Kategorie: Kurzmeldungen

  • EU-Drogenmarktbericht 2016

    Cover_Ueberblick_rCover_Analysis_rDie aktuelle Ausgabe des EU-Drogenmarktberichtes, der jährlich vom European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (EMCDDA) und Europol herausgegeben wird, ist erschienen. Der Bericht mit dem Titel „EU Drug Market Report: In-depth Analysis“ ist in englischer Sprache verfasst und kann auf der Website der EMCDDA heruntergeladen werden. Eine Zusammenfassung in deutscher Sprache mit dem Titel „EU-Drogenmarktbericht 2016. Ein strategischer Überblick“ steht dort ebenfalls zum Download bereit. Der folgende Auszug aus der Zusammenfassung gibt die wichtigsten Punkte wieder:

    „Nach wie vor gehören die Drogenmärkte zu den lukrativsten Betätigungsfeldern für Gruppierungen der organisierten Kriminalität. Schätzungen zufolge geben Bürger in der Europäischen Union (EU) jedes Jahr mehr als 24 Milliarden Euro (Spanne: 21 bis 31 Milliarden Euro) für illegale Drogen aus. Die gesellschaftlichen Auswirkungen der Drogenmärkte sind entsprechend groß und gehen über die durch Drogenkonsum verursachten Schäden hinaus. Hierzu zählen beispielsweise die Beteiligung an anderen Formen krimineller Handlungen und am Terrorismus, Auswirkungen auf legale Unternehmen und die Wirtschaft insgesamt, Belastungen für staatliche Einrichtungen und Korruption in diesen Institutionen sowie Auswirkungen auf die Gesamtgesellschaft. […]

    Außerdem werden in dem Bericht die Märkte für die wichtigsten Drogenarten näher beleuchtet. Die wesentlichen Erkenntnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

    Cannabis ist die am häufigsten konsumierte Droge in Europa. Der Anteil von Cannabis am illegalen Endverbrauchermarkt wird auf rund 38 Prozent geschätzt, was einem Marktwert von mehr als 9,3 Milliarden Euro jährlich entspricht (Spanne: 8,4 bis 12,9 Milliarden Euro). In der EU haben etwa 22 Millionen Erwachsene die Droge im letzten Jahr konsumiert, und rund 1 Prozent der erwachsenen Europäer konsumiert sie nahezu täglich, was das Risiko gesundheitlicher und gesellschaftlicher Folgeschäden erhöht. Gruppierungen der organisierten Kriminalität sind stark beteiligt und machen sich das gesamte Potenzial technologischer Neuerungen zunutze, um in Europa selbst die Produktionsmengen zu steigern und den Wirkstoffgehalt der Drogen zu erhöhen. Zwar nimmt innerhalb der EU angebautes Cannabiskraut auf dem Markt eine vorherrschende Stellung ein, doch das Cannabisharz aus Marokko, dessen Wirkstoffgehalt steigt, wird bisweilen zusammen mit anderen illegalen Waren und Menschen in die EU geschmuggelt; ein Trend, der durch die instabile Lage in Nordafrika und dem Nahen Osten verstärkt werden dürfte.

    Der Markt für Heroin ist der zweitgrößte illegale Drogenmarkt in der EU. Sein Volumen wird auf 6,8 Milliarden Euro jährlich geschätzt (Spanne: 6,0 bis 7,8 Milliarden Euro), und auf ihn entfällt ein erheblicher Anteil der drogenbedingten Todesfälle und gesellschaftlichen Kosten. Nachdem die Beschaffbarkeit eine Zeit lang zurückgegangen war, sind seit kurzem Anzeichen für ihre Zunahme erkennbar, welche womöglich auf erhöhte Schäden schließen lassen. Die Opiumherstellung in Afghanistan bleibt auf einem insgesamt hohen Niveau. Die vermehrte Sicherstellung sehr großer Heroinmengen lässt auf eine zunehmende Flexibilität und Dynamik im Hinblick auf Produktionstechniken, Produktionsorte, Handelsrouten und Vorgehensweisen schließen. Dies spiegelt sich in der Verlagerung des Schmuggels auf Seecontainer und auf neue Handelsrouten durch Afrika, den Südkaukasus, Syrien und Irak wider. Ungeachtet dessen ist die Balkanroute nach wie vor der Hauptkorridor, über den Heroin in die EU gelangt. Des Weiteren zeichnet sich eine Diversifizierung des Markts ab, die mit dem zunehmenden Missbrauch verschreibungspflichtiger Medikamente und neuer synthetischer Opioide einhergeht.

