Schlagwort: Ambulante Suchthilfe

  • Die individuelle Lebensqualität verbessern

    Die individuelle Lebensqualität verbessern

    Karl Lesehr

    Zum 31.07.2019 wurden die letzten Teilnehmenden* aus dem Projekt Su+Ber – Sucht und Beruf verabschiedet. Damit wurde dieses Projekt zur Teilhabeverbesserung langzeitarbeitsloser und suchtkranker Menschen nach gut dreieinhalb Jahren mangels weiterer Förderung vorläufig beendet. Wir haben über Su+Ber  ausführlich bereits 2017 in einem zweiteiligen Artikel auf KONTUREN online (Teil 1 + Teil 2) berichtet. Eine abschließende differenzierte und mehrteilige wissenschaftliche Evaluation legte das IFT München planmäßig bis zum Jahresende 2019 vor (PDF zum Download).

    Der hier vorliegende Artikel möchte einen anderen Aspekt, nämlich die innere Projektentwicklung reflektieren. Aus der Sicht eines verantwortlich Beteiligten möchte ich unsere Erfahrung von Hemmnissen und Schwierigkeiten darstellen und zeigen, wie sich unsere Arbeitshaltungen durch diese Erfahrungen im Projektprozess verändert haben. Mit einer solchen, eben nicht nur an Erfolgskennzahlen orientierten Evaluation wollen wir uns auf Entwicklungsschritte einlassen, wie wir sie ja auch von unseren Projekt-Teilnehmenden erhoffen und erwarten. Aufgrund meiner fachlichen Herkunft nehme ich dabei v. a. die Perspektive der Suchthilfe ein; viele meiner Aussagen gelten aber in vergleichbarer Weise auch für den Bereich der Arbeitshilfen.

    Entwicklungsgeschichte und Zielsetzungen des Projekts Su+Ber

    Das Projekt Su+Ber ist in Baden-Württemberg in einem mehrjährigen Diskussionsprozess entstanden, an dem neben zahlreichen Akteuren der Suchthilfe und der Suchtreha auch engagierte Fachkräfte aus Jobcentern und Politikvertreter beteiligt waren. Mit Su+Ber sollte an sechs Standorten für Langzeitarbeitslose mit einem teilhabebeeinträchtigenden Suchtverhalten (Alkohol/Drogen) auf einem ganz neuen Weg eine stabile Reintegration in einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz ermöglicht werden. Wesentliche Teile des Projekts Su+Ber wurden vom Europäischen Sozialfonds (ESF) und vom Land finanziert; die in die Projektkonzeption integrierten und relativ personalintensiven Arbeitsfördermaßnahmen wurden dabei in vollem Umfang von den beteiligten Jobcentern finanziert.

    Suchtprobleme gelten bei der Wiedereingliederung in Arbeit als wesentliches Vermittlungshemmnis. Gleichzeitig ist es ein Grundaxiom der Suchthilfe, dass eine regelmäßige Arbeit entscheidend zu einer gesundheitlichen Stabilisierung suchtkranker Menschen beitragen kann. Die fachliche Entwicklung der medizinischen Suchtreha orientierte sich deshalb stets an dem Ziel einer Reintegration in Arbeit, wofür eine Suchtmittelabstinenz bislang als unumgängliche Voraussetzung galt. Wer allerdings inzwischen die konkreten Arbeitsmarktperspektiven für langzeitarbeitslose Menschen mit Suchtstörungen ehrlich anschaut, für den wird spürbar, dass eine solche vorrangig auf eine formale Arbeitsreintegration orientierte Suchtreha den Teilhabebedürfnissen und -rechten dieser Menschen oft nicht gerecht wird. Die Grundkonzeption unseres Projekts Su+Ber baut zwar notwendigerweise auf diese arbeitsorientierte Tradition der Suchtreha auf, versucht aber, innerhalb der geltenden Rechtssystematik für bestehende versorgungspolitische Schwachstellen neue Lösungen zu finden.

    Konsequente arbeitsorientierte Leistungsvernetzung als Antwort auf Schnittstellenprobleme

    Das Projekt Su+Ber sieht als Antwort auf viele letztlich ungelöste Schnittstellenprobleme bei Maßnahmen zur Arbeitsreintegration im Anschluss an eine Suchtreha eine weitgehende örtliche, zeitliche und personelle Vernetzung aller Fördermaßnahmen: Leistungen der Suchtberatung, Arbeitsfördermaßnahmen der Jobcenter und der Arbeitshilfeträger sowie Leistungen einer arbeitsorientierten ambulanten Suchtreha sollen im Projekt in einer konsequenten Gesamtmaßnahme integriert werden. Zentrale Bausteine des Projekts waren:

    • eine Zielorientierung der Gesamtmaßnahme auf die Gewinnung eines eigenen Arbeitsplatzes unter konsequenter Berücksichtigung der eben auch widersprüchlichen individuellen Entwicklungsinteressen und der nutzbaren Entwicklungsressourcen der Teilnehmenden. Die Orientierung auf einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz sollte alle Beteiligten vor defizit- und mangelorientierten Selbst- und Fremdeinschätzungen und vor zu kleinteiligen Maßnahmenzielen schützen.
    • eine fallbezogene personale Vernetzung aller am Projekt beteiligten Akteure in einem gemeinsamen Clearingprozess und in der Maßnahmenplanung. Die Erfolgsprognose, die sozialleistungsrechtlich erforderlich ist, damit Maßnahmen gewährt werden, orientierte sich nicht an Maximalzielen (Abstinenz, volle Arbeitsintegration), sondern an konkreten Verbesserungen beruflicher Teilhabe und damit verbundener subjektiver Lebensqualität.
    • eine Konzeption der ambulanten Suchtreha, die vorrangig auf die Entwicklung einer hinreichenden Arbeitsfähigkeit orientiert ist und dabei notfalls auch auf den bisherigen Vorrang des gesundheitlichen Maximalziels einer Abstinenz verzichtete.
    • die nahtlose Nutzung aller individuell erfolgversprechenden Fördermaßnahmen der beteiligten Leistungsträger einschließlich einer suchtkompetenten Unterstützung auch im ersten Jahr an einem eigenen Arbeitsplatz.

    Innovation erfordert Mut zum Risiko, erhöht aber auch die institutionellen Erfolgserwartungen

    Ein solcher Projektansatz ließ sich natürlich nur realisieren, indem alle Beteiligten über ihre gewohnten Konzepte und Leistungsformen hinausgingen: So ließen sich die beteiligten Jobcenter auf einen gegenüber sonstigen Arbeitsfördermaßnahmen höheren Personaleinsatz ein. Die DRV Baden-Württemberg wagte den Versuch einer konsequent arbeitsorientierten ambulanten Suchtreha auch unter Verzicht auf die traditionelle Abstinenzbindung. Die Suchtberatungsstellen waren zu sozialräumlichen Kooperationen mit anderen PSBs (Psychosozialen Beratungs- und ambulanten Behandlungsstellen für Suchtgefährdete und Suchtkranke) und zu einem mehrheitlich externen Arbeitseinsatz beim Arbeitshilfeträger aufgefordert. Und für alle beteiligten Fachkräfte galt es, sich im geforderten Clearingprozess und in der fallbezogenen Maßnahmenplanung auf eine personale Kooperation einzulassen und dabei die eigenen fachlichen Sichtweisen und Denktraditionen immer wieder zu hinterfragen.

    Bei den beteiligten Leistungsträgern (Jobcenter und DRV Baden-Württemberg), die für das Projekt substantiell/materiell in Vorleistung gehen mussten, entstand dabei verständlicherweise ein hoher Druck, ihre Aufwendungen/Wagnisse auch durch möglichst gute Ergebniszahlen zu legitimieren. Bei den Jobcentern war dennoch die Bereitschaft, auch die eigenen internen Verwaltungsabläufe auf diese neue Projektstruktur abzustimmen, angesichts der je Standort nur bescheidenen Maßnahmekapazitäten (max. zwölf Plätze) sehr unterschiedlich ausgeprägt. Und auch in der projektbezogenen Kooperation mit der DRV Baden-Württemberg gelang es trotz einer insgesamt vertrauensvollen Arbeitsbasis erst zum Ende des ersten Projektjahres und damit zur Hälfte der anfänglich bewilligten Projektlaufzeit, eine für beide Seiten vertretbare Reha-Konzeption für das Projekt Su+Ber zu verabschieden.

    Schwierigkeiten bei der Teilnehmergewinnung für Su+Ber

    Während solche Schwierigkeiten mit den Leistungsträgern für uns schon in der Projektvorbereitung absehbar waren, hatten wir geglaubt, dass durch die zahlreichen Diskussionen und Fachveranstaltungen der Landesstelle für Suchtfragen im Projektvorlauf und durch ein detailliertes Anforderungsprofil in der ESF-Projektausschreibung bei der Teilnehmergewinnung und in der Projektumsetzung keine größeren Probleme auftreten würden. Tatsächlich hatten wir vor allem im ersten Projektjahr aber an nahezu allen Standorten erhebliche Schwierigkeiten, die in den Arbeitsfördermaßnahmen bereitgestellten Plätze auch zu füllen – deren Auslastung lag in dieser Zeit insgesamt deutlich unter 50 Prozent!

    Als wesentliche Ursachen dieser für uns unerwarteten Entwicklung konnten wir – trotz aller konzeptionellen Absprachen/Vereinbarungen im Vorfeld einer Projektbeteiligung – Folgendes feststellen:

    • Bei vielen Fachkräften der Suchtberatungsstellen herrschte große Skepsis gegenüber einem suchtrehabilitativen Ansatz ohne Abstinenzverpflichtung.
    • In vielen Suchthilfeeinrichtungen wird eine „Reha-Gesamtplanung“ praktiziert, bei der Fragen der Reintegration in Arbeit immer noch meist erst nach einer (stationären) Suchtreha in den Blick genommen wurden.
    • Bei einer Einbeziehung arbeitsorientierter Fördermaßnahmen in die Suchtreha-Planung wurde – unabhängig von der fachlichen Art des Angebots – bevorzugt in trägereigene Maßnahmen vermittelt.

    Offenbar führt eine hohe Autonomie der Fachkräfte in den PSBs bei gleichzeitig subjektiv hoher Arbeitsbelastung in der Fallarbeit dazu, dass vertraute rehabilitative Handlungs- und Denkmuster weitergeführt und innovative Interventionsansätze kaum ernsthaft registriert werden. Im Ergebnis gab es während der drei Projektjahre trotz vielfacher Informationsangebote und Werbung fast ausschließlich von denjenigen Suchtberatungsstellen Vermittlungen in das Projekt Su+Ber, in denen durch Honorarverträge Mitarbeitende unmittelbar in die Projektarbeit eingebunden waren. Aber auch in den direkt am Projekt beteiligten Suchtberatungsstellen gelang es mehrheitlich erst durch eine regelmäßige Präsenz von Projektmitarbeitenden in den eigenen Reha-Teams,  die Quote an Vermittlungen in das „eigene“ Projekt Su+Ber innerhalb der gesamten indikationsgerechten Vermittlungen in Suchtreha zu erhöhen.

    Unterschätzt hatten wir in der Projektplanung aber auch zwei materielle/leistungsrechtliche Faktoren:

    • Aufgrund der knappen Fördermittel für Su+Ber hatten wir für die sechs- bis achtmonatige Projektphase B der Arbeitsförderung und der integrierten ambulanten Suchtreha keine Mehraufwandsentschädigung für die Teilnehmenden vorgesehen. Dadurch waren wir für manchen Kunden/Klienten im Vergleich zu anderen vom Jobcenter angebotenen Maßnahmen aber deutlich weniger attraktiv (ganz unabhängig von der im Projekt ja zusätzlich geforderten offenen Befassung mit dem eigenen Suchtverhalten).
    • Angesichts der in Baden-Württemberg derzeit sehr guten Arbeitsmarktlage erlebten wir es in der Projektphase A (Motivierung und vorläufige Integrationsplanung) immer wieder, dass Interessenten kurzfristig eine Arbeit fanden und deshalb eine Projektteilnahme im Sinne ihres bisherigen Problembewältigungsmusters fallen ließen. Wenn dann nach oft schon absehbaren Krisen dieser Arbeitsplatz wieder verloren ging, griff die Regelung der „schädlichen Unterbrechung“ der Langzeitarbeitslosigkeit: Eine Wiederaufnahme ins Projekt war dann (eigentlich) genauso wie nach längerer Krankschreibung oder auch kurzfristigen Inhaftierungen (v. a. bei Drogenabhängigen) erst wieder nach einer längeren (kontraproduktiven) Wartezeit möglich; ein möglicherweise günstiges „Motivationsfenster“ blieb wegen unsinniger Zuständigkeitsregelungen so ungenutzt.

    Eine von der Projektkonzeption deutlich abweichende Teilnehmenden-Gruppe

    Im Ergebnis bestand unsere Su+Ber-Teilnehmergruppe v. a. aus Menschen, die von den Jobcentern vermittelt wurden und dort nach zahlreichen, aber wirkungsarmen Maßnahmen als weitgehend hoffnungslose Fälle eingestuft worden waren („hartnäckiger Sockel der Langzeitarbeitslosigkeit“). Gleichzeitig fehlten uns aus den Suchtberatungsstellen diejenigen Menschen, die sich dort zum wiederholten Mal aktiv um eine Suchtreha-Maßnahme bemühten.

    Es wurde aber auch deutlich, dass mehr als 80 Prozent unserer Teilnehmenden bereits Vorerfahrungen mit der ambulanten Suchthilfe und etwas mehr als die Hälfte auch Erfahrungen mit Suchtreha-Maßnahmen hatten. Zumindest bei dieser Gruppe stark chronifizierter Langzeitarbeitsloser mit Suchtproblemen ist also davon auszugehen, dass aufgrund zweier im Lebensalltag der Menschen ja zusammenhängender Teilhabe-Beeinträchtigungen häufig auch beide leistungsrechtlich getrennten Hilfesysteme in Anspruch genommen werden, allerdings oft ohne irgendeine erkennbare Kooperation und Abstimmung. Die Zahlen zeigen aber auch, dass wir mit unserem leistungsvernetzten Förder- und Behandlungsangebot von Su+Ber 44 Prozent der Teilnehmenden erstmals für die Nutzung einer Suchtreha-Maßnahme gewinnen konnten.

    Da im Projekt Su+Ber bei den Bemühungen um eine Arbeitsintegration ausdrücklich auch das Suchtverhalten thematisiert werden sollte, war für uns ein freiwilliger und von Sanktionen unabhängiger Zugang zum Projekt grundlegende Bedingung. Daraus leiteten wir die Hypothese ab, dass unsere Projekt-Teilnehmenden trotz ihrer vielfachen Erfahrungen des Scheiterns und vieler aktueller Alltagsprobleme und Beeinträchtigungen sehr wohl weiter an einer Verbesserung ihrer Lebenslage interessiert waren. Auch die zu den formalen Qualifikationen erhobenen Daten lassen vermuten, dass für einen deutlichen Teil der Teilnehmenden die Perspektive einer beruflichen Reintegration keineswegs abwegig ist: Nur 13 Prozent hatten keinen regulären Schulabschluss, aber immerhin 51,5 Prozent hatten eine abgeschlossene Berufsausbildung.

    Entwicklung der Teilnehmerzahl

    In der (nach einer Verlängerung) schließlich dreijährigen Projektlaufzeit haben wir nach ESF-Kriterien 301 Teilnehmende ins Projekt Su+Ber aufgenommen, also in die Projektphase A mit ihrem interinstitutionellen Clearing, der vertieften Motivierung und einer vorläufigen Maßnahmenplanung sowie schließlich der formalen Beantragung der ambulanten Suchtreha-Maßnahme. Tatsächlich wurden dann aber von diesen 301 ernsthaften Projektinteressenten nur 199 Teilnehmende in die Projektphase B übernommen, also in die sechs- bis achtmonatige Arbeitsfördermaßnahme mit integrierter ambulanter Suchtreha.

    Nach allen Erfahrungen aus der Motivierungsarbeit der Suchtberatung hatten wir zwar an diesem Übergang mit einem Schwund an Teilnehmenden gerechnet, der Ausstieg von einem Drittel hat uns aber doch beschäftigt. Ein Teil dieser Quote erklärt sich mit den bereits skizzierten leistungsrechtlichen Regelungen („schädliche Unterbrechung“). Andere Teilnehmende fühlten sich abgeschreckt durch die umfangreichen datenschutzrechtlichen Regelungen, die durch die wissenschaftliche Evaluation notwendig wurden und für die wir auch keine grundlegende Vereinfachung finden konnten.

    In der Analyse wurde für uns aber auch deutlich, dass wir es versäumt hatten, Ansätze und Strukturen für eine projektspezifische Veränderungsmotivierung der Teilnehmenden zu entwickeln. Obwohl wir davon ausgegangen waren, dass die vorrangige Triebfeder für die Beteiligung an Su+Ber bei den meisten Teilnehmenden die Gewinnung eines „vollwertigen“ Arbeitsplatzes sei, fanden die meisten (bestenfalls wöchentlichen) Kontakte der Phase A im rein verbalen Setting der Suchtberatungsstelle statt und gingen von den klassischen Konzepten einer Problemanamnese und Motivationsklärung aus.

    Diese Setting-Strukturen hatten Konsequenzen: Im Durchschnitt wurden diejenigen Teilnehmenden, die in oder nach der Phase A bereits wieder aus dem Projekt ausgeschieden sind, knapp vier Monate lang betreut – aus unserer Sicht viel zu viel Lebenszeit für Menschen, die mit einem  Entwicklungswunsch ins Projekt eingetreten waren. Aufgrund der Erfahrungen aus den supervisorischen Praxiswerkstattrunden vermuten wir zudem, dass in diesen Gesprächen mehrheitlich die Suchtproblematik und aktuelle Alltagsprobleme und weniger individuelle Entwicklungssehnsüchte und Hoffnungen der Teilnehmenden im Mittelpunkt standen. Wir haben es deshalb im zweiten Projektjahr ermöglicht, dass Teilnehmende auch direkt in die Phase B beim Arbeitshilfeträger ins Projekt Su+Ber einsteigen konnten; die für die Projektphase A vorgesehenen Aufgaben konnten dann dort begleitend zu den ersten Arbeitserfahrungen in den ersten drei Wochen bearbeitet und dann nahtlos auch in der ambulanten Suchtreha weitergeführt werden.

    Unterschätzt hatten wir auch einen weiteren Effekt der bereits genannten Skepsis in der ambulanten Suchthilfe gegenüber einem nicht abstinenzgebundenen Suchtreha-Ansatz: An der Mehrzahl der Projektstandorte fanden sich trotz wohlwollender Haltung der PSB-Leitungen nur Fachkräfte für die Mitarbeit im Projekt Su+Ber, die bislang kaum oder gar nicht in Leistungen der ambulanten Suchtreha eingebunden waren. Gleichzeitig fehlte an vielen Standorten aber auch die regelhafte kollegiale Einbindung in das „normale“ Reha-Team. In der Verbindung mit den für alle Beteiligten neuartigen konzeptionellen Anforderungen im Projekt Su+Ber führte dies dazu, dass einige unserer Projektfachkräfte lange Zeit stark verunsichert waren und so die konzeptionellen Entwicklungsräume unserer Reha-Konzeption zunächst kaum für ihre Teilnehmenden nutzen konnten.

    Das Projekt startete aus fördertechnischen Gründen zum Jahresanfang 2016 und damit noch vor dem positiven Ethikvotum zur Evaluationsforschung im Juni 2016. Dies führte – zusammen mit den aufwendigen datenschutzrechtlichen Bestimmungen, die viele Teilnehmende abschreckten – dazu, dass letztlich nur die Daten von etwa 60 Prozent der tatsächlichen Projekt-Teilnehmenden in die wissenschaftliche Evaluation einbezogen werden konnten.

    „Wir haben die falschen Projekt-Teilnehmenden“

    Rückblickend waren die Austauschrunden der ersten anderthalb Projektjahre neben der Klärung vieler formaler und dokumentationsrelevanter Fragen beherrscht von der Feststellung, dass wir an den meisten Standorten zu wenige und dann auch noch die „falschen“ Teilnehmenden im Projekt hätten, d. h. Personen, die voraussichtlich nicht direkt in den Arbeitsmarkt reintegrierbar wären. Dies fand seine Entsprechung auch in den Ergebnissen unseres prognostischen interinstitutionellen Grobclearings in der Projektphase A: Nur für etwa zehn Prozent der Teilnehmenden wurde von den beteiligten Fachkräften eine gemeinsame positive Prognose abgegeben. Offenbar haben sich in der Wahrnehmung der professionellen Akteure viele statistisch belegte Korrelationen („Vermittlungshemmnisse“, störungsbedingte Leistungseinschränkungen, unzureichende Veränderungsmotivation) als quasi persönliche Eigenschaften zu direkten personalen Zuschreibungen verfestigt und damit verselbständigt („mit diesen Problemen kannst du das doch nicht“). Das gemeinsame Grobclearing wurde so v. a. zum Prüfstein, an dem solche verfestigten individuellen oder institutionellen Zuschreibungen deutlich werden konnten; nach unseren bisherigen Auswertungen haben die prognostischen Einschätzungen dieses Grobclearings nur eine geringe Aussagekraft hinsichtlich des tatsächlich erzielten positiven Projektergebnisses.

    Paradoxerweise wird diese Zuschreibung von Schwächen in der individuellen Betreuungsarbeit oft scheinbar bestätigt durch brüchige und widersprüchliche Selbstkonzepte der Teilnehmenden. Deren eigentlich motivierende Einstellung „Ich will arbeiten, ich brauche das!“ wird regelhaft beeinträchtigt oder blockiert durch die chronifizierte Erfahrung „Ich kann es doch nicht recht machen, ich halte das eh nicht durch“. Vielfältige beschämende Erfahrungen des Scheiterns und unerfüllter Eigen- und Fremderwartungen sind offenbar stärker als einzelne Erfolgserfahrungen. Das Selbstwertgefühl der Menschen als „psychisches Immunsystem“ ist kollabiert. Statt auf Entwicklungskräfte und Alltagskompetenzen zu schauen, konzentrieren sich alle Beteiligten in vermeintlich bester Förder- und Entwicklungsabsicht dann faktisch nur noch auf Schwächen und Defizite, die es durch symptomorientierte Interventionen aufzulösen gelte.

    Fallbezogene Leistungsvernetzung als Weg zu einer gemeinsamen Reha-Verantwortung

    Schon als wir uns in der Projektentwicklung mit den Kriterien des Grobclearings befassten, war uns deutlich, welche fatalen Verstärkungseffekte solche problemorientierten individuellen Prognosen für die „gebrochenen Selbstwirksamkeitserfahrungen“ unserer Teilnehmenden haben (können). Im Projekt Su+Ber haben wir deshalb das Grobclearing als ein interdisziplinäres und interinstitutionelles Instrument im Rahmen einer konsequenten Leistungsvernetzung konzipiert. Grundsätzlich war demnach eine Projektteilnahme auch dann möglich, wenn nur eine der beteiligten Institutionen eine positive Prognose aussprach. Dieses Instrument der Leistungsvernetzung forderte somit alle Beteiligten zum intensiven Austausch und Abgleich ihrer Wahrnehmungen und Einschätzungen, ihrer Erfahrungen und Bewertungen heraus.

    Dieser weit über eine gewohnte fachliche Kooperation hinausgehende Vernetzungsanspruch in Su+Ber fand im Projektalltag unterschiedliche Akzeptanz. Einzelne Jobcenter sahen sich organisatorisch grundlegend nicht in der Lage, für die Betreuung aller ihrer Teilnehmenden eine konkret verantwortliche Fachkraft zu benennen. Einzelne Fachkräfte zogen sich in diesem Austausch von Sichtweisen und Argumenten immer wieder auf eine übergeordnete Position als Vertreter eines Leistungsträgers zurück. Die breite Mehrheit der Projektbeteiligten erlebte diesen Vernetzungsprozess jedoch als den zentralen fachlichen Gewinn aus der Projektarbeit. Die fallbezogene Verknüpfung persönlicher Sichtweisen, fachlicher Kompetenzen und unterschiedlicher leistungsrechtlicher Perspektiven wurde als Bereicherung erlebt und als Chance, die komplexe Lebenswirklichkeit und die Entwicklungspotentiale der Teilnehmenden umfassender wahrzunehmen und dann auch für die gewünschten Entwicklungsprozesse zu nutzen.

    Im Zuge dieser gemeinsamen Einlassung auf die Teilnehmenden und deren Lebensentscheidungen spürten die Profis oft auch Respekt und Demut: Es wurde für sie erlebbar, dass es bei allen Angeboten einer Teilhabeförderung für Menschen in stark chronifizierten Lebenslagen weniger um die Befähigung zu einer schnellstmöglichen Erreichung irgendwelcher von außen definierter oder verstärkter Ziele gehen sollte, als vielmehr um die Unterstützung einer eigenverantworteten Entwicklung und die Befähigung zu einer individuell spürbar verbesserten Teilhabe. Letztlich muss es um die Förderung einer individuellen Würde gehen, die sich speist aus entwicklungsorientierten Erfahrungen der Selbstwertschätzung und der Selbstwirksamkeit einerseits und der Erfahrung sozialer Wertschätzung und Achtung andererseits.

    Die Feedbacks, die die Profis im Projektverlauf von ihren Teilnehmenden erhielten, machen deutlich, dass eine derart veränderte Betreuungshaltung sehr wohl wahrgenommen und wertgeschätzt wurde: „Ich musste mich mit meinen Schwierigkeiten nicht mehr verstellen, brauchte keine Angst mehr haben, etwas falsch zu machen.“ „Die Mitarbeit im Projekt hat mich interessiert, Beikonsum war da kein Thema mehr.“ „Wenn ich eine Aufgabe habe, geht es mir besser.“ „Ich kann etwas, auch so, wie ich derzeit bin.“ Und gleichzeitig machen für mich Rückmeldungen einzelner Projektfachkräfte deutlich, dass dieses gemeinsame Bemühen um einzelne, ganz konkrete Menschen auch zur Verbesserung der eigenen professionellen Identität beigetragen hat.

    Verbesserungsmöglichkeiten für Folgeprojekte

    Zusammenfassend halten wir aufgrund unserer Erfahrungen folgende Ansätze für Verbesserungen bei künftigen vergleichbaren Projekten für grundlegend notwendig:

    • Bei Menschen in chronifiziert teilhabebeeinträchtigten Lebenslagen kann jede suchtrehabilitative Verbesserung der individuellen Lebensqualität soziale und berufliche Krankheitsfolgen und Krankheitsschädigungen reduzieren. Suchtreha-Leistungen dürfen deshalb nicht nur mit dem Ziel einer bestmöglich gesicherten Arbeitsintegration gewährt werden; bei Suchtberatungsstellen sollte zugunsten einer individuell möglichen Teilhabeverbesserung auch für eine bedarfsorientierte Nutzung suchtrehabilitativer Ansätze ohne Abstinenzverpflichtung geworben werden, und es sollten entsprechende Interventionskonzepte entwickelt werden.
    • Damit Menschen unserer Zielgruppen sich angesichts einer Vielzahl von Förderansätzen für ein Konzept unter Einbeziehung spezifischer Suchtreha-Leistungen entscheiden können, müssen motivationale Faktoren (z. B. Mehraufwandsentschädigungen, Zeitperspektiven von Maßnahmen) geschaffen und strukturelle Hemmnisse (z. B. „schädliche Unterbrechung“) bestmöglich beseitigt werden. Gegebenenfalls sollten in enger Abstimmung mit den Jobcentern fallbezogen motivationsstützende Förderalternativen gesucht werden.
    • Für einige Interessenten ist statt einer nur verbalen Klärung und Entwicklungsmotivierung ein frühzeitiger Einstieg in eine Maßnahme der Beschäftigungsförderung motivations- und selbstwertstärkend und ermöglicht gleichzeitig allen Beteiligten konkret sichtbare und ansprechbare Informationen über Belastungsgrenzen und lebensweltliche Hemmfaktoren.
    • Für Langzeitarbeitslose mit Suchtproblemen gibt es nach unserer Erfahrung nur selten nachhaltige und subjektiv befriedigende Arbeitsplätze. Bemühungen um eine berufliche Reintegration sollten deshalb nicht nur an formalen Integrationsdaten orientiert sein, sondern – als Maßnahme einer grundlegenden Teilhabeförderung – gleichgewichtig auch an einer Verbesserung persönlicher Lebensqualität und am Erleben von Selbstwert. Eine solche Teilhabeperspektive sollte von allen Beteiligten akzeptiert sein und an gemeinsam vereinbarten Parametern auch dokumentiert werden. Verbindliche Kooperationspartner bei Jobcentern und Arbeitshilfeträgern erleichtern eine solche gemeinsame Teilhabeperspektive.

    Teilhabeförderung muss sich auch in Ergebniszahlen bewähren

    Jede Form psychosozialer Arbeit und jede Teilhabeförderung bewegt sich im Spannungsfeld zwischen von der Gesellschaft getragenen Angeboten und individuellen Bedarfen. Somit ist neben allen subjektiv positiven Effekten auch wichtig, wie hoch die Kosteneffizienz und die Zielerreichung eines neuen Projektes ist. Die unzureichende Belegung der zur Verfügung gestellten Plätze im Projekt Su+Ber bedeutet natürlich schon mal eine relativ schlechte Kosteneffizienz. Wir gehen allerdings aufgrund der Verlaufsentwicklung in den drei Projektjahren davon aus, dass bei einer längeren Projektlaufzeit unsere veränderten Strategien der Teilnehmergewinnung und -haltung auch eine deutlich bessere Auslastung ermöglichen könnten.

    Von den 199 Teilnehmenden, die in die Projektphase B gestartet waren, konnten  42 in eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit überführt werden. Diese Integrationsquote von insgesamt etwa 21 Prozent entspricht nicht unseren ursprünglichen Hoffnungen bei der Projektkonzeption und zumindest teilweise auch nicht den Erwartungen der beteiligten Jobcenter bzw. der DRV Baden-Württemberg. Zudem waren die Integrationsquoten an den einzelnen Projektstandorten – unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktsituation – recht unterschiedlich. Nach unserer Beobachtung spiegeln diese Unterschiede wider, wie intensiv und engagiert sich die Fachleute  der jeweiligen Standorte mit dem Handlungsansatz des Projekts Su+Ber identifiziert und die durch dieses Projekt ermöglichten Handlungsfreiräume auch genutzt haben.

    Es bleibt aber immer noch die Frage, wie eigentlich die Quote von 21 Prozent für die Wiedereingliederung in Arbeit von Menschen unserer Zielgruppen zu bewerten ist bzw. ob nachhaltig wirksamere Maßnahmen für sie konkret zur Verfügung stehen. Es nützt ja wenig, wenn, wie an einem unserer Standorte, nach dem Ende von Su+Ber  zur Sicherung des weiteren Leistungsbezugs der Klientel einfach eine neu benannte Maßnahme aufgelegt wird und die Kunden dann wieder durch eine scheinbar neue Maßnahme geschleust werden. Wir haben uns deshalb in der Analyse unserer Projektarbeit intensiv auseinandergesetzt mit dem Verhältnis von

    • gesellschaftlich geforderten kurzfristigen Ergebniszahlen,
    • den durch SGB IX und das BTHG definierten Anforderungen an eine umfassende Förderung gesellschaftlicher und beruflicher Teilhabe für teilhabebeeinträchtigte Menschen
    • sowie einer subjektiv wahrgenommenen Verbesserung der individuellen Lebenswirklichkeit für die betroffenen Menschen („Lebensqualität“).

