Kategorie: Schwerpunktthema 1/2016 Weiterbildungsermächtigungen in Suchtfachkliniken

  • Ermutigung tut not!

    Ermutigung tut not!

    Dr. Wibke Voigt. Foto©Katholische Kliniken Ruhrhalbinsel
    Dr. Wibke Voigt. Foto©Katholische Kliniken Ruhrhalbinsel

    Um gleich mit den wichtigsten Fragen zu beginnen: Ist eine Weiterbildungsermächtigung empfehlenswert und sinnvoll? Ist eine Weiterbildungsermächtigung heutzutage notwendig? Die Antwort lautet zweimal: Ja! Und zwar deshalb, weil die Möglichkeit der Weiterbildung in einer Klinik ein wichtiges Argument ist, um qualifiziertes, gut ausgebildetes und junges Fachpersonal gewinnen zu können: Assistenzärztinnen und Assistenzärzte in Weiterbildung sowie Psychologinnen und Psychologen in Ausbildung.

    Dass eine Weiterbildungsermächtigung der Chefärztin/des Chefarztes vorhanden sein muss, um Assistenzärztinnen und Assistenzärzten eine fachärztliche Weiterbildung bieten zu können, ist offensichtlich. Dies gilt aber auch für die „praktische Zeit“ der Psychologinnen und Psychologen, der sog. PIA’s. Laut § 2 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung der Bundespsychotherapeutenkammer ist eine Weiterbildungsermächtigung der ärztlichen Leitung im Fach „Psychiatrie und Psychotherapie“ oder „Psychosomatische Medizin“ für zwölf Monate Voraussetzung, damit die geforderten 1.200 Stunden im klinischen Bereich von der jeweiligen Psychotherapeutenkammer anerkannt werden. Dieses klinische Jahr ist eine Voraussetzung für die Erlangung der Approbation als Psychologische Psychotherapeutin bzw. als Psychologischer Psychotherapeut.

    Aufgrund dieser Tatsache ist im Deutschen Bundesverband der Chefärztinnen und Chefärzte der Fachkliniken für Suchtkranke e. V. (DBCS) die Idee entstanden, durch eine Umfrage den Stand der Weiterbildungsermächtigungen in Suchtfachkliniken zu erheben. Die Fragebögen wurden 2013 verschickt, und 2014 wurde die Auswertung auf der „23. Fachtagung Management in der Suchttherapie“ des Bundesverbandes für stationäre Suchtkrankenhilfe e. V. (buss) vorgestellt.

    Die Stichprobe

    Es wurden 273 Fragebögen verschickt, davon vom buss 152 Fragebögen an die chefärztliche Leitung, und vom Fachverband Sucht 121 Fragebögen an ärztliche und therapeutische Leitungen. Der Rücklauf betrug 105 vollständig beantwortete Fragebögen, was einer Rücklaufquote von 38,46 Prozent entspricht. Das ist eine mäßig gute Quote. Warum haben nicht mehr Chefärztinnen und Chefärzte geantwortet?

    Gründe dafür, dass das Thema Weiterbildungsermächtigung in den Kliniken auf einen geringen Widerhall stieß, könnten sein, dass die Chancen für einen erfolgreichen Antrag (irrtümlicherweise) als gering eingeschätzt werden wegen evtl. fehlender Voraussetzungen oder dass der Nutzen einer Weiterbildungsermächtigung nicht bekannt ist. Dem soll dieser Themenschwerpunkt von KONTUREN online entgegenwirken. Er soll zur Informationsvermittlung, zur Ermutigung und als Entscheidungshilfe dienen.

    74 Chefärztinnen und Chefärzte gaben an, in ihrer aktuellen Position einen Antrag auf die Erteilung einer Weiterbildungsermächtigung gestellt zu haben, 50 Chefärztinnen und Chefärzte hatten keinen Antrag gestellt. Von den 74 Anträgen waren 60 bewilligt worden, was einer Bewilligungsquote von 81 Prozent entspricht. Vier Anträge wurden von der jeweiligen Ärztekammer noch bearbeitet, zehn Anträge (14 Prozent) waren abgelehnt worden.

    Schwierigkeiten bei der Beantragung

    Bei der Beantragung der Weiterbildungsermächtigung gab es bei vielen Kliniken (21 Kliniken = 38,18 Prozent) Schwierigkeiten, 13 Kliniken (23,64 Prozent) hatten teilweise Schwierigkeiten. Nur 20 Kliniken (36,36 Prozent) hatten die Weiterbildungsermächtigung problemlos erhalten (vgl. Abbildung 1). An Schwierigkeiten wurde am häufigsten genannt, dass die bewilligte Weiterbildungszeit geringer war als beantragt (18 Kliniken = 46,15 Prozent), 16 Kliniken mussten zusätzliche Nachweise erbringen (41 Prozent), jeweils eine Klinik beklagte eine lange Bearbeitungszeit oder keine Beantwortung des Antrages, drei Kliniken benannten andere Schwierigkeiten.

    Als Ablehnungsgründe seitens der Ärztekammer wurde Folgendes benannt:

    • Suchtmedizin sei ein zu enges Indikationsgebiet (drei Kliniken).
    • Zwei Kliniken fehle die 100-Prozent-Tätigkeit des Weiterbilders.
    • Eine Klinik habe eine zu geringe ärztliche Stellenbesetzung.
    • Ein Antrag wurde abgelehnt, da die Diagnosen inadäquat für die psychosomatische Medizin seien.
    • Drei Kliniken machten keine Angaben.
    Abb. 1: Schwierigkeiten bei der Beantragung
    Abb. 1: Schwierigkeiten bei der Beantragung

    Suchtmedizin ein „zu enges Indikationsgebiet“?