    Kokain ist das am häufigsten konsumierte illegale Stimulans in Europa; der Endkonsumentenmarkt wird auf mindestens 5,7 Milliarden Euro jährlich geschätzt (Spanne: 4,5 bis 7,0 Milliarden Euro). Der größte Teil des Konsums entfällt auf West- und Südeuropa und hat sich, obwohl die Verfügbarkeit offenbar zunimmt, in den letzten Jahren kaum verändert. Nachdem der Anbau von Kokasträuchern eine Zeit lang zurückgegangen war, scheint er nun wieder zuzunehmen. Allerdings ist nicht genau erkennbar, in welchen Mengen und an welchen Orten Kokain hergestellt wird. Kokain wird auf dem See- und dem Luftweg nach Europa geschmuggelt, Ausgangspunkte sind in erster Linie Kolumbien, Brasilien und Venezuela. Die Karibik und Westafrika bilden weiterhin wichtige Transitzonen, Zentralamerika ist auf dem Vormarsch. Ein anhaltendes Problem ist die Verwendung von Seecontainern, die große europäische Häfen anlaufen. Dabei kommt eine Vielzahl unterschiedlicher Versteckmethoden zum Einsatz, beispielsweise wird Kokain „Trägermaterialien“ (z. B. Kunststoffen) beigemischt und nach der Ankunft in Europa chemisch extrahiert. Die Belieferung des Großhandelsmarkts für Kokain in Europa wird nach wie vor von kolumbianischen und italienischen Gruppierungen dominiert, die mit anderen Gruppierungen (z. B. niederländischen, britischen und spanischen) zusammenarbeiten. Auch Gruppierungen aus Westafrika, insbesondere Nigeria, transportieren Kokain nach Europa; daneben beginnen sich Gruppierungen der organisierten Kriminalität aus dem Balkan zu etablieren.

    Der Markt für die wichtigsten synthetischen Stimulanzien Amphetamin, Methamphetamin und MDMA wird für Amphetamine (einschließlich Methamphetamin) auf mindestens 1,8 Milliarden Euro (Spanne: 1,2 bis 2,5 Milliarden Euro) und für MDMA/Ecstasy auf 0,67 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Amphetamine werden bevorzugt von Freizeit- wie auch von ausgegrenzten Drogenkonsumenten konsumiert, und ihr Markt überschneidet sich mit dem für Kokain und einige neue psychoaktive Substanzen. Besorgniserregend sind im Moment insbesondere die Beschaffbarkeit hoch dosierter MDMA-Produkte und der zunehmende Methamphetaminkonsum. Innerhalb der EU stellen die Niederlande und Belgien Hauptproduktionsländer für MDMA und Amphetamin dar, während Methamphetamin offenbar größtenteils in der Tschechischen Republik hergestellt wird. Die Verfeinerung und Diversifizierung der Produktion sowie die Verwendung neuer Vorläufersubstanzen und Vorstoffe der Vorläufersubstanzen für die Gewinnung von Drogengrundstoffen könnten die Gesundheitsrisiken erhöhen. Auch giftige Produktionsabfälle führen zu Gesundheitsrisiken und Umweltschäden. Auf dem Ecstasy-Markt ist eine aggressive Produktvermarktung zu beobachten, die auf Wettbewerb unter den Lieferanten und eine aktivere Ansteuerung bestimmter Zielgruppen von Konsumenten schließen lässt.

    Neue psychoaktive Substanzen (NPS) werden als ‚legaler‘ Ersatz für illegale Drogen in großer Zahl offen verkauft. Bei diesen Substanzen gibt es keine Anzeichen für eine rückläufige Entwicklung. Im Jahr 2015 wurden 100 neue Substanzen erstmalig gemeldet, und mit dem EU-Frühwarnsystem werden mehr als 560 solcher Substanzen überwacht. Der Markt beliefert sowohl Freizeit- als auch in wachsendem Maße ausgegrenzte Konsumenten. Durch die Entwicklung neuer Substanzen sind die Produzenten den gesetzlichen Kontrollen einen Schritt voraus. Mit Hilfe globalisierter Lieferketten können NPS in großen Mengen online bestellt und nach Europa transportiert werden, wo sie verpackt und auf dem offenen oder illegalen Drogenmarkt verkauft werden. Dieses wenig riskante und höchst gewinnträchtige Geschäft zieht die organisierte Kriminalität an, und es gibt Anzeichen für eine Produktion innerhalb Europas. So sind gesonderte, aber sich überschneidende Märkte entstanden, auf denen beispielsweise ‚Legal Highs‘, ‚Forschungschemikalien‘ und ‚Nahrungsergänzungsmittel‘ über den stationären und den Online-Handel vertrieben werden. Mit der zunehmenden Verfügbarkeit nehmen auch die Schäden zu, beispielsweise akute, bisweilen tödliche Vergiftungen und negative Konsequenzen des Injizierens von Cathinonen.“

    Quelle: „EU-Drogenmarktbericht 2016. Ein strategischer Überblick“, hrsg. v. EMCDDA und Europol, Lissabon/Den Haag 2016, S. 7-9.

  • Erkennen – Prognostizieren – Warnen

    Dr. Wibke Voigt, Vorstandsvorsitzende des buss, die Preisträger Prof. Dr. Ulrich Zimmermann und Heidi Kuttler (der dritte Preisträger Cornelius Groß war nicht anwesend), Dr. Bernd Wessel, stellvertretender Vorsitzender des buss
    Dr. Wibke Voigt, Vorstandsvorsitzende des buss, die Preisträger Prof. Dr. Ulrich Zimmermann und Heidi Kuttler (der dritte Preisträger Cornelius Groß war nicht anwesend), Dr. Bernd Wessel, stellvertretender Vorsitzender des buss