    Wir erleben um uns herum eine Praxis der Teilhabeförderung, in der Maßnahmen v. a. nach dem Kriterium kurzfristiger Kosteneinsparung und entlang leistungsrechtlicher Grenzziehungen auf der Basis von Kennzahlen als Verwaltungsakte umgesetzt werden. Dabei werden die betroffenen Menschen zum zu fördernden und zu bewertenden Objekt und letztlich auch zum Störfaktor, weil diese Förderpraxis individuelles Scheitern und kostenträchtige Maßnahmenwiederholungen bei unserer Zielgruppe kaum verringert. Auch wenn wir aufgrund der kurzen  Projektlaufzeit noch keine handfesten Belege liefern können, sind wir nach unseren Erfahrungen aber weiter davon überzeugt, dass – unter Nutzung aller bereits vorhandenen gesellschaftlichen Ressourcen und fachlichen Konzepte – eine konsequent an der Lebenslage der betroffenen Menschen und an ihren Entwicklungssehnsüchten orientierte Förderung/Reha-Maßnahme nicht teurer wäre als die bisherige Praxis, aber für die Teilnehmenden und für die Profis mehr Lebensqualität ermöglichen könnte. Wir brauchen dafür sicherlich neue persönliche Haltungen der Profis, aber wir brauchen auch grundlegende Interventionsansätze, die Handlungsfreiräume schaffen und dazu ermutigen, sich mit den hochkomplexen, natürlich auch widersprüchlichen und biografisch beeinträchtigten „Wirklichkeitskonstruktionen“ von Menschen in chronifizierter sozialer Exklusion auseinanderzusetzen mit dem Ziel einer für sie adäquaten Förderung.

    Was wäre für uns deshalb in einem weiterführenden Projekt wichtig?

    1. Die Praxis von Teilhabeförderung/Behandlung orientiert sich vielfach an linearen Kausalitätsmodellen, denen zufolge einzelne Störungen/Defizite zu Teilhabehemmnissen werden, die behoben werden sollen. Insbesondere die medizinische Suchtreha, die in ihren Anfängen als stationäre Reha ja einen Gegenentwurf zum Lebensalltag der Menschen erlebbar machen wollte, hat die Idee einer rehabilitativen „Befähigung“, die in einem hochspezialisierten Setting effizient vermittelt wird, gefördert. Dieses Modell hat so lange eine gewisse Berechtigung, wie die betroffenen Menschen in der Lage sind, die vermittelten Qualifizierungen/Kompetenzen auch eigenständig und möglichst umfassend in ihren identitätsstiftenden Lebensalltag und ihr Beziehungsnetz zu integrieren. Wenn wir im Kontrast dazu die Alltagsstrukturen von langzeitarbeitslosen Menschen mit Suchtproblemen trotz all ihrer Beeinträchtigung auch als Überlebenshilfen sehen, dann wird klar, dass eigenverantwortete radikale Brüche und Veränderungen in diesem Alltag für diese Menschen kaum möglich und selten nachhaltig sind. Wir sind deshalb davon überzeugt davon, dass nachhaltige Teilhabeförderung für diese Zielgruppen nur in alltagsnahen und im Sozialraum verankerten Strukturen gelingen kann, auch um den Preis, dass individuelle Entwicklungen eben oft nur in kleineren Schritten und mit Brüchen möglich sind.
    2. Obwohl die Arbeit der ambulanten Suchthilfe in vielfacher Weise auf eine berufliche Reintegration ausgerichtet ist, versteht sich die Suchtberatung meist nicht als unmittelbar dafür verantwortlicher Akteur. Wenn aber nicht mehr nur die Suchtstörung, sondern deren chronifizierte Einbindung in eine umfassende Lebenslage Grundlage der Hilfen und einer Teilhabeförderung werden soll, dann reicht es nicht, wenn einzelne Fachkräfte in kleinen Projekten sich einem solchen Perspektivenwechsel stellen. In Baden-Württemberg, wo die Kommunen die Hauptfinanziers der Suchtberatung sind, müssen wir vielmehr Land und Kommunen für eine solche gemeinsame Fallverantwortung in der beruflichen Reintegration gewinnen, z. B. indem projektunabhängig die Effekte der Suchtberatung für eine berufliche Reintegration differenziert beobachtet und Verbesserungsmöglichkeiten gesucht werden.
    3. Michael Bohne hat in seiner Arbeit sehr anschaulich ausgeführt, wie beschämende Erfahrungen hirnphysiologisch als vorrangige „Gefahreninformation“ abgespeichert werden und in der Folge manches positive Erleben überlagern. In seinen „Big Five der Lösungsblockaden“ beschreibt er Blockaden, die in einem sehr großen Ausmaß auch bei unseren Projekt-Teilnehmenden vorzufinden waren. In der Teilhabeförderung für Menschen in chronifizierten Lebenslagen muss es für uns darum gehen, solche beschämenden Erfahrungen des Scheiterns genauso zu vermeiden wie kurzfristige Erfolgserfahrungen, die die Betroffenen (noch) nicht als Selbstwirksamkeitserfahrung integrieren können, sondern als Glück, Zufall oder als überwiegend externe Unterstützung empfinden (vgl. Sußebach & Willeke, 2019). Wie in jedem guten Management brauchen wir auch für die Teilhabeförderung eine transparente und ehrliche Kultur der Fehlerfreundlichkeit, die Scheitern und Irrtum nicht ausblendet, aber dies als Markierung auf einem eigenverantworteten Entwicklungsweg versteht.
    4. Um solche veränderten Perspektiven plausibel und zu einer effizienten Arbeitsgrundlage werden zu lassen, ist nach unserer Erfahrung eine konsequente fallbezogene Leistungsvernetzung unter der Idee einer gemeinsamen Entwicklungsverantwortung unumgänglich. Bislang legitimiert sich jede Institution über eine abgegrenzte Handlungs- und Leistungsperspektive und wähnt sich in ihrer Abgegrenztheit als wirksamer Partner. Aber erst in einer fallbezogenen Leistungsvernetzung, in der die bestmögliche Förderung gemeinsam in den Blick genommen wird sowie die Möglichkeiten der beteiligten Institutionen und Personen eingefordert und die Grenzen berücksichtigt werden, kann sich eine Teilhabeförderung entwickeln, bei der die Chance auf eine realistische Unterstützung der bestehenden Entwicklungssehnsüchte und -ressourcen der betroffenen Menschen besteht.
    5. Im Projekt Su+Ber haben wir erlebt, wie viel Handlungsenergie im Projekt abgezogen wurde für die Klärung und Einhaltung formalistischer Vorgaben. Wenn Qualität und Effizienz nur noch an formalen Kennwerten gemessen werden, gehen Kreativität und bedarfsorientierte Flexibilität verloren und Entwicklungsförderung verkommt zum Versuch einer Dressur. Entwicklung braucht Zeit, braucht klare, reale Orientierungen, aber auch die Chance zu Irrtümern und Umwegen. In diesem Sinne wünschen wir uns eine Weiterführung von Erfahrungen wie aus unserem Projekt Su+Ber.

    „Gesund ist nicht, wer keine Beeinträchtigung hat, sondern wer einen kreativen Umgang mit seiner Begrenztheit und seiner grundsätzlichen Versehrbarkeit gefunden hat.“ (Giovanni Maio, Medizinethiker)

    Weitere Informationen und Berichte aus dem Projekt:
    https://www.werkstatt-paritaet-bw.de/abgeschlossene-projekte/suber-sucht-und-beruf/
    (für die Berichte nach unten scrollen)

    *Im Text wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit überwiegend die männliche Form verwendet, Frauen sind miteingeschlossen.

    Kontakt:

    Karl Lesehr
    lesehr@paritaet-bw.de

    Textverweise (die Unterlagen sind über den Verfasser erhältlich):
    • Werkstatt Parität gGmbh: Rahmenkonzeption für eine bei ihrer Arbeitsorientierung leistungsvernetzte ambulante Suchtrehabilitation im Rahmen des ESF-Projekts Su+Ber. Stuttgart, 12/2016
    • Sara Specht, Karl Lesehr: Das Landes-ESF-Projekt Su+Ber: Sucht und Beruf – Beruflicher Neustart trotz Sucht. Beitrag zu den 24. Suchttherapietagen in Hamburg. 11.06.2019
    • Michael Bohne, Sabine Ebersberger: Synergien nutzen mit PEP. Heidelberg 2019 (Carl Auer-Verlag)
    • Interview mit Michael Bohne zu den Big Five Lösungsblockaden: https://www.youtube.com/watch?v=5i8i7bhGfZw
    • Henning Sußebach, Stefan Willeke: „Die Fee von Fulda“, in: DIE ZEIT 15/2019, 4.4.2019
    Angaben zum Autor:

    Karl Lesehr (70) war 18 Jahre als Mitarbeiter und Leiter einer Suchtberatungsstelle tätig. Danach arbeitete er seit 2001 als Referent für Suchthilfe beim Diakonischen Werk Württemberg und ab 2009 beim PARITÄTISCHEN Baden-Württemberg. Als Ruheständler nimmt er Beratungsaufträge wahr. Neben der „Fachberatung Sucht“ im von ihm wesentlich initiierten ESF-Projekt Su+Ber hat er in den letzten Jahren noch das Landesprojekt VVSub (zur verbesserten Behandlungskooperation zwischen Arzt und Suchtberatung in der Substitutionsbehandlung) verantwortet.

  • Zur Situation der arbeitslosen Klientel in der deutschen Suchthilfe

    Zur Situation der arbeitslosen Klientel in der deutschen Suchthilfe

    Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsneutrale Differenzierung (z. B. Klientinnen und Klienten) verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für beide Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

    Hintergrund und Zielsetzung

    Personen, die arbeitslos sind, weisen im Vergleich zu Erwerbstätigen diverse Risikofaktoren in Bezug auf ihren Gesundheitszustand auf. So wurde in einer Metaanalyse Arbeitslosigkeit als Ursache für zahlreiche Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit Langzeiterwerbsloser gefunden (Paul & Moser, 2009). Arbeitslosigkeit gilt als Risikofaktor für die Entwicklung psychischer und psychosomatischer Symptome und ist Grund für schlechtes subjektives Wohlbefinden und ein geringes Selbstbewusstsein. Auch auf ein problematischeres Substanzkonsum- bzw. Suchtverhalten unter arbeitslosen Personen gibt es Hinweise (Hollederer, 2008). Diskutiert werden mehrere Zusammenhänge von Arbeitslosigkeit und Suchterkrankungen (Henkel, 2011):

    1. Arbeitslosigkeit erhöht das Risiko für riskanten Substanzkonsum und Abhängigkeitserkrankungen.
    2. Chronisches Suchtverhalten führt häufig zum Verlust des Arbeitsplatzes und verringert gleichzeitig die Perspektive auf ein Beschäftigungsverhältnis.
    3. Das schulisch-berufliche Qualifizierungsniveau ist bei einem hohen Anteil Suchtkranker, die sich in Behandlung befinden, gering, was bereits für sich genommen ein bedeutender Risikofaktor für Arbeitslosigkeit ist.
    4. Substanzabhängige, die nach der Suchtbehandlung arbeitslos bleiben, sind deutlich stärker gefährdet, rückfällig zu werden, als Erwerbstätige.

    Hinweise für die letzten beiden Punkte finden sich beispielsweise in der ARA-Studie (Henkel, Dornbusch & Zemlin, 2005; Zemlin, Henkel & Dornbusch, 2006), in der arbeitslose Alkoholabhängige nach Behandlung schlechtere Werte in den Bereichen Lebenszufriedenheit, Problembewältigungsstrategien, physische und psychische Gesundheit sowie in der sozialen Integration und Partizipation aufweisen und höhere Rückfallraten haben als Erwerbstätige. Unter den Arbeitslosen war der Anteil derjenigen ohne Berufsausbildung höher als bei Erwerbstätigen. Dies bestätigte sich auch in einer Untersuchung der Klientel in der deutschen Suchthilfe (Kipke et al., 2015). Arbeitslose Klienten, die aufgrund einer Hauptdiagnose im Bereich illegaler Substanzen in Beratung oder Betreuung waren, verfügten beinahe doppelt so häufig über keine abgeschlossene Hochschul- oder Berufsausbildung wie erwerbstätige Klienten.

    Auch die Daten zur Inanspruchnahme des Hilfesystems zeigen deutliche Zusammenhänge zwischen Erwerbsstatus und Suchterkrankungen. Eine Auswertung der Leistungsdaten aller AOK-Versicherten, die in den Jahren 2007 bis 2012 in ambulanter oder stationärer medizinischer Behandlung waren, zeigt, dass in der Population von Hartz IV-Empfangenden im Vergleich zu Kurzzeitarbeitslosen und Erwerbstätigen Suchtprobleme – unabhängig von Alter und Geschlecht – deutlich verbreiteter sind (Henkel & Schröder, 2015). Insgesamt 10,2 Prozent der ALG II-Bezieher (Arbeitslosengeld II) wurden mit einer Suchtdiagnose gemäß ICD-10 diagnostiziert. Bei ALG I-Empfängern betrug diese Diagnoserate 6,3 Prozent und bei Erwerbstätigen 3,7 Prozent.

    Auch im suchtspezifischen Versorgungssegment liegt eine deutliche Belastung der Klientel durch Arbeitslosigkeit vor. Die jüngsten Daten der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) zeigen, dass über alle Hauptdiagnosen (HD) hinweg im Jahr 2015 mehr als jeder dritte Klient (38 Prozent) in ambulanten und jeder zweite Patient (53 Prozent) in stationären Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe am Tag vor Betreuungsbeginn ALG I oder ALG II bezog (Braun, Brand & Künzel, 2016a; alle Daten der DSHS sind verfügbar unter: http://www.suchthilfestatistik.de/).

    Im Rahmen dieses Beitrags soll mithilfe der Daten der DSHS die Entwicklung der letzten Jahre sowie die aktuelle Situation der arbeitslosen Klientel, die wegen suchtbezogener Probleme in Betreuung/Behandlung ist, dargestellt werden. Der Beitrag schreibt eine Arbeit fort, die Trendverläufe bis 2011 darstellte (Kipke et al., 2015).

    Alle zugrundeliegenden Daten aus der DSHS beziehen sich auf Betreuungs-/Behandlungsepisoden, die synonym auch als Fälle bezeichnet werden. Da derselbe Klient mehrere Behandlungsepisoden in einem Berichtsjahr absolviert haben kann, ist die Zahl der Fälle ungleich der Zahl der Klienten. Dasselbe gilt im stationären Setting für Patienten. Der einfacheren Lesbarkeit halber wird dennoch teilweise der Begriff Klient/Patient benutzt.

    Methodik

    Es werden wesentliche Charakteristika von arbeitslosen Klienten in ambulanten und stationären Suchthilfeeinrichtungen im zeitlichen Verlauf von 2007 bis 2015 dargestellt. Des Weiteren wird eine vergleichende Charakterisierung der arbeitslosen und erwerbstätigen Klientel im ambulanten Setting vorgenommen. Folgende Datenquellen werden herangezogen: 1) Für die Verlaufsdarstellung werden Daten der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS; aktuellster Tabellenband: Braun, Brand & Künzel, 2016; alle Tabellenbände verfügbar unter: https.//www.suchthilfestatistik.de/daten) genutzt, die jedes Jahr bundesweit in ambulanten Suchtberatungs-/behandlungseinrichtungen sowie (teil-) stationären Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen erhoben wurden. 2) Für die vergleichende Charakterisierung der Klientel werden Daten von Klienten mit unterschiedlichem Erwerbsstatus in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen hinsichtlich ihres soziodemographischen Hintergrunds, ihrer spezifischen Suchtproblematik und ihrer Betreuungsmerkmale gegenübergestellt (siehe Kurzbericht 2/2016 der DSHS; Künzel, Specht & Braun, 2016).

    Eine ausführliche Beschreibung der Methodik der Deutschen Suchthilfestatistik findet sich in Dauber, Specht, Künzel und Braun (2016). Die Daten der DSHS ermöglichen eine systematische Analyse von Trends in Suchthilfeeinrichtungen, insbesondere aufgrund ihrer hohen Erreichungsquote in der ambulanten (geschätzte Erreichungsquote ≥ 74 Prozent) und stationären (geschätzte Erreichungsquote ≥ 64 Prozent) Suchthilfe (Dauber et al. 2016) und der hohen Vergleichbarkeit der Daten. Diese Vergleichbarkeit wird durch die einheitliche Verwendung des Deutschen Kerndatensatzes zur Dokumentation im Bereich der Suchthilfe erzielt (KDS; DHS, 2007). Die Grundgesamtheit der vorliegenden Analyse schließt alle Fälle ein, für die eine Hauptdiagnose (HD) vergeben wurde. Sie bezieht sich in ambulanten Einrichtungen auf alle Fälle, die im jeweiligen Jahr eine Betreuung begonnen bzw. beendet haben („Zugänge/Beender“) und im stationären Bereich auf alle Fälle, die im jeweiligen Jahr eine Betreuung beendet haben („Beender“). Für die Beschreibung der Arbeitslosenanteile in der Suchthilfe zwischen 2007 und 2015 wurden alle Fälle als „arbeitslos“ definiert, bei denen in den letzten sechs Monaten vor Betreuungsbeginn Arbeitslosigkeit nach Sozialgesetzbuch (SGB) II oder SGB III vorlag. In der Vergleichsgruppe „erwerbstätig“ wurden alle Fälle der erfassten Kategorien zu Erwerbstätigkeit zusammengefasst („Auszubildender“, „Arbeiter/Angestellter/Beamter“, „Selbstständig/Freiberufler“, „in beruflicher Rehabilitation“, „Sonstige Erwerbsperson“).

    Für die vergleichende Gegenüberstellung von Klienten mit unterschiedlichem Erwerbsstatus wurden Daten zum Erwerbsstatus aus dem ambulanten Suchthilfesetting im Jahr 2015 in Gruppen zusammengefasst (Künzel et al., 2016): a) arbeitslose Klientel: Klienten, die am Tag vor Betreuungsbeginn und am Tag nach Betreuungsende arbeitslos nach SGB II oder SGB III waren, und b) erwerbstätige Klientel: Klienten, die am Tag vor und am Tag nach der Betreuung erwerbstätig waren.

    Ergebnisse

    Trends der Jahre 2007 bis 2015

    Die Zahlen aus dem Jahr 2015 zeigen, dass der Anteil an arbeitslosen Klienten, die bereits sechs Monate vor Betreuungsbeginn erwerbslos waren, bei Fällen mit HD Opioide sowohl in ambulanten als auch in stationären Einrichtungen am höchsten (ambulant: 58 Prozent; stationär: 67 Prozent) und bei Fällen mit HD Stimulanzien am zweithöchsten (ambulant: 46 Prozent; stationär: 63 Prozent) war. Insgesamt ist der Anteil der Erwerbslosen im Verlauf der Jahre 2007 bis 2015 über alle HD in ambulanten Einrichtungen um etwa vier Prozentpunkte auf 36 Prozent gesunken und in stationären Einrichtungen um etwa einen Prozentpunkt auf 48 Prozent gestiegen. Der Anteil arbeitsloser Patienten war in stationären Einrichtungen insgesamt höher als in ambulanten Einrichtungen. Der größte Unterschied zwischen ambulantem und stationärem Setting in Bezug auf die Hauptdiagnosen fand sich bei Fällen mit HD Cannabis. Bei diesen Fällen lag im Jahr 2015 der Anteil Erwerbsloser bei 31 Prozent im ambulanten und bei 60 Prozent im stationären Setting.

    Die Anteile der arbeitslosen Klienten an allen Klienten in ambulanten und stationären Einrichtungen insgesamt sowie differenziert nach den Hauptdiagnosen Alkohol, Opioide, Cannabis, Kokain, Stimulanzien und Pathologisches Glückspielen sind in Abbildung 1 dargestellt. Der Anteil an erwerbslosen Patienten ist zwischen 2007 und 2015 im stationären Bereich bei Fällen mit HD Stimulanzien am stärksten (+16 Prozentpunkte) und bei Fällen mit HD Opioide am zweitstärksten (+9 Prozentpunkte) angestiegen. In ambulanten Einrichtungen war der stärkste Anstieg der Anteile Arbeitsloser ebenfalls bei Fällen mit HD Stimulanzien (+8 Prozentpunkte) zu beobachten, während der Anteil bei Fällen mit HD Alkohol am stärksten (-7 Prozentpunkte) zurückging.

    Abbildung 1: Anteil arbeitsloser Klientel in der Deutschen Suchthilfestatistik von 2007 bis 2015 gesamt und nach Hauptdiagnosen, getrennt für ambulantes und stationäres Setting

    Merkmale der Klientel mit unterschiedlichem Erwerbsstatus in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen im Jahr 2015

    Fast alle Klienten (97 Prozent), die einen Tag vor der Betreuung erwerbstätig waren, befanden sich bereits sechs Monate vor Betreuungsbeginn in einem Arbeitsverhältnis, und 91 Prozent der arbeitslosen Klienten bezogen bereits sechs Monate vor Betreuungsbeginn Arbeitslosengeld (elf Prozent ALG I; 80 Prozent ALG II).

    Der Anteil Alleinstehender war bei arbeitslosen Klienten deutlich höher (59 Prozent) als bei Erwerbstätigen (40 Prozent). Auch das Bildungsniveau der Klienten variierte nach dem Erwerbsstatus (s. Abbildung 2). Arbeitslose Klienten verfügten deutlich seltener über eine (Fach-)Hochschulreife (acht Prozent vs. Erwerbstätige: 18 Prozent) oder über einen Realschulabschluss (27 Prozent vs. Erwerbstätige: 38 Prozent) und hatten häufiger die Schule ohne Abschluss verlassen als Erwerbstätige (13 Prozent vs. Erwerbstätige: vier Prozent). Zudem hatte beinahe die Hälfte der arbeitslosen Klienten keine abgeschlossene Berufsausbildung (46 Prozent vs. Erwerbstätige: 14 Prozent).

    Abbildung 2: Höchster Schulabschluss erwerbstätiger und arbeitsloser Klienten in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen (DSHS 2015; Künzel, Specht & Braun, 2015)

    Neben soziodemographischen Merkmalen ergeben sich auch in der spezifischen Suchtproblematik Unterschiede zwischen Klienten in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen mit unterschiedlichem Erwerbsstatus. Während eine alkoholbezogene HD häufiger bei Erwerbstätigen vorlag, wiesen arbeitslose Klienten häufiger eine HD aus dem Spektrum der illegalen Substanzen auf. Die HD Opioide fand sich bei arbeitslosen Klienten fast viermal so häufig (22 Prozent  vs. Erwerbstätige: sechs Prozent) und die HD Stimulanzien mehr als doppelt so häufig (elf Prozent vs. Erwerbstätige: fünf Prozent) wie bei Erwerbstätigen. Substanzbezogene Zusatzdiagnosen waren bei arbeitslosen Klienten häufiger als bei erwerbstätigen, insbesondere alkoholbezogene Störungen kamen deutlich häufiger vor.

    Bezüglich der Betreuung von Klienten mit unterschiedlichem Erwerbsstatus in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen ergab sich, dass bei Substituierten fast viermal so häufig eine psychosoziale Begleitbetreuung vorlag, wenn sie arbeitslos waren, als wenn sie erwerbstätig waren (elf Prozent vs. drei Prozent). Zudem war der Anteil an Klienten, die ihre Betreuung unplanmäßig beendeten, unter den Arbeitslosen deutlich höher (43 Prozent) als unter den Erwerbstätigen (32 Prozent). Arbeitslose Klienten wurden nach Betreuungsende häufiger in eine stationäre Rehabilitationseinrichtung weitervermittelt als erwerbstätige (42 Prozent vs. 30 Prozent), während bei Erwerbstätigen die Vermittlung in eine Selbsthilfegruppe am häufigsten war (34 Prozent vs. 16 Prozent). Ein positives Betreuungsergebnis am Ende der Betreuung lag, unabhängig von der Art der Beendigung, bei erwerbstätigen Klienten häufiger vor als bei arbeitslosen Klienten (bei planmäßiger Beendigung: 86 Prozent vs. 72 Prozent; bei unplanmäßiger Beendigung: 43 Prozent vs. 28 Prozent). Arbeitslosen Klienten wurde häufiger eine Verschlechterung des Zustandes nach der Behandlung als Ergebnis attestiert als erwerbstätigen Klienten (bei planmäßiger Beendigung: zwei Prozent vs. ein Prozent; bei unplanmäßiger Beendigung: acht Prozent vs. vier Prozent).

    Diskussion

    Bei erwerbslosen Klienten liegen spezifische gesundheitsrelevante Risiken vor, die in der Literatur berichtet werden (Hollederer, 2008; Paul & Moser, 2009; Henkel et al., 2005; Zemlin et al., 2006). Dies spiegelt sich bei einem hohen Anteil arbeitsloser Klienten und Patienten in deutschen Suchthilfeeinrichtungen wider. Im Jahr 2015 war mehr als jeder dritte Klient in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen und fast jeder zweite Patient im stationären Setting arbeitslos. Im Verlauf von 2007 bis 2015 zeigte sich im ambulanten Setting ein leichter Rückgang und im stationären Setting ein leichter Anstieg des Anteils der arbeitslosen Klientel.

    Der größte Unterschied im Anteil arbeitsloser Klienten zwischen ambulanten und stationären Behandlungssetting fand sich im Jahr 2015 bei der HD Cannabis (31 Prozent vs. 60 Prozent). Dieser Unterschied erklärt sich möglicherweise dadurch, dass im Vergleich zu ambulanten Klienten stationäre Cannabispatienten eine deutlich schwerere Störungsausprägung aufweisen, die im Zusammenhang steht mit auffallend hohem Konsum weiterer Substanzen und dem damit verbundenen erhöhten Risiko für die Entwicklung komorbider psychischer Störungen (Brand et al., 2016). Zusätzlich sind stationäre Cannabispatienten durch eine äußerst ungünstige (psycho-)soziale Situation belastet und scheinen im Vergleich zu ambulanten Cannabispatienten gerade in den Bereichen „Schule, Ausbildung, Beruf“ deutlich benachteiligt zu sein (Brand et al., 2016).

    Der höchste Anteil arbeitsloser Klienten fand sich sowohl im ambulanten als auch im stationären Behandlungssetting bei der HD Opioide. Bei etwa zwei Drittel der Klienten, die sich aufgrund einer opioidbezogenen Störung in Behandlung begaben, lag Arbeitslosigkeit vor. Allerdings waren nicht nur Klienten mit der HD Opioide deutlich häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen, sondern auch Klienten mit der HD Stimulanzien. So zeigten die Trendbeobachtungen seit 2007 auch einen deutlichen Anstieg des Anteils Erwerbsloser mit HD Stimulanzien, so dass im Jahr 2015 im stationären Bereich 63 Prozent der Klienten mit HD Stimulanzien erwerbslos waren. Dies könnte bedingt sein durch die schnelle Entwicklung psychischer Auffälligkeiten als Konsequenz des Stimulanzienkonsums, was auch den Verlust des Arbeitsplatzes zur Folge haben könnte (Milin, Schäfer & Mühlig, 2016). Dadurch wiederum könnte sich die Motivation für eine (insbesondere stationäre) Behandlung erhöhen (Kipke et al., 2015).

    Die Ergebnisse der Gegenüberstellung erwerbstätiger und arbeitsloser Klienten in ambulanten Einrichtungen bestätigen vorliegende Erkenntnisse zu soziodemographischen und gesundheitsrelevanten Zusammenhängen von Arbeitslosigkeit und Suchterkrankung (Henkel et al., 2005; Zemlin et al., 2006). Auch ein Vergleich des sozioökonomischen Status arbeitsloser Suchtkranker im Jahr 2009 (Kipke et al., 2015) mit der aktuellen Situation im Jahr 2015 bestätigt diese Befunde. Nach wie vor liegt bei arbeitslosen Suchtkranken eine deutlich schlechtere Qualifizierung hinsichtlich Schul- und Ausbildungsabschluss vor. Die aktuelle Situation arbeitsloser Suchtkranker zeigt auch, dass deutlich mehr arbeitslose als erwerbstätige Klienten ohne feste Partnerschaft leben. Entsprechend können fast zwei Drittel der arbeitslosen Klienten nicht auf diese wichtige Ressource zurückgreifen. Außerdem weisen Klienten, bei denen während der Suchtbehandlung Arbeitslosigkeit vorlag, häufiger eine HD aus dem Spektrum der illegalen Substanzen sowie deutlich häufiger substanzbezogene Zusatzdiagnosen auf als erwerbstätige Klienten. Diese Beobachtungen untermauern weiterhin bestehende Hinweise auf ein erhöhtes Risiko Arbeitsloser für riskanten Substanzkonsum und ein ungünstigeres Gesundheits- und Suchtverhalten (Hollederer, 2008; Henkel, 2011).

    Die spezifischen Suchtproblematiken, die bei arbeitslosen Klienten beobachtet wurden, schlagen sich offenbar auch in den Daten zum Betreuungsabschluss nieder. Klienten, die arbeitslos waren, brachen die ambulante Suchtbehandlung häufiger vorzeitig ab und bekamen, unabhängig von der Art der Beendigung, häufiger eine Verschlechterung ihres Zustandes nach Behandlungsende attestiert als erwerbstätige Klienten.

    Schlussfolgernd ist festzuhalten, dass sich die dargestellten epidemiologischen Trends in Bezug auf arbeitslose Klienten/Patienten in der Deutschen Suchthilfe (Kipke et al., 2015) weiter fortsetzen und die Unterschiede der sozioökonomischen Charakteristika zwischen Arbeitslosen und Erwerbstätigen in der Suchthilfe über die letzten Jahre eine hohe Stabilität aufwiesen.

    Danksagung

    Das Projekt „Deutsche Suchthilfestatistik“ wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Gesundheit gefördert. Unser Dank gilt den teilnehmenden Klienten/Patienten und Einrichtungen sowie den Mitgliedern des Fachbeirats Suchthilfestatistik (R. Gaßmann, A. Koch, P. Missel, G. Sauermann, R. Walter–Hamann, T. Wessel).

    Deklaration möglicher Interessenkonflikte

    Es bestehen keinerlei Interessenkonflikte im Zusammenhang mit der Erstellung dieser Publikation.

    Kontakt:

    Rebecca Thaller
    IFT Institut für Therapieforschung
    Parzivalstraße 25
    80804 München
    Tel. 089/36 08 04 63
    Fax 089 – 36 08 04 49
    thaller@ift.de
    http://www.ift.de/

    Angaben zu den Autorinnen:

    Rebecca Thaller (M.Sc. Psych.), Sara Specht (MPH) und Jutta Künzel (Dipl.-Psych.) sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am IFT Institut für Therapieforschung, München, im Bereich Therapie- und Versorgungsforschung. Dr. Barbara Braun (Dipl.-Psych.) leitet am IFT den Bereich Therapie- und Versorgungsforschung sowie den Bereich Forschung Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern.