    Auch wenn eine Suchtfachklinik alleine keine volle Weiterbildungsermächtigung erreichen kann, ist das Argument eines zu engen Indikationsgebietes falsch. Internationale Studie zeigen, dass es „bemerkenswert hohe Lebenszeitprävalenzen von weiteren psychischen oder substanzbedingten Störungen bei Personen mit der Lebenszeitdiagnose eines Alkoholmissbrauchs oder einer Alkoholabhängigkeit“ gibt (Moggi 2007). Drei Viertel der Betroffenen mit einer Alkoholabhängigkeit (Männer: 78 Prozent, Frauen: 86 Prozent) berichten über mindestens eine weitere komorbide psychiatrische Störung, über 30 Prozent (Männer: 34 Prozent, Frauen: 47 Prozent) weisen in der Regel mehr als drei psychiatrische Störungen auf (Kessler et al. 1994).

    Studien bzgl. der Komorbidität zwischen einer Major Depression und einer substanzbezogenen Störung zeigen Werte zwischen zwölf und 80 Prozent, abhängig von verschiedenen Studienbedingungen (Compton et al. 2007; Conner et al. 2008a; Torrens et al. 2011a). Depressive Suchtpatienten weisen hDie Prävalenz depressiver Störungen bei Alkoholabhängigkeit ist ähnlich hoch. Depressive alkoholabhängige Menschen haben zudem häufigere stationäre Behandlungen, längere und schlechtere Verläufe, mehr Eheprobleme, mehr Beschäftigungslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit sowie mehr vollendete Suizide auf. Das Lebenszeit-Suizidrisiko für depressive Alkoholabhängige ist erschreckend hoch: 60- bis 120-fach höher als in der Normalbevölkerung. 25 Prozent aller Suizide werden von dieser Gruppe verübt. Die Kriterien einer Major Depression erfüllten in einer Studie 68 Prozent von 50 suizidierten Alkoholikern (Murphy & Wetzel 1990). Cornelius, Salloum et al. (1996) beschäftigten sich mit dem suizidalen Verhalten von Alkoholabhängigen mit einer Major Depression, die in eine psychiatrische Klinik aufgenommen worden waren: 40 Prozent hatten in der Woche vor der Aufnahme einen Suizidversuch unternommen, 70 Prozent hatten schon mindestens einmal versucht sich umzubringen.

    Die Komorbiditätsraten von bipolaren affektiven Störungen und Alkoholabhängigkeit liegen zwischen sechs und 69 Prozent, meistens bei 30 Prozent und mehr. Bei Patienten mit einer substanzbezogenen Störung können bei 34 bis 73 Prozent komorbide Persönlichkeitsstörungen diagnostiziert werden (Verheul 2011). Am häufigsten sind es Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen, vor allem die Borderline-PS (Walter et al. 2009). Umgekehrt weisen Borderline-Patienten zur Hälfte eine substanzbezogene Störung auf (McGlashan et al. 2000).

    Die Lebenszeitprävalenz für eine Posttraumatische Belastungsstörung bei Suchtpatienten im klinischen Setting beträgt bis zu 50 Prozent (26 bis 52 Prozent) und für eine aktuelle PTSD 15 bis 41 Prozent (Schäfer & Najavits 2007). Dabei leiden Frauen deutlich häufiger unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung, nämlich ca. doppelt so viele wie Männer (Dom et al. 2007; Driessen et al. 2008). In der Regel leiden drogenabhängige Menschen unter mehr komorbiden Störungen als Personen mit einer Alkoholabhängigkeit.

    Eine Studie von Miller (1993) ergibt, dass 44 Prozent der alkoholabhängigen Frauen sexuell missbraucht wurden versus 27 Prozent der psychiatrisch behandelten Frauen versus neun Prozent der Frauen in der Normalbevölkerung. Nach dem Review von Simpson und Miller (2002) hatten bei Alkoholabhängigkeit 50 Prozent der Frauen und 30 Prozent der Männer mindestens eine Form früher (körperlicher oder sexueller) Gewalt erlitten, bei Drogenabhängigkeit waren es 80 Prozent der Frauen sowie 50 Prozent der Männer (Simpson und Miller 2002, Auswertung von 53 Studien [32 Studien mit nur Frauen, 16 Studien mit Frauen und Männern, fünf Studien mit nur Männern]: 27 Prozent bis 67 Prozent der abhängigen Frauen wurden sexuell missbraucht, 33 Prozent körperlich misshandelt, neun bis 29 Prozent der abhängigen Männer wurden sexuell missbraucht, 24 bis 53 Prozent körperlich misshandelt).

    Die genannten Studien können gerne als Argumentationshilfe gegen das „zu enge Indikationsgebiet“ verwendet werden. Empfehlenswert ist auch das neu herausgekommene Buch von Dom und Moggi: „Co-occurring Addictive and Psychiatric Disorders“, Springer 2015. Studienergebnisse entheben die Antragstellerin/den Antragsteller aber nicht der Notwendigkeit, in ihrer/seiner Institution zwölf Monate vor dem Antrag auf Weiterbildungsermächtigung alle Diagnosen zu erheben, also die vorhandenen komorbiden psychiatrischen Störungen zu diagnostizieren, zu verschlüsseln und dann prozentual auszuwerten, um die ganze psychiatrische Bandbreite in der Suchtfachklinik aufzuzeigen – und um damit eine möglichst lange Weiterbildungszeit zu erlangen. (Die Verfasserin unterzieht sich diesem Verfahren gerade in ihrer neuen Klinik. In der Suchtfachklinik, in der sie vorher lange als Chefärztin tätig war, wurden von der Ärztekammer Niedersachsen problemlos 18 Monate Weiterbildungszeit anerkannt aufgrund der hohen Anzahl an komorbiden psychiatrischen Störungen.) Daneben gibt es auch immer die Möglichkeit, an einem Weiterbildungsverbund teilzunehmen (vgl. den Artikel „Weiterbildungsermächtigungen in Fachkliniken in Westfalen-Lippe“ von Dr. Markus Wenning auf KONTUREN online).