    Von den Jugendlichen, die mit Alkoholvergiftung in ein Krankenhaus eingeliefert werden, ist vor allem die Anzahl bekannt. Aber welche persönlichen Merkmale weisen sie auf? Und was könnten diese über den Entwicklungsverlauf aussagen? Diese Fragen bearbeiteten Prof. Dr. Ulrich Zimmermann, Cornelius Groß und Heidi Kuttler in ihrer Studie „Prognostizieren und Erkennen mittel- und langfristiger Entwicklungsgefährdungen nach jugendlichen Alkoholvergiftungen“, für die sie mit dem diesjährigen Wolfram-Keup-Förderpreis ausgezeichnet wurden. Der Wolfram-Keup-Förderpreis wird alle zwei Jahre vom Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe (buss) für eine wegweisende wissenschaftliche oder praxisorientierte Arbeit aus der Suchthilfe vergeben und ist mit einem Preisgeld von 2.000 Euro ausgestattet. Er wurde dieses Jahr zum vierten Mal verliehen, und die vielen eingereichten Arbeiten von durchgängig hoher Qualität zeugen davon, dass er in der Suchtszene weitläufig bekannt geworden ist. Die Verleihung fand im Rahmen der 102. Wissenschaftlichen Jahrestagung des buss am 16. März 2016 in Berlin statt.

    Die Preisträger Prof. Dr. Ulrich Zimmermann, Cornelius Groß (beide Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden) und Heidi Kuttler (Pädagogische Hochschule Freiburg) untergliederten ihre Studie in zwei Teile: In einem retrospektiven Teil wurden von über 1.600 Jugendlichen, die mit Alkoholvergiftung in einer Klinik aufgenommen wurden, nach mehr als acht Jahren 277 Jugendliche nachuntersucht und deren Gefährdungspotential mit einer Kontrollgruppe verglichen. In einem prospektiven Teil wurden fast 350 Jugendliche mit Alkoholvergiftung am Krankenbett befragt, davon wurden über 200 nach sechs bis acht Monaten erneut untersucht. Dabei wurde der „RiScA“-Fragebogen als Erhebungsinstrument zu Risiko- und Schutzfaktoren bei Alkoholvergiftungen im Kindes- und Jugendalter entwickelt.

    Im retrospektiven Teil der Studie zeigte sich, dass die Teilnehmer/innen der Intoxikationsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant mehr Alkohol tranken, mehr Anzeichen von Alkoholgebrauchsstörungen aufwiesen und häufiger bereits als alkoholabhängig einzuschätzen waren. Zudem berichteten sie häufiger vom Gebrauch illegaler Drogen sowie von delinquentem Verhalten. Die große Mehrheit von 80 Prozent innerhalb dieser Gruppe war jedoch nicht alkoholabhängig im Sinne von DSM-IV, betrieb auch keinen Alkoholmissbrauch, nahm nicht häufiger psychiatrische/psychotherapeutische Behandlungen in Anspruch und war auch nicht unzufriedener mit ihrer Lebensgestaltung. Der prospektive Teil der Studie ergab, dass beim ersten Befragungszeitpunkt im Krankenhaus 45,2 Prozent der Teilnehmer/innen mindestens zwei Entwicklungsgefährdungen (z. B. Misshandlungen in der Familie, schulische Probleme, Konsum illegaler Drogen etc.) angaben. Zum zweiten Befragungszeitpunkt rund ein halbes Jahr später gaben dies 22,4 Prozent der Teilnehmer/innen an. Jugendliche, die schon bei der ersten Befragung mindestens zwei Entwicklungsgefährdungen aufweisen, haben eine um das Fünffache erhöhte Wahrscheinlichkeit, sechs Monate später ebenfalls stark gefährdet zu sein.

    Bei Jugendlichen aus der Hochrisikogruppe (zwei oder mehr Entwicklungsgefährdungen), die über den RiScA-Fragebogen identifiziert werden konnten, liegt der Hauptproblembereich meist gar nicht im Alkoholkonsum, sondern im sozialen Umfeld, in Verhaltensauffälligkeiten oder Symptomen affektiver Erkrankungen. Diese Gruppe benötigt eine Nachsorge, die deutlich über den Fokus auf Alkoholkonsum hinausgehen muss.

    Die Ergebnisse und bereits die Aufgabenstellung der prämierten Studie unterstreichen den hohen Stellenwert von Prävention und Früherkennung – ganz im Sinne des Förderpreis-Stifters, Prof. Dr. Wolfram Keup. „Wolfram Keup war ein beharrlicher Beobachter der ‚Suchtlandschaft‘ und Mahner bei neu auftretenden Gefährdungen, was sich in seinem seinerzeit viel beachteten ‚Frühwarnsystem zur Erfassung von Veränderungen der Missbrauchsmuster chemischer Substanzen in der Bundesrepublik Deutschland‘ niederschlug. ‚Erkennen – Prognostizieren – Warnen‘ mag diese Strategie in Kurzform beschreiben, und diese Sichtweise auf das Suchtphänomen spiegelt auch die hier gekürte Arbeit“, so Dr. Bernd Wessel, stellvertretender Vorsitzender des buss, in seiner Laudatio.