    Literatur:
    • Brand, H., Künzel, J., Pfeiffer-Gerschel, T. & Braun, B. (2016). Cannabisbezogene Störungen in der Suchthilfe: Inanspruchnahme, Klientel und Behandlungserfolg. SUCHT, 62(1), 9 -21.
    • Braun, B., Brand, H. & Künzel, J. (2016a). Deutsche Suchthilfestatistik 2015. Alle Bundesländer. Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (Typ 3 und 4). Bezugsgruppe: Zugänge Beender ohne Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Braun, B., Brand, H. & Künzel, J. (2016b). Deutsche Suchthilfestatistik 2015. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitations-einrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Braun, B., Brand, H. & Künzel, J. (2015a). Deutsche Suchthilfestatistik 2014. Alle Bundesländer. Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (Typ 3 und 4). Bezugsgruppe: Zugänge Beender ohne Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Braun, B., Brand, H. & Künzel, J. (2015b). Deutsche Suchthilfestatistik 2014. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitations-einrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Braun, B., Brand, H., Künzel, J. & Pfeiffer- Gerschel, T. (2014a). Deutsche Suchthilfestatistik 2013. Alle Bundesländer. Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (Typ 3 und 4). Bezugsgruppe: Zugänge Beender ohne Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Braun, B., Brand, H. & Künzel, J. (2014b). Deutsche Suchthilfestatistik 2013. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
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    • Pfeiffer-Gerschel, T. Steppan, M. & Brand, B. (2013b). Deutsche Suchthilfestatistik 2012. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Pfeiffer-Gerschel, T., Kipke, I. & Steppan, M. (2012a).  Deutsche Suchthilfestatistik 2011. Alle Bundesländer. Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (Typ 3 und 4). Bezugsgruppe: Zugänge Beender ohne Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Pfeiffer-Gerschel, T., Kipke, I. & Steppan, M. (2012b).  Deutsche Suchthilfestatistik 2011. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Pfeiffer-Gerschel, T., Kipke, I. & Steppan, M. (2011a).  Deutsche Suchthilfestatistik 2010. Alle Bundesländer. Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (Typ 3 und 4). Bezugsgruppe: Zugänge Beender ohne Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Pfeiffer-Gerschel, T., Kipke, I. & Steppan, M. (2011b). Deutsche Suchthilfestatistik 2010. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Pfeiffer-Gerschel, T., Kipke, I. & Steppan, M. (2010a). Deutsche Suchthilfestatistik 2009. Alle Bundesländer. Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (Typ 3 und 4). Bezugsgruppe: Zugänge Beender ohne Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Pfeiffer-Gerschel, T., Kipke, I. & Steppan, M. (2010b). Deutsche Suchthilfestatistik 2009. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
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    • Pfeiffer-Gerschel T., Hildebrand A. & Wegmann, L. (2009b). Deutsche Suchthilfestatistik 2008. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitations-einrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Piontek, D., Gomes de Matos, E., Atzendorf, J. & Kraus, L. (2016). Kurzbericht Epidemiologischer Suchtsurvey. Tabellenband: Trends des Konsums illegaler Drogen und des klinisch relevanten Cannabisgebrauchs nach Geschlecht und Alter 1990 – 2015. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Sonntag, D., Bauer, C. & Eichmann, A. (2008a). Deutsche Suchthilfestatistik 2007. Alle Bundesländer. Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (Typ 3 und 4). Bezugsgruppe: Zugänge Beender ohne Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Sonntag, D., Bauer, C. & Eichmann, A. (2008b). Deutsche Suchthilfestatistik 2007. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Zemlin, U., Henkel, D. & Dornbusch, P. (2006). „Predictors of alcohol relapses among the unemployed 6 months after treatment. ARA-Study. Empirical results and conclusions for addiction therapy and rehabilitation in Germany.” Vortrag, The 11th International Conference on Treatment of Addictive Behaviors (ICTAB 11).
  • Katamnesen in der Ambulanten Rehabilitation Sucht

    Katamnesen in der Ambulanten Rehabilitation Sucht

    Renate Walter-Hamann
    Dr. Theo Wessel

    Der Deutsche Caritasverband (DCV) und der Gesamtverband für Suchthilfe – Fachverband der Diakonie Deutschland (GVS) haben im Jahr 2012 mit der Einführung von Katamnesen in der Ambulanten Rehabilitation Sucht (ARS) begonnen und mittlerweile Ergebnisse aus vier Erhebungsjahrgängen (2013 bis 2016 = Entlassjahrgänge 2011 bis 2014) vorliegen. Im „Jahrbuch Sucht 2015“ (hrsg. v. DHS) sind die Ergebnisse der beiden ersten Entlassjahrgänge 2011 und 2012 dargestellt (S. 199–213). Im Rahmen des verbandsübergreifenden Fachtages „Ergebnisse der Katamnesen Ambulante Rehabilitation Sucht – Wirkungsdialog und daraus abgeleitete Perspektiven“ am 15.11.2016 in Frankfurt am Main wurden die Ergebnisse aller vorliegenden Entlassjahrgänge bei alkoholbezogener Störung (F10, ICD-10) dargestellt. Vorgestellt wurden außerdem Katamnesedaten zur ambulanten Rehabilitation bei Pathologischem Glückspiel (F63, ICD-10) und bei Illegalen Drogen (F11, F12, F14, F15, F16 und F19, ICD-10). In weiteren Tagungsbeiträgen wurden die Ergebnisse einer Umfrage bei den beteiligten Einrichtungen zur Bewertung der Implementierung der Katamnesen ARS dargestellt sowie Sonderauswertungen zu Veränderungen im Erwerbsstatus im Rahmen von ARS. Vorträge zur Bewertung der Katamnesen ARS von einem Leistungsträger (DRV) und aus internationaler Perspektive ergänzten und vertieften die Ergebnisse. Eine Podiumsdiskussion unter Beteiligung von Vertretern der Leistungsträger VdEK und DRV Schwaben, der beiden Verbände DCV und GVS und des Referenten aus Amsterdam, der die internationale Perspektive vertrat, rundeten den Fachtag ab. Die Resonanz der Teilnehmenden zu diesem Fachtag war außerordentlich positiv.

    Einführung

    Schätzungen aus verschiedenen Quellen weisen auf eine Gesamtzahl von etwa 8.000 Fällen ARS (ohne ambulante Nachsorge) pro Jahr in Deutschland hin. Die Deutsche Rentenversicherung weist 369 anerkannte ambulante Fachstellen aus, die ARS anbieten. Etwa 220 Fachstellen sind in Caritas oder Diakonie organisiert. Von diesen Fachstellen konnten bis zu 95 im Rahmen des Katamnese-Projektes erreicht werden (45 Prozent). Die technische Unterstützung des Projektes erfolgt durch Redline-Data, Ahrensbök (Jens Medenwaldt). Die Ziele des Implementierungsprojektes konnten weitgehend erreicht werden.

    Ergebnisse der Katamnesen ARS aus den Entlassjahrgängen 2011 bis 2014

    In den Jahren 2011 bis 2014 bewegten sich die Fallzahlen ARS zwischen 2.350 und 3.150 pro Jahr. Davon waren etwa 41 Prozent ARS ohne stationäre Beteiligung, 23 Prozent mit stationärer Beteiligung und 36 Prozent ambulante Nachsorge. 80 bis 85 Prozent der Fälle wiesen die Hauptdiagnose Alkohol (F10) auf, sieben bis acht Prozent die Hauptdiagnose Illegale Drogen (F11, F12, F14, F15, F16, F19) und fünf bis sieben Prozent die Hauptdiagnose Pathologisches Glücksspiel (F63). Eine starke Beteiligung am Projekt erfolgte aus den Bundesländern Niedersachsen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hessen.

    Die ARS weist bei der Diagnose F10 (Alkohol) und einem Rücklauf ab 45 Prozent Abstinenzquoten nach DGSS 4 von 50 bis 54 Prozent für alle im Kalenderjahr Entlassenen auf, wenn keine stationäre Rehabilitationsmaßnahme beteiligt war. Mit stationärer Beteiligung (Kombinationsbehandlungen) liegt die Erfolgsquote bei 43 bis 52 Prozent.

    Die soziodemographischen Merkmale der Rehabilitanden in der ARS ohne stationäre Beteiligung werden deutlich günstiger beschrieben als die der Rehabilitanden in der ARS mit stationärer Beteiligung – mit den entsprechenden unterschiedlichen Auswirkungen auf die Ergebnisqualität. Somit werden verschiedene Zielgruppen erreicht. Insgesamt zeigt sich, dass die indikative Zuweisung der Rehabilitanden zum ambulanten und/oder stationären Setting zielgruppengerecht erfolgt.

    Bewertung der Implementierung von Katamnesen ARS

    Die am Katamnese-Projekt beteiligten Einrichtungen wurden gefragt, wie sie die Implementierung der Katamnesen ARS bewerten. Insgesamt haben sich 56 Einrichtungen an der Umfrage beteiligt, 43 davon haben kontinuierlich zu allen Entlassjahrgängen Daten zur Verfügung gestellt. 80 Prozent geben an, dass die Implementierung von Katamnesen ARS gelungen ist. 68 Prozent benutzen die Ergebnisse als einrichtungsbezogene Auswertung. Insgesamt haben Katamnesen eine hohe Relevanz für die eigene Arbeit (Erfolgskontrollen, Konzeptverbesserungen usw.). 44 Prozent der Umfragebeteiligten wünschen sich auch zukünftig verbandliche Unterstützung bei der Durchführung von Katamnesen (Austausch, Schulungen, Forum usw.).

    Zusatzauswertungen „Illegale Drogen“ und „Pathologisches Glücksspiel“

    In den vier Erhebungsjahrgängen 2013 bis 2016 gab es 630 ARS-Fälle „Illegale Drogen“, davon waren 65 Prozent ohne und 35 Prozent mit stationärer Beteiligung. Die Hauptdiagnose Cannabis (F12) hat einen Anteil von etwa 40 Prozent, Opioide machen 20 bis 30 Prozent aus und Kokain zwölf bis 14 Prozent.

    Der Anteil Arbeitsloser reduzierte sich bis zum Behandlungsende im Vergleich zum Behandlungsbeginn um sieben bis zwölf Prozent, der Anteil Erwerbstätiger erhöhte sich um acht bis zwölf Prozent. Zum Katamnesezeitpunkt (ein Jahr nach Beendigung ARS) reduzierte sich der Anteil Arbeitsloser nochmals um drei Prozent bei ARS ohne stationäre Beteiligung und um zehn Prozent bei ARS mit stationärer Beteiligung (Kombibehandlung).

    Insgesamt gab es 70 bis 80 Prozent planmäßige Beendigungen der ARS-Maßnahmen. Die Katamnese-Rücklaufquote lag bei etwa 30 Prozent. Bei ARS ohne stationäre Beteiligung war die Rücklaufquote höher und die Abstinenzquote nach DGSS 4 lag bei 38 Prozent. Bei ARS mit stationärer Beteiligung lag die Abstinenzquote nach DGSS 4 bei 30 Prozent. Die Gruppe der „definiert Rückfälligen“ (Nichterreichte) betrug bei ARS ohne stationäre Beteiligung 34 Prozent und bei ARS mit stationärer Beteiligung 37 Prozent.

    In den vier Erhebungsjahrgängen 2013 bis 2016 gab es 373 ARS-Fälle „Pathologisches Glücksspiel“, davon waren 75 Prozent ohne und 25 Prozent mit stationärer Beteiligung. Auch hier zeigt sich am Behandlungsende eine deutliche Reduktion des Anteils Arbeitsloser von sieben bis zwölf Prozent und eine Zunahme des Anteils Erwerbstätiger von neun bis 13 Prozent.

    Insgesamt gab es auch hier etwa 70 bis 80 Prozent planmäßige Beendigungen der ARS-Maßnahmen. Die Katamnese-Rücklaufquote lag bei acht Prozent. So sind die Fallzahlen zu gering für eine Berechnung der Abstinenzquote bzw. der Veränderungen im Erwerbsstatus zum Katamnesezeitpunkt.

    Veränderungen im Erwerbsstatus: Interferenzstatistische Analysen

    92 Prozent der zu Beginn der ARS Erwerbstätigen verbleiben in der Erwerbstätigkeit, während der ARS-Maßnahme werden acht Prozent arbeitslos. Etwa 25 Prozent der zu Beginn der ARS Arbeitslosen gelangen während der ARS-Maßnahme in Erwerbstätigkeit. Die Merkmale dieser Gruppe: Die Menschen sind jünger, beziehen häufiger ALG I als ALG II, beenden die ARS-Maßnahme regulär, bewerten die ARS-Maßnahme als erfolgreich und sie weisen weniger Vorbehandlungen auf (Entzug). Ihre Alkoholstörung war weniger schwer ausgeprägt und die Dauer der Arbeitslosigkeit war geringer. Etwa zehn Prozent der zu Beginn der ARS-Maßnahme Nichterwerbstätigen sind am Ende der Maßnahme erwerbstätig (Schüler, Studenten).

    Bewertung des Katamnese-Projektes und der Ergebnisse aus Sicht eines Rehabilitationsträgers

    Die vier gängigen Formen der ARS sind: ARS ohne stationäre Beteiligung, ambulante Entlassform zum Ende einer stationären Rehabilitation, Wechsel in die ambulante Rehabilitationsform nach Abschluss der stationären Rehabilitation, ARS als Bestandsform von Kombitherapie (ARS mit stationärer Beteiligung).

    Teilhabeaspekte stehen bei der ARS im Vordergrund, insbesondere gilt es, mit den ICF-Kontextfaktoren des sozialen Feldes des Rehabilitanden zu arbeiten. Zentrale Aufgaben der Teilhabe-Leistungen sind die Verbesserung der Erwerbsfähigkeit und das Erreichen von Erwerbstätigkeit. In diesem Zusammenhang spielen arbeitsbezogene Interventionen während der ARS-Maßnahme eine wichtige Rolle. Ein sozialmedizinischer Jahresverlauf von Rehabilitanden aus dem Jahr 2010 zeigt, dass 90 Prozent der Rehabilitanden im Erwerbsleben verbleiben (59 Prozent lückenlose Rentenversicherungsbeiträge, 31 Prozent lückenhafte Rentenversicherungsbeiträge).

    Die Rehabilitandenbefragung nach Beendigung einer ambulanten Suchtrehabilitation mit 4.287 Beteiligten in den Jahren 2013 bis 2015 zeigt, dass die subjektiv wahrgenommenen Erfolge der Rehabilitationsleistungen auf deutliche Verbesserungen in den Bereichen Gesundheitszustand, Leistungsfähigkeit und kurzzeitige Abstinenz hinweisen. Insgesamt geben 90 Prozent der Beteiligten deutliche Verbesserungen an.

    Etwa die Hälfte der Rehabilitanden gibt an, während der ARS keine Beratung und Hilfe bekommen zu haben, um die Situation am Arbeitsplatz zu erleichtern. 60 Prozent sind zu Beginn der ARS und zum Befragungszeitpunkt bei Behandlungsende voll berufstätig, 24 Prozent sind zum Befragungszeitpunkt arbeitslos. 81 Prozent geben an, dass sich die berufliche Leistungsfähigkeit durch die ARS-Maßnahme deutlich verbessert hat. Für die Zukunft gilt die Empfehlung, bei ARS-Verlängerungsanträgen die therapeutische Unterstützung für eine stabile Erwerbssituation der Rehabilitanden mehr als bisher zu berücksichtigen.

    Die Bewertung von Katamnesen aus internationaler Perspektive

    Seit etwa 30 Jahren gibt es deutsche und internationale Studien zur Bewertung von Wirkungen suchttherapeutischer Maßnahmen. Als evidenzbasierte Faustregel kann angenommen werden, dass nach stationärer oder ambulanter Suchtrehabilitation 50 Prozent der Alkoholabhängigen ein Jahr nach der Behandlung durchgehend alkoholabstinent sind. Amerikanische Studien weisen auf 19 Prozent Einjahresabstinenz hin, im ambulanten Behandlungszweig kommt es im Jahr nach der Behandlung zu etwa 80 Prozent abstinenten Tagen.

    In den Niederlanden zeigte sich in dem Projekt „Resultaten scoren“ (fünf Jahreskohorten 2005 bis 2009 mit insgesamt 15.786 behandelten und 8.326 telefonisch erreichten Klienten) eine Abstinenzrate von 23 Prozent in den letzten 30 Tagen vor dem Befragungszeitpunkt (Schippers, Nabitz, Buisman, 2009). Im Vergleich hat Deutschland eine Abstinenzquote von 75 Prozent in den letzten zwölf Monaten (Katamnesebefragung) bei 693 erreichten Klienten (nach DGSS 3).

    So kann die Suchthilfe in Deutschland, insbesondere im Bereich der ARS, ihre Effektivität mittels Routine-Katamnesen nachweisen. Mehr als 50 Prozent der Klienten sind nach der Therapie abstinent. Im internationalen Vergleich ist das ein herausragendes Ergebnis.

    Strukturelles Monitoring und Benchmarking sind ein Weg zur weiteren Verbesserung von Suchthilfe. Die Katamnese-Methodik kann der Anfang einer europäischen Standardisierung sein. Eine schnelle Rückmeldung der Katamneseergebnisse an die Einrichtungen kann zur Verbesserung der ARS-Maßnahmen führen.

    Podiumsdiskussion

    Die abschließende Podiumsdiskussion verlief sehr lebhaft und informativ. Stichworte aus der Diskussion: ARS hat eine gute Wirksamkeit, Kombitherapien sollten mehr genutzt werden, die berufliche Orientierung in der ARS sollte weiter gestärkt werden, eine Veröffentlichung der Katamneseergebnisse ist weiterhin wichtig, Verlängerungsanträge ARS sind die Regel und nicht die Ausnahme, das ARS-Rahmenkonzept aus 2008 ist überarbeitungsbedürftig, die Katamnese-Durchführung liegt im Interesse der Leistungserbringer, insgesamt steht die ambulante Suchthilfe sehr unter Druck.

    Fazit: Auch zukünftig sollten Fachveranstaltungen dieser Art durchgeführt werden.

    Kontakt:

    Dr. Theo Wessel
    Gesamtverband für Suchthilfe e.V. (GVS) – Fachverband der Diakonie Deutschland
    Invalidenstraße 29
    10115 Berlin
    Tel. 030/83 001-501
    wessel@sucht.org
    www.sucht.org

    Angaben zu den Autoren:

    Dr. Theo Wessel ist Geschäftsführer des Gesamtverbandes für Suchthilfe e.V. (GVS) – Fachverband der Diakonie Deutschland.
    Renate Walter-Hamann ist Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Katholische Suchtkrankenhilfe und Leiterin des Referats Basisdienste und besondere Lebenslagen beim Deutschen Caritasverband e.V. in Freiburg.

  • Fähigkeiten und Beeinträchtigungen in allen Lebensbereichen erfassen

    Fähigkeiten und Beeinträchtigungen in allen Lebensbereichen erfassen

    David Schneider
    Dr. Dieter Kunz

    Die „International Classification of Functioning, Disability and Health“ (ICF; WHO, 2005) ist eine von der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization/WHO) erstellte und herausgegebene Klassifikation zur Beschreibung des funktionalen Gesundheitszustandes, der Behinderung, der sozialen Beeinträchtigung sowie der relevanten Umweltfaktoren von Menschen. Mit der ICF liegt ein personenzentriertes und die Wechselwirkung zwischen Individuum und Umwelt berücksichtigendes Instrument der Hilfeplanung vor, mit dem sich alltagsrelevante Fähigkeiten und Einschränkungen in vereinheitlichter Sprache konkret beschreiben lassen.

    Durch eine detaillierte Klassifikation von Beeinträchtigungen ist es möglich, den Bedarf an professioneller Hilfe konkret zu beschreiben und eine passgenaue Hilfeplanung einzuleiten. Die ICF berücksichtigt individuelle Ressourcen und hat gesellschaftliche Teilhabe zum Ziel, zwei Aspekte, denen auch in der Arbeit mit Suchtkranken eine entscheidende Bedeutung zukommt. Konsumentinnen und Konsumenten illegaler Drogen erreichen nicht zuletzt aufgrund einer besseren medizinischen und psychosozialen Betreuung ein durchschnittlich höheres Lebensalter. Abhängigkeitserkrankungen gehen oftmals mit funktionalen Problemen und Einschränkungen im Bereich der Alltagsbewältigung, der sozialen Beziehungen und der Erwerbstätigkeit einher (Schuntermann, 2011). Mit der Dauer der Abhängigkeit und den damit zusammenhängenden physischen und psychischen Begleiterscheinungen steigen auch die Beeinträchtigungen von individuellen, sozialen und beruflichen Aktivitäten. Im Bereich der Suchthilfe ist eine ausschließlich auf Psychodiagnostik basierende Betreuung/Behandlung in der Regel nicht ausreichend, da der Hilfebedarf der Klientel nicht adäquat abgebildet wird. Die Diagnose Sucht sagt alleine wenig über die Fähigkeiten und Beeinträchtigungen eines Menschen aus. Selbst beim Vorliegen weiterer Diagnosen bei derselben Person lassen sich nur schwer valide Aussagen hinsichtlich der individuellen Fähigkeiten zur Alltagsbewältigung ableiten. Instrumente wie der Addiction Severity Index (ASI), der lange Zeit zur Standarddokumentation des Suchthilfeträgers Jugendberatung und Jugendhilfe e. V. (JJ) in Frankfurt am Main zählte, liefern zwar Hinweise auf Belastungen und Beeinträchtigungen, jedoch keine auf den konkreten Hilfebedarf.

    ICF in der Suchthilfe

    Es geht im Versorgungssystem der Suchthilfe um das Gesamtbild der negativen Auswirkungen, die die Sucht auf das Leben eines Betroffenen ausübt, also auf die Mobilität, die Kommunikation, die Selbstversorgung, das häusliche Leben, die Interaktionen mit anderen Menschen und Behörden und das Erwerbsleben. Die Gesamtheit der Auswirkungen sowie das Zusammenwirken von Aktivitätsbeeinträchtigungen und Rollenanforderungen sollten im Rahmen einer professionellen Hilfeplanung berücksichtigt werden. Eine wirksame Rehabilitation benötigt umfassende Daten, um die Betreuung/Behandlung planen zu können. „Die kurative Medizin ist da zu Ende, wo es um die Behebung gesundheitlicher Probleme aufgrund von Schädigungen der Körperfunktionen und Körperstrukturen, der Beeinträchtigungen der Aktivitäten und Teilhabe – unter Berücksichtigung der Kontextfaktoren – geht. Insofern wird der Suchtkranke auch als Behinderter bzw. von Behinderung Bedrohter angesprochen.“ (Fleischmann, 2011)

    Es geht nicht darum, nur Defizite zu lokalisieren, sondern auf der Grundlage der individuellen Ressourcen des Beurteilten die soziale Reintegration und gesellschaftliche Teilhabe unter Berücksichtigung der aktuellen Fähigkeiten zu fördern. Eine „Beeinträchtigung“ wird im Rahmen des ICF-Gesundheitsbegriffes nicht als Eigenschaft der Person interpretiert, sondern als funktionale Störung im Wechselverhältnis von Mensch und Umwelt, was die Veränderbarkeit (gesundheits-)politischer und sozialer Verhältnisse miteinschließt.

    Das gilt insbesondere auch hinsichtlich der beruflichen Wiedereingliederung, einem der zentralen Ziele der medizinischen Rehabilitation, wie es auch in den Empfehlungen zur „Beruflichen Orientierung in der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker“ (BORA) dargestellt wird (Koch, 2015). Wenn von Erwerbsbezug in der Rehabilitation die Rede ist, dann spielen berufsspezifische Fähigkeitsprofile eine wichtige Rolle, die sich mithilfe der ICF in sehr konkreter Weise abbilden und für den beruflichen Wiedereingliederungsprozess nutzbar machen lassen.

    Von Vorteil ist die ICF weiterhin in professionstheoretischer Hinsicht. Die einheitliche Sprache ermöglicht eine verbesserte Kommunikation zwischen verschiedenen Einrichtungen, Disziplinen und Versorgungsbereichen sowie die Evaluation der Hilfemaßnahmen hinsichtlich der Zielerreichung und der Verringerung des Schweregrades der Beeinträchtigungen. Die ICF kann aufgrund ihres bio-psycho-sozialen Ansatzes die interdisziplinäre Kommunikation verbessern. Insofern bietet sie die Chance einer systemübergreifenden ‚Sprache‘ mit der Möglichkeit, das medizinische, suchtpsychiatrische und suchthilfespezifische Versorgungssystem stärker zu integrieren. Damit lässt sich eine bessere Nutzung von Synergien erreichen statt der Verfolgung ressourcenzehrender Optimierung von Einzelsystemen.

    Vor diesem Hintergrund wird seit April 2015 in den Suchthilfeeinrichtungen des Vereins Jugendberatung und Jugendhilfe e. V. (JJ) der ICF-basierte Fremdratingbogen Mini-ICF-APP („Mini-ICF-Rating für Aktivitäts- und Partizipationsbeeinträchtigungen bei psychischen Erkrankungen“; Linden, Baron, Muschalla, 2009) eingesetzt. Erste Erfahrungen mit diesem Instrument werden im Folgenden vorgestellt.

    Datenerhebung und Auswertung

    Ziel des Einsatzes des Mini-ICF-APP ist es, Hinweise darauf zu bekommen, welche Teilhabe- und Aktivitätsbeeinträchtigungen im Vordergrund der betreuten/behandelten Klientel stehen. Die Erkenntnisse sollen dazu beitragen, individuelle und passgenaue Maßnahmen zur Zielerreichung weiterzuentwickeln.

    Zudem soll festgestellt werden, ob zwischen unterschiedlichen Einrichtungstypen (stationäre Rehabilitation, ambulante Betreuung/Behandlung, Betreutes Wohnen), unterschiedlichen Konsummustern und den Konsument/innen verschiedener Hauptsuchtmittel (Cannabis, Opiate, Stimulanzien) signifikante Unterschiede hinsichtlich der im Alltag auftretenden Beeinträchtigungen deutlich werden. Am Ende des Artikels werden die Ergebnisse mit Blick auf die Suchthilfepraxis zur Diskussion gestellt.

    Das Instrument: Mini-ICF-APP

    Zwischenzeitlich liegen einige ICF-basierte Instrumente für den Indikationsbereich psychische Störungen bzw. Abhängigkeitserkrankungen vor (Breuer, 2015). Eines dieser Instrumente ist das Mini-ICF-APP, ein Fremdbeurteilungsinstrument mit 13 Items zur Beschreibung und Quantifizierung von Aktivitäts- und Partizipationsstörungen. Die maßgebliche Bewertung des jeweiligen Klienten bzw. der Klientin in den 13 Fähigkeitsdimensionen findet durch den geschulten Bezugsbetreuer/die geschulte Bezugsbetreuerin statt. Beim Ausfüllen des Fragebogens werden alle zur Verfügung stehenden Informationen genutzt: anamnestische Angaben, fremdanamnestische Angaben, psychologische und testpsychologische Befunde ebenso wie Beobachtungen der Bezugsbetreuer/innen oder Mitteilungen durch den Klienten/die Klientin. Das Verfahren ermöglicht die einfache Erfassung des Hilfebedarfs in wesentlichen Bereichen. So kann mit dem Instrument eingeschätzt werden, in welchem Ausmaß die betreffende Person in ihrer Fähigkeit zur Ausübung lebens- und berufsrelevanter Tätigkeiten beeinträchtigt ist.

    Das Mini-ICF-APP liefert neben der Erfassung des Hilfebedarfs auch die Möglichkeit, über eine Wiederholungsmessung die Wirksamkeit rehabilitativer Maßnahmen zu überprüfen. Die Skalierung zur Einschätzung der Fähigkeitseinschränkungen ist wie folgt strukturiert: 0 = keine Beeinträchtigung, 1 = leichte Beeinträchtigung, 2 = mittelgradige Beeinträchtigung, 3 = erhebliche Beeinträchtigung, 4 = vollständige Beeinträchtigung. Zusätzlich zum Mini-ICF-APP wird ein Deckblatt eingesetzt, das von JJ extra für den Arbeitsbereich der Suchthilfe entwickelt wurde. Mit dem Deckblatt werden soziodemografische Angaben, Angaben zum Erwerbsleben und zum Suchtmittelkonsum erfasst.

    Beschreibung der Stichprobe

    Seit Mitte 2015 wird in allen Suchthilfeeinrichtungen des Vereins Jugendberatung und Jugendhilfe e. V. (JJ) das Mini-ICF-APP eingesetzt. Dazu zählen stationäre und ambulante Suchthilfeeinrichtungen sowie Einrichtungen des Betreuten Wohnens. Der Rücklauf verwertbarer Fragebögen lag bis zum September 2016 bei N=1.243. Alle Bögen wurden in die Untersuchung miteinbezogen, es gab keine Ausschlusskriterien.

    Die ICF-basiert beurteilten Klient/innen aller JJ-Einrichtungen sind im Durchschnitt 35,3 Jahre alt. 78,1 Prozent sind männlich, 21,9 Prozent weiblich. Nur 26,4 Prozent gingen im letzten Jahr einer beruflichen Tätigkeit nach. Eine psychiatrische Zusatzdiagnose liegt bei 31,2 Prozent der Personen vor. Die durchschnittliche Dauer der Abhängigkeit beträgt 14,9 Jahre. 38,4 Prozent der Befragten wurden zum Zeitpunkt der Messung substituiert. Das am häufigsten genannte Hauptsuchtmittel ist Heroin (45,9 Prozent), gefolgt von Cannabis (20,6 Prozent), Alkohol (13,9 Prozent), Amphetaminen (7,3 Prozent), Kokain (5,3 Prozent) und Sonstige (2,5 Prozent).

    Ergebnisse

    Im Folgenden (Tabelle 1) werden die Globalwerte in den 13 Fähigkeitsdimensionen dargestellt (N=1.243).

    Tabelle 1: Globalwerte in den 13 Fähigkeitsdimensionen

    Die Mittelwerte liegen größtenteils zwischen einer leichten und mittelgradigen Beeinträchtigung. Das impliziert, dass bei einem Teil der untersuchten Gruppe deutliche Aktivitäts- und Fähigkeitsbeeinträchtigungen vorliegen, die in vielen Fällen interventionsbedürftig sind. Am höchsten sind die Beeinträchtigungen in den Bereichen „Widerstands- und Durchhaltefähigkeit“, „Selbstbehauptungsfähigkeit“ sowie „ Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit“. Vergleicht man die Beeinträchtigungswerte mit den Daten von Patient/innen psychosomatischer Rehabilitationskliniken (N=213; Linden et al., 2015), die in den empirischen Studien zur Entwicklung des Mini-ICF-APP untersucht wurden, so treten die hohen Fähigkeitsbeeinträchtigungen der Klientel aus den Suchthilfeeinrichtungen von JJ noch deutlicher hervor. Während der Globalwert der 13 Items in der JJ-Untersuchung bei 1,58 liegt, ist er in der genannten Vergleichsgruppe mit 0,84 nur etwa halb so hoch.

    Beispiel: Widerstands- und Durchhaltefähigkeit

    Am Beispiel des Items „Widerstands- und Durchhaltefähigkeit“, das am höchsten geratet wurde, lässt sich aufzeigen, wie schwer die Beeinträchtigungen konkret eingeschätzt wurden (Tabelle 2).

    Tabelle 2: Einschätzung des Items Widerstands- und Durchhaltefähigkeit

    34,6 Prozent der beurteilten Klient/innen sind in diesem Bereich mittelgradig beeinträchtigt, 21,5 Prozent sogar erheblich bzw. 3,7 Prozent vollständig. Die Einschätzung „mittelgradige Beeinträchtigung“ verweist auf „deutliche Probleme, die beschriebenen Fähigkeiten/Aktivitäten auszuüben“ (Linden et al., 2015, S. 5). Erhebliche und vollständige Beeinträchtigungen in den jeweiligen Bereichen bedeuten, dass die Beeinträchtigungen in der alltäglichen Lebensführung so auffällig sind, dass die Unterstützung von Dritten notwendig ist.