    Gebiete der vorliegenden Weiterbildungsermächtigungen

    Nach den Ergebnissen der Umfrage wurden in folgenden Fächern/Gebieten Weiterbildungsermächtigungen erteilt (vgl. Abbildung 2):

    • 35 in Psychiatrie und Psychotherapie (58,33 Prozent)
    • neun in Sozialmedizin (15 Prozent)
    • fünf in Psychosomatische Medizin (8,33 Prozent)
    • fünf in Innere Medizin (8,33 Prozent)
    • drei in Rehabilitationswesen (fünf Prozent)
    • jeweils eine in Allgemeinmedizin, Psychoanalyse sowie Psychotherapie (jeweils 1,67 Prozent)

    Drei Weiterbildungsermächtigungen mussten nicht beantragt werden, da sie durch die Klinikstruktur bereits in vollem Umfang vorhanden waren (jeweils eine für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatische Medizin sowie Neurologie). Insgesamt ergab die Umfrage also 63 gültige Weiterbildungsermächtigungen.

    Abb. 2: Vorliegende Weiterbildungsermächtigungen
    Abb. 2: Vorliegende Weiterbildungsermächtigungen

    Zeitraum der Weiterbildungsermächtigungen

    Wie oben erwähnt, ist ein Zeitraum von zwölf Monaten für die Weiterbildungsermächtigung notwendig, um attraktiv sowohl für die ärztlichen als auch für die psychologischen Weiterbildungskandidaten zu sein. Für das Gebiet Psychiatrie und Psychotherapie ergab sich in der Umfrage in Bezug auf die Zeiträume folgendes Bild (vgl. Abbildung 3):

    • Vier Suchtfachkliniken erhielten einen Zeitraum von sechs Monaten.
    • 14 Kliniken waren zwölf Monate zuerkannt worden.
    • Neun Kliniken konnten 18 Monate Weiterbildungszeitraum erreichen.
    • Vier Kliniken bekamen 24 Monate
    • Bei vier Kliniken war entweder durch die Kombination mit einer benachbarten Psychiatrie oder durch die bereits vorhandene Klinikstruktur die volle Weiterbildungszeit von 48 Monaten gegeben.
    • Ein Bogen war für den Zeitraum der Weiterbildungsberechtigung nicht auswertbar.
    Abb. 3: Bewilligter Zeitraum der Weiterbildungsermächtigungen für das Gebiet Psychiatrie und Psychotherapie
    Abb. 3: Bewilligter Zeitraum der Weiterbildungsermächtigungen für das Gebiet Psychiatrie und Psychotherapie

    Für den Bereich Sozialmedizin ergaben sich folgende Zeiträume der Weiterbildungsberechtigung:

    • Zwei Kliniken erhielten sechs Monate.
    • Vier Kliniken erhielten zwölf Monate.
    • Eine Klinik erhielt 48 Monate.

    In der Psychosomatischen Medizin erhielten

    • zwei Fachkliniken 24 Monate,
    • drei Fachkliniken 36 Monate,
    • und eine Klinik hatte durch die Klinikstruktur eine bereits vorliegende 48-monatige Weiterbildungsberechtigung.

    Im Fach Innere Medizin erhielten

    • zwei Kliniken sechs Monate,
    • eine Klinik zwölf Monate und
    • eine Klinik 18 Monate.

    Im Gebiet Rehabilitationswesen erhielt

    • eine Fachklinik sechs Monate und
    • eine Klinik zwölf Monate.

    In Psychoanalyse sowie Psychotherapie wurden jeweils einer Klinik 48 Monate Weiterbildungszeitraum bewilligt. In Allgemeinmedizin erhielt eine Klinik zwölf Monate.

    Fazit

    Der DBCS ist mit dieser Situation nicht zufrieden. Aus diesem Grund ist für 2016 geplant, Wege zu finden, die Kolleginnen und Kollegen zu informieren und zur Antragstellung zu ermutigen. Die Verfasserin unterstützt diese Haltung ausdrücklich, da die Suchtmedizin und die Suchtbehandlung einen wichtigen Teil der medizinischen und therapeutischen Behandlungslandschaft darstellen. Um dies sichtbar zu machen, wäre es begrüßenswert, wenn mehr Anträge gestellt würden. Im Workshop der buss-Managementtagung 2014 wurde deutlich, dass es wichtig ist, sich bei Schwierigkeiten nicht entmutigen zu lassen! Im Zweifelsfall ist es hilfreich, den Justiziar der jeweiligen Ärztekammer einzuschalten oder sich an andere übergeordnete Abteilungen oder politische Institutionen zu wenden.

    Kontakt:

    Dr. Wibke Voigt
    Fachklinik Kamillushaus
    Heidhauser Straße 273
    45359 Essen
    w.voigt@kkrh.de

    Angaben zur Autorin:

    Dr. Wibke Voigt ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und zertifizierte Traumatherapeutin. Sie ist seit 2006 als Chefärztin tätig, seit Oktober 2015 an der Fachklinik Kamillushaus, Essen. Dr. Wibke Voigt ist Vorstandsmitglied des DBCS und Vorsitzende des Bundesverbandes für stationäre Suchtkrankenhilfe (buss).