    Eine Zusammenfassung der vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Studie steht auf www.suchthilfe.de > Förderpreis zum Download zur Verfügung. Der vollständige Abschlussbericht inkl. Entwicklung des RiScA-Fragebogens ist auf der Website des Bundesgesundheitsministeriums publiziert unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/dateien/Publikationen/Drogen_Sucht/Abschlussbericht/Sachbericht_RiScA.pdf

    Zur Jury des Wolfram-Keup-Förderpreises 2016 gehörten die Vorstandsvorsitzende des buss, Dr. Wibke Voigt, die Vorstandsmitglieder Christian Heise, Gotthard Lehner und Olaf Szakinnis und folgende externe Gutachter:

    • Prof. Dr. Ulrich W. Preuß, Kreiskrankenhaus Prignitz, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Herborn
    • Dr. Theo Wessel, Gesamtverband für Suchthilfe e. V., Fachverband der Diakonie Deutschland, Berlin
    • Prof. Dr. Norbert Wodarz, Medizinische Einrichtungen des Bezirks Oberpfalz GmbH (medbo), Regensburg

    Der nächste Wolfram-Keup-Förderpreis wird 2018 verliehen. Die Ausschreibung hierfür wird im April 2017 bekannt gegeben.

    buss, 07.04.2016

  • Neuer Leitfaden Sozialrecht online

    Lenski_Leitfaden SozialrechtSeit einigen Jahren bearbeitet Rüdiger Lenski, Mitglied im Beirat des fdr (Fachverband Drogen- und Suchthilfe e. V.), seinen „Leitfaden Sozialrecht“, der alle Informationen zur Anwendung des Sozialrechts auf 245 Seiten bündelt. Eine vergleichbare Darstellung ist auf dem Buchmarkt oder im Internet schwer zu finden. Der Leitfaden kann zu Aus- und Fortbildungszwecken (mit Quellenangabe) unentgeltlich kopiert und vervielfältigt werden und steht hier zum Herunterladen bereit (pdf, 618 KB):
    http://fdr-online.info/media/pdf-Dateien/Arbeitsmaterialien/Reader+Sozialrecht+2016.pdf

    Quelle: fdr-online.info #41

  • E-Shishas und E-Zigaretten

    Das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) vorgelegte Gesetz zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor den Gefahren des Konsums von elektronischen Zigaretten und elektronischen Shishas ist am 1. April 2016 in Kraft getreten. Damit werden die Abgabe- und Konsumverbote des Jugendschutzgesetzes und des Jugendarbeitsschutzgesetzes für Tabakwaren auf E-Zigaretten und E-Shishas ausgedehnt. Zudem wird sichergestellt, dass die Abgabeverbote von Tabakwaren, E-Zigaretten und E-Shishas an Kinder und Jugendliche auch im Wege des Versandhandels gelten.

    „Auch nikotinfreie E-Zigaretten und E-Shishas schaden der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Selbst wenn sie nach Schokolade oder Himbeere schmecken, sind sie nicht harmlos, denn sie senken die Reizschwelle, auf normale Zigaretten umzusteigen“, so die Parlamentarische Staatssekretärin im BMFSFJ, Caren Marks.

    Es gibt nikotinhaltige und nikotinfreie Lösungen. Die Produkte haben oftmals den Ruf, eine gesündere Alternative zum Tabakrauchen zu sein, und wirken aufgrund von Geschmacksrichtungen wie Schokolade und diversen Fruchtsorten harmlos und auf Kinder und Jugendliche attraktiv. Mit den elektronischen Inhalationsprodukten werden Flüssigkeiten, so genannte Liquids, verdampft. Der dabei entstehende Nebel wird inhaliert. Aromastoffe verleihen dem Dampf den jeweiligen Geschmack.

    Nachdem die gesundheitlichen Risiken des Suchtstoffs und Nervengifts Nikotin wie physische Abhängigkeit und Herz-Kreislauferkrankungen seit längerem bekannt sind, haben Studien des Bundesinstituts für Risikobewertung und des Deutschen Krebsforschungszentrums auch die gesundheitlichen Risiken des Konsums von nikotinfreien E-Shishas und E-Zigaretten belegt.

    Pressestelle des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 01.04.2016

  • Rückfall bei Alkoholabhängigkeit

    Unter der Abkürzung SyBil-AA (Systems Biology of Alcohol Addiction) fördert die Europäische Union (EU) in den nächsten vier Jahren ein internationales Forschungskonsortium, das Wissenschaftler aus sieben europäischen Ländern und Israel vereinigt. Insgesamt 5,76 Millionen Euro werden in die Forschung zu neurobiologischen Ursachen des Rückfalls bei Alkoholabhängigkeit und in die Verbesserung der Therapie investiert. Koordiniert wird die Studie von PD Dr. Wolfgang Sommer mit Beteiligung des Instituts für Psychopharmakologie sowie der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI), das eine Fördersumme von knapp zwei Millionen Euro erhält.

    Charakteristisch für die Alkoholabhängigkeit sind sich wiederholende Zyklen von exzessivem Alkoholgenuss, Entzug und häufig erfolglosen Abstinenzversuchen. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, wollen die Forscher Hirnaktivitäten, die mit dem hohem Rückfallrisiko im Zusammenhang stehen, identifizieren und gezielt beeinflussen. SyBil-AA will mit einem systemmedizinischen Ansatz, insbesondere mit Hilfe theoretischer Modelle aus der Mathematik und Netzwerktheorie, pathologische Kommunikationsmuster in komplexen Hirnnetzwerken identifizieren, um diese dann gezielt therapeutisch beeinflussen zu können. Die mathematischen Modelle sollen hinsichtlich ihrer Vorhersagequalität umfangreich und gründlich experimentell getestet werden. Die universitären und industriellen Partner erhoffen sich, mit diesen Methoden Einsichten in Netzwerkzustände zu gewinnen, die mit einer erhöhten Rückfallwahrscheinlichkeit einhergehen, und Verfahren zu entwickeln, mit denen die gestörte Kommunikation in kritischen Netzwerken verbessert werden kann.