    Bezogen auf das Item „Widerstands- und Durchhaltefähigkeit“ bedeutet eine mittelgradige Beeinträchtigung nach der Definition der Autor/innen des Mini-ICF-APP: „Der Proband kann keine volle Leistungsfähigkeit über die ganze Arbeitszeit hin zum Einsatz bringen. Sein Durchhaltevermögen ist deutlich vermindert. Durch Nichterfüllung von Aufgaben ergibt sich ein reduziertes Leistungsniveau und gegebenenfalls Ärger mit dem Arbeitgeber oder Partner.“ Eine erhebliche Beeinträchtigung (21,5 Prozent der Klient/innen) bedeutet: „Um die Aufgaben in der vorgesehenen Zeit zu erfüllen, ist immer wieder Unterstützung von Kollegen, Vorgesetzten oder vom Partner erforderlich, die ihn auffordern oder ermutigen, bei der Sache zu bleiben oder weiterzumachen, oder die selbst gelegentlich eingreifen und zeitweise Arbeiten von ihm übernehmen.“ (Linden et al., 2015, S. 14)

    Folglich besteht in vielen Fällen Unterstützungsbedarf hinsichtlich des individuellen Leistungsvermögens und vor allem auch hinsichtlich der Eigeninitiative. Dieser Unterstützungsbedarf ist in der individuellen Hilfeplanung zu berücksichtigen. Die Kenntnis solcher Fähigkeitsbeeinträchtigungen soll nicht nur zur Auswahl adäquater Hilfemaßnahmen führen, sondern auch zur realistischen Einschätzung der Fähigkeiten des Betreffenden beitragen, um zu verhindern, dass durch zu hohe Erwartungen – insbesondere im Bereich der beruflichen Wiedereingliederung – strukturelle Überforderungssituation entstehen, die ihrerseits neue negativen Auswirkungen nach sich ziehen.

    Eine interne JJ-Untersuchung (N=189) mit dem ICF-basierten Selbstrating-Instrument ICF AT 50-Psych (Nosper, 2008), das ebenfalls die Dimensionen der Aktivität und Partizipation abbildet, zeigt ferner, dass die befragten Patient/innen sich selbst als deutlich weniger beeinträchtigt einschätzen. Mit Blick auf den therapeutischen Alltag bietet sich an, die Diskrepanz zwischen der Selbstwahrnehmung der Patient/innen und der Wahrnehmung der Mitarbeiter/innen zu thematisieren und die unterschiedlichen Einschätzungen der Fähigkeitsdimensionen für den therapeutischen Prozess nutzbar zu machen.

    Gruppenunterschiede

    Das Geschlecht und das Alter haben auf den Mini-ICF-Globalwert keinen signifikanten Einfluss, lediglich in einzelnen Bereichen: Männer sind im Bereich „Anpassung an Regeln und Routinen“ (1,47 vs. 1,17) sowie „Planung und Strukturierung von Aufgaben“ (1,71 vs. 1,43) höher belastet. Ältere haben höhere Beeinträchtigungen im Bereich „Selbstpflege“ und „Mobilität und Verkehrsfähigkeit“. Jüngere haben im Bereich „Anpassung an Regeln und Routinen“ größere Schwierigkeiten. Der Zusammenhang beschränkt sich auf einzelne Items. Einen globalen Einfluss auf den Schweregrad hat die Dauer der Abhängigkeit. Zwölf der 13 Items korrelieren in signifikanter Weise. Lediglich beim Item „Selbstbehauptungsfähigkeit“ ist die Dauer der Abhängigkeit nicht entscheidend.

    Tabelle 3: Einfluss der Dauer der Abhängigkeit auf den Beeinträchtigungsgrad

    Einfluss auf den Globalwert hat auch der Berufsstatus: Diejenigen, die während der letzten zwölf Monate vor Behandlungsbeginn keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen sind, weisen signifikant höhere Beeinträchtigungswerte auf. Ferner korrelieren die BORA-Stufen, denen insbesondere im Rahmen der stationären Rehabilitation eine wachsende Bedeutung zukommt, mit dem Schweregrad der ICF-spezifisch gemessenen Beeinträchtigungen.

    Globalwerte nach Einrichtungstypen

    Der Einsatz ICF-basierter Instrumente soll zur verbesserten Hilfeplanung beitragen. Insofern wurde auch untersucht, ob in verschiedenen Einrichtungen mit unterschiedlichen Zielgruppen und Hilfsangeboten spezifische Beeinträchtigungen festzustellen sind (Abbildung 1).

    Abbildung 1: Globalwerte in verschiedenen JJ-Einrichtungen

    Die Werte entsprechen den Erwartungen und zeigen, dass die Einschätzungen in realistischer Weise erfolgen, was auch hohe Interrater-Reliabilität bestätigt. Ambulant betreute Klient/innen sind weniger beeinträchtigt als stationär Behandelte, was der Indikationsstellung entspricht. Besonders hoch sind die Beeinträchtigungswerte im Drogennotdienst, einer Einrichtung mit ‚niedrigschwelligen‘ Angeboten, und in der Tagesstätte Rödelheimer Bahnweg. Zur Zielgruppe dieser Einrichtung zählen suchtkranke Männer und Frauen im Alter von 18 bis 65 Jahren, die in einem schlechten Allgemeinzustand und/oder chronisch krank sind und bei denen auf Grund der chronifizierten Suchtmittelabhängigkeit die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit meist nicht mehr möglich erscheint.

    Praktisch hilfreich wird das Ganze, wenn man sich die Einrichtungswerte in den einzelnen Fähigkeitsdimensionen anschaut. Unterschiede in den einzelnen Items zeigen an, wo der einrichtungsspezifische Hilfebedarf am größten ist. In der Einrichtung Rödelheimer Bahnweg mit dem höchsten Globalwert (2,18) liegt die Beeinträchtigung im Bereich „Proaktivität und Spontanaktivität“ bei 2,32. Dies verdeutlicht nicht nur, in welchem Bereich große Schwierigkeiten bestehen, sondern verweist zugleich darauf, dass Unterstützungs- und Förderungsleistungen im Bereich der Eigeninitiative, der häuslichen Aktivitäten und der Freizeitgestaltung anstehen.

    Im Betreuten Wohnen ist der Beeinträchtigungswert im Bereich „Fähigkeit zu engen dyadischen Beziehungen“ mit 1,85 am höchsten. Der Verlust stützender familiärer und partnerschaftlicher Beziehungen, die Vernachlässigung sozialer Kontakte und fortwährende gesellschaftliche Isolation prägen nicht selten die Lebenslage von langjährig Abhängigen. Im Betreuten Wohnen soll solchen Vereinsamungstendenzen entgegengewirkt und die gesellschaftliche Reintegration bewerkstelligt werden. Entsprechende Hilfsangebote sind zu forcieren.

    In der stationären Rehabilitation wurden die höchsten Beeinträchtigungswerte im Bereich „Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit“ (2,06) festgestellt, was auf die Ambivalenz in Bezug auf Abstinenzbemühungen verweist. Bei der Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit geht es darum, Fakten zur Kenntnis zu nehmen, rational zu urteilen und unter Abwägung der Sachlage differenzierte Schlussfolgerungen zu ziehen – Fähigkeiten also, die im Falle einer Abhängigkeitserkrankung stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Die anspruchsvolle und mitunter von Rückschlägen begleitete Aufgabe, sich gegen die Sucht und für ein abstinentes Leben zu entscheiden, scheint hier zum Ausdruck zu kommen.

    Hauptsubstanz

    Untersucht wurde außerdem, ob sich im Zusammenhang mit dem Hauptsuchtmittel Unterschiede hinsichtlich des Beeinträchtigungsgrades feststellen lassen (Tabelle 4). Verglichen wurden die Konsument/innen der Hauptsuchtmittel Opiate, Cannabis und Stimulanzien (Amphetamine und Kokain).

    Tabelle 4: Einfluss des Hauptsuchtmittels auf den Beeinträchtigungsgrad

    Auffällig ist zunächst, dass sich die Globalwerte kaum unterscheiden. Diese liegen bei 1,47 (Opiate), 1,44 (Cannabis) und 1,35 (Stimulanzien). Überraschend sind die Ergebnisse, weil in der Bezeichnung von ‚harten‘ und ‚weichen‘ Drogen die Vorstellung mitschwingt, dass Cannabis eine in den Auswirkungen zu vernachlässigende Droge sei. Dies ist nach den hier angegebenen Werten nicht der Fall, im Gegenteil: Mehrere Beeinträchtigungen der Cannabiskonsument/innen werden im Vergleich mit der Hauptdiagnose Opiatabhängigkeit sogar höher eingeschätzt (s. Markierung in Tabelle 4).

    Verlaufsmessungen

    Das Mini-ICF-APP ermöglicht die Evaluation der Hilfemaßnahmen. Durch Verlaufsmessungen kann festgestellt werden, ob es zu Veränderung des Beeinträchtigungsgrades in den jeweiligen Fähigkeitsdimensionen kommt. Sofern der Klient/die Klientin längere Zeit in der Einrichtung betreut oder behandelt wird, findet drei bis fünf Monate nach der Ersterhebung eine Wiederholungsmessung statt. Eine erste Auswertung der Verlaufsmessung zeigt positive Veränderungen (Tabelle 5). Bei denjenigen, die eine längere Behandlung/Betreuung in Anspruch nehmen, bilden sich in allen Bereichen positive Trends ab, die – bis auf die Verkehrsfähigkeit – signifikant sind.

    Tabelle 5: Auswertung der Wiederholungsmessung

    Zusammenfassung

    Als Resümee der Einführung des Mini-ICF-APP ist zunächst festzuhalten, dass es einen erfreulich hohen Rücklauf von Fragebögen gibt. Das spricht nicht nur für die Akzeptanz des Instruments, sondern auch für seine Praktikabilität. Die Bögen sind weitgehend korrekt ausgefüllt, es gibt wenig Datenverlust.

    Die untersuchte Gruppe zeigt deutlich höhere Beeinträchtigungswerte als die Patient/innen psychosomatischer Rehabilitationskliniken ohne Suchtdiagnose. Die Beeinträchtigungen sind in den Bereichen „Widerstand- und Durchhaltefähigkeit“, „Selbstbehauptungsfähigkeit“ sowie „Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit“ am höchsten. Geschlechts- und altersspezifische Differenzen gibt es keine wesentlichen. Die Dauer der Abhängigkeit beeinflusst den Schweregrad der gemessenen Aktivitäts- und Fähigkeitsbeeinträchtigungen in direkter Weise. Berufsstatus und Schweregrad der Beeinträchtigung korrelieren ebenfalls. Auffällig hoch waren die Beeinträchtigungswerte der Cannabiskonsument/innen, was sich mit anderen Untersuchungen in diesem Bereich deckt. In den Einrichtungstypen lassen sich unterschiedliche Belastungen feststellen. Verlaufsmessungen zeigen, dass es zu Verbesserungen während der Betreuungs- und Behandlungsmaßnahmen kommt.

    Diskussion

    1.) Das ICF-basierte Instrument Mini-ICF-APP ist im Suchtbereich einfach anwendbar, das bestätigen die Rückläufe sowie die Rückmeldungen der Einrichtungen. Insgesamt bietet die Implementierung des Mini-ICF-APP ein positives Beispiel der ICF-Umsetzung im Suchtbereich. Die standardisierte Routinebeschreibung der funktionalen Gesundheit stellt eine sinnvolle Ergänzung zur medizinischen und psychologischen Diagnostik dar.

    2.) Der Hilfebedarf kann konkret beschrieben werden. Es werden Fähigkeitsbeeinträchtigungen hinsichtlich der Aktivitäten und Teilhabe erfasst, beschrieben und bei der Betreuung bzw. Behandlung berücksichtigt, die bei einer rein medizinischen oder psychologischen Diagnostik nicht im Fokus stehen. Es kann auf der Grundlage des umfangreichen Datenmaterials differenziert werden nach:

    • Konsummustern
    • Dauer der Abhängigkeit
    • Einrichtungstypen
    • BORA-Stufen

    Die Aufbereitung der vereinsweit gesammelten Daten ermöglicht den Datenvergleich zwischen verschiedenen Behandlungsgruppen und Gesundheitsbereichen.

    3.) Die Beschreibung und Differenzierung des Hilfebedarfs erleichtert nicht nur die individuelle Hilfeplanung, sondern ermöglicht es auch, diesen Hilfebedarf bei der Etablierung schwerpunktmäßiger Angebote zu berücksichtigen. Mittelfristiges Ziel ist eine verbesserte Zuweisungspraxis bei der Weitervermittlung in passgenaue Behandlungsangebote. ICF-basierte Instrumente sollten bei der Feststellung des adäquaten Behandlungsbedarfs standardmäßig eingesetzt werden.

    4.) Mit Blick auf die zunehmend wichtiger werdende Erwerbsorientierung und berufliche Wiedereingliederung der Klientel in der Suchthilfe lassen sich mit dem Mini-ICF-APP die aus einer Krankheit resultierenden Fähigkeits- und Aktivitätsstörungen – im Zusammenhang mit unterschiedlichen Anforderungsprofilen einer beruflichen Tätigkeit – konkret beschreiben. Dadurch, dass die Komponente „Aktivitäten und Partizipation“ der ICF abgebildet wird, können Fähigkeiten beurteilt werden, die im Erwerbsleben zentral sind.

    5.) Die Aktivitäten und Fähigkeitsbeeinträchtigungen eines Suchtkranken hängen stark mit seinem Konsumstatus zusammen. Dadurch, dass das Mini-ICF-APP keine explizit suchtspezifischen Items beinhaltet, kann der Einfluss des Konsumverhaltens auf die aktuellen Aktivitäten nicht abgebildet werden. Abhilfe schafft das zusätzlich eingesetzte JJ-Deckblatt. Außerdem entwickelt eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Mitarbeiter/innen des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) und der Suchtverbände ein „Core Set Sucht“. Einige Items lassen sich insbesondere bei neu betreuten Klient/innen im Fremdrating nur schwer beurteilen, der zusätzliche Einsatz von Selbstbeurteilungsinstrumenten wird empfohlen.

    6.) Die Verlaufsmessungen zeigen, dass Hilfemaßnahmen zur Verringerung des Schweregrades der Fähigkeitsbeeinträchtigungen führen. Die Evaluation und der Wirksamkeitsnachweis der durchgeführten Maßnahmen werden von den Leistungs- und Kostenträgern zunehmend erwartet. Die international anerkannte und standardisierte ICF-Diagnostik stellt eine große Hilfe dabei dar, durchgeführte Maßnahmen zu evaluieren.

    Literatur:
    Kontakt und Angaben zu den Autoren:

    Dr. Dieter Kunz
    Dipl.-Psychologe
    Geschäftsführer JJ
    Gutleutstraße 160-164
    60327 Frankfurt a. M.
    dieter.kunz@jj-ev.de
    Tel. 069/74 34 80-10

    David Schneider
    Dipl.-Soziologe
    Fachstelle Evaluation JJ
    Gutleutstraße 160-164
    60327 Frankfurt a. M.
    david.schneider@jj-ev.de
    Tel. 069/74 34 80-13

  • Der Kerndatensatz 3.0

    Der Kerndatensatz 3.0

    Dr. Raphael Gaßmann

    Seit dem 1. Januar 2017 gilt bundesweit der komplett überarbeitete „Deutsche Kerndatensatz zur Dokumentation im Bereich der Suchtkrankenhilfe (KDS)“. Der Kerndatensatz ist das Instrument zur einheitlichen Datenerhebung in Einrichtungen der ambulanten und stationären Suchthilfe. Nach zehnjähriger Laufzeit seines Vorgängers hat der DHS-Vorstand nunmehr diesen neuen Erhebungsstandard veröffentlicht. Da ihm auch die Bundesländer zustimmten, ist er nunmehr ‚amtlich‘.

    Während der vergangenen drei Jahre wurde der bisherige Kerndatensatz von Vertreter/innen aus Verbänden, Praxis und Wissenschaft in jedem Detail überprüft. Zu diesem Prozess haben auch viele Nutzer/innen durch eine große Zahl von Hinweisen beigetragen. Rund drei Jahre lang diskutierten die Mitglieder des Fachausschusses Statistik der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) zusammen mit externen Expert/innen weit mehr als 100 Anregungen und Überarbeitungshinweise. Das Ziel war ein neuer Kerndatensatz, der die Erfahrungen und Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre berücksichtigt und dennoch so knapp wie möglich bleibt. Dabei wurde Wert auf eine praxisgerechte Handhabung und die möglichst hohe Aussagekraft der erhaltenen Auskünfte gelegt.

    Historie

    Die erste Version des KDS entstand 1998/99 mit der Absicht, die Arbeit in Einrichtungen der Suchthilfe nach einem festgeschriebenen Kriterienkatalog zu erfassen. Auf diese Weise sollte einerseits die aktuelle Situation der Beratung, Betreuung und Behandlung von Menschen mit Suchtproblemen einheitlich dargestellt werden. Andererseits sollten die erhobenen Daten eine Einschätzung des Bedarfs an Therapieangeboten und -kapazitäten ermöglichen. Und schließlich sollten Behandlungserfolge zuverlässig erfasst werden, um daraus Rückschlüsse auf Therapieziele und -möglichkeiten zu ziehen.

    Im Jahr 2006 erschien der überarbeitete, 2. Deutsche Kerndatensatz zur Dokumentation in der Suchtkrankenhilfe mit den Modulen Klient, Einrichtung und Katamnese. Er stellte eine umfassende Aktualisierung und Präzisierung des Deutschen Kerndatensatzes von 1998 dar und galt, wie bei seiner Einführung angekündigt, für die Dauer von zehn Jahren.

    Für die neueste Version „KDS 3.0“ wurden nun sämtliche Abfragen überprüft und aktualisiert, so dass eine zeitgemäße Beschreibung des Leistungsspektrums der Suchthilfepraxis für Menschen mit Abhängigkeitsstörungen möglich ist: etwa auf Einrichtungs-, Verbands-, Länder- oder Bundesebene. Und auch die neue Version des KDS soll für zehn Jahre gelten. In diesem Jahrzehnt können zwar – wie schon bislang – Aktualisierungen der Erläuterungen im Manual erfolgen, die Item-Liste aber bleibt unverändert. Überarbeitungen des Manuals sind künftig durch die Versionsnummer noch deutlicher kenntlich: von 3.1 bis 3.x.

    Nutzen der erhobenen Daten

    Eine wichtige Aufgabe des KDS besteht auch künftig in den einrichtungs- und verbandsbezogenen Auswertungen. Auf diese Weise können die beteiligten Institutionen der Suchthilfe die Ausrichtung und Effekte ihrer therapeutischen Arbeit besser beurteilen und damit auch steuern. Zudem erhalten sie höchst relevante Daten etwa für Verhandlungen mit Kostenträgern.

    Der neue KDS 3.0 sorgt außerdem für eine bessere Vergleichbarkeit von Konsummustern, Behandlungsmöglichkeiten und -erfordernissen auf europäischer Ebene. Dazu wurden seine Abfragen mit dem europäischen Kerndatensatz abgeglichen. Die erhobenen Daten werden jährlich an die Europäische Drogenbeobachtungsstelle in Lissabon gesandt und dort auch für internationale Studien genutzt.

    Auf nationaler Ebene fließen die Ergebnisse der Erhebungen in die Deutsche Suchthilfestatistik ein, deren jährlicher Bericht seit 2007 soziodemografische Daten zu Klienten, Diagnosen, Daten zu Behandlungsbeginn, -verlauf und -ende sowie Veränderungen in diesen Bereichen aufzeigt. Die Deutsche Suchthilfestatistik ist im bundesweiten wie auch im internationalen Vergleich eine der umfangreichsten und differenziertesten Statistiken im Gesundheits- und Sozialwesen.

    Der KDS 3.0 steht sämtlichen Anbietern entsprechender Dokumentationssoftware zur Verfügung. Und beinah alle haben ihn bereits in ihre Software integriert. Die DHS wünscht allen Anwender/innen einen angenehmen Umgang mit dem KDS 3.0 und aussagekräftige Erkenntnisse.

    Kontakt:

    Dr. Raphael Gaßmann
    Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V.
    Westenwall 4
    02381/90 15 15
    59065 Hamm
    gassmann@dhs.de
    www.dhs.de

    Angaben zum Autor:

    Dr. Raphael Gaßmann ist Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) in Hamm.

  • Kooperation, Kommunikation, Schnittstellenmanagement

    Kooperation, Kommunikation, Schnittstellenmanagement

    Ausgangssituation

    Stefan Bürkle
    Stefan Bürkle

    Kooperation, Kommunikation und Schnittstellenmanagement zwischen den beteiligten Einrichtungen bilden im Prozess der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker ganz wesentliche Grundlagen der Leistungserbringung und sind ein Garant für die Qualität der Behandlungsangebote für abhängigkeitskranke Menschen. Kein Indikationsbereich in der medizinischen Rehabilitation weist so viele unterschiedliche Behandlungsformen auf wie die medizinische Rehabilitation Abhängigkeitskranker. Das bietet die Möglichkeit, für die Klient/innen möglichst bedarfsgerechte und passgenaue Behandlungsangebote vorzuhalten. Die damit verbundene Differenzierung und Komplexität in den Behandlungsangeboten und -modulen bedarf jedoch der intensiven und aufwändigen Zusammenarbeit zwischen ambulanten und stationären Einrichtungen. Da nach dem personenzentrierten Ansatz prinzipiell die Rehabilitand/innen im Mittelpunkt zu sehen sind, beinhaltet die Optimierung von Kooperations- und Kommunikationsprozessen immer auch die Frage, wann und in welcher Form die Rehabilitand/innen in die Abstimmungsgespräche (besser) einzubeziehen sind.

    Die Palette an ambulanten, ganztägig ambulanten, stationären und kombinierten Leistungsformen ist in den vergangenen Jahren insbesondere im Bereich der ambulanten Weiterbehandlung ausgebaut worden. Mit der Differenzierung im Behandlungsangebot der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker sind zwangsläufig auch die Anforderungen an Kooperationsleistungen und Absprachen gestiegen. Einen Meilenstein stellte die Einführung der Kombinationsbehandlung dar. Durch die damit verbundene Netzwerkorientierung wurden Aktivitäten an den Schnittstellen und damit auch der Kommunikationsprozess zwischen ambulanter und stationärer Suchthilfe befördert.

    In ihrer „Arbeitshilfe für die Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen“ geht die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) grundsätzlich auf die Gestaltung der Schnittstellen und Übergänge zwischen den einzelnen Behandlungsangeboten in der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker ein. Dabei weist sie auf die erforderlichen flexiblen Übergänge zwischen den Leistungen hin und hebt die Bedeutung eines Fallmanagements hervor, das die möglichst nahtlosen Übergänge begleitet (BAR 2006, S. 51 ff.). Längst ist es zu einem Standard im Qualitätsmanagement geworden, dass die Suchthilfeeinrichtungen die Beziehungen zu Rehabilitand/innen, Angehörigen und Bezugspersonen, zu Behandler/innen, Leistungsträgern und der Suchtselbsthilfe im Rahmen des Rehabilitationsprozesses durch Informationsvermittlung, Abstimmungen und Schnittstellenmanagement bewusst gestalten (vgl. hierzu BAR 2009, S. 14). Es stellt sich jedoch die Frage, ob dies in ausreichendem Maße geschieht bzw. wie verbindlich die Zusammenarbeit in der Praxis tatsächlich gehandhabt wird.

    Die intensive und verbindlich organisierte Kooperation und damit auch die Kommunikation und das Schnittstellenmanagement zwischen der ambulanten Suchthilfe (Beratungsstelle) und der stationären Suchthilfe (Fachklinik) sind heute aus mehreren Gründen so bedeutsam:

    • Die praktische Umsetzung kombinierter Behandlungsformen wie auch der neuen ambulanten Weiterbehandlungsformen und der BORA-Empfehlungen (Berufliche Orientierung in der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker) in der Behandlung Abhängigkeitskranker kann nur auf der Basis einer intensiven Kooperation der Beteiligten erfolgreich gelingen. Die Vielschichtigkeit des gesamten Behandlungsangebots wie auch die Komplexität der genannten neuen Leistungsformen selbst zwingen alle Beteiligten zu mehr Transparenz und Verbindlichkeit in der gegenseitigen Information und Kommunikation.
    • Um den Zugang in die medizinische Rehabilitation nahtloser und ggf. auch frühzeitiger zu gestalten, ist eine gute Kooperation entscheidend. Sie kann auch dazu beitragen, die Nichtantrittsquote zu senken und die Qualität der Vermittlung zu verbessern, z. B. durch Erreichen einer stärkeren Compliance und Behandlungsmotivation. Darüber hinaus nutzen den Klient/innen bedarfsorientierte und passgenaue Behandlungsangebote nur dann bzw. kann das Ziel einer optimierten Versorgung nur dann erreicht werden, wenn die Leistungsformen sinnvoll kombiniert und auch individuell eingesetzt werden. Auch dies setzt eine gute Kommunikation und eine gelebte Kooperation zwischen den Beteiligten voraus.
    • Nicht zuletzt sind eine gute Kooperation, eine intensive Kommunikation und ein gelingendes Schnittstellenmanagement zwischen den beteiligten Einrichtungen in der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker auch eine Investition in die Zukunft des teilhabeorientierten Systems der Suchthilfe. Die Anträge für Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation sind seit einigen Jahren rückläufig. Sicherlich geht diese Entwicklung auf unterschiedliche Ursachen zurück. Belastbare Begründungen liegen derzeit nur bedingt vor. Fakt ist aber, dass die medizinische Rehabilitation Abhängigkeitskranker trotz ihrer nachgewiesenen Wirksamkeit und auch entgegen der prognostizierten demografischen Entwicklung rückläufig ist. Fakt ist auch, dass es für suchtkranke Menschen durchaus Alternativen zur (scheinbar hochschwelligen) Reha-Behandlung gibt, wie medikamenten- und substitutionsgestützte Behandlungsformen, Behandlungsangebote im Bereich der Sozialpsychiatrie, Betreuungsangebote in der Eingliederungshilfe und auch Therapieangebote über niedergelassene Therapeut/innen. Möglich sind auch Spontanremissionen. Eine standardisierte und verbindliche Kooperation sowie eine transparente Kommunikation zwischen den an einer Rehabilitationsmaßnahme beteiligten Einrichtungen wirken vertrauensbildend auf die Klient/innen und auf externe Kooperationspartner. Das kann die Bereitschaft der betroffenen Abhängigkeitskranken erhöhen, eine Therapiemaßnahme zu beantragen und sie auch tatsächlich anzutreten.

    Neue Behandlungsformen und BORA

    2015 wurden für die medizinische Rehabilitation Abhängigkeitskranker die so genannten neuen Behandlungsformen „Wechsel in eine ambulante Rehabilitationsform“ (ohne Verkürzung der stationären Phase) und „Wechsel in die ambulante Entlassform“ (Verkürzung der stationären Phase) von den Leistungsträgern verabschiedet. Diese können seither als neue Leistungsformen beantragt werden. Ebenfalls 2015 ist das von der DRV und GKV verabschiedete Rahmenkonzept zur Kombinationsbehandlung in Kraft getreten, das nach einer stationären oder ganztägig ambulanten Behandlung die Fortsetzung der Behandlung im ambulanten Setting vorsieht. 2014 wurden die BORA-Empfehlungen zur Stärkung des Erwerbsbezugs in der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker von einer gemeinsamen Expertengruppe aus Vertreter/innen der Leistungsträger und der Verbände entwickelt.

    Neu an den ambulanten Weiterbehandlungsformen ist insbesondere, dass sie aus dem stationären Setting, also aus der bereits laufenden Rehabilitationsmaßnahme heraus beantragt werden müssen. Speziell sind auch die formalen Rahmenbedingungen und Indikationskriterien, die bei der Beantragung berücksichtigt werden müssen. Vereinfacht ausgedrückt gleichen sie einem Produkt‚ ‚das noch beim Kunden reifen muss‘. Damit ist gemeint, dass das Verständnis dieser neuen Leistungsformen und Instrumente wie auch das ihrer Stellung innerhalb der gesamten Angebotslandschaft auf der Ebene der Leistungserbringer wachsen und entwickelt werden muss. Damit verbunden ist auch die passende Beratung und Vermittlung unserer Klientel im Sinne einer Kundenorientierung und als Serviceleistung.

    Das wird auch in der Zielsetzung deutlich, die die DRV mit der Weiterentwicklung der Leistungsformen verbindet: Durch die Erweiterung der Angebotslandschaft soll die Behandlung flexibler und individueller sowie bedarfsgerechter ausgestattet sein. Die Differenzierung in den Behandlungsformen soll zur weiteren Abgrenzung und Profilierung der einzelnen Angebote beitragen. Letztlich strebt die DRV damit auch ein einheitliches Vorgehen aller Rentenversicherungsträger in ihren Behandlungsangeboten an, um die Übersichtlichkeit im Leistungsangebot für die Betroffenen zu gewährleisten.

    Für die Anwendung in der Praxis sind die neuen Behandlungsformen und BORA jedoch keine Selbstläufer. Um sie erfolgreich umzusetzen – d. h., um die Instrumente für die Klienten/innen bedarfsorientiert anzuwenden, die Wiedereingliederung in Arbeit zu verbessern und von den Vorteilen für ambulante und stationäre Einrichtungen zu profitieren –, braucht es eine Verbesserung der Kooperation zwischen den beteiligten ambulanten und stationären Einrichtungen. Dabei wird es weniger wichtig sein, neue Formen zu erfinden, als bewährte Formen der Kooperation zu modifizieren und verbindlich zu gestalten.

    Kooperation, Kommunikation, Schnittstellenmanagement

    Was bedeutet nun ‚gute‘ Kooperation und Kommunikation oder funktionierendes Schnittstellenmanagement im Gesamtrehabilitationsprozess? Um sich dem anzunähern, soll kurz skizziert werden, was mit Schnittstelle bzw. Schnittstellenmanagement gemeint ist (wobei hier immer auch das Entlassmanagement mitzudenken ist als eine spezielle Form des Schnittstellenmanagements).

    Der Begriff „Schnittstelle“ oder „Interface“ entstammt ursprünglich der Naturwissenschaft und bezeichnet vereinfacht einen „Berührungspunkt zwischen zwei verschiedenen Sachverhalten oder Objekten“ (Gabler Wirtschaftslexikon online). Für unsere Zusammenhänge treffender ist eine Definition aus dem Bereich des Gesundheitswesens, speziell der Integrierten Versorgung. Nach Greiling und Dudek (2009, S. 68) meint eine Schnittstelle „eine Übergangs- bzw. Verbindungsstelle zwischen im Prozess verbundenen organisatorischen Einheiten, Abteilungen bzw. Mitarbeitern, die unterschiedlichen Aufgaben-, Kompetenz- oder Verantwortungsbereichen unterliegen und durch die Wertschöpfungskette verbunden sind. Die Schnittstelle überträgt Informationen, Materialien und/oder Dienstleistungen.“ Bedeutsam scheint in diesem Zusammenhang der Begriff der Wertschöpfungskette, der deutlich macht, dass ‚das Ganze‘ über die Teilleistung einzelner Bereiche hinausgeht und erst durch das sinnvolle Zusammenwirken der Beteiligten entsteht. Im Gesamtrehabilitationsprozess besteht die Wertschöpfungskette daraus, die erforderlichen Informationen, Materialien und/oder Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen und zu teilen, damit für die Klient/innen bedarfsorientierte und passgenaue Behandlungsformen möglich und die angestrebten Behandlungsziele, bis hin zur Förderung der Integration in Arbeit, erreicht werden.

    Als wesentliche Grundlage einer gelungenen Kooperation und Kommunikation, im Sinne der eben beschriebenen Wertschöpfungskette, nannte Dr. Elke Sylvester, medizinische Leiterin der Fachklinik Nettetal, bei einer Veranstaltung der Caritas Suchthilfe (CaSu) zum Thema „Neue Behandlungsformen“ im April 2016 die „vertrauensvolle Zusammenarbeit“. Dazu gehört, dass sich die Mitarbeiter/innen der Fachklinik und der Beratungsstelle gegenseitig als fachlich kompetent wahrnehmen und akzeptieren. Dies setzt voraus, dass man sich persönlich kennt und über die spezifische Arbeitssituation des anderen Bescheid weiß. Häufige und wiederkehrende Probleme in der Zusammenarbeit zwischen Fachkliniken und Beratungsstellen tauchen nach Dr. Sylvester dann auf, „wenn sich die beteiligten Institutionen nicht gut genug kennen und somit keine Idee von der jeweils anderen Arbeitsweise haben“. Vielleicht scheint es vermessen anzunehmen, man könne mit allen Kooperationspartnern eine derart personalisierte Beziehung pflegen. Dennoch stellt dies für eine regelmäßige und dauerhafte Zusammenarbeit eine Grundvoraussetzung dar. Sehr hilfreich im Bereich regelmäßiger Kooperationen wie auch im Rahmen von Verbünden ist es z. B., gegenseitig Hospitationen durchzuführen. Dies erweitert den Blickwinkel auf die Arbeitsweise der beteiligten Partner und hilft, Vorurteile und Barrieren abzubauen.