    Literatur:
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    • Dom G, De Wilde B, Hulstjin W, Sabbe B (2007): Traumatic experiences and posttraumatic stress disorders: differences between treatment seeking early- and late onset alcoholic patients. Compr psychiatry 48(2): 178-185.
    • Dom G, Moggi F (Hg.) (2015): Co-occurring Addictive and Psychiatric Disorders. A Practice-Based Handbook from a European Perspective, Springer, Berlin.
    • Driessen M, Schulte S, Lüdecke C (2008): Trauma and PTSD in patients with alcohol, drug or dual dependence: A multi-center study. Alcohol Clin Exp Res 2008, 32(3): 481-488.
    • Kessler KS, McGonagle KA, Zhao S, Nelson CB, Hughes M, Eshleman S, Wittchen HU, Kendler KS (1994): Lifetime and 12-month prevalence of DSM-III-R psychiatric disorders in the United States: Results from the National Comorbidity Survey. Archives of General Psychiatry 51, 8-19.
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    • Moggi F (2007): Doppeldiagnosen. Komorbidität psychischer Störungen und Sucht. Verlag Hans Huber, Bern, S.33.
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    • Simpson TL, Miller WR (2002): Concomitance between childhood sexual and physical abuse and substance use problems. A review. ClinPsychol Rev  22(1): 27-77.
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    • Verheul R (2001): Co-morbidity of personality disorders in individuals with substance use disorders. Eur Psychiatry 16: 274-282.
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  • Vom Aussterben der Sozialmediziner und der Bedeutung von Weiterbildung

    Vom Aussterben der Sozialmediziner und der Bedeutung von Weiterbildung

    Dr. Ursula Fennen
    Dr. Ursula Fennen

    Die Leistungsträger der medizinischen Rehabilitation erlegen den Leistungserbringern hohe Anforderungen an Struktur, Konzept und fachlicher Kompetenz auf. Deren Implementierung ist belegungs- und vergütungsrelevant und wird durch etablierte Qualitätssicherungsprogramme regelmäßig überprüft. Zu Recht, ist doch die qualitativ hochwertige Rehabilitation spätestens volkswirtschaftlich von immenser Bedeutung! Zu diesen Anforderungen von Seiten der Leistungsträger gehört, dass der leitende Arzt/die leitende Ärztin über eine Gebietsbezeichnung und bestenfalls und wünschenswerterweise über die Zusatzbezeichnung Rehabilitationswesen oder Sozialmedizin verfüge, da die Aufgabe fundierte medizinische und rehabilitative Kenntnisse sowie die umfassende Berücksichtigung aller Reha-relevanten Erkrankungen erfordere.

    Nach Ansicht der Leistungsträger stellen Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation ein wertvolles Potential für die ärztliche Weiterbildung dar, weil hier Kenntnisse über Prävention und die Vermittlung von Strategien zum langfristigen Erhalt erreichter Lebensstiländerungen sowie Kenntnisse in der sektorübergreifenden Versorgung und sozialmedizinischen Behandlung und Begutachtung erworben werden. Die Weiterbildung in einer Klinik ermöglicht in kollegialer Lernatmosphäre den umfassenden Blick auf die erwerbs- und arbeitsplatzrelevanten Fähigkeiten des Patienten unter Verknüpfung akutmedizinischer und rehabilitationsbezogener Belange.

    Seit einigen Jahren scheiden nun zunehmend klinische Sozialmediziner – im Sinne einer besseren Lesbarkeit des Textes wird durchgängig die männliche Form verwendet, wobei stets beide Geschlechter gemeint sind – ohne Nachfolger aus dem Berufsleben aus. Vom leitenden Arzt einer Fachklinik zur Rehabilitation Abhängigkeitskranker erwartet der Leistungsträger neben der Gebietsbezeichnung heute (deswegen?) nur noch, dass er die sozialmedizinischen Blockseminare an einem Weiterbildungsinstitut besucht hat. An deren formalem Besuch wird nun die belegungs- und vergütungsrelevante Qualität einer Reha-Einrichtung gemessen. Die aktuelle Beschränkung der Leistungsträger auf den schieren Besuch der Kurse scheint also vernünftig und pragmatisch, birgt aber Gefahren für die dauerhafte Belegung einer Klinik, verhindert für den leitenden Arzt Rechtssicherheit und vernachlässigt das Potential der Reha-Einrichtungen als hoch differenzierte Weiterbildungsstätten. Darüber hinaus ist bundesweit die Weiterbildungsordnung zum Erwerb des Zusatztitels Sozialmedizin inhomogen und die Handhabung zur Erteilung der Weiterbildungsermächtigung in einigen Ländern sehr starr. Weiterbildungsordnung, Bedarf der Leistungsträger und Interesse der Ärzte (und Rehabilitanden?) sind nicht harmonisiert. Aus der kammerseitig restriktiven Handhabung der Erteilung von Weiterbildungsermächtigungen resultiert u. a. der heute fehlende sozialmedizinische Nachwuchs.

    In einigen Bundesländern ist das Curriculum der Blockseminare inhaltlich auf die Erwartungen der Leistungsträger an die im eigenen Haus tätigen Ärzte eingeengt. Diese Ärzte besuchen die Seminare und hospitieren bei unterschiedlichen Sozialversicherungsträgern. Danach werden sie höher eingruppiert, führen aber keinen Zusatztitel. Der Besuch dieser Seminare ist die Grundlage, um dann in der Geschäftsstelle sozialmedizinisch vor allem gutachterlich im weitesten Sinne tätig zu sein. Klinisch tätige Ärzte absolvieren diese Seminare ebenso, da sie Bestandteil der Weiterbildung sind, brauchen aber, sofern sie den Zusatztitel erlangen wollen, wie in jeder Weiterbildung praktische Anleitung und Supervision im klinischen Alltag bei einem zur Weiterbildung ermächtigten Arzt. Sie lernen, Reha-Diagnosen zu stellen, ihre gesamte Behandlungsstrategie sozialmedizinisch auszurichten und das Behandlungsergebnis in gutachterliche Stellungnahme und Empfehlung zu gießen. Jedoch ist es schwierig, die Weiterbildungsermächtigung zu erlangen, da die Kammer, wie oben genannt, auch vom klinisch tätigen Arzt ein eher verwaltungsbezogenes Curriculum sowie das ständige Beisammensein von Weiterbilder und Assistent im Unterstellungsverhältnis erwartet.