    „Mit SyBil-AA bietet sich uns eine großartige Chance, die hochentwickelte systembiologische Forschungskapazität in Europa auf ein enormes Gesundheitsproblem auszurichten, und dadurch deutliche Verbesserungen in der Erforschung, Diagnostik und Behandlung der Alkoholsucht zu erreichen“, so der Leiter der Studie Wolfgang Sommer.

    An der von der EU geförderten interdisziplinären Studie „Systems Biology of Alcohol Addiction (SyBil-AA): Modeling and validating disease state networks in human and animal brains for understanding pathophysiolgy, predicting outcomes and improving therapy” sind sieben europäische Länder sowie Israel beteiligt. In Deutschland zählen neben dem ZI die Otto v. Guericke Universität in Magdeburg und die Firma Metanomics Health GmbH in Berlin zu den Partnern.

    Liste der teilnehmenden Institutionen: Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim; Otto v. Guericke Universität Magdeburg; Metanomics Health GmbH, Berlin; University of Sussex, University of Cambridge, UK; University of Linköping, Sweden; Ben-Gurion University of the Negev, BrainSway, Israel; Institutul Roman de Stiinta si Tehnologie, Romania; Instituto Italiano di Tecnologia, Rovereto, Italy; Spanish National Research Council Alicante, Spain; University of Helsinki, Finland.

    Pressestelle des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit, 17.03.2016

  • Abhängigkeitskranke Mütter und Väter in der Suchthilfe

    fdr-Texte_11Die Deutsche Suchthilfestatistik erfasste 2013 über 800 ambulante Suchtberatungsstellen in Deutschland – und damit etwa zwei Drittel der Gesamtheit – mit über 300.000 Betreuungen. Hier geben fast 20 Prozent der Ratsuchenden an, mit Kindern unter 18 Jahren im eigenen Haushalt zu leben. Bei Frauen, die zur Beratung kommen, sind es etwa 25 Prozent. Fachkräfte in der Beratung müssen davon ausgehen, dass jeder fünfte abhängigkeitskranke Mann und jede vierte abhängigkeitskranke Frau aktuell mit mindestens einem Kind im Haushalt zusammenlebt. Ein Großteil von ihnen ist alleinerziehend.

    Bisher waren nur Suchthilfeträger, die auch Leistungen nach dem SGB VIII erbringen, gefordert, den Schutzauftrag gemäß § 8a SGB VIII umzusetzen und zu einer Verbesserung im Kinderschutz beizutragen. Mit dem Bundeskinderschutzgesetz werden nun auch Berufsgruppen, die außerhalb des Jugendhilfebereiches Leistungen erbringen, in einen aktiven Kinderschutz einbezogen. Das hat Einfluss auf die Suchthilfe, und zwar nicht nur auf die Beratung, sondern auf alle Bereiche im Verbundsystem der Hilfen. Der Fachverband Drogen- und Suchthilfe e.V. (fdr) hat daher eine Handreichung entwickelt, die über Grundlagen und Gesetze informiert und Ablaufschemata, Prüflisten, Checklisten und Kopiervorlagen für Formulare bereitstellt. Die Handreichung bietet damit einen umfassenden Überblick über die Rahmenbedingungen der Arbeit mit abhängigkeitskranken Müttern und Vätern in der Suchthilfe. Sie wurde von der fdr-AG „Beratung von suchtkranken Müttern und Vätern“ aus Praxisunterlagen zusammengestellt.

    Die Handreichung „Abhängigkeitskranke Mütter und Väter in der Suchthilfe“, erschienen als Nr. 11 in der Reihe „fdr-texte“, kann zum Selbstkostenpreis von 5,00 Euro (inkl. Porto) beim fdr bestellt werden (mail@fdr-online.info). Teilnehmer/innen des 39. fdr-sucht-kongresses am 11./12. April 2016 in Potsdam bekommen ein kostenloses Exemplar.

    Quelle: fdr-online.info #41

  • Depressionen behandeln

    Behandlungen mit Psychopharmaka können nur dann ihr volles Potenzial entfalten, wenn zusammen mit der Behandlung auch die Umwelt und das Verhalten der Patienten stimuliert werden. Zu diesem Schluss kommt ein interdisziplinäres Forschungsteam aus klinischen Psychologen, Psychobiologen, Neurowissenschaftlern und Psychiatern. In einer Zusammenschau von über 150 Arbeiten analysierten die Wissenschaftler Erkenntnisse aus Placebo-Studien, Untersuchungen zur Neuroplastizität und Tierstudien. Die Ergebnisse sind kürzlich in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift „Neuroscience and Biobehavioral Reviews“ erschienen.

    Psychopharmaka lindern die Symptome bei Störungen wie Depression oder Schizophrenie häufig, aber sie tun es nicht immer. Es gibt immer stärkere Hinweise darauf, dass es eine Reihe von Umgebungsbedingungen gibt, die die Wirksamkeit günstig beeinflussen. So zeigen Studien zur Wirkung von Psychopharmaka, dass Placebo-Reaktionen oft sehr hoch sind, manchmal wirken Placebos ebenso gut wie Medikamente. Detailliertere Analysen der Placebo-Reaktion zeigen, dass die Erwartungen der Patienten an die Behandlung, ihre bisherigen Erfahrungen mit dem Medikament und die therapeutische Beziehung wichtige Umgebungsbedingungen sind, die einen Einfluss auf die Wirkung haben.