    In der Anwendung der neuen Leistungsformen bedeutet „Wissen“ aber nicht nur Kenntnisse der beteiligten Partner übereinander, sondern insbesondere auch Wissen darüber, dass es diese neuen Instrumente gibt und wie sie angewendet werden können. Eine Übersicht haben die Suchtverbände zusammengestellt.

    Vorschläge aus der Praxis für eine bessere Zusammenarbeit

    Gerade die Fachkliniken werden in der Umsetzung der ambulanten Weiterbehandlungsformen vor neue Herausforderungen gestellt, da die Fortsetzung der  ambulanten Behandlung aus dem stationären Setting heraus beantragt werden muss und sich die Frage stellt, warum die Behandlung nicht im stationären Setting verbleiben kann. Insofern kann der Schritt, eine ambulante Weiterbehandlung zu beantragen, von Mitarbeiter/innen stationärer Einrichtungen auch als eine Verletzung des fachlichen Selbstverständnisses empfunden werden. Es können auch Befürchtungen bestehen, dass ein Antrag auf ambulante Weiterbehandlung als Eingeständnis der Begrenzung eigener therapeutischer Möglichkeiten verstanden wird oder gar zu einer schlechteren Position der Klinik im Ranking der Häuser führen kann. Abhilfe schaffen hier wieder eine von gegenseitigem Vertrauen geprägte Haltung und das Wissen darum, dass die kooperierende Einrichtung über die passende fachliche Kompetenz verfügt, um die Behandlung zum Wohle der betroffenen Klientin bzw. des betroffenen Klienten weiterzuführen.

    Zusammenfassend aus unterschiedlichen Fachveranstaltungen der Caritas Suchthilfe e. V. (CaSu), u. a. dem oben erwähnten Fachtag zum Thema „Neue Behandlungsformen“, können einige ergänzende Vorschläge zur Verbesserung und Intensivierung der Kooperation benannt werden.

    • Die gegenseitige Informationsvermittlung steht an erster Stelle. Diese beginnt bei einem aussagekräftigen Internetauftritt der stationären Einrichtung, der unterschiedliche Informationen für die Klientel, Angehörige wie auch Berater/innen, möglichst klar strukturiert, bereithält. Hierbei können auch Chat-Foren für Interessierte sehr hilfreich sein. Ergänzend zu den bereits genannten gegenseitigen Hospitationen zum Kennenlernen der jeweils anderen Aufgabengebiete können auch regelmäßige Informationsgruppen bis hin zu gemeinsamen regionalen Fachtagen sinnvoll sein. Solche Treffen ermöglichen es, Praxiserfahrungen auszutauschen, sie unterstützen den gemeinsamen Wissenstransfer und können dazu genutzt werden, auf Neuerungen im Behandlungsangebot einer Einrichtung hinzuweisen. Gemeinsame Teamsitzungen der beteiligten Mitarbeiter/innen in einem Behandlungsverbund ergänzen bzw. vertiefen den Austausch und gegenseitigen Wissensstand.
    • Darüber hinaus bieten manche stationäre Einrichtungen regelmäßig offene Informationsveranstaltungen oder Fachtagungen an. Dabei können sich Betroffene, Interessierte und Angehörige über die therapeutischen Leistungen und ihre Voraussetzungen informieren. Wichtig ist, dass diese Termine auch unter den ambulanten Kooperationspartnern bekannt sind und sie ihrerseits hierauf verweisen können.
    • Gerade im Bereich der kombinierten Behandlungsformen empfiehlt sich die Optimierung der Abläufe im Rehabilitationsprozess. Neben den im Rahmenkonzept Kombinationsbehandlung benannten Kooperations- und Koordinationsformen, wie z. B. Übergabekonferenzen, Berichterstattung, Fallbesprechungen, Qualitätszirkel etc., bieten sich weitergehende Maßnahmen wie der Einsatz eines Fallmanagers bzw. Therapielotsen oder der Einsatz von Checklisten zum Ablaufcontrolling an. Letztere sollten von den ambulanten und stationären Kooperationspartnern gemeinsam entwickelt und abgestimmt werden. Aus ihnen sollte ersichtlich werden, an welchen Schnittpunkten welche Informationen von wem an wen erforderlich werden.
    • Im Rehabilitationsprozess werden regelmäßige Abstimmungsgespräche zwischen den Rehabilitand/innen und den Bezugstherapeut/innen ambulant und stationär erforderlich. Erfahrungen aus der Praxis machen zusätzlich deutlich, dass die Übergangsgespräche im Kontext ambulant und stationär mit klaren Aufträgen und Maßnahmen versehen sein müssen.

    Kombinierte Behandlungsformen und ambulante Weiterbehandlungsformen machen deutlich, dass die Belebung der Schnittstellen zwischen den stationären und ambulanten Akteuren im Gesamtrehabilitationsprozess weit über die Optimierung von Terminen und Abläufen hinausgeht. Es werden inhaltlich-therapeutische Abstimmungen erforderlich, die das bereits erwähnte gegenseitige fachliche Vertrauen voraussetzen und den Charakter von fachlichen Konsultationen haben.

    Kooperationen für die Umsetzung von BORA

    Die erwerbsbezogene Orientierung ist im Rahmen der stationären Behandlung bereits länger bekannt und therapeutischer Alltag. Die Umsetzung von BORA stellt für ambulante Einrichtungen deshalb die größere Herausforderung dar. Erst wenige Beratungsstellen haben ein anerkanntes Konzept für arbeitsbezogene Interventionen in der ambulanten Rehabilitation und Nachsorge.

    Für die erfolgreiche Umsetzung von BORA hat die Zusammenarbeit zwischen ambulanten und stationären Einrichtungen eine hohe Relevanz. Der Kooperation und Vernetzung ist im BORA-Konzept ein eigenes Kapitel gewidmet. Neben Kooperationen mit einer Vielzahl von externen Akteuren, auf die im Bemühen um die berufliche (Re-)Integration abhängigkeitskranker Menschen eingegangen wird, wird dort auch auf die möglichst frühzeitige Kooperation zwischen Fachkliniken und Suchtberatungsstellen sowie zwischen Kliniken und der Suchtselbsthilfe hingewiesen (BORA 2014, S. 22 ff.).

    Im Kontext von BORA können sich unterschiedliche erwerbsbezogene Bereiche für die Kooperation ambulanter und stationärer Einrichtungen anbieten wie z. B. die berufsbezogene Diagnostik, die Berufs- und Sozialberatung oder das Arbeitsplatztraining. Für ambulante Einrichtungen stellt sich in der Umsetzung von BORA ohnehin die Frage, welche erwerbsbezogenen Instrumente und Angebote sie selbst vorhalten können und müssen und an welcher Stelle sie mit wem zusammenarbeiten könnten bzw. sollten. Für den Einsatz erwerbsbezogener Instrumente bietet es sich an, mit entsprechenden Akteuren im beruflichen Feld vor Ort zu kooperieren, z. B. Jobcenter, Arbeitgeber, Reha-Fachberater etc. Es empfiehlt sich aber auch, zu überprüfen, inwieweit die ambulanten Einrichtungen hierbei mit den Suchtfachkliniken in ihrer Region, ihres Verbundsystems oder mit kooperierenden Fachkliniken zusammenarbeiten könnten.

    Die Umsetzung von BORA im Rahmen kombinierter Behandlungsangebote und die damit verbundene Therapieplanung und Therapiesteuerung stellen besondere Anforderungen an die Qualität der Kooperation zwischen den beteiligten Einrichtungen. Um die unterschiedlichen therapeutischen und erwerbsbezogenen Leistungen der Kooperationspartner im Rahmen des Rehabilitationsprozesses sinnvoll miteinander zu verzahnen, empfiehlt sich der Einsatz der bereits erwähnten Checklisten zur Ablauforganisation.

    Zusammenfassung und Fazit

    Im Therapieprozess gilt kooperatives und vernetztes Arbeiten zwischen ambulanten und stationären Einrichtungen grundsätzlich als Standard. Durch die zunehmende Komplexität im Behandlungsangebot und das damit verbundene Ziel einer optimierten Versorgung in der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker ist es erforderlich, die Kooperation verbindlicher, die Kommunikation regelmäßiger und transparenter und das Schnittstellenmanagement effektiver zu gestalten. Um die Begegnungen und die Zusammenarbeit der Mitarbeiter/innen in den ambulanten und stationären Einrichtungen auf Augenhöhe und somit zielführend zu gestalten, spielt eine von gegenseitigem Vertrauen geprägte Haltung eine wichtige Rolle. Die nicht immer einfachen Prozesse der Kooperation und Kommunikation bedürfen der regelmäßigen Pflege und müssen von den Beteiligten mit Leben gefüllt werden. Dies lohnt sich: im Sinne der effektiven Weiterentwicklung des Behandlungsangebots, als grundsätzliche Investition in die Zukunft des teilhabeorientierten Systems der Suchthilfe, für die Mitarbeiter/innen selbst im Hinblick auf Arbeitsklima und Arbeitszufriedenheit und ganz besonders im Sinne einer bedarfsorientierten und passgenauen Versorgung unserer Klient/innen.

    Kontakt:

    Stefan Bürkle
    Caritas Suchthilfe e.V. (CaSu)
    Karlstraße 40
    79104 Freiburg
    Tel. 0761/200 303
    casu@caritas.de
    www.caritas-suchthilfe.de

    Angaben zum Autor:

    Stefan Bürkle ist Geschäftsführer der Caritas e. V. (CaSu), Freiburg.

    Literatur:
  • Wo stehen die Beratungsstellen?

    Wo stehen die Beratungsstellen?

    Stefan Bürkle
    Stefan Bürkle

    Eine gesellschaftspolitisch bewegte Zeit, wie wir sie derzeit erleben, ist stark geprägt von Fragen zur gesellschaftlichen Solidarität und von Erschütterungen des gesellschaftlichen Konsenses – wer hat wie viel an wen zu leisten, wer hat Anspruch auf welche Leistungen und zu welchen Bedingungen? Dabei geht es manchen politischen Kräften und gesellschaftlichen Akteuren seit der so genannten Agenda 2010 um nicht weniger als den Umbau des Sozialstaates. Es geht um Fragen, wie viel Sozialstaat erforderlich und nötig ist und wer welche Steuerungsfunktion darin übernimmt, beispielsweise beim Arbeitslosengeld II im SGB II oder im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Rolle und Stellung der ambulanten regionalen Suchthilfe, die in unterschiedliche Abhängigkeiten und Beziehungsnetzwerke auf kommunaler wie überregionaler, auf nationaler wie internationaler Ebene eingebunden ist, deren Handeln sich auf regionaler Ebene aber zunehmend an unterschiedlichen Lösungen orientiert.

    Der folgende Blick auf die ambulante Suchthilfe versteht sich als Diskussionsbeitrag zu ihrem besonderen Stellenwert, den sie für die soziale Gemeinschaft oder vielleicht treffender für die Zivilgesellschaft einnimmt bzw. einnehmen kann. Einige Thesen zu Beginn sollen die weiteren Ausführungen thematisch umreißen und strukturieren:

    • Die ambulante Suchthilfe ist psychosoziale Arbeit im umfassenden und besten Sinne.
    • Ihr Leistungsspektrum für Menschen mit substanz- und verhaltensbezogenen Störungen und auch für die soziale Gemeinschaft ist umfassender und dessen Wirksamkeit höher, als üblich nach außen ersichtlich wird.
    • Die Rahmenbedingungen der Leistungserbringung haben sich auf regionaler und kommunaler Ebene stark verändert und werden dies zukünftig noch mehr tun.
    • Die ambulante Suchthilfe erbringt Leistungen, die andere in dieser Form nicht erbringen können – weder niedergelassene Therapeuten noch private Anbieter.
    • Wenn die ambulante Suchthilfe ihr Leistungsspektrum für suchtkranke und suchtgefährdete Menschen und die soziale Gemeinschaft auch weiterhin erhalten will, muss sie sich in der Form ihrer Leistungserbringung „bewegen“ und ihr Profil schärfen.

    Sozialrechtlicher Rahmen und Auftragsgestaltung

    Um die Rolle und Aufgaben der ambulanten regionalen Suchthilfe im Gesamtzusammenhang zu verstehen, ist es wichtig, zunächst ihren sozialrechtlichen Rahmen und die Auftragsgestaltung zu skizzieren. Dieser Rahmen ist für die ambulante regionale Suchthilfe wesentlich durch fünf Bereiche geprägt:

    1. Sozialstaatsprinzip und kommunale Daseinsvorsorge

    Die Grundlage der Finanzierung in der ambulanten Suchthilfe, von einzelnen Teilleistungen wie der ambulanten Rehabilitation Sucht abgesehen, fußt auf der kommunalen Daseinsvorsorge, die verfassungsrechtlich im Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG verankert und in den Gemeindeordnungen der Bundesländer konkretisiert ist. Im heutigen Verständnis ist sie zu einem Synonym für die Schaffung einer kommunalen Infrastruktur geworden, die für ihre Einwohner die erforderlichen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen öffentlichen Einrichtungen bereitstellt. Die kommunale Daseinsvorsorge ist eine weitgehend freiwillige, nicht einklagbare Leistung. Aktuell steht sie unter Liberalisierungsdruck, bedingt durch das Europäische Wettbewerbsrecht und daraus folgender Überlegungen zur Privatisierung und Liberalisierung öffentlicher Aufgaben.

    2. Subsidiaritätsprinzip

    Eng verknüpft mit dem Sozialstaatsprinzip und der Daseinsvorsorge sowie den damit verbundenen staatlichen Fürsorgeleistungen ist das Prinzip der Subsidiarität. Damit ist vereinfacht die Idee gemeint, dass gesellschaftliche Eigenverantwortung und Autonomie Vorrang vor staatlichem Handeln haben. In Bezug auf die Erbringung von Fürsorgeleistungen bedeutet dies, dass (staatliche) Aufgaben soweit als möglich von unteren Ebenen (z. B. Länder, Städte, Kommunen) bzw. kleineren Einheiten ausgeführt werden. Diesem Prinzip unterliegt auch das Verhältnis zwischen den öffentlichen Trägern (Bund, Länder, Gemeinden) und den freien Trägern (freie Wohlfahrtspflege) von Fürsorgeleistungen. Dies bedeutet zwar einen Vorrang für die freie Wohlfahrtspflege bzw. einen Nachrang öffentlicher Träger und Einrichtungen, aber es gab und gibt immer wieder Richtungsstreitigkeiten um die damit verbundene Einschränkung kommunaler Selbstverwaltung und den Erhalt der sozialpolitischen Position der freien, vor allem der konfessionellen Wohlfahrtspflege. Wir erleben heute eine Diskussion um die so genannte „neue Subsidiarität“, die weit über die einfache Formel von Vor- und Nachrang hinausgeht. Sie bewegt sich mehr im Spannungsfeld von Steuerungsmechanismen, einer relativen Autonomie der handelnden Akteure und den jeweiligen Eigengesetzlichkeiten in den entsprechenden Hilfefeldern. Das leitet automatisch zur Frage der kommunalen Steuerung über.

    3. Kommunale Steuerung

    Die kommunale Steuerung erhält durch Einsparmaßnahmen bei sozialen Leistungen der öffentlichen Hand, durch die damit verbundenen neuen Verteilungsszenarien und durch den Prozess der Kommunalisierung eine neue Qualität. Diese „neue“ Zuweisung von Gestaltungsverantwortung stellt viele Kommunen vor ungewohnte fachspezifische Herausforderungen. Darin steckt gleichermaßen Chance und Verpflichtung für die ambulante Suchthilfe. Dadurch nämlich, dass sie sich als unverzichtbarer Partner in der Gestaltung der sozialen Gegebenheiten vor Ort und somit der sozialen Gemeinschaft vor Ort versteht.

    4. Soziale Leistungsgesetze

    Die Rahmenbedingungen ambulanter Leistungen der Suchthilfe werden komplettiert durch die sozialen Leistungsgesetze. Die Krankheit Sucht als ein sehr komplexes Geschehen berührt vor dem Hintergrund ihres biopsychosozialen Erklärungsmodells eine Vielzahl unterschiedlicher Leistungsgesetze des Sozialgesetzbuches. Im Einzelfall ist es erforderlich, die unterschiedlichen Leistungen bedarfsgerecht zu kombinieren, was nicht immer möglich bzw. häufig problematisch ist. Als Beispiel seien hier Maßnahmen für Kinder und Jugendliche an der Schnittstelle von Jugendhilfe und Suchthilfe oder die Betreuung substituierter schwangerer Frauen genannt.

    5. Soziale und gesellschaftliche Teilhabe

    Eine wesentliche Grundlage bzw. auch ein Auftrag für die Gestaltung der ambulanten Suchthilfe im Gemeinwesen ergibt sich über das Konzept der sozialen und gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen. In den letzten Jahren hat sich der Begriff der „Teilhabe“ zu einem „Leitkonzept der wissenschaftlichen und politischen Verständigung über die Zukunft des deutschen Sozialmodells“ (Bartelheimer, 2007) entwickelt. Teilhabemodelle gehen davon aus, dass materielle Ressourcen und Rechtsansprüche unverzichtbare Voraussetzungen für die Menschen sind, um sich angemessen innerhalb ihrer Gesellschaft zu bewegen. Dies zu realisieren, also Verwirklichungschancen wahrzunehmen, verlangt zum einen persönliche Fähigkeiten, zum anderen bestimmte gesellschaftliche Voraussetzungen wie Normen oder Infrastruktur. Das Ziel sozialstaatlicher Handlungen besteht demnach darin, die Ungleichheiten bei den Verwirklichungschancen zu reduzieren und entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. In der ambulanten Suchthilfe wäre dann zu prüfen, was sie dazu beitragen kann, dass mehr betroffene Menschen oder bestimmte Gruppierungen die Chance zur Teilhabe am „Gut“ der ambulanten Suchthilfe erhalten.

    Ambulante Suchthilfe ist psychosoziale Arbeit

    Derzeit gibt es in Deutschland ca. 1.300 ambulante Beratungs- und Behandlungsstellen, die jährlich ca. 500.000 suchtkranke oder von Sucht betroffene Menschen erreichen (Jahrbuch Sucht 2013). Die Zahl der Hilfesuchenden hat in der ambulanten Suchthilfe in den letzten Jahren um ca. acht Prozent zugenommen (Deutsche Suchthilfestatistik 2008 bis 2012). Nach Einschätzungen der Beratungsstellen haben die Personalressourcen jedoch in Relation zu den gestiegenen Leistungsanforderungen eher abgenommen.

    Rolle und Selbstverständnis der ambulanten Suchthilfe

    Für Personen mit substanz- und verhaltensbezogenen Störungen sowie deren Angehörige sind die Einrichtungen der ambulanten Suchthilfe die zentralen Fachstellen in einem regionalen Hilfesystem und innerhalb eines regionalen Suchthilfeverbundes. Sie stellen für die Hilfesuchenden wie für die Kommune die Umsetzung der Leistungen der kommunalen Daseinsvorsorge im Sinne von Kernleistungen einer regionalen Grundversorgung sicher. Damit ist auch der weitere Zugang zu sozialrechtlich normierten Leistungen wie Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation verbunden.

    Leistungsspektrum der ambulanten Suchthilfe

    Vergegenwärtigen wir uns das Leistungsspektrum der ambulanten Suchthilfe – von spezifischer Präventionsarbeit, Risikominimierung und aufsuchenden Hilfen über Beratung, Begleitung und Betreuung, Behandlung und Rehabilitation bis zu Integrationshilfen, Selbsthilfeunterstützung und Netzwerkarbeit in versorgungsübergreifenden Kooperationsstrukturen – so wird deutlich: Die komplexe Leistungserbringung der ambulanten Suchthilfe ist psychosoziale Suchthilfe und in weiten Bereichen Soziale Arbeit. Im Zusammenspiel sozialer Fragestellungen und sozialer Hilfeleistungen mit Kenntnissen in Beratungsmethoden und psychotherapeutischer Einzel- und Gruppenarbeit, die zusätzlich Ansätze des Empowerments, suchtspezifisches Case Management sowie Ansätze der Lebens- bzw. Sozialraumorientierung und Quartiersarbeit integriert, findet Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe gelebte Wirklichkeit.

    Wie und wo sollten Menschen, die in die Einrichtungen der ambulanten Suchthilfe kommen, sonst eine umfassende und bedarfsgerechte Hilfe erhalten? Menschen, die Suchtprobleme haben, aber gleichzeitig arbeitslos und verschuldet sind, deren Partnerbeziehung auf der Kippe steht, deren Gesundheit angeschlagen ist, die sich in einer Sinnkrise befinden und sich insgesamt ohne Perspektive fühlen. Der psychosoziale Hilfeansatz der ambulanten Suchthilfe will Menschen „dort abholen“, wo sie stehen. Dazu hält die ambulante Suchthilfe Einiges bereit:

    • ein Verständnis von Empowerment, das die Selbsthilfekräfte und Selbstbestimmung der Betroffenen fördert,
    • einzelfallbezogene Hilfen zur Beratung, zur psychosozialen Begleitung bei Substitution wie auch zur existentiellen materiellen Absicherung,
    • fallbezogenes Case Management zur optimalen Kombination unterschiedlicher Hilfen und Hilfebereiche, z. B. der Suchthilfe mit der Schuldnerberatung, mit der Kinder- und Jugendhilfe oder mit der regionalen Hilfeplanung,
    • das Einbeziehen gemeinwesenorientierter Ansätze, die sich heute unter Begriffen wie Lebens- bzw. Sozialraumorientierung oder auch Quartiersarbeit finden und zum Ziel haben, Menschen in ihrem persönlichen Lebensumfeld zu erreichen und ggf. auch Einfluss auf dieses Lebensumfeld zu nehmen,
    • die Integration neuer Konzepte wie Motivierende Gesprächsführung oder Community Reinforcement Approach (CRA).

    Dies sind Interventionen und Hilfestrategien, die letztlich alle darauf abzielen, immer mehr Menschen mit riskantem oder abhängigem Suchtmittelkonsum frühzeitig und bedarfsgerecht zu helfen.

    Ambulante Suchthilfe und soziale Gemeinschaft (Zivilgesellschaft)

    Über die bloße Tatsache hinaus, dass die ambulante Suchthilfe Anlaufstelle für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe mit spezifischen Problemen ist, besitzt sie einen (Mehr-)Wert für die soziale Gemeinschaft. Ambulante Suchthilfe versteht sich als Teil der regionalen Gesundheitsvorsorge. In diesem Rahmen bemisst sich ihr Wert aus der Summe ihres unmittelbaren Nutzens für betroffene Menschen und deren Angehörige und ihres mittelbaren Nutzens für die soziale Gemeinschaft. Diesen mittelbaren Nutzen erreicht sie auf vielfältige Weise:

    • Öffentlichkeitsfunktion: Als Anwältin der Betroffenen weist sie auf die Lebensbedingungen suchtkranker Menschen öffentlich hin. Diese öffentliche Thematisierung verhindert, dass die besonderen Problem- und Lebenslagen der betroffenen Menschen einseitig individuell begründet und damit stigmatisiert und tabuisiert werden. Dagegen werden sie als zwar persönlich, aber auch gesellschaftlich und sozial bedingte Prozesse dargestellt. Die ambulante Suchthilfe schafft damit eine wesentliche Grundlage für die Integration suchtkranker Menschen. Denn Integration oder Inklusion erfolgt nicht über die professionellen Helfer, sondern über die Mitmenschen, die Mitbürger, die lernen, Suchterkrankungen zu verstehen und die Betroffenen nicht (mehr) auszugrenzen.
    • Signalfunktion: Die ambulante Suchthilfe ist ein Seismograph für soziale Entwicklungen. Aufgrund ihrer täglichen Arbeit mit suchtkranken Menschen in deren spezifischen Lebensbezügen nimmt sie soziale Entwicklungen frühzeitig wahr. Ihre Aufgabe ist es, nicht nur auf die Lebensbedingungen der ihr anvertrauten Menschen hinzuweisen, sondern z. B. auch auf Auswirkungen und Konsequenzen, die bestimmte Gesetzesvorhaben und Gesetzeslagen hätten oder haben. Indem sie auf bestimmte Verhältnisse und Entwicklungen aufmerksam macht und sich so in die politische und gesellschaftliche Debatte einmischt, besitzt sie wichtige Signalfunktion bezogen auf die gesellschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen.
    • Gesellschaftliche und soziale Teilhabe: Ambulante Suchthilfe leistet einen Beitrag zur gesellschaftlichen und sozialen Teilhabe. Suchtprobleme, die nicht frühzeitig erkannt werden oder die nicht oder nicht ausreichend behandelt werden können, führen zur Exklusion, zur gesellschaftlichen wie sozialen Ausgrenzung. Gerade der umfassende Ansatz der Sozialen Arbeit in der ambulanten Suchthilfe ist Garant dafür, dass neben der unmittelbaren Behandlung der Erkrankung auf medizinischer und psychotherapeutischer Basis auch die Lösung anderer damit verbundener Problemlagen in den Blick kommt, egal ob es sich dabei um materielle Hilfen, die Förderung tragfähiger sozialer Netzwerke, den Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt oder die Verwirklichung von Rechtsansprüchen handelt.
    • Gesellschaftliche Solidarität: Soziale Arbeit trägt maßgeblich zur gesellschaftlichen Solidarität, also zum Zusammenhalt einer Gesellschaft und deren positiver Weiterentwicklung bei. Der Umgang mit Suchtmitteln, der nicht reglementiert ist, Wirkungen und Konsequenzen von Suchtmitteln, über die nicht oder nicht ausreichend aufgeklärt wird, ein fehlendes oder unzulängliches Hilfe- und Versorgungssystem sind eine Gefahr für die soziale Gemeinschaft. Ambulante regionale Suchthilfe wirkt dem entgegen, indem sie sich vorbeugend mit dem adäquaten Umgang mit Genuss- und Suchtmitteln und mit der Behandlung akuter Suchtprobleme befasst. Dadurch besitzt sie einen hohen kollektiven Nutzen.
    • Soziale Sicherung und soziale Befriedung: Letztlich leistet die ambulante Suchthilfe einen Beitrag zur sozialen Sicherung und zur sozialen Befriedung in der Kommune, indem sie für regionale und spezifische Probleme Lösungsansätze mit entwickelt. Dies kann auf ordnungspolitischer Ebene in Zusammenarbeit mit der Politik und den Sicherungsorganen vor Ort erfolgen, beispielweise zur Entschärfung negativer Konsequenzen lokaler Drogenszenen. Die Suchthilfe kann aber auch zum sozialverträglichen Umgang mit Alkohol in der Öffentlichkeit beitragen, beispielsweise über Angebote zu einer Fest- und Feierkultur, die den Genuss legaler Suchtmittel nicht ausschließen, aber Formen finden, die Konsum- und Gewaltexzesse vermeiden.

     Aktuelle Herausforderungen

    Die oben beschriebene Rolle der ambulanten Suchthilfe und ihr Selbstverständnis werfen aber auch Fragen auf: Hat die ambulante Suchtberatung weiterhin den Willen und die Ressourcen, erste Anlaufstelle für alle Fragen, Personen und Institutionen im Zusammenhang mit Abhängigkeit zu sein und Lotsenfunktion zu übernehmen? Sieht sie sich zunehmend in „Konkurrenz“ zu den psychiatrischen Versorgungsstrukturen und zu niedergelassenen Therapeuten/-innen, oder gelingt es ihr, darin Kooperations-Chancen zu entdecken und diese im Sinne einer Optimierung der Versorgungslandschaft für die Hilfesuchenden zu nutzen?

    Wie zuvor beschrieben, haben sich die Rahmenbedingungen der Leistungserbringung für ambulante Hilfen auf regionaler und kommunaler Ebene stark verändert und werden dies auch weiterhin tun. Die ambulante Suchthilfe stellt Leistungen für Menschen in einem Gemeinwesen zur Verfügung und steht deswegen unter der permanenten Prämisse, sich in einem kontinuierlichen Veränderungsprozess den gesellschaftlichen Entwicklungen, rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen sowie veränderten Erwartungen von Seiten der Politik, der Leistungsträger und der Hilfesuchenden anzupassen. Daraus ergeben sich zentrale aktuelle Herausforderungen:

    Unter der Prämisse der Ökonomisierung ambulanter Hilfen, aber auch aufgrund veränderter Bedarfe der Hilfesuchenden und neuer fachlicher Kenntnisse, haben sich das Leistungsangebot wie auch die Leistungserbringung stark gewandelt. Die Modularisierung der Hilfen und Angebote hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, d. h. es werden zunehmend bedarfsorientierte und passgenaue Hilfen, Interventionen und Maßnahmen für spezifizierte Klientengruppen angeboten. Hierdurch können die Hilfen effektiver und effizienter angeboten werden. Aufsuchende Hilfen, z. B. in Haftanstalten, Betrieben oder Krankenhäusern, gewinnen zunehmend an Bedeutung. Über Maßnahmen der Früherkennung und Frühintervention werden Klienten/-innen früher erreicht, und es werden auch andere Klientengruppen erreicht. Ansätze der Lebenslagen- bzw. Sozialraumorientierung kommen vermehrt in den Blick.

    Das alles wirkt sich auch auf das erforderliche Handlungswissen der Berater/innen aus. Sie werden immer stärker von Spezialisten zu Generalisten. Die Mitarbeiter/-innen ambulanter Beratungsstellen verstehen sich heute als multidisziplinäre Teams in Netzwerkarbeit und mit Case-Management-Orientierung. Gleichzeitig bestehen hohe Ansprüche an Effektivität und Effizienz vor dem Hintergrund einer hohen Qualitätsorientierung.

    Die skizzierte (positive) Entwicklung darf aber nicht von der Kehrseite der Medaille ablenken. Eine bedarfsorientierte Leistungserbringung, die ökonomisch sinnvoll und qualitativ hochwertig ist, erhöht den administrativen Aufwand und bringt zwangläufig fachlich und personell anspruchsvolle Leitungs- und Steuerungsaufgaben mit sich. Durch die stärkere Differenzierung und Ökonomisierung der ambulanten Hilfen nimmt in den Beratungsstellen die unmittelbare Beratungs- und Betreuungszeit für den einzelnen Klienten ab, und die Verdichtungen in den Arbeitsbezügen nehmen deutlich zu. Das für die ambulanten Hilfen zentrale Moment der Beziehungsgestaltung und der Bindungsarbeit verändert sich. Berater/-innen weisen deutlich darauf hin, dass die Gesprächs- und Betreuungszeiten für ihre Klientel spürbar abgenommen haben. Bei gleichbleibenden personellen Ressourcen stellt sich durchaus die berechtigte Frage, ob und wie der hohe Anspruch an das Qualitätsniveau ambulanter Leistungen aufrechterhalten werden kann. Schon jetzt signalisieren Beratungsstellen, dass das Qualitätsniveau in den einzelnen Angeboten variiert. Durch passgenaue und zielführende Angebote kann das Leistungsniveau für bestimmte Klientengruppen erhöht werden, während es an anderer Stelle, bedingt durch die nicht gleichzeitig angepassten Ressourcen, wiederum abnimmt. Auf einen Nenner gebracht, befürchten Berater/-innen einen Rückgang der Nachhaltigkeit der Leistungen, was sich beispielweise in den Halte- und Rückfallquoten niederschlägt.