    Die Autorin erwarb im Jahr 2000 u. a. den Zusatztitel Sozialmedizin im Bundesland Sachsen nach einjähriger Weiterbildungszeit bei einem zur Weiterbildung ermächtigten Arzt in einer Fachklinik. Als sie für sich 2010 die Weiterbildungsermächtigung im Bundesland Baden-Württemberg beantragen wollte, war sie Ärztliche Direktorin von fünf Fachkliniken. Die Weiterbildungsermächtigung wurde nach langem Briefwechsel mit der Kammer letztendlich nicht erteilt, da die Ärztliche Direktorin weder fünf Tage in der Woche acht Stunden am Tag mit dem Weiterbildungsassistenten verbringen noch für ihren Urlaub eine qualifizierte Vertretung bereitstellen konnte (weil sie im gesamten Klinikverbund die einzige Ärztin mit Zusatztitel war). Dagegen klagte sie.

    Nun sind Weiterbildungsassistenten im Fach Sozialmedizin zumeist bereits leitende Ärzte mit einer Gebietsbezeichnung und langjähriger Erfahrung in der Rehabilitation. Sie leiten Fachkliniken, betreiben sozialmedizinische Diagnostik, Behandlung und Begutachtung, haben die Seminare besucht, sollen aber dennoch, so die Erwartung zur Erfüllung der Weiterbildungsordnung, ständig vom Weiterbilder soufflierend umgeben sein.

    In einigen Bundesländern gibt es realitätsbezogenere Regelungen: Zum Beispiel lässt sich dort der Zusatztitel Sozialmedizin zwar nicht in einem Jahr, wie in Baden-Württemberg vorgeschrieben, sondern innerhalb von drei Jahren erwerben, und Weiterbilder und Assistent sind nicht zwangsläufig jeden Tag zusammen an einem Ort, jedoch erfolgt regelmäßig eine nachgewiesene Besprechung und Supervision mit und durch den Weiterbilder. Und gerade das macht ja Weiterbildung aus und unterscheidet diese von theoretischer Wissensvermittlung: die Überführung der beruflichen Erfahrung von Weiterbilder und Assistent in sozialmedizinische Erkenntnisse und Sprache, die Ausbildung einer eigenen inneren Haltung durch die dialogische Qualität der Weiterbildung, die Reibung im kollegialen Diskurs sowie die gemeinsam erlebten und befundeten klinischen Zwangsläufigkeiten, Absonderlichkeiten, Möglichkeiten und Erfahrungen. Wenn die sozialmedizinische Legitimation zur Leitung einer Rehaklinik auf den Besuch der theoretischen Seminare und die Hospitation bei Sozialversicherungsträgern beschränkt würde, dann ließe sie die gesamte berufliche Erfahrung eines klinisch tätigen Arztes außer Acht.

    Nach Ablehnung des Antrags auf Weiterbildungsermächtigung scheiterte der Versuch der Autorin, die Leistungsträger, die sozialmedizinisch qualifizierte Ärzte in den Kliniken brauchen und wünschen, und die Kammer, die die Weiterbildungsordnung verantwortet, zusammenzubringen und über eine praktikable und verantwortungsvolle Regelung der Weiterbildung im Sinne der klinisch tätigen Ärzte zu diskutieren.

    Aktuell ist die Lage also so, dass Ärzte ohne Zusatztitel vom Leistungsträger in ihrer Funktion geduldet sind, die Deutungshoheit über das, was sie tun, obliegt somit aber auch dem Leistungsträger. Wie frei ist dann ein solcher Arzt? Wenn ein Arzt zu Diagnosen kommt, Behandlung plant und durchführt und den Nutzen dieser Behandlung am Ende durch den Entlassungsbericht überprüft und Empfehlungen abgibt, dann tut er das auf der Grundlage seiner Erfahrung, nach vielfältigem kollegialen Austausch und nach intensivem Befassen mit dem Patienten. Er leistet seine Unterschrift in der vollständigen und ernst gemeinten Verantwortung für das Behandlungsergebnis, verbindlich und zuverlässig für den Patienten, aber auch genauso justiziabel. Und das ist in den vielen Kliniken, in denen die leitenden Ärzte nicht den Zusatztitel Sozialmedizin erwerben können, die sich auf das Wort des Leistungsträgers verlassen, dass der Besuch der Seminare reiche, nicht mehr der Fall.

    Die Autorin hatte 2010 für sich erfolglos die Weiterbildungsermächtigung für die Zusatzbezeichnung Sozialmedizin beantragt, um die leitenden Ärzte der genannten fünf Kliniken zu Sozialmedizinern ausbilden zu können. Letztendlich hat sie mit einer Klage beim Verwaltungsgericht in Mannheim in zweiter Instanz im Juni 2014 erstritten, dass die Weiterbildungsbefugnis zu erteilen sei, wenn ein Kammermitglied fachlich und persönlich geeignet und an einer zugelassenen oder zulassungsfähigen Weiterbildungseinrichtung tätig sei. Die Entscheidung über die Erteilung einer Weiterbildungsbefugnis sei, so das Urteil, keine Ermessensentscheidung der Landesärztekammer. Ausschlaggebend sei die fachliche und persönliche Eignung des Weiterbilders, die nicht in den Ermessensspielraum der Ärztekammer falle, sondern durch Kriterien wie z. B. umfassende Sachkunde, Erfahrung und Fertigkeiten auf dem Gebiet der Weiterbildung belegt werde. An dieser fachlichen und persönlichen Eignung der Autorin sowie an der Zulassungsfähigkeit der Weiterbildungseinrichtung hatte die Ärztekammer zu keinem Zeitpunkt Zweifel. Das Gericht urteilte ferner, dass weder die zeitliche Komponente (ganztägige Durchführung unter persönlicher Leitung) zur persönlichen Eignung gehöre, noch seien an die Eignung unverhältnismäßig hohe Anforderungen betreffend Einweisung und Überwachung des Weiterbildungsassistenten zu stellen.