    Der Mensch ist einer sich ständig ändernden Umwelt ausgesetzt. Das verlangt eine hohe Anpassungsfähigkeit, die bei jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt ist. Grundvoraussetzung für die Anpassungsleistung ist die Fähigkeit des Gehirns, sich kontinuierlich durch neue Reize zu verändern, also zu lernen. Diese Fähigkeit wird als Neuroplastizität bezeichnet. Hohe Neuroplastizität ist eine wichtige Voraussetzung für psychische Gesundheit. Aus der bisherigen Forschung vermutet man, dass eine verminderte Neuroplastizität dazu beiträgt, dass psychische Störungen wie zum Beispiel Depressionen entstehen beziehungsweise chronifizieren.

    Tierstudien zeigen, dass Antidepressiva an diesem Punkt ansetzen und Veränderungen der Plastizität anregen. Der Netzwerkhypothese zufolge ist das Gehirn in der Zeit der Umstrukturierung besonders empfänglich für alle Reize und Erfahrungen, die aus der Umwelt kommen. Diese Reize können sowohl die Richtung als auch die Höhe der Plastizität beeinflussen. In den meisten psychopharmakologischen Studien wurde dem Kontexteffekt bislang wenig Beachtung geschenkt.

    In neueren Tierstudien konnte die Umwelt jedoch so kontrolliert werden, dass Behandlungsverläufe mit Psychopharmaka auf unterschiedliche Umwelteinflüsse zurückgeführt werden können. Die Ergebnisse zeigen: Positive, angereicherte Umwelten (wie zum Beispiel viele soziale Kontakte zu Artgenossen) verbesserten den Behandlungsverlauf erheblich. Schädliche Umwelten hingegen (wie zum Beispiel eine karge Gestaltung der Umgebung, wenig soziale Kontakte) verschlechterten den Behandlungsverlauf ernstlich. „Dies bedeutet, dass ungünstige Umgebungseinflüsse die Medikamentenwirkung nicht nur abschwächen, sondern das Medikament sogar zur schädlichen Droge machen können“, sagt Winfried Rief. „Keine medikamentöse Behandlung wäre hier die bessere Alternative.“

    „Unsere Zusammenschau einschlägiger Studien zeigt, dass Psychopharmaka nicht für jeden Betroffenen die Therapie erster Wahl sind“, sagt Winfried Rief. „Für manche Patienten wäre es nach einer gründlichen Kosten-Nutzen-Abwägung besser, wenn sie eine Placebo-Medikation oder eine aktiv-abwartende Begleitung, das ‚watchful waiting‘, erhielten. Gerade bei nur mittelschwer Ersterkrankten oder bei wenig unterstützenden Umgebungsbedingungen sollte die Entscheidung zur medikamentösen Behandlung zurückhaltender getroffen werden. Der Einsatz von Antidepressiva macht nur Sinn, wenn man begleitend schaut, dass positive Umgebungseinflüsse den Heilungsprozess unterstützen. Das kann beispielsweise durch eine Psychotherapie gefördert werden“, sagt Winfried Rief. Es sollte sowohl eine störungsspezifische Therapie erfolgen als auch weitere Interventionen zur Stimulation allgemeiner Verhaltens- und Umweltbedingungen, die die Sozialkontakte verbessern und die körperliche Aktivität steigern. Auch bekannte Placebo-Mechanismen können in positiver Weise den Heilungsverlauf unterstützen. So erlaubt es eine positive therapeutische Beziehung, positive Erwartungen an den Ausgang der Therapie zu entwickeln und eventuelle Befürchtungen und Ängste zu entkräften.

    Originalstudie:
    Rief, W., Barsky, A.J., Bingel, U., Doering, B.K., Schwarting, R., Wöhr, M., & Schweiger, U. (2016). Rethinking psychopharmacotherapy: The role of treatment context and brain plasticity in antidepressant and antipsychotic interventions. Neuroscience and Biobehavioral Reviews, 60, 51-64. www.dx.doi.org/10.1016/j.neubiorev.2015.11.008

    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, 08.03.2016

  • Opioid-Abhängigkeit bei Schmerzpatienten

    Der Einsatz von Opioiden bei nicht-tumorbedingten Schmerzen wird immer wieder kontrovers diskutiert. Der Grund: Ärzte und Patienten befürchten eine Abhängigkeit von diesen stark wirksamen Schmerzmedikamenten im Sinne von Sucht. Beim Deutschen Schmerz- und Palliativtag 2016 Anfang März in Frankfurt am Main diskutierten Experten über die Wahrscheinlichkeit einer Opioid-Abhängigkeit mit dem Ergebnis: Das Risiko einer Abhängigkeit ist in der Praxis bedeutend weniger relevant als befürchtet. Viel wichtiger sei es, Patienten mit starken Schmerzen wirksame Therapien nicht vorzuenthalten.