    Die ambulante Suchthilfe ist überwiegend pauschal finanziert auf den Säulen von Eigenmitteln, staatlichen Zuschüssen, Refinanzierungen/Erwirtschaftungen und Projektfinanzierungen. Die kostendeckende Finanzierung der Leistungen und Angebote der ambulanten Suchthilfe ist in den letzten Jahren deutlich schwieriger geworden. Öffentliche Mittel sind rückläufig und stehen unter Einsparvorbehalt. Die Leistungsvergütung hat sich für die Leistungserbringer tendenziell verschlechtert. Gleichzeitig nimmt der Druck in den Einrichtungen zur Eigenwirtschaftlichkeit zu. Tendenziell nimmt der pauschal finanzierte Anteil im Budget der Beratungsstellen ab. Ziel einer auskömmlichen Finanzierung ist eine grundsätzliche Kostendeckung, es ist aber auch zu vermeiden, dass die pauschale Finanzierung der Grundversorgung in den Kommunen mit spezifischen Leistungsangeboten konkurriert bzw. verrechnet wird.

    Perspektiven der ambulanten Suchthilfe

    Hat die ambulante Suchthilfe auch weiterhin das Ziel, erste Anlaufstelle für alle Fragen, Personen und Institutionen im Zusammenhang mit Abhängigkeit in einer Region oder Kommune zu sein und Lotsenfunktion zu übernehmen, dann sind – verbunden mit den eben skizzierten Herausforderungen – folgende Aspekte für eine Perspektive wesentlich:

    Suchtberatung ist allen zugänglich und hilft frühzeitig, sie ist teilhabe- und sozialraumorientiert

    Wie im Sinne einer Präambel muss im Grundverständnis der Daseinsvorsorge der Kommunen verankert sein, dass Suchtberatung allen Bürgern/-innen voraussetzungslos zugänglich sein muss. Niemand wird wegen seiner Herkunft, seiner Lebensumstände oder mangelnder Kaufkraft ausgeschlossen. Professor Matthias Möhring-Hesse von der Hochschule Vechta geht so weit, bei der Sozialen Arbeit von einem „öffentlichen Gut“ zu sprechen, von dessen Nutzung niemand ausgeschlossen sein darf. Ein Angebot nach diesem Verständnis muss per se niedrigschwellig sein. Mit dem Ziel erhöhter Erfolgschancen wie auch im Sinne von Ressourcenschutz hat die Suchtberatung den Anspruch, möglichst frühzeitige Hilfe zu leisten. Das gilt auch für eher „schwer erreichbare“ Zielgruppen, bei denen die ambulante Suchthilfe mit einem rein nachfrageorientierten Verständnis im Sinne der „Komm-Struktur“ an ihre Grenzen stößt. Das erfordert ein Umdenken im methodischen Zugang der ambulanten Suchthilfe. Ansätze aufsuchender Hilfen werden ausgeweitet. Angebote und Maßnahmen werden zunehmend im Verständnis von Sozialraumorientierung entwickelt und erbracht.

    Die Schärfung des eigenen Profils beginnt bei der Diagnostik

    Die Bedarfe der Hilfesuchenden werden immer vielschichtiger. Das hat Auswirkungen auf die Anforderungen an die Diagnostik und Psychodiagnostik in der ambulanten Suchthilfe, die diese Vielschichtigkeit der Lebenslagen erkennen und erfassen muss. Daraufhin ergeben sich Anforderungen an ein modulbezogenes und bedarfsgerechtes Hilfeangebot und insbesondere an ein gestuftes Hilfeangebot, das im Sinne von stepped care und Ressourcenorientierung angemessene und aufeinander aufbauende Maßnahmen der Beratung, Begleitung und Behandlung bereithält. Das handlungsleitende Prinzip dabei ist: „So viel Hilfe wie nötig, so wenig wie möglich“ – statt „Viel für wenige“ eher „Etwas für viele“. Eine solche Differenzierung des Leistungsprofils unterscheidet Kernleistungen (Grundversorgung), spezifische Leistungen für die jeweilige Kommune (Pflicht) und von der ambulanten Suchthilfe zusätzlich angebotene Leistungen (Kür). Die ambulante Suchthilfe benötigt zukünftig mehr fachliche und personelle Ressourcen für managementorientierte Aufgaben. Nicht zu Lasten der Beratung und Betreuung, aber ergänzend, damit die Verschiebung in der Arbeit zu Koordinierung, Vernetzung, Wirkungsorientierung und Ökonomie besser gelingt.

    Verbünde haben Konjunktur – gemeinsam sind wir besser

    Aufgrund der steigenden fachlichen und versorgungsorientierten Anforderungen werden strategische Überlegungen zur Verbundorientierung an Bedeutung gewinnen – je nach den jeweiligen regionalen und kommunalen Erfordernissen. In eine kommunale oder regionale Suchthilfeplanung, die sich eine bedarfsorientierte Grundversorgung im Sinne einer öffentlichen Gesundheitsversorgung zum Ziel gesetzt hat, müssen die vielfältigen Netzwerke eingebunden sein. An dieser Stelle kann und muss die ambulante Suchthilfe eine zentrale koordinierende und flankierende Rolle spielen.

    Auf den Schnittstellen liegt das Augenmerk der Zukunft

    Komplexe Problemlagen benötigen in der Regel komplexe Lösungen. Das ist eine Binsenweisheit. Viele Problemlagen, mit denen die Suchthilfe konfrontiert ist, lassen sich alleine aus der Suchthilfe heraus nicht lösen, sondern nur in sinnvoller Kooperation mit anderen Akteuren innerhalb einer integrierenden Versorgungslandschaft. Die eigentliche Weiterentwicklung im Sinne verbesserter Hilfen und Angebote für betroffene Menschen liegt in einer optimierten und intensivierten Schnittstellenarbeit. Das bindet fachliche wie personelle Ressourcen und kann nicht mal schnell nebenher erledigt werden. Erforderlich ist: Voraussetzungen zu schaffen, um diese eigenständige Fachlichkeit des Schnittstellenmanagements erbringen zu können.

    Wirkungsorientierung ist der Boden, auf dem wir stehen

    Die konsequente Darstellung von Wirkzusammenhängen wird an Bedeutung gewinnen. Dies ist erforderlich für die fachliche Weiterentwicklung, für die Transparenz der Arbeit, für den gezielten Einsatz von Ressourcen und damit für die Rechtfertigung des Handelns in der ambulanten Suchthilfe – letztlich auch in einem fast moralisch zu verstehenden Sinn: Hilfesuchende Menschen in der ambulanten Suchthilfe haben ein Recht auf wirkungsvolle Hilfen. Das deutlich zu machen, konsequenter und intensiver darzustellen – gegenüber den Geldgebern aus der öffentlichen Hand und der Sozialversicherung, der Politik wie auch in die Öffentlichkeit hinein – ist eine vordringliche Aufgabe der ambulanten Suchthilfe.

    Der Blick auf die Ökonomie macht ehrlicher

    Ähnliches gilt für den unmittelbaren Zusammenhang von Kosten und Nutzen. Dabei darf der Blick auf die Ökonomie nicht alles sein, darf nicht zum vorherrschenden Maßstab des Handelns werden. Aber der Blick auf Ökonomie macht ehrlicher. Eine langfristige ökonomische Sicht ist abzugrenzen von kurzfristigen Kosteneinsparansätzen, bei denen es nur darum geht, monetär festzustellen, wer welche Leistung am billigsten anbieten kann. Ökonomie langfristig verstanden bedeutet, öffentlich darzustellen, dass wirtschaftliche Erfordernisse nicht zu trennen sind von Wirkungszusammenhängen, von der Nachhaltigkeit in der Leistungserbringung, vom unmittelbaren Nutzen der Leistungen für die Betroffenen und vom mittelbaren Nutzen für die soziale Gemeinschaft. Ökonomie so verstanden ist ein deutliches Argument gegen die allein subjektbezogene Finanzierung auf der Grundlage von Einzelverträgen und Leistungsvereinbarungen und für eine langfristige ökonomische Gestaltung der Hilfen. Und sie ist ein gewichtiges Argument für den Aufbau einer langfristigen Sozialpartnerschaft zwischen Kommune und Leistungsanbietern vor Ort.

    Qualitätsmanagement sichert den Erfolg

    Der gleichermaßen konsequente wie umsichtige Umgang mit Qualitätsmanagement schafft die Grundlagen dafür, in den Einrichtungen der ambulanten Suchthilfe die vielschichtigen fachlichen und leistungsrechtlichen Anforderungen und damit verbundene Maßnahmen so zu ordnen und aufeinander zu beziehen, dass deren Wirkungen auch dort ankommen, wo sie hinzielen, also bei den Menschen mit Suchtproblemen.

    Fazit

    Das Paradigma aus Wirksamkeit (Effektivität), Effizienz (Wirtschaftlichkeit) und Nachhaltigkeit (Qualität) darf nicht der alleinige Maßstab zur Rechtfertigung von Maßnahmen der ambulanten Suchthilfe sein. Nicht alles lässt sich in dieses Schema einordnen, nicht alle Problemlagen und Lösungsansätze lassen sich in messbare Schablonen pressen. Das geht auf Kosten der Vielfältigkeit und vor allem der Kreativität der Lösungen. Die Lebenswirklichkeit der hilfesuchenden Menschen ist vielschichtiger, lebendiger. Und die Antwort der ambulanten Suchthilfe in ihrer Orientierung an der psychosozialen Arbeit ist vielschichtiger, kreativer.

    Aber die ambulante Suchthilfe muss sich dem beschriebenen Optimierungsprozess stellen, managementorientierte Handlungsprogramme mit Augenmaß einsetzen und mit den lebendigen und kreativen Möglichkeiten psychosozialer Arbeit verknüpfen.

    Kontakt:

    Stefan Bürkle
    Geschäftsführer
    Caritas Suchthilfe e.V. (CaSu)
    Karlstraße 40
    79104 Freiburg
    Tel. 0761/200 303
    casu@caritas.de
    www.caritas-suchthilfe.de

    Angaben zum Autor:

    Stefan Bürkle ist Geschäftsführer der Caritas-Suchthilfe e. V. (CaSu), Freiburg.

    Literatur:
    • Hans Joachim Abstein, AGJ Freiburg, Projekt „Zukunftsfähigkeit der PSB der LSS Baden-Württemberg“, Freiburg 2010
    • Arbeitsgemeinschaft Katholische Suchtkrankenhilfe (AKS), Sucht(-hilfe) kostet Geld – Suchthilfe spart Geld! – eine Argumentationshilfe für die Praxis, Freiburg 2003
    • Peter Bartelheimer, Politik der Teilhabe, Friedrich-Ebert-Stiftung. Berlin 2007
    • Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V., Leistungsbeschreibung für ambulante Beratungs- und Behandlungsstellen der Suchtkrankenhilfe, DHS, Hamm 1999
    • Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V., Grundversorgung in der ambulanten Such- und Drogenhilfe, Köln 2009
    • Zukunftsforum Politik. Sozialer Bundesstaat 66. Hrsg. Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin 2005
      FOGS-Studie DCV, Integrierte Versorgungsstrukturen – Kooperation und Vernetzung in der Suchthilfe der Caritas, Köln 2008
    • Institut für Therapieforschung (IFT), Suchthilfe in Deutschland, Jahresberichte der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) 2008 bis 2012, München
    • Matthias Möhring-Hesse, Hochschule Vechta, Die Zukunft der sozialen Arbeit im Sozialstaat, Frankfurt 2005
    • Hans-Uwe Otto, Universität Bielefeld, Zum aktuellen Diskurs um Ergebnisse und Wirkungen im Feld der Sozialpädagogik und Sozialarbeit – Literaturvergleich nationaler und internationaler Diskussion, Berlin 2007
    • Petzold, H., Steffan A. Gesundheit, Krankheit, Diagnose- und Therapieverständnis in der Integrativen Therapie, in: Integrative Therapie 2001
    • Wolfgang Scheiblich, Zwischen Sozialarbeit und Psychotherapie – Die Anforderungen an die Suchtkrankenhilfe, Sozialdienst Katholischer Männer e.V., Köln 2004
    • Renate Walter-Hamann, Suchtberatung ist keine Restkategorie, in: neue caritas 18/2007, Deutscher Caritasverband, Freiburg 2007
  • Viel mehr als nur Beratung

    Viel mehr als nur Beratung

    Anja Vennedey
    Anja Vennedey

    Anja Vennedey ist Leiterin des Suchtberatungs- und Therapiezentrums der Diakonie Düsseldorf mit Fachambulanz und Tagesklinik. Vor dem Hintergrund ihrer beruflichen Praxis und einer gut zehnjährigen Berufserfahrung in leitender Funktion beschreibt sie die aktuelle Situation und sich abzeichnende Entwicklungen in der ambulanten Suchthilfe. Der Artikel beruht auf einem Vortrag, den die Autorin im September 2014 auf der „23. Fachtagung Management in der Suchttherapie“ des buss in Kassel gehalten hat.

    Angebote der ambulanten Suchthilfe

    Im übertragenen Sinne und auch ganz real befinden wir uns als Anbieter ambulanter Suchthilfe in einem Umbauprozess. Seit 30 Jahren sind die ambulanten Suchthilfeangebote der Diakonie Düsseldorf unter derselben Adresse zu finden. Doch zurzeit sind wir mit unseren Angeboten ausgelagert, da wir umbauen, um auf der einen Seite Strukturvorgaben wie „Barrierefreiheit“ umzusetzen und auf der anderen Seite moderner und kundenfreundlicher zu werden.

    Der Träger hat eine lange Tradition in der ambulanten Suchthilfe. Im Suchtberatungs- und Therapiezentrum beraten wir Menschen, die Probleme mit Alkohol, Medikamenten, pathologischem Glücksspiel und missbräuchlichem/pathologischem Internetgebrauch haben, und ihre Angehörigen. Wir sind Träger einer Fachstelle für Suchtprävention, die wir in Kooperation mit dem Düsseldorfer Drogenhilfe e. V. betreiben. Mit unserem alkoholfreien „cafe drrüsch“ bieten wir einen suchtmittelfreien Treffpunkt, der sich seit zehn Jahren als Teil des Stadtteils begreift und mit kulturellem Angebot Anlaufstelle für Klienten und Bewohner des Stadtteils sein will. Hier bieten wir auch für Klienten Beschäftigungsmöglichkeiten im Service- und Küchenbereich an als ein erster Schritt zurück in das Arbeitsleben. Ein Suchtnotruf – als telefonische Hotline – steht an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr als erste Anlaufstelle bei Fragen und Krisen zum Thema Sucht zur Verfügung.

    Seit 1992 bieten wir ambulante medizinische Rehabilitation und Nachsorge für Alkohol- und Medikamentenabhängige und pathologische Glücksspieler an. In Kooperation mit dem Düsseldorfer Drogenhilfe e. V. besteht diese Möglichkeit auch für Abhängige von illegalen Drogen. Im Jahr 2000 gründeten wir unsere Tagesklinik mit 18 Behandlungsplätzen zur ganztägig ambulanten Rehabilitation von Alkohol- und Medikamentenabhängigen. Das komplette Beratungs- und Behandlungsangebot wird zurzeit von insgesamt 27 Mitarbeitenden aufrechterhalten.

    Zum ambulanten Suchthilfeangebot des Trägers gehört auch das Ambulant Betreute Wohnen für Menschen mit einer Suchterkrankung. Seit Ende der 1980er Jahre erhalten Menschen aufsuchende Hilfen in eigenen Wohnungen und Wohngemeinschaften. Mit der Fachklinik Haus Siloah besteht ein Kooperationsvertrag, über den ärztliche Leistungen zur Verfügung gestellt werden und eine enge inhaltliche Kooperation sichergestellt ist. Es gäbe vieles zu den einzelnen Bereichen zu sagen, doch ich möchte mich im Folgenden auf die drei Beratung, Prävention und Nachsorge beschränken.

    Suchtberatung

    Das „Herzstück“ der Einrichtung, sicherlich auch der größte Tätigkeitsbereich, ist die ambulante Suchtberatung. Im besten Falle stehen hier Zeit, Raum und BeraterInnen bereit, um den schwierigen und höchst persönlichen Weg der Auseinandersetzung mit der eigenen Suchterkrankung oder der eines Angehörigen zu gehen. Allerdings handelt es sich hierbei auch schon um die größte „Grauzone“ im ambulanten Suchthilfebereich. Welche Leistungen der Begriff Suchtberatung beinhaltet, ist gesetzlich nicht definiert. Ebenso gibt es keine leistungsrechtliche Einordnung der Suchtberatung. So stellt sie eine freiwillige Leistung der Kommunen dar und unterscheidet sich in Standards, Beratungsdauer und Personaleinsatz von Träger zu Träger, Kommune zu Kommune, Bundesland zu Bundesland. Wie soll man beschreiben, was dort alles passiert?

    Ein paar Zahlen aus dem Jahr 2013 veranschaulichen die Aktivitäten: 1.450 Klienten suchten uns auf, darunter waren fast zehn Prozent Angehörige. 40 Prozent der Klienten suchten erstmalig Hilfe wegen ihres Suchtproblems oder des eines Angehörigen. Das heißt, dass 60 Prozent „Wiederkehrer“ waren, die schon irgendeine Maßnahme absolviert hatten. Viele davon auch bei uns. Für mich bedeutet das, dass wir den Menschen immer so begegnen müssen, dass ihnen ein Wiederkehren möglich ist. Ich habe in den Jahren viele Menschen kennengelernt, die eine erste Suchtberatung abgebrochen haben, einfach, weil sie noch nicht an dem Punkt zur Veränderung angelangt waren. Wenn sie Monate oder Jahre später wiederkommen (können) ohne Scham, dann haben wir gute Arbeit geleistet.

    Fakten 2013
    Fakten 2013

    Im Rahmen der Suchtberatung vermitteln wir in weitergehende Hilfen, Entgiftungen, ambulante oder stationäre Wohnhilfen oder eben auch in Rehabilitationen. Von den Mitarbeitenden wird eine ausgeprägte Kenntnis des Hilfesystems und der leistungsrechtlichen Voraussetzungen erwartet. Gleichzeitig müssen sie in der Lage sein, zusammen mit den Klienten Perspektiven zu erarbeiten, die annehmbar sind. In der Motivations- und Orientierungsphase der Suchtberatung geht es um Abstinenzentscheidung, Krankheitseinsicht und weitergehende Hilfen. Hier werden unterschiedlichste Gruppenangebote, die von hauptamtlichen Mitarbeitern und abstinent lebenden ehemaligen Klienten geleitet werden, angeboten. Die breite Vielfalt der Bevölkerungsschichten bildet sich auch in unserem Hause ab, das ist manchmal eine Herausforderung – häufiger aber eine gegenseitige Bereicherung.

    Suchtberatung ist abwechslungsreich, anspruchsvoll und wegweisend. Die Abstinenz ist nicht die Voraussetzung für unser Angebot, sondern im besten Falle das Ziel. Für mich ist die Suchtberatung die Seele und Schaltzentrale der Einrichtung. Hier bekommen wir Veränderungen, Trends und Entwicklungen mit. In der Suchtberatung finden sehr individuelle Prozesse statt. Wie viel Zeit jemand braucht, um sein Suchtverhalten für sich zu klären und eine tragfähige Entscheidung zur weiteren Behandlung zu treffen, kann sehr unterschiedlich sein und ist nicht von vorneherein auf eine geringe Anzahl an Terminen begrenzbar.

    Die Suchtberatung ist aber regional sehr unterschiedlich aufgestellt, da es eben keine regionen- oder sogar länderübergreifende Regelung gibt. Das heißt, wie viel Suchtberatung eine Stadt sich leisten kann, wie viel Zeit für den Prozess zur Verfügung gestellt wird, hängt auch sehr von der jeweiligen Kommune ab. Deshalb sehen wir in der Praxis unserer ganztägig ambulanten Rehabilitationseinrichtung sowohl Menschen, die vor ihrer Entwöhnungsbehandlung nur zwei bis drei ausschließlich auf Antragsstellung ausgerichtete Gespräche absolviert haben, als auch Klienten, die bereits in einen ersten intensiven Auseinandersetzungsprozess mit ihrer Erkrankung eingetreten sind. In der Regel werden Letztere das angebotene Reha-Programm besser nutzen können. Hier bedarf es aus meiner Sicht verbindlicherer Standards und überregionaler, gesetzlich geregelter Finanzierungsmodelle.

    Prävention

    In diesem Bereich haben wir unsere Angebote zusätzlich zur universellen Prävention (früher Primärprävention) zunehmend differenziert und ergänzt. Ein Gebiet, auf dem wir zusätzliche Erträge erwirtschaften und gleichzeitig frühzeitige Hilfen anbieten können, ist das Betriebliche Gesundheitsmanagement. Im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements beraten wir Firmen im Umgang mit suchtmittelauffälligen Mitarbeitern und schulen Vorgesetze in der Anwendung von Dienstvereinbarungen, die wir auch mit dem jeweiligen Unternehmen erarbeiten.

    „Komasaufen“ und „jugendliches Rauschtrinken“ sind weitere nennenswerte Phänomene, auf die wir in unserer Arbeit reagiert haben. So bieten wir mit „ALFred“ – in Anlehnung an das bekannte Fred-Programm – eine Frühintervention für unter Alkohol straffällig gewordene Jugendliche an. Dabei arbeiten wir eng mit der Jugendgerichtshilfe zusammen. „Standfest – dein Wille gegen Promille“ ist ein aufsuchendes Suchtpräventionsprojekt. Hier ist eine hauptamtliche Mitarbeiterin mit geschulten Peers, also Gleichaltrigen, unterwegs, um an Standorten, an denen sich Jugendliche in Düsseldorf aufhalten, über Alkohol & Co. ohne erhobenen Zeigefinger aufzuklären. Als neueste Entwicklung gibt es eine Standfest-App, die die wichtigsten Informationen für Jugendliche enthält. Ermöglicht wurde das Projekt durch Spenden. Das ist immer positiv zu bewerten. Für uns ist es aber immer auch ein Ziel, die Finanzierung solcher Projekte eigenständig sichern zu können.

    Das Standfest-Team im Einsatz
    Das Standfest-Team im Einsatz

    Diese speziellen Angebote sind zu dem bestehenden Angebot in der Suchtprävention sicherlich gute und sinnvolle Ergänzungen. Allerdings dürfen sie nicht zu Lasten der universellen Prävention in Kindergärten, Schulen oder Jugendfreizeiteinrichtungen gehen. Die Effekte von Präventionsarbeit sind nicht immer direkt mess- oder evaluierbar, es entstehen eher nachhaltige, persönlichkeitsstärkende Effekte. In fachlicher und finanzieller Sicht geraten wir hiermit aus meiner Sicht aber immer stärker unter Druck: Maßnahmen der Suchtprävention werden immer häufiger „als Feuerwehr angefragt“, um auf ordnungs- und gesellschaftspolitische Phänomene zu reagieren, wie z. B. in den letzten Jahren auf die vermehrten Anfragen zu Crystal Meth, Computerspiel- und Onlinesucht, Legal Highs etc. Eine auf Nachhaltigkeit angelegte Suchtprävention setzt aber viel früher und substanzungebunden an.

    Nachsorge

    Für viele Suchtkranke ist die ambulante Suchthilfe nicht nur Anlaufstelle zu Beginn ihrer Auseinandersetzung mit der Suchterkrankung, sondern auch im Anschluss an eine erfolgte Reha-Maßnahme. Das Stabilisieren und Sichern von Behandlungserfolgen und Abstinenz, die Wiedereingliederung in Arbeit und das Ermöglichen von Teilhabe stellen für uns zurzeit die größte Herausforderung dar. Nach abgeschlossenen ganztägig ambulanten oder stationären Rehabilitationsmaßnahmen bieten wir Nachsorge oder für Versicherte der DRV Rheinland als regionalem Leistungsträger ARS nachstationär an. Mit den Ergebnissen in diesem Bereich sind wir unzufrieden, und als Einrichtung treibt uns das um. Zahlen aus 2013 sollen dies verdeutlichen: Im Jahr 2013 lagen uns insgesamt 120 Bewilligungen für Nachsorge oder ARS nachstationär durch die Leistungsträger vor. 36 Prozent – also 44 Personen – haben die Behandlung regulär und erfolgreich beendet, bei ca. 30 Prozent wurde die Maßnahme durch uns oder die Klienten frühzeitig beendet. Und knapp 34 Prozent – also 41 Personen – traten die Maßnahme gar nicht erst an!

    Die hohe Nichtantrittsquote ist umso erstaunlicher, als wir – und ich denke die gesamte ambulante Suchthilfe – in den vergangenen Jahren unsere Struktur viel „zugehender“ organisiert haben. Wenn eine Leistungszusage für einen Versicherten vorliegt, der noch keinen Kontakt mit uns hatte, versuchen wir Kontakt herzustellen. Wir beobachten auch eine Veränderung in der Zuweisung. Während es vor ca. 15 Jahren üblich wahr, dass Versicherte bereits während ihrer stationären Reha Kontakt zur Nachsorgeeinrichtung aufnahmen und Termine vereinbarten, ist das heute die Ausnahme. Somit scheint es dringend notwendig, die Schnittstellen zu den stationären Einrichtungen zu verbessern und zu pflegen.

    Den Bereich der Nachsorge bzw. der ARS nachstationär erlebe ich als eine sehr anspruchsvolle, zeitintensive und fordernde Arbeit. Die Themen und Anliegen der Menschen, die zu uns kommen, sind vielfältig, komplex und schwierig. Kürzere Rehabilitationszeiten und komorbide Krankheitsbilder tragen dazu bei. Die erste Zeit nach einer Suchtrehabilitation, wenn der Abhängigkeitskranke wieder in seinem vertrauten Umfeld lebt, ist oft entscheidend für eine längerfristige Abstinenz oder eine erneute (andauernde) Rückfälligkeit.

    Seit März 2013 ist das neue von DRV Bund und GKV erarbeitete Nachsorgekonzept in Kraft. Die beschriebenen Inhalte sind durchaus richtig und wichtig, jedoch wurden die qualitativen und quantitativen Standards erheblich abgesenkt. Aus meiner Sicht zeigt sich im Alltag der Einrichtungen etwas anderes. Wie erwähnt kommen viele Patienten in der Praxis gar nicht erst in unserer Einrichtung an, wir erleben häufige Rückfälle direkt nach Beendigung der Rehabilitation. Es scheint, als wäre Abstinenz in dem strukturierten Setting der stationären Einrichtung oder der Tagesklinik möglich, aber mit unserem inhaltlichen und strukturellen Angebot im Rahmen der Nachsorge erreichen wir eine Gruppe von Patienten nicht oder nicht ausreichend. Die Zahl derer, die mit multiplen Problemlagen zu uns kommen, ist groß. Ihnen werden wir mit dem neuen Nachsorgekonzept nicht gerecht. Daneben sind die beiden Tatsachen, dass in diesem Bereich von den Mitarbeitern keine speziellen suchttherapeutischen Qualifikationen mehr gefordert werden und das Leistungsentgelt abgesenkt wurde (für unsere Region fast um 25 Prozent innerhalb von vier Jahren), nicht nachvollziehbar und aus meiner Sicht ein falscher Weg.

    Mitarbeiterstruktur

    Wenn man über die Gegenwart und Zukunft der ambulanten Suchthilfe spricht, kann man den drohenden Fachkräftemangel nicht unerwähnt lassen. Ich befürchte, dass dies eine der wesentlichen Fragestellungen unserer Einrichtung in den kommenden Jahren wird. Mit 40 Jahren bin ich in meiner Einrichtung die Drittjüngste! Ein Blick auf unsere Altersstruktur zeigt, dass fast 50 Prozent der Mitarbeitenden in den kommenden zehn Jahren die Altersgrenze erreicht haben werden. Neben den Chancen, die mit Mitarbeiterwechseln verbunden sind, steht uns der massive gleichzeitige Verlust von Fachkompetenz bevor.

    Finanzierung

    Das Suchthilfesystem wird durch unterschiedliche Leistungsträger finanziert und ist in verschiedenen Sozialgesetzbüchern versorgungsrechtlich geregelt. Zum Teil werden große Teile der ambulanten Hilfen auf freiwilliger Basis finanziert (Öffentlicher Gesundheitsdienst ÖGD). Das Suchtberatungs- und Therapiezentrum erbringt Leistungen nach dem SGB II, V, VI, VIII, IX und XII. Es rechnet seine Leistungen mit der Stadt Düsseldorf, mit Renten- und Krankenversicherungen, Unternehmen, Spenden- und Stiftungsgebern ab. Und ist dies auskömmlich?

    Leider nein. Und das ist höchst bedauerlich. In all den Jahren habe ich das Gefühl, dass wir uns auf immer neue Gegebenheiten einlassen, neue Arbeitsfelder anbieten, Ideen entwickeln, anders verwalten – wirklich eine breite Palette an Hilfen und Dienstleistungen anbieten – und unterm Strich rechnet es sich nicht. Der größte Zuschussgeber unserer Arbeit ist die Stadt Düsseldorf, mit der es einen Rahmenvertrag gibt. Darin sind Aufgabenfelder und Kennzahlen festgelegt, die in den Bereichen Prävention, Beratung etc. zu erbringen sind. Die Verträge haben i. d. R. eine Laufzeit von drei bis fünf Jahren und geben damit schon eine relative Planungssicherheit. Die Zuschüsse stiegen in den letzten 15 Jahren jährlich um 1,38 Prozent. Seit 01.01.2014 ist eine Steigerungsrate von zwei Prozent mit der Stadt Düsseldorf vereinbart. Das ist mehr als viele anderen Kommunen anbieten, aber es deckt nicht die jährlichen Steigerungen im Personal- und Sachkostenbereich. Die Schere geht in den letzten Jahren immer weiter auseinander. Daneben erhalten wir kleinere Beträge aus Landesmitteln, Einnahmen aus unserem café drrüsch und aus dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement.

    Die Vergütungssätze der ambulanten Rehabilitation sind in den letzten 15 Jahren ebenfalls nur marginal angestiegen. Manche Träger sind bereits aus der ARS ausgestiegen, da sie sie sich nicht mehr leisten konnten. Die Tagesklinik ist sicherlich ein Sonderfall und teilt das Schicksal vieler Tageskliniken, die immer wieder unter gravierenden Sorgen leiden. Seit ihrem Bestehen begleiten uns sehr schwankende Belegungszahlen, die gerade in so kleinen Einrichtungen immer wieder existenzbedrohende Züge annehmen. Bei der letzten Visitation sagte eine Vertreterin des Leistungsträgers: „Seien Sie froh, dass wir schon so lange durchhalten.“ Ich bin es auch, aber durchhalten konnten wir nur, weil wir einen Träger im Rücken haben, der uns durch manch schlechtes Jahr „getragen“ hat.

    Projekte und innovative Ansätze können wir dank Stiftungs- oder Spendengeldern umsetzen. Dies ist erfreulich, aber so ist es auch immer wieder unsicher, ob und wie solche Arbeit fortgesetzt werden kann. Ein aktuelles Beispiel hierfür stellt die Arbeit im Bereich Computerspiel- und Onlinesucht dar. Wie viele andere Träger auch konnten wir in den letzten Jahren ein Angebot aus Drittmitteln aufbauen. Nun ist das Angebot bekannt und wird rege in Anspruch genommen – und die Frage der weiteren Finanzierung ist offen. Einige Träger haben ihre Angebote für diese Zielgruppe in den letzten Monaten bereits eingestellt.

    Um kostendeckend zu arbeiten, die so genannte „schwarze Null“ zu sehen, sind wir auf Eigenmittel der Diakonie angewiesen. Personal, Sach- und Overheadkosten werden durch Zuschüsse, Erträge und Erlöse nicht gedeckt. Rückläufige Kirchensteuereinnahmen und in allen Bereichen ansteigende Kosten sorgen dafür, dass die kirchlichen Träger immer weniger bereit sind, diese Einnahmen in Angebote der Suchthilfe zu investieren, oder es schlichtweg nicht mehr können. Unsere Kostenstruktur lässt kaum Einsparpotentiale zu, der Großteil liegt in den Personalausgaben. Rücklagen für Investitionen oder Innovationen sind kaum möglich und bilden ein weiteres Zukunftsrisiko.

