen wurden im vergangenen Jahr auf deutschen Straßen getötet. Im Vergleich zum Vorjahr (3.377) ist das ein Anstieg um 2,4 Prozent. Damit ist die Anzahl der Unfalltoten zum zweiten Mal in Folge gestiegen. Zuvor war die Zahl der tödlich verunglückten Verkehrsteilnehmer mit wenigen Ausnahmen über drei Jahrzehnte kontinuierlich gesunken.

    „Diese Bilanz zeigt, dass sinkende Unfallzahlen kein Selbstläufer sind und sämtliche Anstrengungen zur Unfallprävention nicht nachlassen dürfen“, sagt DGOU-Generalsekretär Professor Dr. Reinhard Hoffmann. Viele Unfälle gehen laut Unfallexperten auf Handy-Nutzung und Alkohol am Steuer zurück. Hier sieht die DGOU Handlungsbedarf und rät zu einer konsequenten ‚Handy-Diät‘ im Straßenverkehr sowie Einhaltung der Null-Promille-Grenze.

    „Wer bei Tempo 50 nur fünf Sekunden mit dem Handy beschäftigt ist, befindet sich mit seinem Auto 70 Meter im Blindflug“, warnt Hoffmann. Der Griff zum Handy steigert die Unfallgefahr etwa um das Fünffache, das Lesen und Schreiben von Nachrichten sogar um das Zehnfache. „Es ist lebensgefährlich, während der Fahrt mit dem Smartphone zu hantieren. Das muss jedem Autofahrer bewusst sein“, betont Hoffmann. Angesichts des hohen Unfallrisikos zeige die aktuelle Bußgeldhöhe von 60 Euro für Autofahrer inklusive einem Punkteeintrag im Fahreignungsregister (FAER) in Flensburg beziehungsweise 25 Euro für Fahrradfahrer offensichtlich keine ausreichende Abschreckungswirkung.

    Zu den Hauptursachen schwerer und tödlicher Verkehrsunfälle gehört laut der Experten nach wie vor das Fahren unter Alkoholeinfluss. 256 Menschen sind im vergangenen Jahr bei Alkoholunfällen ums Leben gekommen. In Deutschland begehen Autofahrer erst ab 0,5 Promille eine Ordnungswidrigkeit, ab 1,1 Promille eine Straftat. Für Fahrradfahrer gilt im Straßenverkehr ein Alkoholgrenzwert von 1,6 Promille. Dabei können bereits geringste Promillewerte das Seh- und Reaktionsvermögen sowie die Fahrtüchtigkeit gravierend einschränken, sagen Unfallchirurgen. „Ausfallerscheinungen können bereits bei niedrigeren Blutalkoholwerten auftreten. Autofahrer können Entfernungen anderer Verkehrsteilnehmer und Geschwindigkeiten oft gar nicht mehr realistisch einschätzen“, erklärt Dr. Christopher Spering, Sektionsleiter Prävention der DGOU. Aus seiner täglichen Arbeit am Traumazentrum des Universitätsklinikums Göttingen weiß der Unfallchirurg, dass die Rettung und Behandlung schwerverletzter Unfallopfer oftmals ein Wettlauf gegen die Zeit ist. „Im Sinne der Vision Zero ist angesichts der hohen Zahl der Unfallopfer die Einführung eines konsequenten Alkoholverbots sowohl am Steuer als auch auf dem Rad daher nur logisch“, unterstreicht Hoffmann die Notwendigkeit einer unmissverständlichen Null-Promille-Grenze in Deutschland.

    Neue Herausforderungen für die Verkehrssicherheitsarbeit sieht die DGOU in der Zukunft auch im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel und dem zunehmenden Wunsch nach Mobilität im Alter. Denn: Kommt es zu einem Verkehrsunfall, erleiden ältere Menschen häufig deutlich schwerere Unfallfolgen, so die Erfahrung der Orthopäden und Unfallchirurgen. Zahlen aus dem TraumaRegister DGU® zum demografischen Wandel zeigen: Drei Prozent aller schwerverletzten Motorradfahrer sind älter als 70 Jahre. Auch wenn sie lebend die Klinik erreichen, steigt das Risiko, an den Unfallfolgen zu versterben, mit zunehmendem Alter bis auf das Vierfache bei älteren schwerverletzten Motorradfahrern.

    Laut Bundesagentur für Straßenwesen waren zehn Prozent der verunglückten Pkw-Insassen in den vergangenen beiden Jahren mindestens 65 Jahre alt – knapp 30 Prozent dieser Altersgruppe erlitt bei Unfällen tödliche Verletzungen. Allerdings wurden nur zehn Prozent aller Unfälle durch Pkw-Fahrer in dieser Altersgruppe auch tatsächlich verursacht. Gemeinsames Ziel müsse es sein, die Zahl der Unfallopfer über alle Altersgruppen hinweg deutlich zu reduzieren, so der Appell der DGOU. Auf dem Gebiet der Verkehrsunfallprävention engagiert sich die Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) bereits mit dem Aufklärungsprogramm P.A.R.T.Y , das sich speziell an jugendliche Verkehrsteilnehmer im Alter von 15 bis 18 Jahren richtet. Einen wichtigen Beitrag zur Unfallverhütung können nach Meinung der DGOU ebenso praxisorientierte Beratung und Aufklärung über altersbedingte Risiken im Straßenverkehr, medizinische Angebote zu freiwilligen Gesundheits-Checks für ältere Verkehrsteilnehmer sowie innovative Pkw-Ausstattungen mit modernen Fahrer-Assistenzsystemen leisten.

    Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie, 12.07.2016

  • Cannabinoid-Rezeptor beeinflusst Signalverarbeitung des Gehirns

    Im Gehirn herrscht ein sensibles Zusammenspiel von Signalstoffen und zellulärer Aktivität. Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben in diesem Orchester einen weiteren Akteur identifiziert: In einer Laborstudie stellten sie fest, dass der so genannte Cannabinoid-Rezeptor Typ 2 die Informationsverarbeitung innerhalb des Hippocampus beeinflusst. Dieses Hirnareal ist maßgeblich an der Bildung von Langzeit-Erinnerungen beteiligt. Die Erkenntnisse könnten zu einem besseren Verständnis der Krankheitsmechanismen von Schizophrenie und Alzheimer beitragen, sie sind im aktuellen Fachjournal „Neuron“ veröffentlicht.

    Der Cannabinoid-Rezeptor Typ 2, auch CB2-Rezeptor genannt, ist ein spezielles Membranprotein, über das eine Zelle chemische Signale empfangen kann. Dadurch wird ihre Aktivität gesteuert. „Dieser Rezeptor galt bisher vor allem als Teil des Immunsystems, ohne Funktion in Nervenzellen. Unsere Studie zeigt nun, dass er auch für die Signalverarbeitung des Gehirns eine wichtige Rolle spielt“, erläutert Prof. Dr. Dietmar Schmitz, Berliner Standortsprecher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen und Direktor des Neurowissenschaftlichen Forschungszentrums an der Charité (NWFZ/NeuroCure). Neben Berliner Fachkollegen haben sich an der aktuellen Studie auch Wissenschaftler der Universität Bonn und des US-amerikanischen National Institute on Drug Abuse beteiligt.

    Wie die Forscher im Tiermodell nachweisen konnten, hebt der CB2-Rezeptor die Erregungsschwelle von Nervenzellen des Hippocampus. „Die Arbeitsweise des Gehirns beruht darauf, dass Nervenimpulse auf nachgeschaltete Zellen in manchen Situationen erregend, in anderen Fällen unterdrückend wirken“, sagt Dr. Vanessa Stempel, Erstautorin der aktuellen Veröffentlichung. „Der CB2-Rezeptor wirkt wie eine Stellschraube, mit der solche Kommunikationsprozesse justiert werden“, so die Wissenschaftlerin weiter, die inzwischen im britischen Cambridge forscht.

    Der CB2-Rezeptor zählt zum endogenen Cannabinoid-Systems (ECS). Diese Familie aus Rezeptoren und Botenstoffen kommt bei vielen Lebewesen vor, so auch beim Menschen. Es handelt sich um ein biochemisches Regelsystem, das an der Steuerung zahlreicher physiologischer Vorgänge beteiligt ist. Sein Name basiert auf der bereits länger bekannten Tatsache, dass Wirkstoffe der Cannabispflanze an Rezeptoren des ECS ankoppeln. Bislang sind zwei Sorten solcher Rezeptoren bekannt. Der CB2-Rezeptor hat keine psychoaktive Wirkung. Die durch Einnahme von Cannabis ausgelösten Rauscheffekte werden daher dem Cannabinoid-Rezeptor Typ 1 zugeschrieben.

    Die Ergebnisse der aktuellen Studie könnten zum besseren Verständnis von Krankheitsmechanismen beitragen und einen Ansatzpunkt für neuartige Medikamente aufzeigen. „Bei Schizophrenie, Depression, Alzheimer und anderen neuropsychiatrischen Erkrankungen ist die Hirnaktivität gestört. Pharmaka, die an den CB2-Rezeptor binden, könnten die Aktivität der Hirnzellen möglicherweise beeinflussen und somit Bestandteil einer Therapie sein“, resümiert Prof. Schmitz.

    Originalveröffentlichung:
    „Cannabinoid type 2 receptors mediate a cell type-specific plasticity in the hippocampus“, A. Vanessa Stempel, Alexander Stumpf, Hai-Ying Zhang, Tugba Özdogan, Ulrike Pannasch, Anne-Kathrin Theis, David-Marian Otte, Alexandra Wojtalla, Ildikó Rácz, Alexey Ponomarenko, Zheng-Xiong Xi, Andreas Zimmer, Dietmar Schmitz, Neuron. (DOI: 10.1016/j.neuron.2016.03.034)

    Pressestelle des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen, 02.05.2016