    Laut Dr. Oliver Emrich, Facharzt für Allgemeinmedizin und Spezielle Schmerztherapie in Ludwigshafen sowie Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. (DGS), ist die Opioid-Abhängigkeit in Deutschland ein überschätztes Problem. Aber selbst Schmerzexperten befürchten bei einem längerfristigen Einsatz die Abhängigkeit von stark wirksamen Schmerzmitteln.

    In der S3-Leitlinie „LONTS“ zur Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht-tumorbedingten Schmerzen heißt es: „Um die möglichen Risiken einer Therapie mit opioidhaltigen Analgetika zu minimieren, sollen Kontraindikationen berücksichtigt sowie Wirksamkeit und Nebenwirkungen regelmäßig überprüft werden.“ Diesem Vorgehen stimmten auch die Experten beim Deutschen Schmerz- und Palliativtag zu, allerdings mit einer Priorisierung der Schmerzlinderung zur Verbesserung der Lebensqualität chronisch schmerzkranker Patienten.

    „Obwohl sich Opioide weltweit durch Wirksamkeit und Verträglichkeit gegenüber vielen Formen von Schmerzen etabliert haben, besteht eine weit verbreitete Opioid-Phobie“, sagte Dr. Johannes Horlemann, Facharzt für Innere Medizin und Allgemeinmedizin mit der Zusatzbezeichnung Spezielle Schmerztherapie und Palliativmedizin in Kevelaer und ebenfalls Vizepräsident der DGS. Konsens bestehe in der Anwendung und Dauertherapie von Opioiden bei Palliativpatienten, jedoch nicht bei der großen Zahl bei Patienten mit nicht-tumorbedingten Schmerzen. Einig sei man sich zudem darin, in der Langzeittherapie Retardopioide den schnell wirksamen Opioiden vorzuziehen. Der wichtigste Gesichtspunkt in der Langzeittherapie mit Opioiden besteht aus Sicht der Experten beim Deutschen Schmerz- und Palliativtag in der Berücksichtigung individueller Kriterien – im Sinne einer streng patientenorientierten und schmerzmedizinisch begleiteter Therapie.

    Der jährlich stattfindende Deutsche Schmerz- und Palliativtag ist mit 2.500 Teilnehmern der größte deutsche Versorgungskongress für den Bereich Schmerz. Veranstalter ist die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V. (DGS). Mitveranstalter sind die Patientenorganisation Deutsche Schmerzliga e. V. (DSL) und die Deutsche Gesellschaft für Interdisziplinäre Palliativversorgung e. V.

    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V., 04.03.2016

  • Drei Jahre Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“

    Logo_Hilfetelefon_URL_4cAm 7. März 2016 erschien der dritte Jahresbericht des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“. Rund 55.000 Mal wurde das Hilfetelefon im Jahr 2015 kontaktiert – das sind rund elf Prozent mehr Kontakte als im Jahr zuvor. In mehr als 27.000 Fällen fand eine Beratung per Telefon, Chat oder E-Mail statt. 14.400 von Gewalt betroffene Personen erhielten Unterstützung in Form von Erstberatung, Krisenintervention, Information oder Weitervermittlung.

    Die Kontakt- und Beratungszahlen zeigen: Jeden Tag sind viele Frauen von Gewalt betroffen. Das bundesweite Beratungsangebot ist daher dringend erforderlich, um Frauen Hilfe und Unterstützung zu bieten. Studien belegen: 35 Prozent aller Frauen haben schon einmal körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlitten, jede vierte Frau erlebt Gewalt durch ihren Lebenspartner. Doch nur etwa 20 Prozent der Betroffenen wenden sich an eine Unterstützungseinrichtung. Insbesondere Beratungen, die in anderen Sprachen stattfanden, konnten vielen Frauen weiterhelfen: Die Zahl der Beratungen mit Dolmetscherinnen haben im Vergleich zu 2014 um beinahe 70 Prozent zugenommen, wobei Polnisch und Arabisch am häufigsten nachgefragt wurden. Insgesamt wurde über 900 Mal in einer Fremdsprache beraten.

    Cover HT_Jahresbericht_2015„Das Hilfetelefon informiert und berät in 15 Sprachen. Das ist einmalig und bietet auch vielen gewaltbetroffenen Frauen, die kein oder nur wenig Deutsch sprechen, einen zentralen Zugang zu Beratung und Hilfe“, sagt Elke Ferner, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. „Daher spielt das Hilfetelefon auch eine wichtige Rolle, wenn wir aktuell darüber sprechen, wie wir von Gewalt betroffenen Frauen in Flüchtlingsunterkünften besseren Schutz und Zugang zu Hilfsangeboten ermöglichen können.“ Helga Roesgen, Präsidentin des Bundesamtes für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben, betont: „Immer mehr Frauen brechen ihr Schweigen, und das ist entscheidend, um Hilfe zu erhalten. Das Hilfetelefon hilft auch dann, wenn andere Einrichtungen nicht zu erreichen sind. Rund 40 Prozent der Beratungen fanden 2015 in den Abend-, Nacht- und frühen Morgenstunden statt.“

    Frauen mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen widmet der Jahresbericht ein eigenes Kapitel. Sie sind Erhebungen zufolge doppelt so häufig von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen. Das Hilfetelefon unterstützt sie mit zielgruppenspezifischen Hilfsangeboten wie der Beratung in Deutscher Gebärdensprache und in Leichter Sprache. 2015 wandten sich rund 1.700 Frauen mit Gewalterfahrung an das Hilfetelefon, die im Rahmen der Beratungen über ihre Behinderung oder Beeinträchtigung sprachen.

    Seit dem Start im März 2013 konnte das Hilfetelefon bereits vielen Frauen einen Weg aus der Gewalt zeigen: Insgesamt verzeichnet das Beratungsangebot in den drei Jahren seines Bestehens rund 155.000 Kontakte und 72.000 Beratungen. Mehr als 43.000 von Gewalt betroffene Personen nutzten das Angebot und ließen sich individuell beraten.

    Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr kostenlos unter der Telefonnummer 08000 116 016 erreichbar und online unter www.hilfetelefon.de über den Termin- und Sofort-Chat sowie per E-Mail. Mehr als 60 qualifizierte Beraterinnen informieren und beraten gewaltbetroffene Frauen, Personen aus ihrem sozialen Umfeld und Fachkräfte – kostenlos, anonym, in 15 Sprachen sowie in Deutscher Gebärdensprache und in Leichter Sprache.

    Das Hilfetelefon ist beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben angesiedelt. Weitere Informationen unter www.hilfetelefon.de

    Pressestelle des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 07.03.2016

  • „Germanwings“-Absturz 2015

    Nach dem Absturz der Germanwings-Maschine (Flug 9525) in den französischen Alpen im vergangenen Jahr ist es zu einer stigmatisierenden Berichterstattung über psychisch erkrankte Menschen gekommen. Dies zeigt eine aktuelle Studie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN) mahnt deshalb zu besonderer Umsicht bei der medialen Aufarbeitung von schweren Gewalttaten.

    Das Bild, das sich die Öffentlichkeit von Menschen mit psychischen Erkrankungen macht, wird maßgeblich durch ihre Darstellung in den Medien geprägt. Gerade nach schweren Gewalttaten kommt es dort immer wieder zu Stigmatisierungen. Besonders deutlich zeigt dies die Berichterstattung über den Absturz der Germanwings-Maschine im vergangenen Jahr, wie eine aktuelle Studie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim darlegt. Dazu wurden 251 Artikel ausgewertet, die sich im Zeitraum vom 24.03.2015 bis 30.06.2015 in zwölf überregionalen Printmedien mit dem Absturz beschäftigt haben. Die Ergebnisse sind deutlich: Das Forscherteam stuft 161 Artikel als riskant ein, 79 Artikel enthielten explizite Stigmatisierungen.

    Die Berichterstattung drehte sich insbesondere um die Frage nach dem Grund des Absturzes. 64,1 Prozent der Artikel zogen eine psychische Erkrankung des Kopiloten als mehrheitliche Erklärung für den Absturz der Maschine heran. In 39,4 Prozent der Artikel wird sogar die konkrete Diagnose einer Depression genannt. „Dass nach solch unfassbaren Taten die Frage nach der Ursache in der Berichterstattung im Zentrum steht, ist verständlich – aber wir dürfen uns nicht Spekulationen hingeben. Ob und wenn ja welche psychische Erkrankung eine Rolle spielte, war zu diesem Zeitpunkt völlig unklar. Trotzdem wurde die psychische Vorerkrankung des Kopiloten kausal mit der Tat verknüpft“, stellt DGPPN-Präsidentin Dr. Iris Hauth fest.

    Bei der Berichterstattung über den Zusammenhang von schweren Gewalttaten und psychischen Erkrankungen ist deshalb aus Sicht der DGPPN besondere Umsicht notwendig. „Zusätzliche Erklärungen sind unverzichtbar. Verantwortungsvolle Artikel machen ihren Lesern klar, dass von psychisch erkrankten Menschen nicht per se eine Gefahr ausgeht und sie für die überwiegende Mehrzahl von Gewalttaten nicht verantwortlich sind. Durch die mediale Fokussierung auf psychische Erkrankungen entsteht aber häufig ein anderes, falsches Bild – was der Stigmatisierung Vorschub leistet“, sagt Dr. Iris Hauth.

    Die DGPPN appelliert deshalb an das Verantwortungsbewusstsein der Medienschaffenden. Die publizistischen Grundsätze in Bezug auf die Berichterstattung über Menschen mit psychischen Erkrankungen sind im Pressekodex klar geregelt. Darüber hinaus existiert eine Vielzahl an Empfehlungen, die auf die besonderen Herausforderungen bei der Darstellung psychischer Erkrankungen und der von ihnen Betroffenen eingehen. Zudem unterstützen die Experten der DGPPN jederzeit bei der medizinischen Einordnung der Sachverhalte.

    Fair Media ist eine Hilfestellung für Journalistinnen und Journalisten, die über Menschen mit psychischen Erkrankungen berichten: www.fairmedia.seelischegesundheit.net

    Literatur:
    • von Heydendorff S, Dreßing H (2016) Mediale Stigmatisierung psychisch Kranker im Zuge der „Germanwings“-Katastrophe. DOI: 10.1055/s-0042-101009. Die Publikation ist ab sofort online verfügbar.
    • Maier W, Hauth I, Berger M, Saß H (2016) Zwischenmenschliche Gewalt im Kontext affektiver und psychotischer Störungen. Nervenarzt 87:53–68.

    Pressestelle der DGPPN, 02.03.2016