    Die Arbeit in der ambulanten Suchthilfe ist für mich eine Herzensangelegenheit. Hier wird wichtige und engagierte Arbeit geleistet, die für ein gut ausgebautes Suchthilfesystem in Deutschland unabdingbar ist. Wir haben es mit vielen Menschen zu tun, die niemals oder erst nach vielen Anläufen in den stationären Angeboten ankommen. Ihnen ein Unterstützungssystem anzubieten, welches passgenaue Hilfen zur Verfügung stellt, muss – trotz aller finanziellen Probleme – weiterhin unser Ziel und Ansporn sein.

    Blick in die Zukunft

    Ambulante Suchthilfe hat sich professionalisiert und spezialisiert. Angebote für Kinder, Jugendliche und ältere Menschen gehören ebenso dazu wie Handlungssicherheit bei Fragen zu Kindeswohlgefährdungen. Dabei wird ein kultursensibles und gendergerechtes Vorgehen in allen Bereichen der Beratung und Prävention erwartet. Mannigfaltige Aufgabengebiete und Arbeitsfelder werden benannt. Wir wollen passgenaue Hilfen für die Betroffenen anbieten. Aber wir müssen auch vorsichtig sein, uns nicht immer weiter auszudifferenzieren. Grenzen sind in der Sucht ein Thema, m. E. gilt das auch für unsere Organisationsstrukturen.

    Im Bereich der medizinischen Reha müssen wir unsere Angebote an arbeitsbezogenen Leistungen besser aufstellen und attraktiver machen. Arbeit und Tagesstruktur sind wichtige Bestandteile von Teilhabe und im Rahmen der Abstinenzsicherung nach einer Behandlung von immenser Bedeutung. Bei der Orientierung am Teilhabebegriff und an den Sprach- und Denkmustern der ICF müssen unsere ambulanten Angebote in den nächsten Jahren noch „aufholen“. Wir brauchen Angebote, die die Nachhaltigkeit von Rehabilitation für Menschen mit multiplen Problemlagen besser sichern. Der Spagat zwischen einer dienstleistungs- bzw. kundenorientierten Suchtberatung und -behandlung auf der einen Seite bei gleichzeitigem klaren Behandlungsprofil und klaren Grenzen auf der anderen fordert uns täglich heraus und ist sicherlich noch zu verbessern. Wir müssen suchtkranke Menschen früher erreichen und brauchen gute und funktionierende Kooperationen z. B. mit Hausärzten.

    „Finanzierung steuert Prozesse“ – und damit die Antwort auf die Frage, wie viel und welche Qualität in der Betreuung suchtkranker Menschen wir uns leisten können. In der ambulanten medizinischen Rehabilitation benötigen wir ein kostendeckendes Entgelt, ansonsten wird es in der ambulanten Versorgung zunehmend weiße Flecken auf der Landkarte geben. Für den Bereich der Nachsorge benötigen wir Angebote, die den Menschen und ihren Bedarfen gerecht werden. Und nicht zuletzt müssen wir auch zukünftig ausreichend qualifizierte Fachkräfte finden, die sich vorstellen können, in der Suchthilfe ihre berufliche Heimat zu finden. Als Lehrbeauftragte arbeite ich in einem Bachelorstudiengang Soziale Arbeit mit. Ich bin immer wieder erstaunt, als wie wenig attraktiv die Suchthilfe durch die Studierenden wahrgenommen wird. Das war zu meiner Studienzeit anders.

    Schließen möchte ich mit der Antwort auf die Frage, warum eine gut aufgestellte ambulante Suchthilfe für die Reha-Kliniken wichtig ist: Weil wir uns als DIE Vermittler in Rehabilitationen verstehen, die für eine gute Belegung der Kliniken unabdingbar sind. Weil wir regionale Vernetzungsstrukturen und Versorgung vor Ort anbieten. Weil wir mit einer guten Weiter- und Nachbehandlung stationäre Katamneseerfolge sichern, und weil wir frühzeitig die Möglichkeit haben, Trends und Entwicklungen zu sehen.

    Kontakt:

    Anja Vennedey
    Sachgebietsleiterin
    Suchtberatungs- und Therapiezentrum
    Fachambulanz und Tagesklinik
    Langerstraße 2
    40233 Düsseldorf
    anja.vennedey@diakonie-duesseldorf.de
    www.diakonie-duesseldorf.de

    Angaben zur Autorin:

    Anja Vennedey ist Dipl.-Sozialpädagogin, Sozialmanagerin M.A., Sucht-/Sozialtherapeutin und Supervisorin (DGSv). Bei der Diakonie Düsseldorf leitet sie das Suchtberatungs- und Therapiezentrum, bestehend aus Fachambulanz und Tagesklinik.

  • Nützlichkeit, Sichtbarkeit und Kooperation

    Nützlichkeit, Sichtbarkeit und Kooperation

    Helga Meeßen-Hühne
    Helga Meeßen-Hühne

    Helga Meeßen-Hühne ist seit 1999 in der Leitung der Landesstelle für Suchtfragen im Land Sachsen-Anhalt (LS-LSA) tätig. Sie beschreibt, welche Funktion die ambulante Suchthilfe auf Landesebene erfüllt und welche Strategien nötig und möglich sind, um ihre Finanzierung zu sichern. Der Artikel beruht auf einem Vortrag, den die Autorin im September 2014 auf der „23. Fachtagung Management in der Suchttherapie“ des buss in Kassel gehalten hat.

    1. Wer ist eigentlich die ambulante Suchthilfe?

    „Die“ ambulante Suchthilfe gibt es nicht

    Griffiger Titel – komplexe Gemengelage: Wer handelt in wessen Auftrag mit welchem Ziel in Kooperation mit wem? Verschiedenste gesetzliche Regelungen formulieren für den Suchtbereich jeweils unterschiedliche Anspruchsberechtigte, Erbringer und Ziele der Leistung: das SGB II über die Grundsicherung für Arbeitsuchende, das SGB V über die gesetzliche Krankenversicherung, das SGB VI über die gesetzliche Rentenversicherung und das SGB XII über die Sozialhilfe sowie die jeweiligen Landesgesetze über den Öffentlichen Gesundheitsdienst und über die Hilfen für psychisch Kranke. Nicht unerwähnt bleiben sollen Hilfen für Kinder, Jugendliche und junge Volljährige nach dem SGB VIII. Alle genannten Gesetze und einige weitere Vorschriften haben Relevanz auch für die „ambulante Suchthilfe“ (Ministerium für Arbeit und Soziales 2011).

    logo_ls_suchtfragen_verkeinertSuchtkranke und suchtgefährdete Menschen heißen – je nach Zuständigkeit – Kundinnen und Kunden, Rehabilitandinnen und Rehabilitanden, Klientinnen und Klienten oder seelisch Behinderte in Folge von Sucht. Im Wirkungsbereich des Kinder- und Jugendhilfegesetzes sind junge Menschen mit Suchtproblemen „von seelischer Behinderung in Folge von Sucht bedroht“ (§ 35a SGB VIII). Je nach Zuständigkeit geht es den Leistungsträgern z. B. um die Teilhabe am Arbeitsleben, die Sicherung und Wiederherstellung von Erwerbsfähigkeit oder die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.

    Dass 80 Prozent aller Suchtkranken mindestens einmal pro Jahr ihren Hausarzt aufsuchen, ist zumindest in der (Sucht-)Fachwelt bekannt. Die wenigsten der niedergelassenen Ärzte zählen sich aber selbst zur „ambulanten Suchthilfe“. Einige Ärzte, die Substitutionsbehandlung bei Opiatabhängigen durchführen, zählen sich zur „ambulanten Suchthilfe“. Manchmal ordnen sich Tageskliniken von psychiatrischen Fachkrankenhäusern oder von Fachkliniken gem. SGB VI der ambulanten Suchthilfe zu.

    Suchtberatungsstellen – Kern der ambulanten Suchthilfe

    Die Suchtberatungs- und -behandlungsstelle mit ihren regional sehr unterschiedlich ausgestalteten Grund- und Spezialangeboten bildet sicherlich den Kern der ambulanten Suchthilfe. Sie ist der einzige Dienst, der wirklich allen von Sucht Betroffenen offensteht: Angehörigen, Kindern, Betriebsangehörigen, Lehrkräften, Betroffenen in allen Stadien einer Sucht – und dies zuverlässig und wohnortnah: vom ersten (möglicherweise angeordneten) Besuch bis zur Krisenintervention, unter Umständen Jahre nach dem Erreichen einer zufriedenen Abstinenz.

    Bei allen weiteren notwendigen Hilfen steht der ratsuchende Mensch im Mittelpunkt. Qualität und Umfang der Kooperation mit Diensten in anderweitiger Zuständigkeit (z. B. mit dem Sozialpsychiatrischen Dienst, der Arbeitsverwaltung, der Krankenversorgung, der Rehabilitation, der Kinder- und Jugendhilfe oder der Schule) hängen allerdings von den jeweiligen Möglichkeiten der Suchtberatungsstelle und von den sehr unterschiedlich ausgeprägten kommunalen Vorgaben ab. Was dann vor Ort unter ambulanter Suchthilfe verstanden wird, unterscheidet sich entsprechend.

    Suchtberatungsstellen tragen zu Förderung und Sicherung des Arbeitskräftepotentials vor Ort bei. Sie sind Kristallisationsorte für spezialisierte und innovative Hilfen und DAS Kompetenzzentrum für Abhängigkeitsfragen vor Ort. Sie haben hinsichtlich sich verändernder Suchtverhaltensweisen und Konsummuster eine Frühwarnfunktion (Beispiel: Methamphetaminkonsum „Crystal Meth“). Darüber hinaus helfen sie mit ihrer Kenntnis der regionalen und überregionalen Hilfen und Zuständigkeiten jedem Betroffenen und Mit-Betroffenen, die jeweils passende Hilfestellung zu finden. Damit haben sie für alle Beteiligten im Hilfeprozess Lotsenfunktion – nicht nur für die Betroffenen, auch für Angehörige, Kollegen, behandelnde Ärzte usw.

    In der Regel kooperieren Suchtberatungsstellen mit Suchtselbsthilfegruppen. Nicht selten waren sie diesen in der Anfangsphase behilflich, waren vielleicht sogar an der Gründung beteiligt. Vielfach unterstützen Suchtberatungsstellen „ihre“ Suchtselbsthilfegruppen: mit Räumlichkeiten, bei der Beantragung finanzieller Unterstützung oder in Krisensituationen. Abstinent lebende Suchtkranke aus Suchtselbsthilfegruppen wiederum unterstützten Suchtberatungsstellen häufig bei Veranstaltungen. So fördern Suchtberatungsstellen Selbsthilfepotential und Ehrenamt.

    Suchtprävention und die möglichst frühe Intervention gehören ebenfalls zu den Aufgaben: Neben schulischer Suchtprävention bieten viele Suchtberatungsstellen beispielsweise für Menschen mit hohem Alkoholkonsum manualgestützte krankenkassengeförderte Kurse zur Trinkreduktion an. Präventions- und Interventionsprojekte zum jugendlichen Rauschtrinken, aber auch Tabakentwöhnung gehören vielerorts zum Repertoire.

    Suchtberatungsstellen kooperieren in lokalen und regionalen Gremien nicht nur mit Diensten und Einrichtungen der Gesundheitsversorgung, sondern auch mit Schule sowie mit der polizeilichen Kriminalprävention. Selbstverständlich sind sie auch mit regionalen Netzwerken zur Kindeswohlsicherung in Kontakt und haben längst nicht mehr „nur“ den suchtkranken Hilfesuchenden, sondern auch dessen familiäre Situation und damit die mitbetroffenen Kinder im Blick.

    Insgesamt sind Suchtberatungsstellen Teil des gemeindenahen pluralen, öffentlichen Hilfeangebotes und tragen als „weicher Standortfaktor“ zur Verbesserung des sozialen Klimas vor Ort bei.

    Sozialleistungsrechtliche Einordnung und Finanzierung

    Die Aufgaben der Suchtberatung und -prävention gehören zu den kommunalen Pflichtaufgaben im eigenen Wirkungskreis, die in der Regel im jeweiligen Gesetz über das Öffentliche Gesundheitswesen fixiert sind. Allerdings sind diese Aufgaben in keinem Bundesland hinsichtlich der vorzuhaltenden Quantität und Qualität belastbar formuliert. Das SGB II zur Teilhabe am Arbeitsleben formuliert seit Januar 2005 erstmals einen Anspruch der „Kundinnen und Kunden“ auf Hilfen zur Überwindung von psychosozialen Vermittlungshemmnissen, darunter auch jene in Folge von Sucht. Allerdings lassen sich auch hieraus kaum planerische Größen qualitativer oder quantitativer Natur ableiten. Angesichts des zunehmenden Legitimationsdrucks der Ausgaben vieler öffentlicher Haushalte befinden sich Suchtberatungsstellen zunehmend in Konkurrenz um die Förderung zu anderen wenig normierten psychosozialen kommunalen Leistungen wie z. B. Ehe-, Familie- und Lebensberatung.

    Weitere Normierungen u. a. für kommunale Aufgaben finden sich in den jeweiligen Landesgesetzen über die Hilfen und den Schutz für psychisch kranke Menschen (häufig PsychKG abgekürzt), zu denen auch Menschen mit Suchterkrankung zählen.

    In allen Bundesländern gehören Suchtberatung und -prävention zu den Aufgaben, die an freie Träger delegiert werden können: Die weitaus überwiegende Anzahl der Suchtberatungsstellen befindet sich in Trägerschaft der Verbände der freien Wohlfahrtspflege, die für das Angebot dieser kommunalen Dienstleistung auch Eigenmittel einbringen. Eigenmittel speisen sich v. a. aus Spenden und Kirchensteuern, zu einem Teil auch aus Leistungsentgelten wie z. B. ambulanter Rehabilitation. Die Art und Weise der Einbringung von Eigenmitteln divergiert von Kommune zu Kommune – je nach Verhandlungsstand.

    In der Regel unterliegen Suchtberatungsstellen der Fehlbedarfsfinanzierung. Damit schmälern unter Umständen Einkünfte, die im laufenden Jahr höher als gedacht ausfallen, die kommunale und – je nachdem – auch die Landeszuwendung. Damit kann also in der Regel nicht das Leistungsvolumen der Suchtberatungsstelle im laufenden Haushaltsjahr vergrößert werden. Werden eigene Einnahmen höher angesetzt und fallen niedriger aus, so liegt das Gesamtfinanzierungsrisiko beim Träger.

    Die Eigenmittel der Träger gehen tendenziell eher zurück. In den neuen Bundesländern stehen aufgrund der niedrigen Kirchenmitgliederquoten immer nur sehr begrenzte Mittel zur Verfügung. Die Anzahl der Bundesländer, die über Landesförderinstrumentarien Qualitätsdimensionen für regionale Suchtberatung definieren, nimmt ab. Unter wachsendem Spardruck muss die jeweilige Landesförderung zunehmend politisch erstritten werden – unter Umständen für jeden Haushaltszeitraum neu –, sofern die Landesförderung noch nicht in den kommunalen Finanzausgleich eingestellt worden ist. Dabei wissen die Länder in der Regel um ihr eigenes Interesse an der Arbeit von kommunalen Suchtberatungsstellen, beispielsweise weil sie vermeidbaren Bedarfen in der Eingliederungshilfe vorbeugt, weil sie Frühberentung vermeiden hilft oder weil sie zur Sicherung des Kindeswohls beiträgt. Dieses Interesse aus Sicht der Länder bildet die Legitimation für die freiwillige Förderung einer kommunalen Leistung.

    Koordination und Kooperation vor Ort – Psychosoziale Arbeitsgemeinschaften (PSAG)

    In den Psychosozialen Arbeitsgemeinschaften kann für die jeweilige Kommune definiert werden, was unter „ambulanter Suchthilfe“ zu verstehen ist. Häufig geht von den PSAGen der Impuls zur Abstimmung von Informationen über die Hilfeangebote für Bürgerinnen und Bürger aus. PSAGen arbeiten in der Regel unter der Leitung eines/-r Psychiatriekoordinators/-in. Einige Bundesländer schreiben in ihrem PsychKG einen solchen Koordinator in jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt vor. Je nach politischem Willen und Situation vor Ort findet in den entsprechenden Arbeitskreisen „Sucht“ mehr oder weniger verbindliche und lebendige Kooperationsplanung von Diensten und Einrichtungen statt. Dabei hat die Psychiatriekoordination hier weniger Steuerungs- als Moderationsfunktion: Echte Steuerung ist an Mitteleinsatz gebunden. Das Spektrum der inhaltlichen Arbeit in den PSAG-Arbeitskreisen reicht von der Planung klientzentrierter Kooperation bis zur Beobachtung der Konkurrenzsituation.

    2. Nützlichkeit, Sichtbarkeit und Kooperation legitimieren die ambulante Suchthilfe

    Wappen Sachsen-Anhalt
    Wappen Sachsen-Anhalt

    Die Landesstelle für Suchtfragen im Land Sachsen-Anhalt (LS-LSA)

    Wie können Suchtberatungsstellen ihren Wert für das regionale Hilfesystem darstellen und damit ihre weitere Finanzierung sichern? Hilfreich ist die Kooperation mit einer Bündelungsorganisation wie den Landesstellen für Suchtfragen. Diese gibt es in fast allen Bundesländern (Bundesarbeitsgemeinschaft 2010).

    Die Landesstelle für Suchtfragen im Land Sachsen-Anhalt (LS-LSA) fungiert als Landesfachstelle Sucht für die Landesregierung mit abgestimmter Aufgaben- und Jahresplanung. Die LS-LSA bündelt die Erkenntnisse und Anforderungen aus den Praxisfeldern der Suchtkrankenhilfe und Suchtprävention. Die sich daraus ergebenden Bestandsaufnahmen und Weiterentwicklungsbedarfe sind die Basis für die vielfältigen Aktivitäten der LS-LSA. Mitglieder der LS-LSA sind neben den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege alle landesweit tätigen Fachverbände in den Themenfeldern Suchtselbsthilfe, Suchtkrankenhilfe und Prävention. Rechtlich ist die LS-LSA ein Fachausschuss der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege im Land Sachsen-Anhalt e. V. (LIGA). Damit hat sie einen direkten Zugang zu allen Themenfeldern der psychosozialen Arbeit der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege. Da Sucht und Suchtvorbeugung Querschnittsthemen mit Relevanz für nahezu alle psychosozialen Versorgungsfelder darstellen, ist diese Einbindung wertvoll.

    Aufgrund der überdurchschnittlichen Problembelastung im Bereich der legalen Suchtmittel (vgl. Abb. 1) hat sich Sachsen-Anhalt unter anderen das Gesundheitsziel „Senkung des Anteils an Rauchern in der Bevölkerung und der alkoholbedingten Gesundheitsschäden auf Bundesdurchschnitt“ gesetzt. Die Arbeitsgruppe zu diesem Gesundheitsziel, in der Schlüsselinstitutionen der medizinischen Versorgung sowie Suchtfachkliniken mit Vertretern/-innen der GKV zusammenarbeiten, wird von der LS-LSA gemeinsam mit einem Vertreter der AOK Sachsen-Anhalt geleitet. Hieraus ergibt sich insgesamt eine gute Vernetzung der Themen, Aufgabenfelder und Akteure der Suchtkrankenhilfe und -prävention. Auch für die Deutsche Rentenversicherung in Mitteldeutschland übernimmt die LS-LSA Koordinierungsaufgaben, für die sie ebenfalls gefördert wird.

    Abb. 1: Krankenhausfälle aufgrund von Alkohol in Sachsen-Anhalt
    Abb. 1: Krankenhausfälle aufgrund von Alkohol in Sachsen-Anhalt

    Daten zum Suchtgeschehen auf Landesebene in Sachsen-Anhalt

    In der Diskussion über die Notwendigkeit von Suchtberatung und -prävention, die dann auch die Förderung legitimiert, werden in Sachsen-Anhalt vor allem folgende Datenquellen genutzt:

    • die Daten der Gesundheitsberichterstattung des Landes und des Bundes, v. a. Daten der Krankenhausberichterstattung: Diese Daten waren und sind wesentlich für die Formulierung der Gesundheitsziele des Landes.
    • die Daten der Deutschen Rentenversicherung: Hier sind v. a. die Informationen über den Zugang zur Rehabilitation, aber auch die Erwerbsunfähigkeitsquoten im Länder- und Bundesvergleich interessant.
      die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik: Diese werden v. a. im Hinblick auf die Anzahl von Straftaten unter Einfluss von Alkohol bzw. Betäubungsmitteln genutzt.
    • länderspezifische Erhebungen wie MODRUS – Moderne Drogen- und Suchtprävention; leider war 2008 das letzte Erhebungsjahr.
    • die Deutsche Suchthilfestatistik – Auswertung Sachsen-Anhalt (DSHS LSA): Die Datensammlung erfolgt seit 2001 als Vollerhebung mit dem System Ebis der Gesellschaft für Standard-Dokumentation und Auswertung München (GSDA) an den 32 Suchtberatungsstellen in Trägerschaft der freien Wohlfahrtspflege, koordiniert durch die LS-LSA. Die DSHS LSA liefert Informationen zum Ausmaß der Hilfeinanspruchnahme sowie soziodemografische Informationen und spiegelt seismografisch das Suchtgeschehen im Zeitverlauf.

    Die LS-LSA führt die Daten anlassbezogen thematisch prägnant zusammen.

    Daten zum Suchtgeschehen auf regionaler Ebene: der standardisierte Sachbericht der Suchtberatungsstellen

    Den standardisierten Sachbericht für Sachsen-Anhalt (http://www.ls-suchtfragen-lsa.de/data/mediapool/vorlage_2014.pdf) als Auszug aus den umfangreichen Ergebnistabellen des Deutschen Kerndatensatzes generiert jede Suchtberatungsstelle aus dem Datenerfassungs- und Auswertungsprogramm. Abgebildet werden die personelle Situation und wesentliche klientbezogene Daten, aber auch Aktivitäten der Suchtberatungsstelle. Dieser Datenüberblick bildet ein übersichtliches und prägnantes Instrument für die eigene fachpolitische Arbeit vor Ort. Da alle Suchtberatungsstellen mit dem standardisierten Sachbericht arbeiten, können beispielsweise Daten in Kooperation mit den anderen Suchtberatungsstellen in der Region regional zusammengeführt, aber auch in Bezug zu Landesdaten gesetzt werden.

    3. Beispiele für die Datennutzung

    Die LS-LSA verzichtet auf die Herausgabe von umfangreichen Berichten. Die Erfahrung zeigt, dass Politik und Verwaltung Informationen gern zur Kenntnis nehmen (und bestenfalls in politisches Handeln einbeziehen), wenn sie themenbezogen, belastbar und knapp aufbereitet sind. Am besten ist, wenn Politik und Verwaltung selbst Informationen nachfragen. Die themenbezogenen Arbeiten der LS-LSA werden bei Bedarf von den Suchtberatungsstellen in den Landkreisen bzw. kreisfreien Städten auf die Region bezogen beschrieben. Die Daten hierfür liegen ja allen Suchtberatungsstellen vor.

    2005: SGB II – Kooperationen mit der Bundesagentur für Arbeit

    Gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen hat die LS-LSA 2005 für die neu eingeführten Fallmanager der ARGEn (heute: Jobcenter) mit der Veranstaltung „Basiswissen Suchtfragen – Versorgungsstrukturen und Behandlungskonzepte in Sachsen-Anhalt“ den Grundstein für die gute Kooperation der Suchtberatungsstellen (und auch der stationären Suchthilfe) mit den Jobcentern gelegt. Da die Ergebnistabellen des Deutschen Kerndatensatzes damals noch keine genauen Auskünfte zur Dauer der Arbeitslosigkeit lieferten, konnte in Spezialerhebungen und mit Unterstützung der Gesellschaft für Standard-Dokumentation und Auswertung (GSDA) der Erfahrungshorizont der Suchtberatungsstellen in der Arbeit mit längerfristig arbeitslosen Menschen gezeigt werden. Dies trug zur Akzeptanz der Suchtberatungsstellen durch die ARGEn bei. In der Folge organisierten Suchtberatungsstellen Weiterbildung zu Suchtfragen für „ihre“ ARGE und verhandelten Kooperationsvereinbarungen fachlich auf Augenhöhe.

    2009: Handlungsempfehlung: Beitrag zur Kindeswohlsicherung durch Suchtberatungsstellen

    Nach Inkrafttreten des § 8a Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetzes (KICK) im SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz KJHG) im Jahr 2005 stellte sich auch für Suchtberatungsstellen die Frage, wie die Kinder der bei ihnen Rat Suchenden systematisch in den Blick genommen werden können. Die Daten aus der DSHS LSA machten unmittelbar den Handlungsbedarf deutlich: „Im Jahr 2007 wurden durch die Suchtberatungsstellen in Sachsen-Anhalt rund 6.000 Menschen mit Alkoholproblemen betreut. Insgesamt hatten diese ca. 4.000 eigene Kinder. Etwa 1.700 Kinder lebten insgesamt im Haushalt der Betroffenen. Bei Suchtproblemen mit den illegalen Drogen Opiate, Cannabis, Kokain und Stimulanzien wurden insgesamt rund 2.000 Menschen betreut. Insgesamt hatten diese ca. 800 eigene Kinder. Etwa 600 Kinder lebten insgesamt im Haushalt der Betroffenen.“ (LIGA et al. 2009)

    Die mit allen relevanten Partnern abgestimmte Handlungsempfehlung gibt den Suchtberatungsstellen eine Orientierung für stringentes klientzentriertes Handeln in diesem heiklen Themenfeld. Mit der Veröffentlichung der Handlungsempfehlung wurden die Suchtberatungsstellen in die regionalen Initiativen zur Kindeswohlsicherung verstärkt einbezogen. Unter dem Aspekt, dass die Arbeit an der eigenen Problematik der erwachsenen Ratsuchenden immer auch den Kindern zu Gute kommt, erfuhr die Nützlichkeit von Suchtberatungsstellen verstärkte Aufmerksamkeit.

    2009 bis 2011: Neustrukturierung der Beratungslandschaft in Sachsen-Anhalt

    Im Auftrag des Landtags erarbeitete eine Gruppe unter Federführung des Ministeriums für Arbeit und Soziales Sachsen-Anhalt eine umfangreiche Bestandsaufnahme zu den landesgeförderten Beratungsstellen und den Landesstellen. Ziel war u. a. die Überprüfung des Landesinteresses. Für die Suchtberatungsstellen konnte die LS-LSA anhand der DSHS LSA und anhand eigener Erhebungen belastbare Informationen zu Personalentwicklung und Versorgungsquote, zu den Beratungsbedarfen und Betreuungen, aber auch zu „neuen“ Problemfeldern wie der problematischen Mediennutzung beisteuern. Im Resultat wurde das Landesinteresse bestätigt, sowohl an den Suchtberatungsstellen als auch an der LS-LSA.

    Seit 2010: ICD-10 F15 und Crystal

    Nach den Problemanzeigen zunächst einzelner Suchtberatungsstellen hat die LS-LSA die Crystal-Thematik landesweit im Facharbeitskreis der Suchtberatungsstellen und im Facharbeitskreis Suchtprävention mit einem Dezernenten des Landeskriminalamtes diskutiert. Der Anstieg der Betreuungsfälle mit der Hauptdiagnose ICD-10 F15 – Stimulanzien zeichnet sich in der DSHS LSA seit dem Jahr 2007 deutlich ab (Meeßen-Hühne 2014).

    Ob es sich hier tatsächlich um Betreuungen von Klienten/-innen mit der Hauptdiagnose Methamphetaminkonsum handelt, wurde mit einer Zusatzabfrage erhoben. Der Anteil der Crystal-Klientel an der Gesamtklientel mit der Hauptdiagnose ICD-10 F15 betrug im Jahr 2011 38 Prozent, das entspricht etwa 241 Personen. Inklusive der Einmal-Kontakte wurden 276 Crystal-Klienten betreut. Der Anteil der Crystal-Klientel an der Gesamtklientel mit der Hauptdiagnose ICD-10 F15 betrug im Jahr 2012 bereits 54 Prozent, das entspricht etwa 549 Personen. Inklusive der Einmal-Kontakte wurden 734 Crystal-Klienten betreut. Der Anteil der Crystal-Klientel an der Gesamtklientel mit der Hauptdiagnose ICD-10 F15 betrug im ersten Trimester 2013 etwa 82 Prozent und steigerte sich im Jahresverlauf auf nahezu 100 Prozent. Inklusive der Einmal-Kontakte wurden 1.177 Crystal-Klienten betreut.

    Eine Zunahme der Betreuungsfälle mit der Hauptdiagnose Stimulanzienkonsum zeigt sich in allen Altersgruppen. 2012 waren erstmals unter 14-Jährige, aber auch über 50-Jährige wegen Problemen mit Crystal in Beratung. Der Anteil weiblicher Ratsuchender mit Stimulanzienproblematik lag über die Jahre konstant bei etwa einem Drittel.

    Um sicherzugehen, dass die Betreuungsfälle nicht nur das Geschick der Suchtberatungsstellen, sondern echte Konsumtrends abbilden, wurden die Daten der Suchtberatungsstellen denen der Krankenhausberichterstattung gegenübergestellt. Darüber hinaus wurden die Betreuungsfälle landkreisbezogen dargestellt.

    Mit den Daten der DSHS lässt sich auch die Entwicklung der Betreuungszahlen in den anderen Hauptdiagnosen zeigen, auch in Bezug zur Bevölkerungsentwicklung. Damit wird zweierlei klar: 1. Trotz sinkender Einwohnerzahlen geht der Bedarf an Suchtberatung nicht zurück. 2. Bei gleichbleibender Personalausstattung kann es in den Anteilen der Betreuungen im legalen (v. a. Alkohol) und illegalen Hilfebereich nur Verschiebungen geben.

    2013 war die LS-LSA Kooperationspartner der Fachhochschule Polizei bei Organisation und Durchführung der Fachtagung „Neue Drogentrends“. Auf der Tagung wurden das Datenmaterial der LS-LSA zur Crystal-Problematik und die besonderen Herausforderungen für die Suchtprävention im Bereich der illegalen Drogen vorgestellt, und auch die FH Polizei forderte in der Presseinformation zur Veranstaltung die bedarfsentsprechende Ausstattung von Suchtberatung und -Prävention.

    Im Rahmen einer Zuarbeit zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage aus dem Landtag Sachsen-Anhalt wurden die aktualisierten Daten weiterverwendet. Auch der Psychiatrieausschuss des Landes verwertete diese Informationen in seinem 21. Bericht an den Landtag und an das Ministerium für Arbeit und Soziales und forderte eine angemessene Personalausstattung der Suchtberatungsstellen (Psychiatrieausschuss Sachsen-Anhalt 2014).

    Mit der belastbaren Aufbereitung der Daten zur Betreuungssituation und der Problemsicht in den Suchtberatungsstellen trägt die LS-LSA wesentlich zur Gesamtschau der Crystal-Problematik vor allem aus der Perspektive der ambulanten Suchthilfe bei, und diese Expertise wird durch Politik und Verwaltung angefragt.

    „Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Familienförderung des Landes Sachsen-Anhalt und zur Neuordnung der Förderung sozialer Beratungsangebote“

    Angesichts der Finanzlage des Landes insgesamt standen die landesseitig „freiwilligen Leistungen“ in jeder Haushaltsverhandlung neu zur Disposition. Mit dem „Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Familienförderung des Landes Sachsen-Anhalt und zur Neuordnung der Förderung sozialer Beratungsangebote“ vom 13.08.2014 scheint die Sicherung der Landesförderung für Suchtberatungsstellen und für Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsberatungsstellen gelungen zu sein.