    Mit diesem Urteil ist die Bedeutsamkeit der Weiterbildung für die Qualität und den Bestand von Reha-Einrichtungen, für ganzheitliche sozialmedizinische Behandlung und Rehabilitation und für die Heranbildung ärztlicher Kollegen in der Sozialmedizin gewürdigt. Es stützt die notwendige Unabhängigkeit im ärztlichen Handeln. Die Weiterbildung basiert auf der qualifizierten Weitergabe von sozialmedizinischem Wissen und Denken, gewährleistet die Belegbarkeit einer Klinik und damit deren Existenz, sichert den sozialmedizinisch behandelnden und begutachtenden Arzt juristisch ab und steigert die Behandlungsqualität für die Patienten.

    Der Autorin wurde nach dem Urteil von der Kammer in Aussicht gestellt, dass bei erneuter Beantragung die Weiterbildungsermächtigung selbstverständlich erteilt werde.

    Kontakt:

    über die Redaktion: redaktion@konturen.de

    Angaben zur Autorin:

    Dr. med. Ursula Fennen, MBA
    Fachärztin für Psychiatrie
    -Psychotherapie/Sozialmedizin/Rehabilitationswesen-
    Suchtmedizinische Grundversorgung
    Verkehrsmedizinische Qualifikation

    Dr. Ursula Fennen ist ab 1. März 2016 als Chefärztin in der Fachklinik Hirtenstein, Bolsterlang, tätig.

  • Weiterbildungsermächtigungen in Fachkliniken in Westfalen-Lippe

    Weiterbildungsermächtigungen in Fachkliniken in Westfalen-Lippe

    Dr. Markus Wenning
    Dr. Markus Wenning

    Der Artikel lehnt sich an einen Vortrag an, den der Autor im September 2014 auf der „23. Fachtagung Management in der Suchttherapie“ des Bundesverbandes für stationäre Suchtkrankenhilfe (buss) in Kassel gehalten hat.

    Weiterbildungsbefugnisse – oder Ermächtigungen, wie sie in einigen Ärztekammern heißen – machen einen großen Teil der Attraktivität von Kliniken für junge Ärztinnen und Ärzte aus. Eine Klinik oder Abteilung ohne Weiterbildungsbefugnis ist für Ärzte ohne Facharztkompetenz uninteressant. Dieser Artikel zeigt auf, welche Bedingungen für die Erteilung einer Befugnis gelten und welche Besonderheiten in Fachkliniken zu berücksichtigen sind.

    Weiterbildung ist der geregelte Erwerb festgelegter Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten, um nach Abschluss des Medizinstudiums besondere ärztliche Kompetenzen zu erlangen (§1 (Muster-)Weiterbildungsordnung). Eine geregelte Weiterbildung soll junge Ärztinnen und Ärzte an eine zunehmend selbständigere Tätigkeit in ihrem Fachgebiet heranführen.

    Voraussetzungen für die Erteilung einer Weiterbildungsbefugnis

    Führen der Facharztbezeichnung und Berufserfahrung als Facharzt

    Die Erteilung einer Weiterbildungsbefugnis durch die Ärztekammern stellt eine Akkreditierung dar, die an besondere Voraussetzungen gebunden ist. Einige Bedingungen leuchten unmittelbar ein. Beispielsweise kann eine Befugnis zur Weiterbildung im Gebiet „Psychiatrie und Psychotherapie“ nur erteilt werden, wenn

    • die Ärztin/der Arzt selbst die Bezeichnung „Psychiatrie und Psychotherapie“ führt (§5 (2) (Muster-)Weiterbildungsordnung) und
    • eine mehrjährige Tätigkeit nach Abschluss der Weiterbildung nachweisen kann (§5 (2) (Muster-)Weiterbildungsordnung).

    Die geforderte mehrjährige Tätigkeit nach Abschluss der Weiterbildung trägt der Tatsache Rechnung, dass die Kompetenz eines Facharztes mit Abschluss der Weiterbildung nicht stagniert, sondern durch die berufliche Tätigkeit („Erfahrung“) und Fortbildung erweitert wird. In Westfalen-Lippe sind mindestens zwei Jahre berufliche Tätigkeit nach Abschluss der Weiterbildung erforderlich, um eine Weiterbildungsbefugnis zu bekommen.

    Persönliche Eignung

    Ferner müssen die Weiterbilderin oder der Weiterbilder „persönlich geeignet“ (§ 5 (2) (Muster-)Weiterbildungsordnung) sein. Die „persönliche Eignung“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der im Einzelfall ausgefüllt werden muss. Dazu zählen didaktische ebenso wie organisatorische Fähigkeiten. An einer persönlichen Eignung fehlt es z. B., wenn nicht wahrheitsgemäße Zeugnisse erstellt werden oder falsche Angaben zur eigenen Leistungsstatistik in Anträgen auf eine Weiterbildungsbefugnis (mit dem Ziel einer möglichst hohen Befugnis) gemacht werden.