    Zugleich bietet das Gesetz die Chance auf Weiterentwicklung der Hilfequalität: Mit Beantragung der einwohnerbezogenen Landesförderung müssen die Landkreise und kreisfreien Städte erstmalig zum Oktober 2015 eine „Sozial- und Jugendhilfeplanung“ vorlegen, die mit Trägern und Regionalpolitik abgestimmt sein muss. Die Versorgung von „Multi-Problem-Familien“ soll mit ressortübergreifender integrierter Beratung verbessert werden. Neben Suchtberatungsstellen und Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsberatungsstellen sind auch die Insolvenz-, Schuldner- und die Schwangeren- bzw. Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen beteiligt. An der Umsetzung dieser Idee der LIGA arbeiten die Träger der freien Wohlfahrtspflege in den Gebietskörperschaften schon seit geraumer Zeit. Die ersten Kooperationsvereinbarungen stehen vor dem Abschluss, Diagnose- und Dokumentationsinstrumente für die Abbildung von Multi-Problem-Familien und Beratungsverläufen werden entwickelt (LIGA 2012).

    4. Fazit

    Der Nutzen von Suchtberatungsstellen konnte in den letzten Jahren anhand einzelner Themen auf unterschiedlichen Ebenen immer wieder verdeutlicht werden. Insgesamt hat sich dadurch die allgemeine Zustimmung zu dieser Leistungsform verbessert. In einigen Bereichen wurde die knappe Personalsituation stabilisiert, in einer Kommune wurde eine weitere Suchtberatungsstelle eingerichtet. Für die Weiterentwicklung im Rahmen der integrierten Beratung sind die Suchtberatungsstellen in Sachsen-Anhalt gut gerüstet.

    Suchterkrankungen führen zu Störungen in vielen Lebensdimensionen. „40 Prozent aller Erkrankungen und vorzeitigen Todesfälle lassen sich auf nur drei vermeidbare Risikofaktoren zurückführen: Rauchen, Alkoholmissbrauch und Verkehrsunfälle, die selbst oft durch Alkohol verursacht werden.“ (WHO 2011 zit. n. DHS 2014) Nach unserer Erfahrung wird die ambulante Suchthilfe weiter Bestand haben, wenn sie weiterhin ihren Nutzen für alle Finanzierungsebenen belegen kann, wenn alle relevanten Partner sie weiter nützlich finden und ihrerseits Lobby-Funktion ausüben.

    Kontakt:

    Helga Meeßen-Hühne
    Landesstelle für Suchtfragen im Land Sachsen-Anhalt (LS-LSA)
    Fachausschuss der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege im Land Sachsen-Anhalt e.V.
    Halberstädter Str. 98
    39112 Magdeburg
    Tel. 0391/543 38 18
    info@ls-suchtfragen-lsa.de
    www.ls-suchtfragen-lsa.de

    Angaben zur Autorin:

    Helga Meeßen-Hühne, Dipl.-Sozialpädagogin und Suchttherapeutin, ist seit 1999 in der Leitung der Landesstelle für Suchtfragen im Land Sachsen-Anhalt (LS-LSA) tätig. Die LS-LSA ist ein Fachausschuss der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege im Land Sachsen-Anhalt e. V. (LIGA FW), dem Zusammenschluss der im Land tätigen Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege. Wesentliche Aufgaben der LS-LSA sind Förderung und Koordination von Suchtprävention und Suchtkrankenhilfe.

    Literatur:

     

  • Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe

    Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe

    Rita Hansjürgens
    Rita Hansjürgens

    Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe ist seit den Anfängen der Versorgung Suchtkranker ein Teil des Hilfesystems. Obwohl regional oft akzeptiert und geschätzt, scheint bis heute im Fachdiskurs unklar zu sein, was genau Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe ist und wie sie ihre Aufgaben insbesondere im Umgang mit Konsumenten von legalen Suchtmitteln wahrnimmt. Im Rahmen einer qualitativen Arbeitsfeldanalyse wurden diese Tätigkeiten rekonstruiert. Sichtbar wurde, dass die Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe komplexe Tätigkeiten sowohl auf der Ebene des individuellen Kontakts (Mikroebene) als auch auf der Ebene der Vernetzung von Institutionen (Mesoebene) wahrnimmt, die deutlich über einfache Suchtanamnese und formale Vermittlungstätigkeit hinausgehen. Deutlich wurde aber auch, dass der formale Rahmen diese Tätigkeiten nicht abbildet und hier nur wenig Orientierung und Sicherheit gibt. Fachkräfte der Sozialen Arbeit brauchen ein deutlicheres Bewusstsein ihrer eigenen Expertise, und Konzepte der Sozialen Arbeit müssen expliziter in Organisationsstrukturen und Qualitätshandbücher Eingang finden, um Hilfepotentiale der Sozialen Arbeit dauerhaft für KlientInnen zu sichern.

    Ausgangslage

    Die ambulante Suchthilfe im Allgemeinen hat sich hervorgehend aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit mit primär fürsorgerischer Intention professionalisiert. Heute umfasst sie ein weit differenziertes Angebot für Menschen mit Suchtverhalten oder seinen Vorstufen. Dies Angebot richtet sich an die Betroffenen selbst sowie an ihr soziales Umfeld, unabhängig von der Art und Weise der konsumierten Substanz oder der Verhaltensauffälligkeit, die im Zusammenhang mit Sucht steht. Das Angebot reicht von der ersten Kontaktaufnahme über Beratungsangebote, die Vermittlung in weitere suchtspezifische (Therapie-)Angebote und Nachsorge nach erfolgter Therapie bis hin zu Langzeitprozessen, die mit Unterbrechungen Jahre dauern können.

    Seit ihrem Entstehen Anfang des 20. Jahrhunderts war die ambulante Suchthilfe ein multiprofessionell geprägtes Feld, zunächst durch die Berufsgruppen von Theologen und Diakonen, aber auch zum Teil durch Ärzte geprägt. Aber „seit der Nachkriegszeit strömten immer mehr Sozialarbeiter und Sozialpädagogen in das Feld der Suchthilfe. Sie wurden zu wesentlichen Trägern der Professionalisierung.“ (Helas 1997)

    Heute hat sich die ehemals ehrenamtlich geprägte ambulante Suchthilfe zu einer professionellen Hilfeleistung entwickelt. Ambulante Suchthilfe besteht heute zu 98 Prozent aus ambulanten Beratungs- und Behandlungsstellen. Der multiprofessionelle Charakter dieses Arbeitsfeldes hat sich gehalten. Aktuell sind dort ÄrztInnen (zwei Prozent) genauso tätig wie PsychologInnen (elf Prozent) oder PädagogInnen, SozialwisssenschaftlerInnen und SoziologInnen (insges. acht Prozent). Aber bis heute stellen SozialarbeiterInnen mit 69 Prozent die größte akademisch ausgebildete Berufsgruppe in der ambulanten Suchthilfe dar (Pfeiffer-Gerschel et al. 2012). Dies bedeutet, dass die ambulante Suchthilfe bis heute ein klassisches Feld der Sozialen Arbeit ist und deshalb vornehmlich durch einen eher sozialarbeiterischen Habitus bzw. sozialarbeiterische Methoden geprägt sein müsste. Umso erstaunlicher ist, dass speziell für das Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit in der ambulanten Suchthilfe eine Analyse in Bezug auf ihre Tätigkeiten und Handlungsweisen nur begrenzt vorliegt und eher einen groben Überblick liefert oder sich vornehmlich auf die Arbeit mit KonsumentInnen von illegalen Suchtmitteln bezieht (Loviscach, Lutz 1996; Preuß-Ruf 2012; Stöver 2012). Dieser Befund war der Auslöser für den Versuch, Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe näher beschreiben zu wollen mit besonderem Fokus auf die Inhalte, auf methodisches Handeln und Professionalität.

    Forschungsdesign

    Fragestellung

    Anhand von Selbstbeschreibungen der Fachkräfte sollte versucht werden zu klären, welche Aufgaben SozialarbeiterInnen im Kontext ambulanter Suchthilfe wahrnehmen und wie sie diese bearbeiten. Konkret sollte versucht werden herauszufinden, ob sich Handeln und Selbstwahrnehmung in ausgewählte Theorien und Konzepte der Profession Soziale Arbeit einordnen lassen und zu einer Arbeitsfeldbeschreibung verdichtet werden können.

    Rechtliche Rahmenbedingungen und theoretische Grundlagen

    Von Fachverbänden formulierte Standards und gesetzliche Rahmenvorgaben beschreiben, welche Aufgaben Fachkräfte der Sozialen Arbeit in der ambulanten Suchthilfe wahrnehmen sollen. Als entsprechende Quellen wurden herangezogen:

    • „Mindeststandards der ambulanten Suchthilfe“ des Fachverbandes Drogen und Rauschmittel fdr (2005)
    • „Leistungsbeschreibung für Beratungs- und Behandlungsstellen“, herausgegeben von der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren DHS (1999)
    • „Suchthilfe im regionalen Behandlungsverbund“, ebenfalls von der DHS herausgegeben (1999)
    • Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst in Nordrhein-Westfalen (ÖGDG NRW), insbesondere § 16 Abs. 2 (Hilfen der unteren Gesundheitsbehörde für Abhängigkeitskranke)
    • Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG)
    • SGB VI § 13 Anl. 9 (= Anl. 3 zur Vereinbarung „Abhängigkeitserkrankungen“)
    • SGB VI § 13 Anl. 6

    In den letzten Jahren wurden weitere Standards einer professionellen Sozialen Arbeit entwickelt und festgelegt. Zu nennen sind folgende theoretische Grundlagen:

    • Spezialisierung von klinischer Sozialarbeit als Fachsozialarbeit mit den methodischen Schwerpunkten „Beratung und Behandlung“ (Pauls, Gahleitener 2011)
    • Zuständigkeit und Ziele sozialer Arbeit in der Sozialpsychiatrie, welche sich konkret auf die „Schaffung von sozialen Erfahrungsräumen, Erfahrung von Sinn, Schaffung von Sicherheit und Selbstwirksamkeitserfahrungen“ beziehen (Sommerfeld et al. 2011)
    • „Multiperspektivisches Fallverstehen“ als Kernkompetenz „Sozialpädagogischen Könnens“ (Müller 2012)
    • Beschreibung eines Professionsideals Sozialer Arbeit mit den Dimensionen „Spezifisches Berufsethos, Fähigkeit zur Gestaltung eines Arbeitsbündnisses, Fähigkeit zum theoriegeleiteten Fallverstehen“ (Becker-Lenz, Müller 2009)

    Forschungsgegenstand und Auswahl der GesprächspartnerInnen

    Gegenstand dieser Forschungsarbeit waren Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die in der ambulanten Suchtkrankenhilfe arbeiten. Da sich Beschreibungen Sozialer Arbeit in der Suchthilfe vor allem auf den Bereich der Arbeit mit Abhängigen von illegalen Suchtmitteln beziehen, sollte in dieser Forschungsarbeit der Schwerpunkt auf der Sozialen Arbeit im Kontext mit Abhängigen von legalen Suchtmitteln liegen (vornehmlich Alkohol und Medikamente). Um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten, wurden GesprächspartnerInnen aus dem eher ländlichen Raum mit einem Einzugsgebiet von ca. 150.000 bis 250.000 Einwohnern gesucht. Die Arbeitsstellen liegen teilweise in einem Flächenkreis und sind daher dezentral organisiert. Alle Beratungsstellen liegen in NRW, um von einer einheitlichen Rechtslage in Bezug auf die Finanzierung ausgehen zu können. Zustande kamen fünf Interviews mit drei weiblichen und zwei männlichen InterviewpartnerInnen im Alter von 36 bis 59 Jahren. Es handelt sich um festangestellte MitarbeiterInnen mit zehn bis 30 Jahren Berufserfahrung im Feld der Suchthilfe, davon vier bis 30 Jahre im untersuchten Einsatzgebiet. Die Interviewpersonen sind primär im Aufgabengebiet der allgemeinen Versorgung eingesetzt und nicht in einem Spezialfeld (z. B. Betreutes Wohnen, Prävention, ambulante Therapie), wobei berufliche Vorerfahrungen in diesen Feldern teilweise vorliegen.

    Der explorative Charakter dieser Untersuchung legt eine quantitative Überprüfung der Ergebnisse zu einem späteren Zeitpunkt nahe, welche aktuell in Vorbereitung ist.

    Erhebung der Daten

    Es sollte ein qualitatives Design angewandt werden, das dazu geeignet ist, aus einer Beschreibung des konkreten Tuns verifizierbare Kategorien zu extrahieren. Daher wurde als Erhebungsmethode ein leitfadengestütztes Experteninterview mit festangestellten SozialarbeiterInnen der operativen Ebene in Anlehnung an Helfferich (2011) und Bogner (2009) gewählt. Als theoretischen Hintergrund für den Interviewleitfaden wurden die Theorieskizze Sozialer Arbeit mit Zuständigkeiten und Zielen Sozialer Arbeit in der Sozialpsychiatrie (Sommerfeld et al. 2011) sowie die Beschreibung eines Professionsideals von Sozialer Arbeit auf der Basis eines professionellen Habitus (Becker-Lenz, Müller 2009) herangezogen.

    Auswertung der Daten

    Die Interviews wiesen aufgrund der Unterschiede in Alter, Berufserfahrung im Feld, Zugang zur Suchtkrankenhilfe und Geschlecht der Befragten maximal kontrastierende Merkmale auf. Sie wurden in Anlehnung an Bohnsack (2003) transkribiert und in Anlehnung an das sequentielle Verfahren der objektiven Hermeneutik (Oevermann 1980) ausgewertet. In einer sich anschließenden vergleichenden Analyse wurden die gefundenen Fallstrukturen noch einmal verdichtet und in Bezug auf die Beantwortung der Forschungsfrage – welche Aufgaben übernehmen SozialarbeiterInnen im Kontext ambulanter Suchthilfe und wie nehmen sie dies wahr? – reformuliert. Dabei dienten die oben genannten theoretischen Grundlagen als „Folie“, um zu überprüfen, ob und wenn ja welche Elemente der aus der Theorie bekannten professionellen Weiterentwicklungen der Sozialen Arbeit in der Praxis der ambulanten Suchtkrankenhilfe auftreten und möglicherweise auch benannt werden.

    Ergebnis der Untersuchung

    Die Forschungsfrage setzte sich aus zwei Teilfragen zusammen. Für jede werden die Ergebnisse im Folgenden einzeln vorgestellt.

    Welche Aufgaben übernehmen Fachkräfte der Sozialen Arbeit in der ambulanten Suchthilfe?

    Als wichtigste Aufgabe wird auf der Ebene der direkten Arbeit mit den KlientInnen (Mikroebene) ein multiperspektivisches Fallverstehen gesehen, welches einen großen Raum einnimmt in der konkreten Arbeit. Diese diagnostische Herangehensweise ist die Grundlage für alle weiteren Tätigkeiten der Fachkräfte sowie auch für die Gestaltung eines Arbeitsbündnisses. Über das Fallverstehen und die Konstituierung des Arbeitsbündnisses, explizit auch in und mit Zwangskontexten (z. B. Druck durch den Arbeitgeber, Familienmitglieder, Führerscheinstelle), wird die in der Regel vorhandene Ambivalenz der KlientInnen bearbeitet (sog. Motivationsarbeit). Die Auflösung der Ambivalenz führt dann in der Interventionsphase entweder zu einer Vermittlung in weiterführende Hilfen, zu einer problemzentrierten Beratung innerhalb der Einrichtung oder zu einer (vorläufigen) Beendigung des Kontaktes.

    Im Rahmen der Vermittlung übernimmt die ambulante Suchthilfe meist Lotsenfunktion für die KlientInnen im (Sucht-)Hilfesystem und leistet individuelle Hilfe und Unterstützung bei der Antragstellung. Diese direkte Vermittlung bezieht sich auf suchtbezogene Hilfen nach den SGB V und VI (Entgiftung und Therapie) oder die Vermittlung in Selbsthilfe oder andere nicht suchtspezifische Hilfen. Die Tätigkeit der Vermittlung wird von den Fachkräften weniger als „technischer oder administrativer Akt“ verstanden, sondern zum einen als aktive Biographiearbeit und erste Erarbeitung subjektiver weitergehender Therapieziele und zum anderen als Teil der Gestaltung eines Prozessbogens, der mit dem Fallverstehen beginnt und mit der vollzogenen Vermittlung nicht zwangsläufig enden muss. Der Bogen kann sich auf der Basis des sog. Arbeitsbündnisses in Zeiten des Übergangs fortsetzen (z. B. zwischen Therapie und Nachsorge oder bei Nicht-Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen), und die Beratungsstelle kann abermals als Schnittstelle zu einer weiter versorgenden Stelle fungieren.

    Die durch die problemzentrierte Beratung und individuelle Hilfeplanung gewonnen Erkenntnisse in Bezug auf Notwendigkeiten der Hilfe für die Suchtkranken (z. B. bei neuen Trends des Substanzkonsums oder Veränderung der Lebensbedingungen der KlientInnen) führen zu einem vertieften Fallverstehen und fließen in die Vorschläge für eine Optimierung bzw. Anpassung der regionalen Versorgungssituation ein. Abbildung 1 stellt eine Visualisierung der gefunden Tätigkeiten dar.

    Abb. 1: Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe – Mikroebene (eigene Darstellung)
    Abb. 1: Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe – Mikroebene (eigene Darstellung)

    Auf der Mesoebene (Strukturebene) sind als Aufgaben in erster Linie die Kooperation und Vernetzung – teilweise auch die aktive Initiierung und Pflege eines regionalen Suchthilfenetzes – auf der professionellen Ebene zu nennen. Diese Vernetzung erfolgt in Richtung der Hilfen nach SGB V und VI, aber auch in Richtung der Selbsthilfe und der nicht primär suchtbezogenen Hilfen. Als konkrete Elemente der Netzwerkarbeit konnten zum einen die Moderation von und Mitarbeit in Arbeitskreisen gefunden werden und zum anderen Kooperation und Konfliktmanagement mit zunächst eher losen Kontakten. Aus dieser Zusammenarbeit ergibt sich dann ebenfalls (wie auf der Mikroebene) ein Arbeitsbündnis, nun aber zwischen konkreten Organisationen. Über dieses Arbeitsbündnis werden dann feste Kooperationen, teilweise mit Festschreibung in Kooperationsverträgen, und Fortbildungen, z. B. für Einrichtungen der Jugendhilfe, Betriebe oder Einrichtungen der Arbeitsvermittlung, vereinbart (s. Abb. 2).

    Abb. 2: Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe – Mesoebene (eigene Darstellung)
    Abb. 2: Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe – Mesoebene (eigene Darstellung)

    Mit Blick auf das Finanzierungssystem und die vorhandenen Standards kann festgestellt werden, dass die rechtsverbindlichen Vorgaben der gesetzlichen Grundlagen (ÖGDG und PsychKG) sich inhaltlich und fachlich vieldeutig gestalten und eine direkte Ableitung von Aufgaben nicht erlauben. Währenddessen haben die Fachstandards und Richtlinien der Leistungsträger der ambulanten Rehabilitation für diejenigen Einrichtungen, die eine solche im Haus anbieten, einen quasi Rechtsstatus, an dem sich die ganze Organisationsstruktur der Einrichtung orientiert, obwohl die Leistungen im Vorfeld einer ambulanten Therapie ausdrücklich nicht von der DRV und der GKV refinanziert werden. Die für die Umsetzung nötigen Ressourcen speisen sich aus den Leistungsverträgen, die mit den Kommunen auf der Basis des ÖGDG bzw. PsychKG ausgehandelt werden und letztlich eine freiwillige Leistung darstellen. Die eigentliche Versorgungsverpflichtung der unteren Gesundheitsbehörden bezieht sich auf die Vorhaltung eines Sozialpsychiatrischen Dienstes (§ 16, Abs. 2 ÖGDG, § 5 Abs. 1 S. 1 Psych KG).

    Wie nehmen Fachkräfte der sozialen Arbeit ihre Aufgaben wahr?

    Ein Vergleich der von den Fachkräften beschriebenen Tätigkeiten mit den oben genannten theoretischen Grundlagen professionellen sozialarbeiterischen Handelns ergab, dass die Tätigkeiten diesen im Wesentlichen entsprechen:

    • Die wahrgenommen Aufgaben mit ihrem vornehmlich beraterischen, therapienahen Schwerpunkt entsprechen einer Spezialisierung von klinischer Sozialarbeit als Fachsozialarbeit mit den methodischen Schwerpunkten „Beratung und Behandlung“ (Pauls, Gahleitener 2011).
    • Es kann davon ausgegangen werden, dass die Klärung der Ambivalenz der KlientInnen verbunden mit einer aktiven Unterstützung (nicht Übernahme!) bei der administrativen Beantragung weiterführender Leistungen dazu beiträgt, für die KlientInnen Sicherheit zu schaffen und sie in ihrer Selbstwirksamkeit zu stärken, wie dies als Zuständigkeit und Ziel der Sozialen Arbeit in der Sozialpsychiatrie beschrieben wird (Sommerfeld et al. 2011). Um dieses zu verifizieren, müsste eine Untersuchung aus der KlientInnenperspektive erfolgen.
    • Die Art des Fallverstehens zeigt deutliche inhaltliche und methodische Nähe zum multiperspektivischen Fallverstehen (Müller 2012) mit den Dimensionen „Fall von“ (fachlich-sachliche Bestandsaufnahme), „Fall für“ (konsiliarische Beteiligung anderer professioneller Hilfesysteme, teilweise auch mit Initiierung einer Akutversorgung) und „Fall mit“ (systematische Exploration der Sichtweise des Klienten/der Klientin selbst). Die Fachkräfte brachten eine Haltung zum Ausdruck, die die Autonomie der KlientInnen und eine Orientierung an deren biopsychosozialer Integrität betont.
    • Des Weiteren wurde, wie auch schon in den Ergebnissen zu den wahrgenommen Aufgaben dargestellt, ein Arbeitsbündnis geschlossen und gestaltet. Das von den Fachkräften dargelegte Wissen zeigt ein biopsychisches Verständnis von Sucht, das auf den Einzelfall bezogen, durch „Erfahrung“ ergänzt und in das Fallverstehen integriert wird. Dies bedeutet, dass hier alle Elemente eines Professionsideals (Becker-Lenz, Müller 2009) rekonstruiert werden konnten.

    Professionstheoretisch bemerkenswert allerdings war der Befund, dass die Anwendung der beschriebenen Theorien und Konzepte Sozialer Arbeit in keinem der untersuchten Fälle den Fachkräften bewusst war und als solche beschrieben werden konnte, weiter noch, dass die Fachkräfte die sozialarbeiterischen Konzepte gar nicht kannten. Die Erklärung liegt darin, dass alle Konzepte erst in jüngerer Zeit entwickelt wurden und damit noch nicht Teil der Ausbildung der Befragten waren. Dass die Fachkräfte dennoch danach handelten, ergibt sich daraus, dass sie ihr Tun in der Reflexion der Bedürfnisse und Wünsche der KlientInnen und der Möglichkeiten der organisationalen Rahmenbedingungen entwickelt haben und immer weiterentwickeln. Kristallisationspunkt des dargelegten Wissens ist ein in erster Linie biopsychisches Verständnis von Sucht. Das Wissen um die soziale Dimension wird durch die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung von Professionswissen in Fachteams und Supervision ergänzt. Dies bedeutet, sozialarbeiterisches Wissen wurde und wird in Fallbesprechungen, Intervision und Supervision entwickelt und fließt dann in Handlung und Organisationsstrukturen. Dieses speziell sozialarbeiterische Wissen ist aufgrund seiner fallbezogenen Entwicklung als so genanntes implizites Wissen zu kategorisieren. Somit entstehen die sozialarbeiterischen Interventionen und Organisationssturen auf Basis des in Beziehung Setzens von theoretischem (biopsychischem) Wissen, bereits erworbenem Professionswissen (Erfahrungswissen) und den Erfordernissen des konkreten Falls.

    Diskussion

    Im Rahmen der Untersuchung wurde deutlich, dass ambulante Suchtberatungsstellen strukturell eine vermittelnde Rolle einnehmen zwischen Maßnahmen zur Versorgung Hilfebedürftiger, welche in Leistungsverträgen zwischen den Ländern, Kommunen und einzelnen Beratungsstellen festgelegt werden, und Leistungen nach den SGB V und VI. Konkreter handelt es sich hierbei um eine exklusive Scharnierfunktion zu den Hilfen des Sozialgesetzbuches. Ziel ist die Klärung mit den KlientInnen, ob und wenn ja welche konkreten Maßnahmen in welchem Rahmen wann für den konkreten Einzelfall in Frage kommen. Die Bedeutung dieser Funktion für das Suchthilfesystem liegt darin, dass eine zeitlich und inhaltlich passgenaue Vermittlung in weiterführende Hilfen erfolgen kann. Dadurch werden diese Hilfen gewinnbringender und damit für das System ressourcenschonender von den KlientInnen genutzt, weil ihre Veränderungsmotivation ungleich höher zu sein scheint als die von KlientInnen, die diese Hilfen direkt aufsuchen oder ohne ausführliche Vorbereitung „technisch-admininstrativ“ vermittelt werden.

    Dieser Effekt kann entstehen, so die Vermutung, weil es den Fachkräften gelingt, eine funktionale Arbeitsbeziehung – teilweise unter den Bedingungen eines Zwangskontextes (z. B. Druck durch den Arbeitgeber, Familienmitglieder, Führerscheinstelle) – zu den KlientInnen aufzubauen. Diese Arbeitsbeziehung ermöglicht die Auflösung der Ambivalenzen der KlientInnen bezüglich ihrer Veränderungsmotivation und die Gestaltung eines langfristigen Prozessbogens über den Rahmen einer aktuellen Behandlung hinaus. Dies erleichtert ein erneutes Hilfesuchverhalten bei Rückfällen. Aber auch wenn ein Hilfeprozess ohne weiterführende Maßnahmen abgebrochen wurde, besteht doch die Möglichkeit, dass die KlientInnen erneut Kontakt aufnehmen, da die Beendigung im Rahmen eines Arbeitsbündnisses und nicht im Rahmen eines Konfliktes erfolgte.

    Diese Funktion der ambulanten Suchthilfe im Gesamtsystem der Suchthilfe hat sich historisch entwickelt, ist aber bis heute gesetzlich nicht normiert. Zwar ist die ambulante Suchthilfe aktuell noch mit Ressourcen ausgestattet, aber diese werden auf freiwilliger Basis von Kommunen und teilweise durch Länder, Projekte und Träger gegenfinanziert. Abgesehen von der Unsicherheit, die diese Situation für die Fachkräfte der Sozialen Arbeit und die Träger ihrer Organisation bedeutet, könnte diese Situation auch ein Risiko für die Versorgung Suchtkranker bzw. für die Effektivität von weiterführenden Maßnahmen insbesondere des SGB V und VI bedeuten, z. B. von Rehabilitationen oder Akutmaßnahmen wie Entgiftungen. Um möglichen Entwicklung in dieser Richtung vorzubeugen, ist es wichtig, dass die Fachkräfte der Sozialen Arbeit sich ihrer Bedeutung im Gesamtsystem der Suchthilfe bewusst werden und die von ihnen wahrgenommen Aufgaben formulieren und nach außen vertreten. Nur so können notwendige Ressourcen für diese Arbeit, die das Scharnier zwischen Fürsorge und medizinisch-rehabilitativer Versorgung bildet, dauerhaft legitimiert und damit gesichert werden. Insbesondere die gesetzliche Legitimierung unter expliziter Einbeziehung sozialarbeiterischer Expertise über eine kommunale Kann-Leistung hinaus ist entscheidend, um einheitliche Standards, Ausstattungen und Aufträge für Suchtberatungsstellen formulieren und mit Blick auf integrierte Versorgung weiterentwickeln zu können.

    Implikationen für die Praxis

    Soziale Arbeit liefert einen komplexen Beitrag zur Versorgung Suchtkranker und ihrer Angehörigen im ambulanten Kontext. Schwerpunkt dieser Arbeit ist, eine bezogen auf den jeweiligen Einzelfall und auf regionale Versorgungsstrukturen optimale Verbindung zwischen Fürsorge und medizinisch-rehabilitativer Versorgung und anderen Hilfsangeboten herzustellen. Fachkräfte der Sozialen Arbeit sollten sich ihrer speziellen Expertise insbesondere in Bezug auf das multiperspektivische Fallverstehen, den Aufbau eines tragfähigen Arbeitsbündnisses und die Gestaltung eines regionalen Hilfenetzes zur Optimierung der Versorgungsstrukturen bewusst werden. Konzepte der Sozialen Arbeit sollten explizit in Organisationskonzepte und Qualitätshandbücher als Standards mit aufgenommen werden, um die Ressourcen, die zu ihrer Umsetzung notwendig sind, dauerhaft zu sichern bzw. deren Evaluation und Weiterentwicklungen zu ermöglichen.

    Interessenkonflikte: Die Autorin gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

    Kontakt:

    Rita Hansjürgens
    Katholischen Hochschule NRW, Abt. Paderborn
    Leostraße 19
    33098 Paderborn
    r.hansjuergens@katho-nrw.de
    www.katho-nrw.de/paderborn

    Angaben zur Autorin:

    Rita Hansjürgens, M.A., Dipl- Sozialarbeiterin, ist Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Katholischen Hochschule NRW, Abt. Paderborn.

    Literatur:
    • Becker-Lenz, Roland; Müller, Silke (2009): Der professionelle Habitus in der sozialen Arbeit. Grundlagen eines Professionsideals. Bern: P. Lang.
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    • Bohnsack, Ralf (2003): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. 5. Aufl. Opladen: Leske + Budrich (UTB, 8242).
    • Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (Hg.) (1999): Leistungsbeschreibung für Beratungs- und Behandlungsstellen der Suchtkrankenhilfe. Institut für Therapieforschung (IFT). Online verfügbar unter http://www.dhs.de/fileadmin/user_upload/pdf/Arbeitsfeld_Beratungsstellen/leistungsbeschreibung_1999.pdf, zuletzt geprüft am 26.03.2013.
    • fdr (Fachverband Drogen und Rauschmittel e. V.) (2005): Mindeststandards der ambulanten Suchthilfe. Vorschläge des Fachverbandes Drogen und Rauschmittel e. V. zu den Arbeitsgrundlagen von ambulanten Hilfen für Suchtkranke. Unter Mitarbeit von Michael Hoffmann-Bayer, Jost Leune und Birgit Wichelmann-Werth. Hannover, 2005.
    • Helas, Irene (1997): Über den Prozess der Professionalisierung in der Suchtkrankenhilfe. In: Elke Hauschildt (Hg.): Suchtkrankenhilfe in Deutschland. Geschichte, Struktur und Perspektiven. Freiburg im Breisgau: Lambertus, S. 147–161.
    • Helfferich, Cornelia (2011): Die Qualität qualitativer Daten. Manual für die Durchführung qualitativer Interviews. 4. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften / Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Wiesbaden.
    • Kemper, Ulrich (2008): Der Suchtbegriff. Versuch einer Annäherung. In: Jahrbuch Sucht, S. 210–226.
    • Loviscach, Peter; Lutz, Roland (1996): Soziale Arbeit im Arbeitsfeld Sucht. Eine Einführung. Freiburg im Breisgau: Lambertus.
    • Moch, Matthias (2012): Die Lücke. implizites Wissen und das Theorie-Praxis-Verhältnis. In: neue praxis 42 (6), S. 555–565.
    • Müller, Burkhard (2012): Sozialpädagogisches Können. Ein Lehrbuch zur multiperspektivischen Fallarbeit. 7. überarb. und erw. Aufl. Freiburg im Breisgau: Lambertus.
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