    Ein zentrales Element der Qualitätssicherung in der Weiterbildung in einem Peer-Review-System ist die Glaubwürdigkeit der Weiterbilder. Ärztekammern, künftige Patienten und Kollegen müssen sich darauf verlassen können, dass Weiterbildungszeugnisse wahrheitsgetreu sind. Anders als in Arbeitszeugnissen sind nicht nur positive Formulierungen möglich, es muss im Gegenteil ein realistisches Bild der Kompetenzen dargelegt werden. Dies schließt ein, auch Defizite oder noch fehlende Weiterbildungsinhalte klar zu benennen. Das Ausstellen fehlerhafter oder bewusst falscher Zeugnisse sowie falsche Angaben zur eigenen Leistungsstatistik in Weiterbildungsanträgen lassen mindestens Zweifel an der Sorgfalt des Antragstellers aufkommen, schlimmstenfalls erfüllen sie den Straftatbestand der mittelbaren Falschbeurkundung (§ 271 StGB – mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bewehrt).

    Gegliedertes Programm für den Weiterbildungsgang

    Jedem Antrag auf Weiterbildungsbefugnis ist ein Curriculum („gegliedertes Programm“; § 5 (5) (Muster-)Weiterbildungsordnung) beizufügen. In diesem Programm soll erläutert werden, wie in der Abteilung/Klinik Weiterbildung vermittelt wird.

    Beurteilung in einem Peer-Review-Verfahren

    Jeder Antrag auf Erteilung oder Erhöhung einer Weiterbildungsbefugnis, jedes Curriculum wird in Westfalen-Lippe von mindestens zwei erfahrenen Weiterbildern beurteilt.

    Befristung von Weiterbildungsbefugnissen

    Weiterbildungsbefugnisse sollen befristet sein. Die medizinische Versorgung in Deutschland unterliegt einer großen Dynamik. Medizinischer Fortschritt und ökonomische Rahmenbedingungen verändern die Bedingungen, unter denen ärztliche Tätigkeit ausgeübt und damit auch erlernt werden kann. Dies erfordert eine regelmäßige Anpassung der Weiterbildungsbefugnisse. In Westfalen-Lippe werden die Befugnisse für alle Gebiete routinemäßig alle sieben bis acht Jahre angepasst und entsprechend befristet.

    Umfang der Weiterbildungsbefugnis

    Für die Erteilung einer so genannten „vollen“ Weiterbildungsbefugnis über die gesamte Weiterbildungszeit ist es erforderlich, das gesamte, in der Weiterbildungsordnung abgebildete Spektrum eines Gebietes in qualitativer und in quantitativer Hinsicht abzudecken. Dabei spielt in Westfalen-Lippe auch die Zahl der Weiterbildungsärzte eine Rolle: Erst aus dem Verhältnis von Leistungsstatistik zu Ärzten in Weiterbildung ergibt sich, ob eine ausreichende Weiterbildung vermittelt werden kann. Abteilungen, die quantitativ oder qualitativ nicht das gesamte Spektrum eines Gebietes abdecken, wie dies bei Fachkliniken der Fall ist, können nur eine eingeschränkte Weiterbildungsbefugnis erhalten. Eine Möglichkeit, die volle Weiterbildung zu vermitteln, besteht dann im Zusammenschluss mit anderen Kliniken zu einem Weiterbildungsverbund.

    Weiterbildung nur an einer Weiterbildungsstätte

    Ein Weiterbildungsarzt soll bei seiner Arbeit jederzeit und unverzüglich einen erfahrenen Facharzt hinzuziehen können. In der Weiterbildungsordnung spiegelt sich dies in dem Umstand wider, dass grundsätzlich kein Arzt eine Weiterbildungsbefugnis erhalten kann, der an mehr als einer Weiterbildungsstelle tätig ist (§ 5 (3) (Muster-)Weiterbildungsordnung). Da zunehmend Chefärztinnen und Chefärzte an mehreren Betriebsstätten tätig sind, ist die Ärztekammer Westfalen-Lippe bei der Vergabe von Befugnissen restriktiv. Ohne fachärztliche Supervision kann keine Weiterbildung erfolgen. Wenn eine Chefärztin/ein Chefarzt an mehreren Betriebsstätten tätig ist, ist die Erteilung einer Weiterbildungsbefugnis in Westfalen-Lippe nur bei folgenden Konstellationen möglich:

    • Nicht der (organisatorische) Leiter der Gesamtabteilung, sondern an den jeweiligen Betriebsstätten tätige Fachärzte beantragen die Weiterbildungsbefugnis.
    • Zusammen mit der Chefärztin/dem Chefarzt beantragen weitere Fachärzte gemeinsam eine so genannte Verbund-Befugnis.

    Evaluation der Weiterbildung

    Standardisierte Befragungen von Ärztinnen und Ärzten zur Qualität ihrer Weiterbildung werden international verwendet, so in Großbritannien (Roff et al., 2005), in Dänemark (Kodal et al., 2012), Japan (Shimizu et al., 2013) und Deutschland (Korzilius, 2011). Für die Ärztekammern in Deutschland ist die Evaluation der Weiterbildung, wie sie in den Jahren 2009, 2011 (jeweils bundesweit) und 2014 (Baden-Württemberg, Nordrhein, Mecklenburg-Vorpommern, Westfalen-Lippe) durchgeführt wurde, ein wichtiger Bestandteil der Qualitätssicherung der Weiterbildung.

    Neben Aussagen über die Qualität der Weiterbildung im Kammergebiet insgesamt oder in verschiedenen Fachgebieten werden für einzelne Abteilungen Berichte erstellt, die Rückschlüsse auf die Qualität der Weiterbildung zulassen (sofern die Befragten einer derartigen Erstellung zustimmen bzw. sich hinreichend viele Ärzte in Weiterbildung beteiligen, so dass ihre Anonymität bei den Antworten gesichert ist). Die Ergebnisse gehen dem Weiterbildungsbefugten zu und ermöglichen die Identifikation von Stärken sowie Schwachstellen und das Aufdecken von Verbesserungspotentialen.

    Bereits der Dialog über die Weiterbildung an einer Klinik setzt Verbesserungsprozesse in Gang. Aber ähnlich wie Befragungen zur Patientenzufriedenheit nur sehr indirekt Aussagen über die Qualität der medizinischen Leistungen zulassen, sind die abteilungsbezogenen Evaluationsberichte keine abschließende Beurteilung über die Qualität der Weiterbildung. Sie sind aber Anlass für einen Einstieg in einen strukturierten Dialog mit der Ärztekammer, der Verbesserungsprozesse fördern soll. Dieser strukturierte Dialog erstreckt sich von Einzelgesprächen mit Weiterbildungsbefugten bis hin zu Visitationen, bei denen die Klinik besucht wird und Gespräche mit allen Beteiligten, insbesondere den Ärzten in Weiterbildung, geführt werden.

    Auf der Homepage der Ärztekammer Westfalen-Lippe werden die Evaluationsberichte der Kliniken und Praxen veröffentlicht (http://www.aekwl.de/index.php?id=5428, abgerufen am 04.10.2015). Die Weiterbildungsstätten können ihre Evaluationsergebnisse kommentieren und außerdem ihr Curriculum einstellen. Die von den Ärztekammern zur Weiterbildung befugten Ärztinnen und Ärzte sind verpflichtet, an Evaluationen und Qualitätssicherungsmaßnahmen zur ärztlichen Weiterbildung teilzunehmen (§ 5 (6) (Muster-)Weiterbildungsordnung).

    Visitationen

    International sind Visitationen ein anerkanntes Instrument der Qualitätssicherung der Weiterbildung (ACGME). Die „Union Européenne des Médecins Spécialistes“ und die „Permanent Working Group of European Junior Hospital Doctors“ empfehlen Vistationen (UEMS, 1997; PWG). Anlassbezogene Visitationen finden in Großbritannien statt (GMC). Auch die Ärztekammer Westfalen-Lippe nimmt solche anlassbezogenen Visitationen vor. Neben den Ergebnissen der Evaluation können auch konkrete Beschwerden Anlass für einen strukturierten Dialog und in der Folge dann Visitationen sein. Bei den Visitationen wird geprüft, ob das der Ärztekammer vorgelegte Weiterbildungscurriculum tatsächlich gelebt wird und ob die Angaben im Antrag auf Weiterbildungsbefugnis zutreffen. In teils getrennten, teils gemeinsamen Gesprächen mit Weiterbildungsärzten und Weiterbildern wird ein authentisches Bild der Weiterbildungssituation an einer Weiterbildungsstätte erkennbar und ggf. gemeinsam mit den Betroffenen eine Lösungsstrategie erarbeitet.

    In bislang ca. 50 Fällen wurden derartige Visitationen in Weiterbildungsstätten in Westfalen-Lippe durchgeführt. In einigen wenigen Fällen wurden Auflagen zur Weiterbildung erteilt, Befugnisse zeitlich eingeschränkt und in einem Fall sogar ganz entzogen. Von den jungen Ärztinnen und Ärzten wurden diese Visitationen positiv aufgenommen, im Nachgang wird von Verbesserungen bei der Weiterbildung berichtet. Eine systematische Analyse wird mit den Ergebnissen der Evaluation 2014 möglich sein.

    Wechsel einer Chefärztin/eines Chefarztes

    In Westfalen-Lippe erhält eine neue Chefärztin/ein neuer Chefarzt grundsätzlich zunächst eine auf zwölf Monate befristete Befugnis in der Höhe der Weiterbildungsbefugnis der Vorgängerin/des Vorgängers. Nach Ablauf von zwölf Monaten muss dann ein erneuter Antrag mit den eigenen Leistungszahlen des zurückliegenden Jahres gestellt werden.

    Gründung einer neuen Abteilung

    Ärztinnen und Ärzte, die neu gegründete Abteilungen leiten, erhalten frühestens nach einem Jahr eine Befugnis zur Weiterbildung, auch wird die Abteilung erst nach dieser Zeit als Weiterbildungsstätte zugelassen. Für Weiterbildungsärzte, die in dieser Zeit in der Klinik tätig sind und Wissen erwerben, kann eine individuelle Prüfung der Anrechenbarkeit von Zeiten und Leistungen erfolgen. Die Weiterbildungsärzte sollen keine Nachteile aus der fehlenden Weiterbildungsbefugnis erdulden müssen.

    Besondere Situation an Fachkliniken

    Fachkliniken haben ein enges Indikationsspektrum, umfassende Befugnisse für die „großen“ Gebiete kommen daher in der Regel nicht in Frage. Hier sollte an die Möglichkeit von Verbundweiterbildungen gedacht werden. In Fachkliniken für Suchttherapie bietet sich eine Verbundweiterbildung mit den Gebieten „Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie“ sowie mit dem Gebiet „Psychiatrie und Psychotherapie“ an. Die „Suchtmedizinische Grundversorgung einschließlich der Substitutionsbehandlung bei Opiatabhängigkeit“ ist integraler Bestandteil der Weiterbildung dieser Gebiete, nicht alle Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie und ‑psychotherapie sowie für Psychiatrie und Psychotherapie können diese Inhalte vermitteln. Für derartige Kliniken ist eine Verbundweiterbildung mit einer Fachklinik für Suchttherapie interessant.

    Kontakt:

    Dr. med. Markus Wenning
    Geschäftsführender Arzt der Ärztekammer Westfalen-Lippe
    wenning@aekwl.de
    www.aekwl.de

    Literatur: