Schlagwort: Cannabis

  • Der kleine Unterschied?

    Der kleine Unterschied?

    *Der Fachbeirat Statistik der DSHS ist derzeit vertreten durch Rudolf Bachmeier, Heike Timmen, Eva Egartner, Wolfgang Klose, Corinna Mäder-Linke, Anja Mevius, Peter Raiser, Gabriele Sauermann, Iris Otto und Detlef Weiler

    Einleitung

    2021 hatten laut Epidemiologischem Suchtsurvey (ESA) 8,8 % der erwachsenen Wohnbevölkerung in Deutschland binnen der letzten 12 Monate Cannabis konsumiert, wobei die Konsumprävalenz unter Männern (10,7 %) höher war als unter Frauen (6,8 %) (1). Bei knapp einem Drittel der Konsumenten bzw. knapp einem Viertel der Konsumentinnen wurde das Konsumverhalten als problematisch eingestuft (1). Langfristiger Konsum von Cannabisprodukten begünstigt die Entwicklung von Cannabinoidkonsumstörungen (CUD) (2).

    Eine wichtige Anlaufstelle für Menschen mit CUD ist die (ambulante) Suchthilfe. Der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) zu Folge wurden 2023 in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen 26.633 Betreuungen aufgrund von CUD begonnen, wobei etwa 4 von 5 Fällen auf Männer entfielen. Nur im Bereich von Alkoholkonsumstörungen (73.746 Fälle) war das Betreuungsvolumen noch größer (3). Trendanalysen auf Basis der DSHS zeigten, dass sich die Anzahl der Betreuungsfälle aufgrund von CUD seit der Jahrtausendwende verdreifacht hat (2001: 10,1 Fälle pro Einrichtung, 2021: 33,2 Fälle pro Einrichtung), der Frauenanteil unter den Betreuten aber nur minimal gestiegen ist (2001: 15,6 %; 2021: 18,1 %) (4).

    Entwicklungen innerhalb der Gesamtheit der Hilfesuchenden mit CUD werden somit stark durch Entwicklungen bei hilfesuchenden Männern geprägt. Ob sich bei weiblichen Hilfesuchenden andere Trends zeigen, soll diese Arbeit beleuchten.

    Methodik

    Datenquelle

    Im Rahmen der vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) werden seit etwa 45 Jahren routinemäßig Daten aus ambulanten Suchthilfeeinrichtungen, stationären Rehabilitationseinrichtungen und Einrichtungen der Sozialen Teilhabe gesammelt und aufbereitet. Unsere Analysen nutzen Daten, die ambulante Suchthilfeeinrichtungen von 2001 bis 2023 für die DSHS zur Verfügung gestellt haben. Die an der DSHS teilnehmenden Einrichtungen spiegeln dabei jedes Jahr etwa 70 % aller ambulanten Suchthilfeeinrichtungen (5-7), wobei die Anzahl und Zusammensetzung des Teilnehmerpools leicht schwankt („offene Kohorte“).

    Die Datenerhebung erfolgt nach den bundesweit einheitlichen Standards des Deutschen Kerndatensatzes zur Dokumentation in der Suchthilfe (KDS) und umfasst soziodemographische und klinische Daten sowie Informationen zum Versorgungsverlauf samt Ergebnis. Eine detaillierte Auflistung der im KDS erhobenen Variablen und ihrer Ausprägungen findet sich im jährlich aktualisierten zugehörigen Manual (8). Um nationalen und internationalen Bedarfen Rechnung zu tragen, wird der KDS regelmäßig weiterentwickelt, so dass die analysierten Daten auf unterschiedlichen (miteinander kompatiblen) KDS-Versionen beruhen: 2001 – 2006: KDS; 2007 – 2016: neuer KDS 2.0; 2017 – 2023: KDS 3.0.

    Die DSHS nutzt keine personenbezogenen Daten, sondern Aggregatdaten: In jeder teilnehmenden Einrichtung werden die Daten fallweise gebündelt und in Form von Pivot-Tabellen aufbereitet. Die entsprechenden Tabellen werden anschließend über alle an der DSHS teilnehmenden Einrichtungen hinweg zu einem einzigen Gesamtdatensatz zusammengefasst. Somit stehen für jeden einzelnen Parameter geschlechts- und Hauptdiagnosebezogene Häufigkeitsverteilungen zu Verfügung (z. B. Anzahl Erstbetreuungen unter Männern mit CUD, Anzahl Betreuungen bei unter 30-jährigen Männern mit CUD), es ist aber nicht möglich, die einzelnen Informationen miteinander zu verknüpfen (z. B. Anzahl Erstbetreuungen bei unter 30-jährigen Männern mit CUD). Aufgrund der fallweisen Dokumentation können konkrete Personen mehrfach in den Datensatz eingehen. Eine ausführlichere Beschreibung der Prozesse innerhalb der DSHS wurde anderweitig publiziert (9). Die Ergebnisse aus den Routineläufen der DSHS sind in Form von Excel-Tabellenbänden öffentlich verfügbar (https://suchthilfestatistik-datendownload.de/Daten/download-CDS-2.html).

    Statistische Analyse

    Unsere Analysen schließen alle Betreuungszugänge aufgrund von Cannabinoidmissbrauch (ICD10-Diagnose: F12.1) und Cannabinoidabhängigkeit (ICD10-Diagnose F12.2) ein. Die Betreuungen wurden für die einzelnen Jahre getrennt nach (biologischem) Geschlecht aufbereitet und ausgewertet. Um die Relevanz von CUD in der ambulanten Suchthilfe zu spiegeln, haben wir zunächst

    • den Anteil an CUD-bedingten Betreuungen an allen Betreuungen im Zeitverlauf sowie
    • die durchschnittliche Anzahl an CUD-bedingten Betreuungen pro Einrichtung

    abgebildet. Anschließend wurden Trends hinsichtlich

    • Alter bei Betreuungszugang (in Jahren),
    • ausgewählter soziodemographischer Parameter (zusammenlebend mit minderjährigen Kindern, Abitur, Arbeitslosigkeit),
    • Erstbetreuung (d. h. ohne Vorerfahrung mit der Suchthilfe; ja/nein) und
    • Betreuungsergebnis (verbesserte Symptomatik ja/nein)

    bei hilfesuchenden Männern und Frauen gegenübergestellt.

    Hierfür wurden zunächst Anteilswerte bei Beginn (2001) und Ende (2023) des Beobachtungszeitraums erfasst und mögliche Unterschiede anhand nicht-überlappender 95 %-Konfidenzintervalle (KI) bewertet. Diese Intervalle geben eine Spannweite an, in der der wahre Parameterwert mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % liegt. Sobald sich Konfidenzintervalle überlappen, lässt sich ein Unterschied nicht statistisch nachweisen. Anschließend wurde für alle Variablen der geschlechtsspezifische Gesamttrend über Joinpoint-Analysen (Joinpoint Trend Analysis Software Version 4.9.1.0 (10)) ermittelt. Im Rahmen von Joinpoint-Analysen lassen sich Bruchpunkte in Zeitreihen (sog. Joinpoints (JP)) identifizieren, an denen sich die Trendrichtung oder Trendstärke signifikant verändert (11-13). Für unsere Analysen wurde ein Signifikanzniveau von 5 % gewählt.

    Ergebnisse

    Relevanz von CUD in der ambulanten Suchthilfe in Deutschland

    2001 erfolgten bei Männern 7,7 % [95 %-KI: 6,8 %; 8,6 %] der 40.288 Betreuungszugänge aufgrund von CUD, bei Frauen waren es 5,0 % [3,2 %; 6,8 %] der 11.554 Betreuungszugänge. Bis 2023 hatte sich der entsprechende Anteil bei beiden Geschlechtern in etwa verdreifacht, bei Männern auf 19,8 % [19,3 %; 23,3 %] (von 107.411 Betreuungszugängen) und bei Frauen auf 13,6 % [12,7 %; 14,5 %] (von 39.102 Betreuungszugängen). Damit wurden 2001 in jeder Einrichtung im Mittel 8,5 CUD-bedingte Betreuungen bei Männern durchgeführt, 2023 waren es 23,7. Für Frauen lagen die entsprechenden Werte bei 1,6 und 5,9 (siehe Abbildung 1).

    Abbildung 1: Relevanz von CUD in der ambulanten Suchthilfe, 2001 – 2023

    Alter bei Betreuungsbeginn

    2001 lag das Durchschnittsalter der wegen CUD betreuten Männer mit 21,8 Jahren ähnlich hoch wie das der wegen CUD betreuten Frauen mit 21,7 Jahren. Bis 2023 stieg das Durchschnittsalter bei Männern auf 25,9 Jahre und bei Frauen auf 26,4 Jahre. Hierbei wechselten bei beiden Geschlechtern stabile Phasen mit Phasen des Anstiegs (siehe Abbildung 2).

    Abbildung 2: Durchschnittsalter der wegen CUD betreuten Männer und Frauen, 2001 – 2023

    Lebenssituation

    2001 teilte einer von 20 wegen CUD betreuten Männern (4,8 %; [1,1 %; 8,4 %]) bzw. eine von 7 wegen CUD betreuten Frauen (14,6 %; [6,6%; 22,5 %]) den Haushalt mit minderjährigen Kindern. Während bei Männern bis 2023 ein beständiger Anstieg auf nahezu das Doppelte des Ausgangswertes zu beobachten war (8,1%; [6,7 %; 9,5 %]), blieb der Anteilswert bei Frauen auf einem im Vergleich dazu signifikant höheren Niveau stabil (16,6 %; [14,0 %; 19,3 %]) (siehe Abbildung 3).

    Abbildung 3: Mit minderjährigen Kindern zusammenlebende wegen CUD betreute Männer und Frauen, 2001 – 2023

    Schulabschluss Abitur

    Das (Fach-)Abitur hatte 2001 einer von 20 wegen CUD betreuten Männern (4,5 %; [0,8 %; 8,3 %]) bzw. eine von 14 wegen CUD betreuten Frauen (7,0 %; [0,0%; 15,6 %]). Diese Anteilswerte werden statistisch als vergleichbar eingestuft. 2023 hatten Männer in einem Siebtel der Fälle (13,6 %; [12,1 %; 15,2 %]) und damit häufiger das (Fach-)Abitur als 2001. Bei Frauen lag der entsprechende Anteil bei einem Sechstel (17,7 %; [7,0 %; 28;4 %])wobei statistisch kein Unterschied zu 2001 nachweisbar war. Auch 2023 bestand kein Geschlechtsunterschied hinsichtlich des Anteils mit (Fach)Abitur. Im Beobachtungszeitraum wechselten bei beiden Geschlechtern Anstiegsphasen und stabile Phasen (siehe Abbildung 4).

    Abbildung 4: (Fach-)Abitur bei wegen CUD betreuten Männern und Frauen, 2001 – 2023

    Erwerbsstatus

    Der Anteil an Arbeitslosen unter wegen CUD betreuten Männern war 2001 mit einem Fünftel (20,4 %; [16,0 %; 24,8 %]) ähnlich hoch wie 2023 mit einem Viertel (24,8 % [23,6 %; 26,1 %]). Wegen CUD betreute Frauen waren 2023 in 3 von 10 Fällen arbeitslos (29,7 % [27,2 %; 32,2 %]) und damit signifikant häufiger als 2001, als ein Sechstel arbeitslos war (15,8 % [4,8 %; 26,9 %]). Somit war Arbeitslosigkeit unter Frauen und Männern 2001 ähnlich weit verbreitet, 2023 waren Frauen aber signifikant häufiger arbeitslos als Männer. Nach einem anfänglichen Anstieg ist bei beiden Geschlechtern der Anteil an Arbeitslosen in den letzten etwa 15 Jahren des Beobachtungszeitraums rückläufig (siehe Abbildung 5).

    Abbildung 5: Arbeitslosigkeit bei wegen CUD betreuten Männern und Frauen, 2001 – 2023

    Erstbetreute

    Während 2001 jeweils etwa 4 von 5 wegen CUD betreuten Männern (79,2 %; [77,5 %; 80,9 %]) bzw. Frauen (82,2 % [78,5 %; 85,9 %]) mit der laufenden Betreuung erstmalig in Kontakt zum Suchthilfesystem traten, waren Erstbetreuungen 2023 mit jeweils 5 von 9 Fällen sowohl bei Männern (55,2 % [54,2 %; 56,2 %]) als auch Frauen (58,9 %; [57,0 %; 60,8 %]) signifikant seltener. Nach einem anfänglichen starken Rückgang hat sich der Anteil an Erstbetreuungen bei beiden Geschlechtern ab 2008 bzw. 2009 stabilisiert (siehe Abbildung 6).

    Abbildung 6: Erstbetreute unter wegen CUD betreuten Männern und Frauen, 2001 – 2023

    Ergebnis bei Betreuungsende

    2001 hatte sich die CUD-Problematik bei Betreuungsende bei 4 von 9 Männern (55,2 % [51,0 %; 59,4 %]) verbessert. Bei Frauen lag der Anteil mit etwa der Hälfte der Fälle (51,8 %; [40,1 %; 63,6 %]) ähnlich hoch. 2023 war bei jeweils knapp 2 von 3 betreuten Männern (61,0 % [59,9 %; 62,0 %]) bzw. Frauen (60,6 % [58,5 %; 62,7 %]) eine Verbesserung zu verzeichnen. Bei Männern überstieg dieser Anteil den Ausgangswert signifikant, bei Frauen war er vergleichbar. Der Anteil an Betreuungen, die mit einer verbesserten Suchtproblematik enden, geht bei beiden Geschlechtern nach einem anfänglichen Anstieg seit 2007 leicht zurück (siehe Abbildung 7).

    Abbildung 7: Anteil an mit verbesserter Suchtproblematik beendeten Betreuungen unter wegen CUD betreuten Männern und Frauen, 2001 – 2023

    Diskussion

    Die nach Geschlecht stratifizierten Analysen unterstreichen, dass sich der Anteil CUD-bedingter Betreuungen in der ambulanten Suchthilfe bei Männern wie Frauen von 2001 bis 2023 verdreifacht hat – bei Männern aber von einem deutlich höheren Ausgangsniveau aus. Das Durchschnittsalter der Hilfesuchenden hat sich von Anfang auf Mitte 20 erhöht. Der Anteil an Erstbetreuungen war, nach einem anfänglichen Rückgang, in den letzten 15 Jahren des Beobachtungszeitraums stabil. Zeitgleich sinkt der Anteil an Betreuungen, die mit einer verbesserten CUD-Symptomatik enden – wobei die entsprechenden Anteilswerte bei Männern noch über dem Ausgangsniveau bzw. bei Frauen auf dem Ausgangsniveau liegen. All diese Trendverläufe sind bei Männern und Frauen nahezu deckungsgleich, weswegen die in der Hauptpublikation (4) diskutierten Erklärungsansätze für beide Geschlechter greifen dürften.

    Das steigende Durchschnittsalter der Hilfesuchenden könnte damit zusammenhängen, dass auch Cannabiskonsumierende im Mittel älter werden (14). Ein zweiter Erklärungsfaktor dürfte das erhebliche Rückfallrisiko (15) sein, das sich auch im gesunkenen Anteil an Erstbetreuungen spiegelt. Naturgemäß sind Hilfesuchende bei jeder neuen Betreuungsepisode älter als bei der vorhergehenden. Dass Betreuungen seltener mit einer verbesserten CUD-Problematik enden, sollte im Kontext der rückläufigen Erstbetreuungen gesehen werden und nicht als abnehmende Effektivität der Suchthilfe missinterpretiert werden. Menschen, die wiederholt wegen CUD Suchthilfe nachfragen, dürften eine höhere psycho-soziale und medizinische Problemlast haben als Erstbetreute. Die Chance für eine Verbesserung im Zuge der Betreuung dürfte bei komplexeren Fällen geringer sein (16-19).

    Zugleich zeigen sich gewisse soziodemographische Unterschiede zwischen den wegen CUD betreuten Männern und Frauen. So leben Frauen durchwegs häufiger mit minderjährigen Kindern zusammen als Männer, obgleich bei Männern diesbezüglich ein gewisser „Aufholeffekt“ zu beobachten ist. Zudem haben hilfesuchende Frauen tendenziell häufiger das (Fach-)Abitur, wobei die „Abiturquote“ bei beiden Geschlechtern im Zeitverlauf steigt. Diese Entwicklungen dürften teilweise durch das steigende Durchschnittsalter miterklärbar sein. Zugleich scheinen ungünstige Arbeitsmarktentwicklungen Frauen eher zu treffen als Männer, da der Anstieg im Anteil an Arbeitslosen bei Frauen stärker bzw. der Rückgang dieses Anteils schwächer ausgeprägt ist als bei Männern.

    Eine Einordnung dieser Beobachtungen erscheint aufgrund fehlender Vergleichsstudien herausfordernd: Der Mikrozensus 2019 geht davon aus, dass ein Fünftel der Erwachsenen mit minderjährigen Kindern in einem Haushalt lebt (20). Unter wegen CUD hilfesuchenden Männern und Frauen ist diese Lebenssituation seltener zu finden. Allerdings ist zu bedenken, dass das Gros der Betreuten jünger als 35 Jahre ist, während der Mikrozensus alle Altersgruppen einschließt. Eventuell befindet sich die hilfesuchende Klientel überwiegend in einer Altersspanne vor der Familiengründung. Vor dem Hintergrund, dass elterliche CUD ein wichtiger Prädiktor für dysfunktionale Erziehungsstrategien und späteren Cannabiskonsum der eigenen Kinder ist (21), sollte der steigende Anteil an Männern, die mit minderjährigen Kindern zusammenleben, in der Betreuungsarbeit aktiv aufgegriffen werden.

    Der steigende Anteil an Hilfesuchenden mit Abitur ist im Kontext der steigenden (Fach-)Abiturquote auf Bevölkerungsebene zu sehen. In der Altersgruppe der unter 35-Jährigen haben Frauen häufiger das (Fach-)Abitur als Männer (22), was sich mit der Beobachtung deckt, dass wegen CUD betreute Frauen tendenziell häufiger das (Fach-)Abitur haben als ihre männlichen Pendants. Auch der Trend bezüglich Arbeitslosigkeit in der hilfesuchenden Klientel spiegelt auf höherem Ausgangsniveau weitgehend Entwicklungen auf Bevölkerungsebene. Allerdings ist anders als auf Bevölkerungsebene (23) Arbeitslosigkeit unter betreuten Frauen weiter verbreitet als unter betreuten Männern. Daher sollte gerade in der Betreuung von Frauen die (Re-)Integration in den Arbeitsmarkt gezielt thematisiert werden.

    Fazit

    Zwar erlauben die Aggregatdaten der DSHS keine Rückschlüsse auf wechselseitige Einflüsse zwischen einzelnen Parametern, dennoch geben sie tragfähig Aufschluss, wie sich die Rolle von CUD in der ambulanten Suchthilfe und das soziodemographische Profil der Hilfesuchenden seit der Jahrtausendwende verändert hat. Hierbei zeigen sich bei Männern und Frauen zwar grundsätzlich ähnliche Entwicklungen, allerdings unterscheidet sich das Ausgangsniveau bzw. die Trendstärke zwischen beiden Geschlechtern. Bei der Interpretation ist zu beachten, dass die Punktschätzer in der weiblichen Klientel bedingt durch kleine Fallzahlen mit vergleichsweise großer Unsicherheit behaftet sind, was den statistischen Nachweis augenscheinlicher Unterschiede erschwert. Da 4 von 5 CUD-bedingten Betreuungen Männer betreffen, stellt sich die Frage, ob bestimmte Themen (z. B. Elternschaft, Arbeitslosigkeit), die für Frauen eine andere Relevanz haben, angemessen adressiert werden. Hier besteht nachgelagerter Forschungsbedarf.

    Literatur
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    23. Statistisches Bundesamt (Destatis). Erwerbslosenquote: Deutschland, Monate, Geschlecht, Altersgruppen, Original- und bereinigte Daten (Code: 13231-0003) 2024 [21.11.2024]. Available from: https://www-genesis.destatis.de/datenbank/online/statistic/13231/table/13231-0003.
    Kontakt:

    PD Dr. Larissa Schwarzkopf
    Leiterin Forschungsgruppe Therapie und Versorgung
    IFT Institut für Therapieforschung
    Leopoldstraße 175
    80804 München
    www.ift.de
    schwarzkopf(at)ift.de

    Angaben zu den Autorinnen:

    PD Dr. Larissa Schwarzkopf, IFT Institut für Therapieforschung München, Leiterin der Forschungsgruppe Therapie und Versorgung
    Alisa Stampf, IFT Institut für Therapieforschung München, Forschungsgruppe Therapie und Versorgung
    Prof. Dr. Eva Hoch, IFT Institut für Therapieforschung München, Institutsleiterin

  • Neue Visionen für die Suchtprävention?

    Neue Visionen für die Suchtprävention?

    Dr. Johannes Nießen, Errichtungsbeauftragter des BIPAM und Kommissarischer Leiter der BZgA. Fotograf: Carsten Kobow i.A. BZgA

    Die Suchtprävention ist wichtiger denn je! Als zentrale staatliche Institution ist aktuell die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA, Fachbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit) mit dieser Aufgabe betraut. Sie ist zuständig für die Erarbeitung und Umsetzung von Maßnahmen der Suchtprävention auf Bundesebene. Bis 2025 soll die BZgA nun in das neue Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) übergehen. Was bedeutet das für die Suchtprävention? Welche Rolle wird sie im BIPAM spielen? Darüber sprach KONTUREN online mit Dr. Johannes Nießen. Er ist seit Oktober 2023 Errichtungsbeauftragter des neuen Instituts und Kommissarischer Leiter der BZgA.

    KONTUREN online: Aufgabe des BIPAM soll es sein, sich mit der Vermeidung nicht übertragbarer Erkrankungen wie Krebs, Demenz und koronaren Herzerkrankungen zu befassen. Was sind für Sie die wichtigsten konkreten Handlungsfelder für das BIPAM? Rückt die Suchtprävention in den Hintergrund?

    Dr. Johannes Nießen: Das BIPAM soll als zentrale Instanz auf Bundesebene die Strukturen für Öffentliche Gesundheit – insbesondere im Bereich Prävention, Gesundheitsförderung und -kommunikation – ausbauen und die Vernetzung von Bund, Ländern und Kommunen stärken. Die BZgA soll in dieser neuen Behörde aufgehen, die Expertise des RKI genutzt werden. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit auf den Gebieten der übertragbaren und nicht übertragbaren Erkrankungen (kurz NCDs) soll gefördert werden, um eine übergreifende Betrachtung sicherzustellen und der gesamten Situation des Gesundheitsschutzes und der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung Rechnung zu tragen.
    Präventionsarbeit hat einen hohen Stellenwert im BIPAM. Dies wird auch international, beispielsweise von der WHO, als sehr wichtig angesehen. Die Suchtprävention rückt dabei keinesfalls in den Hintergrund, sondern wird aufgrund der Interdependenz zu NCDs einen höheren Stellenwert erhalten.
    Erklärtes Ziel ist es, allen Bürgerinnen und Bürgern einen einfachen und schnellen Zugang zu verständlichen Gesundheitsinformationen über Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebs zu ermöglichen. Zudem wird das BIPAM den Öffentlichen Gesundheitsdienst vernetzen und mit verschiedenen Angeboten bei seiner Arbeit vor Ort unterstützen.

    Wie wird die Suchtprävention am BIPAM strukturiert sein? Welche Fachleute sind in die Entwicklung von Maßnahmen eingebunden?

    Der Errichtungsprozess ist in vollem Gange. Welche Verantwortlichkeiten und Arbeitseinheiten wie zusammenkommen und wie die Facharbeit gestaltet wird, kann erst dann festgelegt werden, wenn die Aufbauorganisation des BIPAM steht.

    Was sind für Sie die wichtigsten konkreten Ziele und Handlungsfelder in der Suchtprävention? Welches sind die größten Herausforderungen?

    Wichtigste Ziele der Suchtprävention und gleichzeitig größte Herausforderungen sind die Vermeidung oder Hinauszögerung des Erstkonsums, die Früherkennung und Frühintervention bei riskantem Konsumverhalten sowie die Verringerung von einem missbräuchlichen Konsumverhalten und einer Suchtentwicklung. Jedes Jahr sterben etwa 127.000 Menschen allein in Deutschland an den Folgen des Tabakkonsums und über 40.000 Menschen an den Folgen schädlichen Alkoholkonsums. Eine zielgerichtete und evidenzbasierte Suchtprävention kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Gesundheitskompetenz zu stärken und Lebensqualität zu verbessern. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bietet dazu für diverse Zielgruppen qualitätsgesicherte Angebote zur Suchtprävention im Bereich der legalen und illegalen Drogen sowie der Verhaltenssüchte.

    Was wird das BIPAM in der Suchtprävention anders machen als die BZgA? Haben Sie neue Ideen? Wo sind Verbesserungen zu erwarten?

    Das BIPAM wird auf einem soliden Fundament der Suchtprävention aufbauen können, das die BZgA mit ihrer langjährigen Kommunikationsexpertise gelegt hat. Ergänzt wird sie um Datenexpertise aus dem RKI, etwa zu Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring. Diese Verbindung ermöglicht es, evidenzbasierte Bedarfe passgenauer zu ermitteln, Präventionsmaßnahmen gezielter zu entwickeln und sie abschließend zu evaluieren.

    Zum 1. April 2024 ist eine gesetzliche Neuregelung zur Teil-Legalisierung von Cannabis in Kraft getreten. Welche konkreten Maßnahmen planen Sie, um schädlichem Cannabiskonsum vorzubeugen?

    Die BZgA bietet für unterschiedliche Zielgruppen fachlich fundierte, gut verständliche und sachliche Informationen zu Cannabis, dessen Wirkweise sowie den gesundheitlichen Risiken des Konsums, zudem digitale Beratungsangebote und Selbsttests. Zielgruppen sind Jugendliche unter 18 Jahren, für die Cannabis auch weiterhin verboten bleibt, sowie junge Erwachsene ab 18 Jahren – aber auch Eltern, pädagogische Fachkräfte und Fachkräfte der Suchtprävention. Ziel ist es, insbesondere bei der jugendlichen Zielgruppe über die schädliche Wirkung des Cannabiskonsums aufzuklären, das heißt vor allem eine bleibende Schädigung des Gehirns in der Entwicklungsphase, sowie insgesamt für einen verantwortungsvollen Umgang mit Cannabis zu sensibilisieren.

    Wie wollen Sie – insbesondere für die Cannabisprävention – die verschiedenen Zielgruppen in ihren Lebenswelten erreichen? Gibt es z. B. spezifische Programme für Schulen? Ist eine Zusammenarbeit mit den Ländern und Kommunen vorgesehen?

    Die BZgA setzt einen Fokus auf den Ausbau der schulischen Cannabisprävention, um insbesondere Jugendliche, die noch nicht konsumieren, zu erreichen, sie für die gesundheitlichen Risiken des Cannabiskonsums zu sensibilisieren und darin zu bestärken, auf den Konsum von Cannabis zu verzichten. Neben der Entwicklung von Lehrkräfte-Schulungen, Weiterbildungsangeboten und Elternabenden speziell zur Cannabisprävention fördert die BZgA bereits Angebote zum direkten Einsatz im Unterricht, wie zum Beispiel Unterrichtseinheiten und -materialien. Die Präventionsangebote der BZgA werden kontinuierlich ausgebaut und weiterentwickelt. Hierzu veranstaltet die BZgA unter anderem regelmäßige Austauschformate mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) sowie den entsprechenden Landesstellen, um eine frühzeitige übergreifende Abstimmung zu Bedarfen und Entwicklungspotentialen zu ermöglichen.

    Werden die Präventionsbeauftragten der Anbauvereinigungen fachlich begleitet und unterstützt?

    Das Cannabisgesetz sieht vor, dass Präventionsbeauftragte gegenüber ihrer jeweiligen Anbauvereinigung spezifische Beratungs- und Präventionskenntnisse nachweisen müssen. Der Nachweis wird erbracht durch eine Bescheinigung der Teilnahme an einer Suchtpräventionsschulung bei Landes- oder Fachstellen für Suchtprävention oder Suchtberatung oder bei vergleichbar qualifizierten öffentlich geförderten Einrichtungen. Welche Schulungen im jeweiligen Land angeboten werden, von welchem Träger und mit welchem konkreten Inhalt, entscheidet daher das jeweilige Bundesland. Der Bund wird die Erarbeitung eines Mustercurriculums für Schulungen von Präventionsbeauftragten im Rahmen einer Vergabe beauftragen, das die Länder dann für Schulungen nutzen können.

    Der Bedarf an Beratung durch Fachleute und an Programmen wie FreD (Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten) und SKOLL (Selbstkontrolltraining) wird steigen. Wie sollen diese für die Prävention dringend nötigen Angebote finanziert werden?

    Die BZgA bietet bereits für konsumierende, eher drogenaffine junge Menschen qualitätsgesicherte Informationen auf www.drugcom.de sowie Unterstützungsangebote wie zum Beispiel einen Online-Selbsttest „Cannabis Check“, eine digitale Beratung sowie das Online-Verhaltensänderungsprogramm „Quit the Shit“.

    In Deutschland gibt es verschiedene Verbände, die sich für Suchthilfe und -prävention einsetzen. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) wird durch das Bundesministerium für Gesundheit gefördert und ist die zentrale Dachorganisation der deutschen Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe. An welchen Stellen bzw. zu welchen Themen ist eine Kooperation des BIPAM mit der DHS angedacht?

    Die BZgA pflegt seit vielen Jahren eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit der DHS und fördert beispielsweise die Produktion und Distribution von Printmaterialien der DHS oder beteiligt sich an der inhaltlichen Neu- und Weiterentwicklung von relevanten Printprodukten. Ein regelmäßiger fachlich-inhaltlicher Austausch erfolgt dabei in Sachstandsgesprächen von BZgA, BMG und DHS sowie in den Austauschformaten der BZgA mit den Landesstellen für Suchtfragen und wird auch im zukünftigen BIPAM von großer Relevanz sein.

    Herr Dr. Nießen, wir wünschen Ihnen eine glückliche Hand beim Aufbau des BIPAM! Auf welche Aufgaben freuen Sie sich besonders?

    Es ist sehr spannend, gemeinsam mit den engagierten Kolleginnen und Kollegen aus BMG, BZgA und RKI Ideen für das BIPAM zu entwickeln, um die Öffentliche Gesundheit in Deutschland zu stärken.

    Vielen Dank für das Interview!

  • Kontrollierte, legale Abgabe von Cannabis in Deutschland

    Kontrollierte, legale Abgabe von Cannabis in Deutschland

    Dr. Dirk Kratz
    Prof. Dr. Derik Hermann

    „Cannabis ist die am häufigsten konsumierte illegale Droge in Deutschland.“ Mit diesem Satz beginnen zahlreiche journalistische Artikel zu Cannabis, um die gesamtgesellschaftliche Bedeutung dieser Substanz zu unterstreichen. Wird THC-haltiges Cannabis, wie derzeit von der Bundesregierung geplant, legal und kontrolliert abgegeben, könnte Cannabis in Zukunft realistischer eingeordnet werden. „Cannabis ist die am dritthäufigsten konsumierte legale Substanz nach Alkohol und Tabak und verursacht im Vergleich zu den beiden letzteren nur einen Bruchteil der gesellschaftlichen Probleme, Gesundheitsschäden und Todesfälle“, könnte es dann heißen.

    In diesem Artikel werden die Gründe und Ziele der beabsichtigten legalen Abgabe und eine mögliche Ausgestaltung diskutiert. Als Grundlage dient eine Stellungnahme von Derik Hermann zum FDP-Antrag „Cannabis zu Genusszwecken kontrolliert an Erwachsene abgeben – Gesundheits- und Jugendschutz stärken“ im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages am 21.06.2021.

    Gründe für eine kontrollierte Abgabe an Erwachsene zu Genusszwecken

    Das Ziel, die Verfügbarkeit und den Konsum von Cannabis durch ein Verbot mit strafrechtlicher Verfolgung zu unterbinden, ist fehlgeschlagen.

    Etwa 225.000 der 360.000 Rauschgiftdelikte des Jahres 2019 (64 Prozent) waren durch Cannabis verursacht. Bezogen auf die gesamte Rauschgiftkriminalität waren etwa 80 Prozent konsumnahe Delikte wie der Besitz kleiner Mengen zum Eigengebrauch (Bundeskriminalamt 2019). Nachdem in den Jahren 2006 bis 2012 jährlich 125.000 bis 150.000 Cannabisdelikte verfolgt wurden, kam es seit 2013 zu einem Anstieg um ca. 50 Prozent auf 225.000 Fälle.

    Die deutliche Steigerung der Strafverfolgung hat nicht zu einem Rückgang des Cannabiskonsums geführt. Trotz des Verbotes von Cannabis ist die 12-Monats-Prävalenz des Cannabiskonsums bei Männern von 6,7 Prozent (2012) auf 10,3 Prozent (2018) und bei Frauen von 3,4 Prozent (2012) auf 6,2 Prozent (2018) gestiegen (Seitz et al. 2019). Auch das Ziel, durch Strafverfolgung die Verfügbarkeit von Cannabis zu reduzieren, ist fehlgeschlagen. 57 Prozent der 15- bis 24-Jährigen geben an, Cannabis leicht innerhalb von 24 Stunden besorgen zu können (Eurobarometer 2014). Entsprechende Zahlen für andere Drogen liegen deutlich niedriger (Heroin zehn Prozent, Kokain 18 Prozent, Ecstasy 19 Prozent). Die strafrechtliche Verfolgung von konsumnahen Cannabisdelikten bindet einen großen Anteil der Arbeit von Polizei, Gerichten und Justizvollzugsanstalten, die an anderer Stelle fehlt. Durch das Verbot von Cannabis wandern hohe Summen in den Schwarzmarkt und ermöglichen Verkäufer:innen und der mit ihnen verbundenen organisierten Kriminalität Investitionen in anderen kriminellen Bereichen.

    Das Verbot von Cannabis erhöht die gesundheitlichen Risiken von Cannabiskonsum.

    Aufgrund des Verbotes von Cannabis erfolgt keine Qualitätskontrolle der Cannabisprodukte. Sie können Pestizide, Düngemittel, Blei (Busse et al. 2008) oder synthetische Cannabinoide enthalten, die zu Gesundheitsschäden führen. Der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) ist berauschend und verantwortlich für cannabis-induzierte Gesundheitsschäden, während Cannabidiol (CBD) nicht berauschend wirkt und die gesundheitsschädliche Wirkung von THC reduziert. Daher wäre es aus gesundheitlicher Sicht besser, wenn der THC-Gehalt niedrig und der CBD-Gehalt hoch wäre. In Folge des Cannabisverbotes hat sich in den USA der THC-Gehalt von etwa vier Prozent im Jahr 1995 auf etwa zwölf Prozent im Jahr 2012 erhöht (Volkow et al. 2014). In Deutschland betrug er 2019 16,7 Prozent für Haschisch (Reitox Bericht 2019) und 13,1 Prozent für Cannabisblüten (Reitox Bericht 2018). CBD wurde aus neueren Cannabissorten herausgezüchtet. Sie enthalten nur noch geringe CBD-Konzentrationen unter einem Prozent (Chandra et al. 2019).

    Ein weiteres Problem stellen Räuchermischungen mit synthetischen Cannabinoiden („Spice“) dar, die eine bis zu 100-fach stärkere Wirkung als THC aufweisen, mit stärkeren Gesundheitsschäden als bei THC verbunden sind und zu Todesfällen geführt haben. Synthetische Cannabinoide werden vor allem dann konsumiert, wenn der Konsum wegen der Illegalität von Cannabis nicht entdeckt werden soll, also in Justizvollzugsanstalten und im Straßenverkehr. Daher können das Aufkommen und der Erfolg von synthetischen Cannabinoiden als direkte Folgen des Verbotes von Cannabis angesehen werden.

    Die gesundheitlichen Risiken von Cannabis sind bekannt (siehe CaPRis-Studie) und deutlich geringer als die von Alkohol und Tabak.

    Die gesundheitlichen Risiken von Cannabis wurden in der CaPRis-Analyse 2018 im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums gut zusammengefasst. Die Risiken von Cannabiskonsum beinhalten psychische Störungen wie vorübergehende neuropsychologische Defizite, das Auftreten von Angststörungen (erhöht um Faktor 1,3 bis 1,7), Depressivität (erhöht um Faktor 1,3 bis 1,6), Psychosen (bei leichtem Konsum um Faktor 1,4 bis 2,0 erhöht, bei hohem Konsum um Faktor 2,0 bis 3,4) und eine Abhängigkeit von Cannabis (bei ca. neun Prozent der Konsumenten). Körperliche Folgen betreffen das Atemsystem und ein erhöhtes Hodenkrebsrisiko. Die Datenlage bzgl. kardiovaskulärer Effekte und anderer Krebserkrankungen war teils widersprüchlich, von schlechter Qualität oder nicht ausreichend, um chronische Schäden durch Cannabis nachzuweisen.

    Durch akuten Cannabiskonsum erhöht sich das Verkehrsunfallrisiko um den Faktor 1,25 bis 2,66 (zum Vergleich: durch Alkohol um den Faktor 6 bis 15). Wenn in jungem Alter mit dem Cannabiskonsum begonnen wird, ist Cannabiskonsum mit einem geringeren Bildungserfolg assoziiert (für eine ausführliche Darstellung vgl. Hermann 2015).

    Jugendliche sind durch Drogenkonsum besonders gefährdet und müssen besonders geschützt werden.

    Das Gehirn wird während der Pubertät neurobiologisch umgebaut, neuronale Netzwerke werden verändert und Hirnzentren neu verknüpft. Das wird durch körpereigene Cannabinoide (Endocannabinoide) gesteuert. Wenn in dieser Zeit Cannabis konsumiert wird, können diese fein abgestimmten Umbauprozesse nicht mehr korrekt ablaufen. Das führt zu lebenslangen Veränderungen der neuronalen Verknüpfungen, die eine geringere Intelligenz und ein erhöhtes Risiko für psychische und Suchterkrankungen begünstigen können (Jacobus et al. 2019, Salmanzadeh et al. 2020). Allerdings verhindert das Verbot von Cannabis den Konsum durch Jugendliche nicht. Der Anteil der 12- bis 17-Jährigen, die mindestens schon einmal Cannabis konsumiert haben, ist von 8,3 Prozent (2016) auf 9,6 Prozent (2018) gestiegen. Der Schwarzmarkt fragt nicht nach dem Alter. Leider hat Cannabis das Image einer Jugenddroge – dieses Image muss dringend verändert werden. Hierzu müssen Prävention, Jugendschutz, Suchtberatung und Behandlungsangebote erweitert, intensiviert, besser koordiniert und finanziert werden. Fachkräfte der Suchthilfe können besser zu einer Verhaltensänderung bzgl. des Drogenkonsums motivieren als das Strafrecht bzw. Polizei und Justiz.

    Die aktuell wichtigste Frage: Wie soll ein kontrollierter, legaler Verkauf von Cannabis für Erwachsene ausgestaltet werden?

    Nachdem klar ist, dass die im Jahr 2021 eingesetzte Bundesregierung eine kontrollierte, legale Abgabe von Cannabis an Erwachsene einführen möchte, muss geklärt werden, mit welchen Zielen, unter welchen Bedingungen und mit welchen Kontrollmechanismen die Cannabislegalisierung organisiert werden soll.

    Je nachdem, welche Ziele verfolgt werden, zeigen sich große Unterschiede in der Praxis. Die unterschiedlichen Auswirkungen können in Ländern beobachtet werden, die den Cannabisverkauf bereits legalisiert haben. In den Niederlanden können aktuell Erwachsene ab 18 Jahren bis fünf Gramm Cannabis in Coffeeshops erwerben und dort oder im privaten Raum konsumieren. Es gibt aber keine legale Möglichkeit, Cannabis in den Niederlanden anzubauen und zu produzieren – die Coffeeshops kaufen daher Cannabis auf dem Schwarzmarkt. Dadurch werden systematisch hohe finanzielle Mittel in kriminelle Bereiche geleitet. In den Bundesstaaten der USA, die Cannabis legalisiert haben, stehen neben Themen des Gesundheitsschutzes vor allem wirtschaftliche Interessen von teilweise börsennotierten Unternehmen im Vordergrund. Entsprechend soll Cannabis ein positives Image erhalten und der Konsum bequem und in ansprechendem Umfeld ermöglicht werden. Im Rahmen der wirtschaftlichen Interessen wird ein Wachstum des Cannabismarktes angestrebt. Die Verkaufsmenge wird durch Werbung, Produktdifferenzierung (Cannabis in Getränken oder Süßigkeiten) und eine Ausweitung des Marktes auf mehr Konsument:innen gesteigert. Die Kund:innen sollen häufiger und in größeren Mengen konsumieren.

    Das steht im Konflikt zu den Interessen des Gesundheitsschutzes, der gefährdete Personen wie Jugendliche, Schwangere und an Psychosen Erkrankte vom Konsum ausschließen und nicht zum Konsum motivieren möchte. Eine am Gesundheitsschutz orientierte Cannabislegalisierung begrenzt gefährliche Konsumformen wie häufigen, hochdosierten Konsum und beinhaltet eine Informationspflicht über Risiken. Diese Maßnahmen verfolgen das Ziel, den Konsum möglichst gering zu halten und nicht auszuweiten. Es soll zwar ein legaler Konsum ermöglicht werden, dieser soll aber gesundheitsorientierte Einschränkungen bzgl. der Verfügbarkeit von Cannabis und öffentlicher Konsummöglichkeiten sowie Informationspflichten und Verbraucherschutz beinhalten.

    In Deutschland haben sich die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag 2021 auf folgende Formulierung geeinigt: „Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein. Dadurch wird die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet. Das Gesetz evaluieren wir nach vier Jahren auf gesellschaftliche Auswirkungen. Modelle zum Drugchecking und Maßnahmen der Schadensminderung ermöglichen und bauen wir aus.“ (Koalitionsvertrag, S. 68) Das heißt, dass Verbraucher:innenschutz und Jugendschutz im Vordergrund stehen und Einschränkungen in der Verfügbarkeit  vorgesehen sind. In einem strukturierten Konsultationsprozess wurden zentrale Fragestellungen in diesem Zusammenhang unter Leitung des Sucht- und Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Burkhard Blienert, erörtert. Als Ziel wurde genannt, noch im Jahr 2022 einen ersten Gesetzentwurf vorzulegen.

    Das Eckpunktepapier der Bundesregierung zur Einführung einer kontrollierten Abgabe von Cannabis

    Am 26.10.2022 hat die Bundesregierung ein Eckpunktepapier zur Einführung einer kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken veröffentlicht. Die wichtigsten Inhalte werden im Folgenden vorgestellt. Zu beachten ist, dass es sich hierbei nicht um einen Gesetzentwurf handelt, sondern um eine so genannte Interpretationserklärung gegenüber der EU-Kommission, um den völker- und europarechtlichen Rahmen des Gesetzesvorhabens zu berücksichtigen (Bundesgesundheitsministerium 2022).

    Als Ziele der kontrollierten Abgabe von Cannabis werden ein verbesserter Jugendschutz und Gesundheitsschutz und eine Eindämmung des Schwarzmarktes genannt. Cannabis und Tetrahydrocannabinol (THC) sollen künftig rechtlich nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft werden. Die Produktion, Lieferung und der Vertrieb von Genusscannabis sollen zukünftig durch Lizenzen staatlich kontrolliert werden. Der Erwerb und Besitz von 20 bis 30 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum im privaten und öffentlichen Raum soll ab 18 Jahren straffrei sein unabhängig vom THC-Gehalt des Cannabis. Ein privater Eigenanbau von drei weiblichen blühenden Pflanzen pro erwachsener Person soll erlaubt werden mit einigen Auflagen zum Kinder- und Jugendschutz. Laufende Strafverfahren und Ermittlungsverfahren zu dann nicht mehr strafbaren Handlungen werden beendet, wenn das Gesetz in Kraft tritt.

    Genusscannabis soll in lizenzierten Fachgeschäften und gegebenenfalls Apotheken abgegeben werden. Bei jedem Betreten eines Cannabisfachgeschäftes soll eine Alterskontrolle erfolgen, da das Mindestalter für die Abgabe 18 Jahre betragen soll. In den Fachgeschäften darf nur Cannabis verkauft werden, keine anderen Produkte und insbesondere kein Tabak und Alkohol. Die Betreiber:innen und das Verkaufspersonal müssen Sachkundenachweise zu Beratungs- und Präventionskenntnissen erbringen. Zusätzlich muss es pro Verkaufsstelle eine Ansprechperson für den Jugendschutz geben. Zudem soll bei jedem Verkauf ein Beratungsgespräch angeboten werden mit aufklärenden Informationen über Cannabis, Konsumrisiken, risikoarmen Konsum sowie Hinweisen auf Suchtberatungsstellen. Im Bereich von Schulen, Kitas, auf Spielplätzen, in öffentlichen Parks sowie an weiteren Orten, an denen sich Kinder und Jugendliche regelmäßig aufhalten wie z. B. Fußgängerzonen bis 20 Uhr, wird der öffentliche Konsum von Cannabis verboten. Es werden strenge Vorgaben für die Umverpackung von Cannabis gemacht. Qualität und Reinheit des Cannabis werden kontrolliert.

    Werbung für Cannabis-Produkte soll generell untersagt werden, ebenso der Verkauf von synthetisch hergestellten Cannabinoiden. Die Abgabe von Cannabis soll normal der Umsatzsteuer unterliegen; ob eine zusätzliche „Cannabissteuer“ erhoben wird, ist noch in Prüfung. Denn der Preis soll nahe dem aktuellen Schwarzmarktpreis liegen, um Konsument:innen ein Umsteigen auf legales Cannabis zu erleichtern. Handel treiben und in Verkehr bringen ohne Lizenz oder das Überschreiten der Höchstmenge sollen weiterhin strafbar bleiben. Es sollen Cannabisprodukte zum Rauchen, Inhalieren und für nasale oder orale Aufnahme zugelassen werden, z. B. Kapseln, Sprays und Tropfen, und das Bundesnichtraucherschutzgesetz soll auch bezüglich des Rauchens von Cannabis gelten. Eine Erweiterung auf „Edibles“ (Cannabis in Lebensmitteln oder Getränken, z. B. THC-haltige Gummibärchen) soll nach spätestens vier Jahren geprüft werden.

    Zusätzlich soll eine Plattform mit Informationen zu Cannabis und zum Gesetz  eingerichtet werden, in der auch Informationen zu Angeboten für Prävention, Beratung, Behandlung sowie zu Wirkung, Risiken und Safer Use zur Verfügung gestellt werden. Die Aufklärungs- und Präventionsarbeit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung soll verstärkt werden, ebenso die cannabisbezogene Forschung. Auch ist eine mediale und kommunikative Begleitung der kontrollierten Ausgabe von Cannabis durch die Bundesregierung geplant. Die cannabisbezogene Aufklärungs- und Präventionsarbeit sowie zielgruppenspezifische Beratungs- und Behandlungsangebote werden weiterentwickelt.

    Für Minderjährige soll also der Anbau, Erwerb und Besitz von Cannabis weiterhin verwaltungsrechtlich verboten bleiben. Verstöße werden durch Bußgelder geahndet. Für konsumierende Jugendliche sollen aber niedrigschwellige und flächendeckende Frühinterventionsprogramme zur Konsumreflektion eingeführt werden. Behörden wie z. B. das Jugendamt können Minderjährige bei Konsum oder Besitz von Cannabis zu einer Teilnahme an einem Frühinterventions- oder Präventionsprogramm verpflichten. Die universelle, selektive und indizierte Prävention in den Lebenswelten soll entsprechend ausgebaut werden, vor allem in Schulen, Berufsschulen, im Internet und in den sozialen Medien, in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, in Einrichtungen, die mit kognitiv eingeschränkten Personen arbeiten, in Sportvereinen und der Arbeitswelt. Und natürlich sollen auch Informations-, Präventions- und Fortbildungsangebote für Erwachsene mit verschiedenen Zielgruppenschwerpunkten ausgebaut werden, z. B. für konsumunerfahrene Personen sowie Vielkonsumierende, aber auch für deren soziales Umfeld.

    Die wissenschaftlichen „Lower-Risk Cannabis Use Guidelines”

    Im Jahr 2011 hat eine Gruppe internationaler Wissenschaftler:innen erstmals evidenzbasierte Empfehlungen herausgegeben, um die Risiken des Cannabiskonsums zu reduzieren. Die Empfehlungen wurden 2017 und 2021 anhand neuer wissenschaftlicher Literatur aktualisiert (Fischer et al. 2022). Die Evidenz wurde anhand einer fünfstufigen Skala eingeschätzt (sehr hoch, hoch, mittel, gering, sehr gering). Durch das streng wissenschaftliche Vorgehen wird vermieden, dass politisch motivierte Meinungen oder allgemeine Mythen Einzug in die Empfehlungen halten. Auch die Einflussnahme von Lobbyisten und Lobbyistinnen, die eine Deregulierung der Verfügbarkeit bzw. des Konsums anstreben (z. B. Vertreter:innen der Cannabisindustrie), wird reduziert. Die Empfehlungen der „Lower-Risk Cannabis Use Guidelines” eignen sich gut als Grundlage für Informationskampagnen und Beratungsgespräche in den für Deutschland geplanten Cannabisfachgeschäften. An dieser Stelle sei auf die Original-Veröffentlichung in englischer Sprache verwiesen, die zum Download verfügbar ist.

    Diskussion

    Chancen

    Das Verbot von Cannabis hat den Cannabiskonsum in den letzten Jahrzehnten nicht reduziert, es fördert gesundheitsschädliche Konsumformen und erscheint im Vergleich zu dem viel schädlicheren Alkohol unangemessen. Durch die strafrechtliche Verfolgung werden Polizei und Justiz belastet, und es fließen hohe finanzielle Mittel in den Schwarzmarkt. Erfahrungen mit einer Cannabislegalisierung aus anderen Ländern zeigen, dass der Cannabiskonsum unter Erwachsenen nicht oder nur moderat ansteigt und bei Jugendlichen weitgehend unverändert bleibt. Diese Erfahrungen zeigen auch, dass es maßgeblich von der Ausgestaltung der Legalisierung abhängt, ob es zu negativen Effekten kommt.

    Die aktuelle Bundesregierung hat ein Eckpunktepapier vorgelegt, in dem Jugend- und Gesundheitsschutz an erster Stelle stehen. Detailreich werden alle Fragen von Anbau über Verkauf und Prävention geregelt. Das Ziel, den Cannabiskonsum nicht zu fördern, aber für diejenigen, die nicht darauf verzichten wollen, so wenig schädlich wie möglich zu gestalten, ist in diesem Papier aus suchtmedizinischer Perspektive gut gelungen. Besonders wichtig sind Prävention und Information, die langfristig dazu beitragen können, verantwortungsvoll mit Cannabis umzugehen und das Image von Cannabis als „Jugenddroge“ zu revidieren.

    Mit der Fokussierung auf den Gesundheitsschutz treten andere Ziele in den Hintergrund, die aber auf sekundärer Ebene sowie in der laufenden Diskussion eine Rolle spielen. Beispielsweise werden immer wieder justizielle Ziele wie die Reduktion des Schwarzmarktes und die Entlastung der Strafverfolgung genannt. Auch wenn diese Ziele weitere gute Gründe darstellen, die für eine Legalisierung sprechen, muss hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung ein Schwerpunkt gesetzt werden. International wird eine am Gesundheitsschutz orientierte Cannabislegalisierung als der beste Weg gesehen, Chancen und Risiken auszubalancieren und zu einer Weiterentwicklung der Suchtpolitik im Sinne der öffentlichen Gesundheit beizutragen. Ohne Schwerpunktsetzung droht ein bürokratisches Chaos mit der Folge einer legalen Abgabe, die alle Ziele verfehlt, da sie sowohl an der Zielgruppe als auch an einer realistischen Umsetzung vorbei agiert. Gegner:innen der Freigabe könnten dann argumentieren, dass sie mit ihrer These, durch die Freigabe würde sich die Situation nicht verbessern, recht behalten hätten.

    Das Eckpunktepapier der Bundesregierung zur Cannabislegalisierung gibt einen soliden Rahmen für eine staatliche Kontrolle bzgl. Anbau, Produktion, Vertrieb und Konsum vor. Negative Auswirkungen, die in anderen Ländern beobachtet wurden, z. B. das Verbot der Produktion von Cannabis, das in den Niederlanden den Schwarzmarkt aufrechterhält, oder die Förderung des Cannabiskonsums durch Werbung und Produktdiversifikation aus wirtschaftlichen Gründen, wie in einigen US-Bundesstaaten, sollen vermieden werden. In dem aktuellen Gesetzgestaltungsprozess wurden und werden Erfahrungen aus anderen Ländern systematisch aufgearbeitet. Dabei werden wichtige Fragen wie der Preis, Prävention, Informationspflichten, wo konsumiert werden darf, wie mit konsumierenden Minderjährigen umgegangen werden soll und die Höhe der Steuer diskutiert. Dies eröffnet die große Chance, einen angemessenen gesellschaftlichen Umgang mit Cannabis zu finden und Fehler, die im Umgang mit Alkohol und Tabak in der Vergangenheit gemacht wurden, nicht zu wiederholen. Wichtig zu erwähnen ist, dass mit einer kontrollierten Freigabe der Umgang mit Cannabis nicht für alle Zeit geregelt ist. Die Diskussion wird uns anders als zu Verbotszeiten weiterhin auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen begleiten – und das ist gut!

    Bedenken der Suchthilfe

    Über die genannten politischen Ziele hinaus beschäftigen die Suchthilfe noch andere Aspekte. An vielen Stellen wird ein Informations- bzw. Kommunikationsdefizit deutlich. Ein Großteil der Fachkräfte in der Suchthilfe hat über viele Jahre hinweg – u. a. aus Gründen der Gefahr der justiziellen Verfolgung – seine Klient:innen eher selten im Sinn eines akzeptanzorientierten Ansatzes beraten oder behandelt, obwohl wissenschaftliche Harm reduction-Ansätze wie die Lower-Risk Cannabis Use Guidelines verfügbar sind. Teilweise sind die Klient:innen auch erst im Rahmen der Strafverfolgung zu den Fachkräften gekommen. Zudem kennen viele Fachkräfte in erster Linie diejenigen Konsument:innen, die mit Cannabis nicht gut umgehen können und einen schädlichen Gebrauch bzw. eine Suchterkrankung entwickelt haben. Befürchtungen, es werde mit einer kontrollierten Freigabe von Cannabis zu einem Anwachsen jener Behandlungsfälle kommen, sind aus dieser Perspektive also nur verständlich. Empirisch sind sie jedoch nicht eindeutig bestätigt. Auch die horrenden gesellschaftlichen Auswirkungen der hohen Verfügbarkeit von Alkohol bei gleichzeitig hohem Schadenspotenzial lassen viele Fachkräfte zurückschrecken, wenn sie sie auf die geplante Freigabe von Cannabis übertragen. Umso wichtiger ist es, jene Erfahrungen und Erwartungen ernst zu nehmen und in einen breiten Kommunikations- und Beteiligungsprozess überzuleiten.

    Auf der anderen Seite darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Deutschland als erstes europäisches Land den Weg einer „echten“ Legalisierung von Cannabis einschlägt und damit nach einer jahrelangen Stagnation in der Drogenpolitik viel Bewegung in den Suchthilfebereich kommt. Dieser politische Schritt kommt einem suchtpolitischen Pfadbruch (vgl. Werle 2007) gleich, der einerseits Unsicherheiten, andererseits aber auch ein hohes Innovationspotenzial in sich trägt. Die Bearbeitung vieler stockender Fragen in der Suchthilfe wie die Entstigmatisierung von Konsument:innen, ein Neustart der Präventionspolitik, eine auskömmliche Finanzierung und die gesetzliche Fixierung von Suchtberatung als Teil der psychosozialen Daseinsvorsorge oder auch eine Neubewertung von Rausch in unserer Gesellschaft rückt in greifbare Nähe. Lassen wir uns diese Gelegenheit nicht entgehen!

    Die hier vertretenen Auffassungen geben die Meinung der Verfasser wieder und entsprechen nicht unbedingt der Meinung der Redaktion.

    Kontakt:

    Prof. Dr. Derik Hermann, Dr. Dirk Kratz
    Therapieverbund Ludwigsmühle gGmbH
    Paul-von-Denis-Str. 13
    76829 Landau
    Derik.Hermann(at)ludwigsmuehle.de, Dirk.Kratz(at)ludwigsmuehle.de
    Tel. 06341 / 5202 100
    www.ludwigsmuehle.de

    Angaben zu den Autoren:

    Prof. (apl) Dr. med. Derik Hermann, Chefarzt Therapieverbund Ludwigsmühle, Facharzt Psychiatrie und Psychotherapie
    Dr. phil. Dirk Kratz, Diplom-Pädagoge, Geschäftsführer Therapieverbund Ludwigsmühle gGmbH, stv. Vorsitzender fdr+ Fachverband Drogen- und Suchthilfe e.V.

    Literatur:
  • Cannabislegalisierung in Kanada seit 2018

    Cannabislegalisierung in Kanada seit 2018

    Dr. Dirk Kratz
    Prof. Dr. Derik Hermann

    In Kanada wurde am 17. Oktober 2018 Cannabis legalisiert, dabei orientierte sich die Gesetzgebung am Jugend- und Gesundheitsschutz. Jetzt besteht die Gelegenheit, Daten und Erfahrungen aus den ersten drei Jahren der Cannabislegalisierung in Kanada zu analysieren und Schlüsse für den legalen und kontrollierten Verkauf von Cannabis in Deutschland zu ziehen. Die Umsetzung in Kanada kann als Modellprojekt angesehen werden, das dabei hilft, realistische Vorstellungen von den Folgen einer Cannabislegalisierung zu entwickeln.

    Steigt der Cannabiskonsum? Wenn ja, in welchen Bevölkerungsgruppen? Geht der Schwarzmarkt zurück oder weicht er auf andere kriminelle Bereiche aus? Reduziert sich die Arbeitsbelastung von Polizei und Gerichten? Steigt die Behandlungsnachfrage wegen einer Cannabisabhängigkeit oder Psychosen? Reduziert sich der Alkoholkonsum, weil viele auf Cannabis umsteigen? Ändert sich die Partykultur? Fühlen sich Bürger:innen von öffentlichem Cannabiskonsum belästigt? – Diese Fragen können auch nach drei Jahren Erfahrung in Kanada nicht abschließend beantwortet werden. Dennoch bietet sich die Möglichkeit, Trends abzulesen und unerwartete Effekte der kanadischen Cannabislegalisierung für die Umsetzung in Deutschland zu berücksichtigen.

    Das kanadische Cannabisgesetz 2018 (Cannabis Act Canada)

    Als Ziele der Legalisierung von Cannabis werden im kanadischen Cannabisgesetz (cannabis act) Jugendschutz, Reduktion illegaler Aktivitäten, Entlastung des Rechtssystems, eine qualitätsgesicherte Versorgung mit Cannabis und eine verbesserte Wahrnehmung der Gesundheitsrisiken von Cannabis genannt. Seit dem 17. Oktober 2018 dürfen in Kanada Personen über 18 Jahre bis 30 Gramm getrocknetes Cannabis besitzen und mit anderen Erwachsene teilen (weitergeben), aber nicht verkaufen. Bis zu vier Cannabispflanzen je Haushalt (nicht pro Person) sind im privaten Raum erlaubt, dürfen aber nur an andere Personen weitergegeben werden, solange sie nicht blühen. Cannabis aus illegalen Quellen bleibt verboten. Der Besitz und die Weitergabe von mehr als fünf Gramm getrocknetem Cannabis stellt für Jugendliche im Alter von zwölf bis 18 Jahren eine Straftat dar mit höheren Strafen als vor dem Cannabisgesetz.

    Cannabis darf in legalen Fachgeschäften an Erwachsene verkauft werden. Das Alter muss kontrolliert werden. Die Versorgung mit Cannabis erfolgt über staatliche Lizenzen zur Produktion und zum Verkauf in Fachgeschäften. Für die Cannabis-Fachgeschäfte wurden enge Regeln definiert bzgl. Verpackung und Auszeichnung, z. B. darf Cannabis nicht attraktiv für Minderjährige verpackt sein, es darf nicht mit anderen Substanzen vermischt werden, Selbstbedienung ist verboten, und es besteht eine Informationspflicht gegenüber Bürger:innen und Behörden.

    Da Kanada bereits 2001 Cannabis als Arzneimittel legalisiert hat, bestand zum Start der Legalisierung zum Freizeitgebrauch eine ausreichende Produktions-Infrastruktur mit mehr als 60 Firmen, die Cannabis anbauen. Lizenzen für Cannabis-Fachgeschäfte werden verweigert, wenn dadurch das Risiko entsteht, die öffentliche Gesundheit (public health) oder die öffentliche Sicherheit zu gefährden oder dass Cannabis in illegale Kanäle geleitet wird. Lizenzen werden auch nicht vergeben an Ausländer, Jugendliche oder Personen, bei denen bestimmte Gesetzesverstöße in den letzten zehn Jahren vorlagen.

    Meist darf Cannabis dort konsumiert werden, wo auch Tabakrauchen erlaubt ist. Allerdings haben sechs der 13 kanadischen Provinzen den Cannabiskonsum nur im privaten Raum erlaubt. Alles, was den illegalen Anbau oder Verkauf von Cannabis ermöglicht, ist verboten. Bei Verstößen gegen das kanadische Cannabisgesetz drohen bis zu 14 Jahre Haft. Werbung für Cannabis ist weitgehend verboten, das Verbot beinhaltet auch ausländische Medien und Sponsoring, z. B. Werbung auf Sporttrikots, kostenlose Cannabisproben oder Cannabis als Gewinn bei Spielen oder Verlosungen. Nur Personen, die eine Lizenz zum Anbau oder Verkauf von Cannabis besitzen, dürfen Informationen weitergeben und markenbezogene Werbung machen, sofern sichergestellt ist, dass unter 18-Jährige dadurch nicht erreicht werden. Falsche oder missverständliche Informationen dürfen nicht gegeben werden. Darstellungen bzgl. Cannabis in Kunst, Musik, Filmen, Literatur und zu pädagogischen und wissenschaftlichen Zwecken sind jedoch erlaubt.

    Das kanadische Cannabisgesetz sieht Bußgelder von 200 Dollar für geringfügige Verstöße vor (Besitz von 30 bis 50 Gramm getrocknetem Cannabis oder fünf bis sechs Cannabispflanzen). Es soll ein tracking system etabliert werden, um zu verhindern, dass legal produziertes Cannabis in den Schwarzmarkt gelangt oder illegales Cannabis in legalen Cannabis-Fachgeschäften verkauft wird. Zur Überwachung des Cannabisgesetzes werde Inspektor:innen eingesetzt. Weitere Details wie Öffnungszeiten der Cannabis-Fachgeschäfte, ein lizensierter Online-Verkauf oder ein Verbot von Cannabiskonsum an bestimmten öffentlichen Orten können die kanadischen Provinzen selbst regeln.

    Erfahrungen aus Kanada

    Nach der Legalisierung war legales Cannabis nicht ab dem ersten Tag überall verfügbar.

    Im ersten Monat betrug der Anteil des legalen Cannabis nur 7,8 Prozent der geschätzten Verkaufsmenge (Armstrong 2021). Dieser Anteil stieg innerhalb eines Jahres auf 23,7 Prozent und bis 2021 auf 72 Prozent. Davon wurden 53 Prozent in Cannabis-Fachgeschäften, elf Prozent in Onlineshops und acht Prozent über einen Selbstanbau umgesetzt (Canadian Cannabis Survey).

    In den ersten sieben Monaten der Legalisierung blieb die verkaufte Menge Cannabis mit Einnahmen von 524 Millionen Kanadische Dollars (CAD) deutlich hinter den Erwartungen von CAD 4,34 Milliarden zurück. Die Gründe waren die geringe Anzahl an Verkaufsstellen und höhere Preise im Vergleich zum Schwarzmarkt.

    Der unerwartet niedrige Anteil von legalem Cannabis machte deutlich, dass Cannabiskonsument:innen nicht zu jeder Bedingung von illegalem Cannabis auf legales Cannabis umsteigen. In Kanada hatten sich über Jahrzehnte ein blühender Schwarzmarkt und ausgeprägte Versorgungsstrukturen für medizinisches Cannabis etabliert. Die Versorgungsstrukturen waren schlecht kontrolliert und wurden auch oft zur Abgabe von Cannabis ohne medizinische Indikation genutzt (Fischer 2017). Zugleich erleichterte die Existenz von mehr als 60 Unternehmen, die medizinisches Cannabis produzieren, eine schnelle Versorgung mit Cannabis für den Freizeitgebrauch (Fischer 2017). Im Canadian Cannabis Survey wurden Preis, Versorgungssicherheit und Qualität als wichtigste Faktoren dafür identifiziert, aus welcher Quelle Cannabis bezogen wird. Nur fünf bis zehn Prozent der Konsumenten gaben an, dass die Legalität zu den wichtigsten drei Gründen zählt, wo sie Cannabis kaufen.

    Innerhalb der ersten zwei Jahre nach der Legalisierung eröffneten 1.183 Cannabis-Shops in Kanada, das entspricht 3,7 Cannabis-Shops pro 100.000 Einwohner:innen >15 Jahre (Myran et al. 2022). In kanadischen Bundesländern, die neben staatlichen auch privatwirtschaftliche Cannabis-Shops zuließen, wurden mehr Cannabis-Shops eröffnet (4,8 versus 1,0 pro 100.000 Einwohner:innen) mit längeren Öffnungszeiten (80 versus 69 Stunden pro Woche).

    Der Canadian Cannabis Survey erhebt seit 2017 jährlich Daten zu Themen rund um Cannabis.

    Der Anteil der Personen, die im letzten Jahr Cannabis konsumiert haben, erhöhte sich von 22 Prozent im Jahr 2018 auf 27 Prozent im Jahr 2020 und hat sich im Jahr 2021 auf 25 Prozent verringert. Dieser Wert beinhaltet auch Probierkonsument:innen, die nur einmal im letzten Jahr Cannabis konsumiert haben. In den letzten 30 Tagen hatten 2018 15 Prozent der Befragten Cannabis konsumiert und 2021 17 Prozent. Täglichen oder fast täglichen Konsum gab etwa ein Viertel der Konsument:innen an, die im letzten Jahr Cannabis konsumiert haben, also etwa 6,3 Prozent der Bevölkerung. Dieser Wert blieb von 2018 bis 2021 weitgehend unverändert, weil unter den neuen Konsument:innen viele Probierkonsument:innen waren, die nur selten Cannabis konsumieren.

    Der Cannabiskonsum von Schüler:innen der 7. bis 12. Klasse hat sich im Jahr nach der Legalisierung nicht erhöht (18 Prozent mit Konsum im letzten Jahr; Canadian Student Tobacco Alcohol and Drug Use Survey). Ein systematisches Review und Metaanalyse von acht Studien zur Cannabislegalisierung international (nicht nur Kanada) ergab eine geringe Erhöhung des Konsums von Jugendlichen und jungen Erwachsenen um drei Prozentpunkte (standardised mean difference von 0.03, 95% CI −0.01 bis 0.07; Melchior et al. 2019).

    Charakteristika des legalen Cannabiskonsums seit 2018

    Cannabis wurde häufiger konsumiert, wenn die körperliche Gesundheit als schlecht oder sehr schlecht eingeschätzt wurde, in dieser Gruppe gaben 30 Prozent Konsum im letzten Jahr an. Noch mehr Personen konsumierten Cannabis, wenn die psychische Gesundheit als schlecht (44 Prozent) oder sehr schlecht (51 Prozent) eingeschätzt wurde. Cannabis wurde also häufig zur Selbstbehandlung von körperlichen oder psychischen Beschwerden eingesetzt.

    Das Alter beim ersten Cannabiskonsum erhöhte sich von 18,9 Jahren 2018 auf 20,4 Jahre 2021. Durchschnittlich wurden 2021 1,1 Gramm Cannabis pro Konsumtag konsumiert. Der Preis betrug CAD 9,78 (ca. € 7) pro Gramm getrockneter Cannabisblüten. Nur 16 Prozent der Personen mit Cannabiskonsum im letzten Jahr konsumierten Cannabis immer mit Tabak, und 69 Prozent gaben an, dies nie zu tun. Etwa 3,75 Prozent der Bevölkerung (15 Prozent derer mit Konsum im letzten Jahr) bauten 2021 durchschnittlich 3,6 Cannabispflanzen an. Das gesundheitsschädliche Rauchen von Cannabis reduzierte sich von 89 Prozent der Konsumenten 2018 auf 74 Prozent 2021, parallel dazu wurde Cannabis häufiger gegessen oder getrunken (von 43 Prozent 2018 auf 57 Prozent 2021). Verdampfen (vaping) blieb unverändert bei 33 Prozent.

    Informationskampagnen erhöhen den Kenntnisstand zu Risiken.

    Ein Ziel der Legalisierung war, den Informationsstand der Bevölkerung über spezifische Risiken zu erhöhen. Hierfür wurden verschiedene Kampagnen in unterschiedliche Medien geschaltet. 76 Prozent der Bevölkerung schätzten 2021 Cannabis als schädlich ein, 65 Prozent stimmten zu, dass (fast) täglicher Konsum das Risiko für psychische Erkrankungen erhöht, und 82 Prozent stimmten zu, dass Teenager ein höheres Risiko für Schäden haben als Erwachsene.

    Die Einschätzung unter Cannabiskonsument:innen, dass das Rauchen von Cannabis mit einem mittleren bis hohen Risiko verbunden ist, erhöhte sich von 40 Prozent 2018 auf 50 Prozent 2021, die Zustimmung zu einem mit dem Essen von Cannabis verbundenen Risiko erhöhte sich von 34 Prozent auf 40 Prozent und zu einem mit Dampfen (vaping) verbundenen Risiko von 38 Prozent auf 55 Prozent. Die Einschätzung von Cannabiskonsument:innen, dass Cannabiskonsum die Verkehrstüchtigkeit einschränkt, erhöhte sich von 61 Prozent 2018 auf 78 Prozent 2021. Autofahren unter Cannabiseinfluss reduzierte sich von 27 Prozent 2018 auf 16 Prozent 2021. Als Beifahrer:innen fuhren 2018 noch 13 Prozent bei Personen mit, die kürzlich Cannabis konsumiert haben. 2021 gaben dies nur noch sieben Prozent an.

    In der Bevölkerung stimmten 87 Prozent zu, dass während Schwangerschaft und Stillzeit kein Cannabis konsumiert werden sollte, unter den Cannabiskonsumenten stimmten 83 Prozent zu. Während einer beruflichen Tätigkeit unter akutem Cannabiseinfluss zu stehen, ist mit einer schlechteren Leistung und einer erhöhten Unfallgefahr verbunden. Nur ein Prozent der Bevölkerung gab an, mindestens einmal wöchentlich Cannabis vor der Arbeit zu konsumieren. Bei Schüler:innen und Studierenden gaben 1,75 Prozent an, mindestens einmal wöchentlich vor dem Schul- bzw. Universitätsbesuch Cannabis zu konsumieren.

    Diese Zahlen zeigen den Erfolg der Informationskampagnen zu Cannabis. In den ersten drei Jahren nach der Cannabislegalisierung wurde eine deutliche Zunahme des Wissens über die Risiken von Cannabis erreicht, und das Verhalten wurde entsprechend angepasst. Dieser Erfolg ist beachtlich und motiviert zur Fortsetzung der Informationskampagnen.

    Die Cannabiskonsument:innen selbst sahen ihren Konsum unproblematischer als Nichtkonsument:innen und stuften die Risiken etwas geringer ein. Nur drei bis zehn Prozent der Cannabiskonsument:innen gaben die Selbsteinschätzung ab, dass Cannabis ihre Gesundheit, das soziale Leben, Partnerschaft, Lebensqualität oder Leistungsfähigkeit im Beruf beeinträchtige. 42 bis 80 Prozent sahen keinen Einfluss von Cannabis auf diese Lebensbereiche. Etwa die Hälfte gab an, dass Cannabis ihre psychische Gesundheit und Lebensqualität verbessere. Nur zwei Prozent der Konsument:innen benötigten irgendwann professionelle Hilfe wegen ihres Cannabiskonsums.

    Die Akzeptanz in der Bevölkerung von regelmäßigem Konsum war für Alkohol am höchsten (62 Prozent), gefolgt von Cannabis (49 Prozent) und dem niedrigsten Wert für Tabak (35 Prozent). Dass regelmäßiger Konsum mit einem Risiko verbunden ist, gaben in der Bevölkerung 75 Prozent für Alkohol an, 95 Prozent gaben dies für Tabakrauchen und 73 Prozent für das Rauchen von Cannabis an. Cannabiskonsument:innen schätzen die Risiken von Alkohol und Tabak ähnlich ein, aber nur 50 Prozent sahen ein Risiko für Cannabis.

    Diskussion: Was können wir aus den Erfahrungen mit der Cannabislegalisierung in Kanada lernen?

    Verfügbarkeit und Preisgestaltung

    Der Umstieg vom Schwarzmarkt auf legale Cannabis-Fachgeschäfte verlief nur schleppend. Die Konsument:innen blieben anfangs Kund:innen bei ihren Dealer:innen. Drei Jahre nach der Legalisierung besorgen sich immer noch 28 Prozent ihr Cannabis aus illegalen Quellen. Preis, Versorgungssicherheit und Qualität wurden als wichtigste Faktoren dafür identifiziert, aus welcher Quelle Cannabis bezogen wird. Die Legalität spielt nur eine untergeordnete Rolle. In Deutschland sollte daher nicht erwartet werden, dass der Umstieg auf einen legalen Verkauf gelingt, wenn die Bedingungen zu restriktiv gestaltet werden. Das muss bei der Festlegung eines maximal erlaubten THC-Gehaltes, der Preisgestaltung und der Auswahl verschiedener Cannabissorten berücksichtigt werden.

    Der Preis für legales Cannabis sollte anfangs etwa auf dem Niveau des Schwarzmarktes liegen. Es ist zu erwarten, dass der Schwarzmarktpreis durch die legale Konkurrenz zurückgeht – parallel sollte dann auch der Preis für legales Cannabis sinken, um den Schwarzmarkt möglichst weitgehend zu reduzieren. Wenn zu einem späteren Zeitpunkt Cannabis-Fachgeschäfte etabliert sind und der Schwarzmarkt keine große Rolle mehr spielt, können die Preise wieder angehoben werden. Das ist aus gesundheitlichen Gründen sinnvoll, weil wissenschaftlich klar nachgewiesen ist, dass der Konsum bei höheren Preisen zurückgeht (Manthey 2022).

    Wenn Cannabis legalisiert wird, aber noch nicht ausreichend legales Cannabis aus Cannabis-Fachgeschäften verfügbar ist, wird dadurch der unkontrollierte Konsum aus illegalen Quellen gefördert. Das sollte in Deutschland unbedingt vermieden werden. Sinnvoll wäre, die gesetzliche Legalisierung für Konsument:innen erst einzuführen, wenn zuvor genügend Zeit für den Aufbau von Produktionsstätten (oder den Abschluss von Importverträgen) und eines Vertriebsnetzes mit Cannabis-Fachgeschäften gegeben wurde. Mitarbeiter:innen von Cannabis-Fachgeschäften müssen erst gefunden und geschult werden. Es wird ein Präventionskonzept benötigt. Anträge auf Lizenzen für Cannabis-Anbau und Produktion oder die Eröffnung eines Cannabis-Fachgeschäftes müssen gestellt und bearbeitet werden. Entsprechende Investoren brauchen Planungssicherheit. Daher spielt der zeitliche Ablauf der Legalisierung eine große Rolle.

    Information und Prävention

    Gut gelungen ist in Kanada, den Informationsstand und die Risikoeinschätzung bzgl. Cannabis in der Bevölkerung zu verbessern, wie der Canadian Cannabis Survey zeigt. Hierzu wurde in verschiedenen Medien in Informations- und Präventionsangebote mit realistischen und wissenschaftlich-neutralen Inhalten und Darstellungen investiert. Natürlich wird dadurch nicht sofort die gesamte Bevölkerung erreicht, aber die kanadischen Erfolge der ersten drei Jahre sind beeindruckend. Besonders wichtig sind ein guter Informationsstand und eine realistische Risikoeinschätzung, um das Verbot von Cannabis für Minderjährige zu vermitteln, obwohl Cannabis für Erwachsene erlaubt ist. Eine die Legalisierung begleitende Prävention in Deutschland muss das Ziel haben, dass eine große Mehrheit weiß, dass Cannabis für Minderjährige schädlich ist, weil es die Hirnentwicklung schädigt. Wer mit dem Cannabiskonsum bis zum Alter von 18 Jahren wartet, verhindert eine potenziell dauerhafte Beeinträchtigung der Intelligenz und anderer Hirnfunktionen. Dieses Wissen muss weit verbreitet werden, um das Image von Cannabis als Jugenddroge abzulösen.

    In den letzten 20 Jahren wurde die Häufigkeit von Cannabiskonsum unter Jugendlichen vor allem durch das Image beeinflusst, das Cannabis bei Jugendlichen hatte. Wenn Cannabis als cool galt und beliebte Musiker:innen Cannabis propagierten, stieg der Konsum an, und wenn Rauchen verpönt und sportliche Aktivität „in“ war, sank der Cannabiskonsum. Hier muss man ansetzen. Das Ziel muss sein, dass Jugendliche Cannabis „uncool“ finden. Die Präventionsmaßnahme „Alkohol – Kenn dein Limit!“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) kann dazu als Beispiel dienen. Dort werden zielgruppenspezifische Botschaften zum Alkoholkonsum mit für sich gesehen positiven Situationen verknüpft, z. B. Party-Fotos mit dem Spruch „Flirten oder Abstürzen“, ein Foto zum Autofahren mit dem Text „In die Zukunft oder Endstation“ oder ein Sportmotiv mit dem Text „Nichts kann uns bremsen, außer Alkohol“.

    Cannabis weist genauso wie Alkohol spezifische Nachteile auf, die für die Prävention genutzt werden können. Cannabiskonsum passt nicht zum Aktivsein, zu Sport, Lernen und dem Knüpfen sozialer Kontakte, zu Erfolg und Spaß mit anderen, sondern ist eher mit Zuschreibungen assoziiert wie: träge, hängt nur rum, bleibt immer auf dem Sofa, redet nicht viel, lebt in seiner eigenen Welt, vergesslich, verwirrt, unsportlich, Einzelgängertum und Paranoia. Das Image einer Droge und die Einschätzung der Risiken sind in der Regel über lange Zeit konstant und nur schwer veränderbar. Trotzdem ist es in Kanada innerhalb von drei Jahren gelungen, die Risikowahrnehmung zu differenzieren und zu verbessern. Das stellt nun auch für Deutschland eine herausfordernde Aufgabe dar.

    Jugend- und Gesundheitsschutz vor kommerziellen Interessen

    Kanada weist die weltweit größte Industrie für Cannabisanbau bzw. Cannabisproduktion auf. Nachdem die finanziellen Erwartungen nach der Legalisierung 2018 nicht erfüllt wurden, baute die Cannabisindustrie Druck auf die Politik auf, den Umgang mit Cannabis zu kommerzialisieren. Ein Jahr nach der Legalisierung, im Oktober 2019, wurden daher auch Cannabis-Edibles (z. B. THC-haltige Schokolade, max. zehn Milligramm THC pro Packung), Cannabis-Extrakte (zum Rauchen oder Essen, max. zehn Milligramm THC pro Konsumeinheit, max. 1.000 Milligramm THC pro Packung) und Cannabis-Topicals (zum Auftragen auf die Haut, max. 1.000 Milligramm THC pro Packung) zugelassen. Leider hat Kanada damit den Weg einer am Jugend- und Gesundheitsschutz orientierten Cannabislegalisierung teilweise verlassen. Allerdings ist es dadurch gelungen, den Schwarzmarkt weiter zurückzudrängen.

    In Deutschland haben Alkohol- und Tabakindustrie über Jahrzehnte die Politik und die Bevölkerung mit falschen Informationen versorgt. Hinsichtlich Cannabis gilt es deswegen, wachsam zu sein und dem kommerziellen Druck der Industrie Stand zu halten. Durch die jahrelange Diskussion über den Umgang mit Cannabis sowie mehr und bessere wissenschaftliche Daten und Informationen aus anderen Ländern mit Cannabislegalisierung besteht aber nun die Hoffnung, in Deutschland einen verantwortungsvollen Umgang mit Cannabis zu finden, der sich eindeutig am Jugend- und Gesundheitsschutz orientiert.

    Kontakt:

    Prof. Dr. Derik Hermann, Dr. Dirk Kratz
    Therapieverbund Ludwigsmühle gGmbH
    Paul-von-Denis-Str. 13
    76829 Landau
    Derik.Hermann(at)ludwigsmuehle.de, Dirk.Kratz(at)ludwigsmuehle.de
    Tel. 06341 / 5202 0
    www.ludwigsmuehle.de

    Angaben zu den Autoren:

    Prof. (apl) Dr. med. Derik Hermann, Chefarzt Therapieverbund Ludwigsmühle, Facharzt Psychiatrie und Psychotherapie
    Dr. phil. Dirk Kratz, Diplom-Pädagoge, Geschäftsführer Therapieverbund Ludwigsmühle gGmbH, stv. Vorsitzender fdr+ Fachverband Drogen- und Suchthilfe e.V.

    Literatur
    • Armstrong MJ: Legal cannabis market shares during Canada’s first year of recreational legalisation. Int J Drug Policy. 2021 Feb;88:103028. doi: 10.1016/j.drugpo.2020.103028. Epub 2020 Nov 19. PMID: 33221614.
    • Barata PC, Ferreira F, Oliveira C: Non-medical cannabis use: international policies and outcomes overview. An outline for Portugal. Trends Psychiatry Psychother. 2022 May 27;44:e20210239. doi: 10.47626/2237-6089-2021-0239. PMID: 34898143.
    • Canadian Cannabis Survey, Data blog: https://health-infobase.canada.ca/cannabis/ Letzter Zugriff 09.07.2022
    • Canadian Cannabis Survey: https://www.canada.ca/en/health-canada/services/drugs-medication/cannabis/research-data/canadian-cannabis-survey-2021-summary.html#a2.2 Letzter Zugriff 09.07.2022
    • Canadian Student Tobacco, Alcohol and Drugs Survey. https://www.canada.ca/en/health-canada/services/canadian-student-tobacco-alcohol-drugs-survey.html
    • Fischer B: Legalisation of non-medical cannabis in Canada: will supply regulations effectively serve public health? Lancet Public Health. 2017 Dec;2(12):e536-e537. doi: 10.1016/S2468-2667(17)30213-X. Epub 2017 Dec 5. PMID: 29253435.
    • Isorna M, Pascual F, Aso E, Arias F: Impact of the legalisation of recreational cannabis use. Adicciones. 2022 Apr 20;0(0):1694. English, Spanish. doi: 10.20882/adicciones.1694. Epub ahead of print. PMID: 35472157.
    • Manthey, J: Legalisierung von Cannabis: Preise spielen eine zentrale Rolle.Dtsch Arztebl 2022; 119 (13): A 562–6
    • Melchior, M., Nakamura, A., Bolze, C., Hausfater, F., El Khoury, F., Mary-Krause, M., & Da Silva, M. A. (2019): Does liberalisation of cannabis policy influence levels of use in adolescents and young adults? A systematic review and meta-analysis. BMJ Open, 9(7), e025880.
    • Myran DT, Staykov E, Cantor N, Taljaard M, Quach BI, Hawken S, Tanuseputro P: How has access to legal cannabis changed over time? An analysis of the cannabis retail market in Canada 2 years following the legalisation of recreational cannabis. Drug Alcohol Rev. 2022 Feb;41(2):377-385. doi: 10.1111/dar.13351.
  • Cannabislegalisierung: Risiken nicht bagatellisieren

    Von Substanzabhängigkeit, kognitiven Beeinträchtigungen und affektiven Störungen über Psychosen bis hin zu erhöhter Suizidalität – intensiver Cannabiskonsum birgt erwiesenermaßen schwerwiegende Gesundheitsrisiken. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN) zeigt in ihrem Positionspapier anhand des aktuellen Forschungsstandes auf, worauf bei einer kontrollierten Abgabe von Cannabis aus psychiatrischer Sicht zwingend zu achten ist.

    Ein Blick in europäische Nachbarländer oder die USA macht deutlich, dass eine Cannabislegalisierung die Zahl der regelmäßigen Konsumenten und in der Folge die Zahl der Menschen, die cannabisbezogene Störungen und Folgeerkrankungen entwickeln, erhöhen kann. Die größten gesundheitlichen Risiken bestehen vor allem bei einem intensiven und langjährigen Konsum sowie einem Konsumbeginn im Jugendalter. Etwa zehn Prozent aller Cannabiskonsumenten entwickeln über die Lebenszeit eine Abhängigkeit. Aus Sicht der DGPPN muss eine kontrollierte Abgabe daher eng medizinisch-wissenschaftlich begleitet werden und mit den folgenden Maßnahmen einhergehen:

    • Prävention: Sowohl spezifische verhaltens- als auch verhältnispräventive Maßnahmen müssen zum Tragen kommen.
    • Jugendschutz: Um einen schädlichen Einfluss auf die Hirnreifung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu vermindern, soll die Altersgrenze des Zugangs nicht unter 21 Jahren liegen.
    • Beratung und Behandlung: Der Ausbau niedrigschwelliger, kultursensibler und flächendeckender Beratungs- und Behandlungsangebote muss vorangetrieben werden.
    • Begleitforschung: Die Auswirkungen und Marktentwicklungen der kontrollierten Cannabisfreigabe müssen intensiv beforscht werden.
    • Finanzierung: Es ist sicherzustellen, dass die Einnahmen aus dem Cannabisverkauf vollständig zur Förderung von Prävention und Jugendschutz sowie zur Suchtversorgung und -forschung verwendet werden.

    „Noch sind viele Fragen völlig ungeklärt. Wie werden Jugend- und Gesundheitsschutz sichergestellt? In welcher Form werden Verbraucher über die Risiken sowie über Hilfs- und Beratungsangebote informiert? Wie sollen Evaluierung und Begleitforschung aussehen? Prävention sowie Früherkennung und -intervention müssen von Anfang an mitgedacht werden, wenn der Staat seiner Schutzpflicht nachkommen und nicht dazu beitragen will, dass mehr Menschen psychisch erkranken. Gerade bei Jugendlichen unter 21 Jahren hat Cannabiskonsum einen Einfluss auf die Hirnreifung und kann das Psychoserisiko erhöhen“, mahnt DGPPN-Präsident Thomas Pollmächer.

    „Den gesundheitlichen Risiken muss daher mit einem differenzierten und umsichtigen Regelwerk begegnet werden, dem Prävention und Jugendschutz als Prämissen zugrunde zu legen sind“, fasst Pollmächer zusammen.

    Eine Arbeitsgruppe von führenden Expertinnen und Experten hat im aktuellen Positionspapier der DGPPN den Kenntnisstand zu Cannabiskonsum und psychischer Gesundheit zusammengetragen und daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet.

    Download Positionspapier

    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), 25.04.2022

  • Aufbruchstimmung in Krisenzeiten – die Bedeutung der Suchthilfe wächst

    Aufbruchstimmung in Krisenzeiten – die Bedeutung der Suchthilfe wächst

    Wolfgang Rosengarten

    Der neue Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Burkhard Blienert, schreibt auf seiner Homepage: „Die Drogen- und Suchtpolitik muss in vielen Bereichen neu gedacht und neu gestaltet werden. Was wir brauchen, ist ein Aufbrechen alter Denkmuster. Es muss gelten: ‚Hilfe und Schutz statt Strafe.‘ Nicht nur beim Thema Cannabis, sondern in der Drogenpolitik insgesamt, national wie auch international. Die Welt steht gesundheitspolitisch vor nie dagewesenen Herausforderungen und auch die Sucht- und Drogenpolitik muss mit großem Engagement und ohne Vorurteile angegangen werden.“

    Wie wohltuend müssen diese Worte in den Ohren all jener klingen, die in der bundesdeutschen Suchtpolitik der letzten Jahrzehnte eher eine Stagnation erlebt haben, die sich wie Mehltau über dieses wichtige gesundheitspolitische Arbeitsfeld gelegt hat. In der Politik und in der Öffentlichkeit hat die Suchtthematik dadurch einen Bedeutungsverlust in großem Ausmaß erfahren.

    Und jetzt diese Aufbruchstimmung, gekoppelt mit zwei Vorhaben der Bundesregierung, die in den letzten Jahrzehnten immer wieder an politischen Widerständen gescheitert sind: der kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken und der modellhaften Erprobungen von Drug-Checking.

    Natürlich wird es bei der Umsetzung der Vorhaben Widerstand geben, sowohl in der Fachöffentlichkeit als auch in der Politik. Und natürlich gibt es eine große Anzahl von Fallstricken, lauert auch hier der Teufel im Detail. Bei einem gesundheits- und gesellschaftspolitischen Kurswechsel in einer seit mehreren Jahrzehnten hoch emotionalisierten und z. T. ideologisierten Debatte ein neues Regelwerk zu erstellen, das hochkomplexe Fragestellungen berücksichtigen muss, bedeutet eine enorme Herausforderung. Aber es bedeutet auch ein Ende der Stagnation, es wird wieder debattiert und gestritten werden. Er wird darum gerungen werden, die bestmögliche Lösung zu finden (die dann immer noch nicht die beste sein wird). Es kommen wieder Prozesse in Gang. Es wird wieder lebendig werden.

    Eine gesetzliche Regulierung bei der Cannabisthematik muss darauf aufbauen, dass der Konsum von Cannabis Gesundheitsrisiken birgt und ein problematischer bzw. risikoreicher Konsum sowie der situationsunangepasste Konsum (z. B. Konsum am Arbeitsplatz, in der Schwangerschaft oder im Straßenverkehr) mit negativen Folgen für die Person selbst oder Dritte assoziiert sein kann. Die neue gesetzliche Regulierung muss das Ziel haben, die aktuelle Situation zu verbessern und Gefährdungspotentiale so weit wie möglich zu minimieren, besonders was Jugendliche betrifft.

    Multidisziplinäre Kompetenz

    In der medialen Öffentlichkeit wird die Stimme der Suchthilfe in der aktuellen drogenpolitischen Debatte noch nicht in dem Maße wahrgenommen, wie es für sie angezeigt wäre. Die Organisationen der Verbände und Einrichtungen haben schließlich die Expertise und langjährige Erfahrungen im Umgang mit den anstehenden Themen und vor allem den Menschen, um die es geht.

    Die organisierte Suchthilfe hat ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber allen Berufsgruppen, die sich zu Wort melden werden, seien es Ärzt:innen, Jurist:innen oder Ökonom:innen: Niemand hat Drogen- und Suchtfragen umfassender im Blick als die Suchthilfe. Hier arbeiten multidisziplinäre Teams in der ambulanten und stationären Versorgung, in der Prävention und in der Selbsthilfe. Die Suchthilfe ist weit mehr als eine berufsständische Fachgesellschaft, die die Sichtweise und Interessen einer Berufsgruppe vertritt.

    Das gesundheitliche Gefährdungspotential von Cannabis bei vulnerablen Gruppen ist unbestritten. Aber Suchtberatungsstellen sind auch mit Menschen konfrontiert, die aufgrund juristischer Auflagen zugewiesen werden, obwohl sie einen risikoarmen, nicht abhängigen und größtenteils unschädlichen Konsum betreiben. Diese Menschen werden allein wegen der aktuellen Rechtslage kriminalisiert, mit dem Resultat möglicher sozialer und psychischer Folgeschäden (gerade bei jugendlichen Konsument:innen).

    Expertin für Prävention

    Vor allem, um die im Zuge der kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken geäußerte unabdingbare Forderung nach begleitenden umfassenden Präventionsmaßnahmen zu erfüllen, sind die Erfahrungen und Kompetenzen der Suchthilfe unverzichtbar.

    Es ist erfreulich, dass in der aktuellen Diskussion um die gesetzlichen Veränderungen das Thema Prävention eine herausragende Rolle spielt. Im Bereich der Prävention muss mit umfassender Information und Aufklärung über die gesundheitlichen Gefahren des Cannabiskonsums einem möglichen Eindruck entgegengewirkt werden, der Konsum werde legalisiert, weil Cannabis ungefährlich sei. Aufgrund der geänderten Gesetzeslage kann ferner auch das Thema risikoreduzierende Verhaltensweisen und Konsumformen in den Angeboten einen größeren Raum einnehmen.

    Auch wenn der gesetzgeberische Prozess noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, kann Prävention nicht erst beginnen, wenn das Gesetz verabschiedet ist. Allerdings reichen die aktuellen Budgets und Ressourcen in der Suchthilfe hierfür nicht aus. Auf den Mittelzuwachs zu warten, bis die potentiellen Steuereinnahmen aus dem Cannabisverkauf realisiert sind, um daraus die Präventionsmaßnahmen zu finanzieren, ist allerdings keine Option.

    Nötig sind Mittel, die der Bund der Suchthilfe im Vorfeld zur Verfügung stellt, um zielgruppenspezifische und situationsangepasste Präventionskonzepte vor dem Hintergrund der neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen zu erarbeiten sowie entsprechende Maßnahmen zu planen und in die Umsetzung zu bringen. Hierzu wäre es hilfreich, in einem Gremium mit Vertreter:innen der Bundesebene, der Länder und der Suchthilfe ein abgestimmtes Vorgehen zu erarbeiten.

    Der neue Drogenbeauftragte sieht die Notwendigkeit vom „Aufbrechen alter Denkmuster“. Dies betrifft in der Suchtpolitik nicht nur den zukünftigen Umgang mit Cannabis.

    Wir gehen bewegten und spannenden Zeiten entgegen.

    Kontakt:

    Wolfgang Rosengarten
    w.rosengarten@t-online.de

    Angaben zum Autor:

    Wolfgang Rosengarten ist Leiter des Referats Prävention, Suchthilfe im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration in Wiesbaden. Vorher war er über 20 Jahre Geschäftsführer der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen e.V. (HLS) in Frankfurt am Main.

  • Cannabisprodukte mit niedrigem THC-Gehalt

    Seit einigen Jahren werden immer mehr Cannabisprodukte wie Cannabiskraut und Cannabisöl in Europa offen zum Verkauf angeboten. Angeblich enthalten diese Produkte nur geringe Mengen an Tetrahydrocannabinol (THC), dem für die meisten psychoaktiven Wirkungen von Cannabis verantwortlichen Stoff, so dass sie in manchen Ländern nicht unter das Betäubungsmittelrecht fallen. Diese Entwicklung hat auf politischer Ebene Besorgnis ausgelöst. Eine besondere Herausforderung ist es, den rechtlichen Status derartiger Produkte festzulegen und festzustellen, welchen Rechtsvorschriften ihr Verkauf unterliegt. Unsicherheit besteht insbesondere hinsichtlich der Produkte mit niedrigem THC-Gehalt, die illegalen Cannabisprodukten ähneln, wie Raucherzeugnissen, Öle und Edibles. Auf diesen Produkten liegt der Schwerpunkt des vorliegenden Berichts.

    Um das Phänomen zu erfassen und die vorhandenen Wissenslücken langsam zu füllen, hat die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) im Herbst 2018 eine explorative Trendspotting-Studie initiiert. Die Ergebnisse der Studie werden in dem vorliegenden Bericht zusammengefasst. Allgemeines Ziel war es, einen ersten Überblick über die Situation in Europa hinsichtlich des freien Verkaufs von Produkten mit niedrigem THC-Gehalt zu geben. Die spezifischen Ziele bestanden darin, die verfügbaren Produktarten und verschiedenen Verkaufsstellen, Anwenderprofile, Gefährdungen sowie Maßnahmen in einzelnen EU-Ländern zu ermitteln und genauer zu untersuchen.

    Der 20-seitige Bericht steht auf der Website der EMCDDA zum Download zur Verfügung.

    Quellen:
    „Einführung und Begründung“, in: Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (2020), Cannabisprodukte mit niedrigem THC-Gehalt in Europa, S. 4
    Pressemitteilung der EMCDDA, 21.12.2020

  • Cannabis weiterhin prominenteste illegale Droge

    Workbook Drogen
    Kurzbericht

    Am 7. Dezember 2018 wurde der aktuelle Jahresbericht der deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD), ehemals bekannt unter dem Namen „REITOX-Bericht“, veröffentlicht. Er liefert umfangreiches Zahlenmaterial und Hintergrundinformationen zur Drogensituation in Deutschland.

    Cannabis

    Sowohl bei Jugendlichen als auch bei Erwachsenen nimmt Cannabis unter den illegalen Drogen weiterhin die prominenteste Rolle ein. Im Vergleich zu anderen Drogen dominiert Cannabis mit einer 12-Monats-Prävalenz von 7,3 Prozent unter 12- bis 17-Jährigen und 6,1 Prozent unter 18- bis 64-Jährigen deutlich. Der Anteil der Jugendlichen und Erwachsenen, die im gleichen Zeitraum irgendeine andere illegale Droge konsumiert haben, liegt bei 1,2 Prozent bzw. 2,3 Prozent. Insgesamt zeigt die Cannabisprävalenz bei Jugendlichen und Erwachsenen bei wellenförmigem Verlauf einen zunehmenden Trend.

    Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler: „Cannabiskonsum ist und bleibt ein Thema, sowohl bei den Jugendlichen, als auch bei den Erwachsenen. Das ist keine gute Entwicklung! Wer in jungen Jahren regelmäßig kifft, schädigt sich fürs ganze Leben: Merkfähigkeit, Konzentration und Leistungsfähigkeit lassen nach, Depressionen und Schizophrenie können die Folge sein. Daher werden wir ab 2019 eine halbe Million Euro mehr für den Ausbau einer bundesweiten Cannabisprävention mit dem starken Fokus auf Schulen in die Hand nehmen. Damit machen wir klar und deutlich: „Cannabis kann abhängig machen, ist nicht harmlos und hip, sondern eine Droge mit immensen gesundheitlichen Nebenwirkungen!“

    Basierend auf den aktuellsten Bevölkerungsumfragen des Jahres 2015 haben in Deutschland etwa 14,4 Millionen Erwachsene im Alter von 18 bis 64 Jahren sowie 479.000 Jugendliche im Alter von zwölf bis 17 Jahren zumindest einmal in ihrem Leben eine illegale Droge konsumiert. Dies entspricht einer Lebenszeitprävalenz von 28,2 beziehungsweise 10,2 Prozent.

    Dr. Tim Pfeiffer-Gerschel, Geschäftsführer der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen-und Drogensucht: „Die uns vorliegenden Daten zu Sicherstellungen und zum Konsumverhalten in der Bevölkerung weisen nicht immer in die gleiche Richtung – dennoch können uns beide Informationsquellen wertvolle Hinweise zu verschiedenen Aspekten des Marktgeschehens liefern, die unter Einbeziehung weiterer Informationen zu einem Gesamteindruck beitragen.“

    Sicherstellungen

    Die Sicherstellungsmenge von Kokain ging verglichen mit dem Vorjahr um 337 Prozent nach oben, damit ist bei Kokain der bedeutendste Anstieg im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Sicherstellungsmenge von Marihuana stieg um 30 Prozent an, was auf beträchtliche Einzelsicherstellungen zurückzuführen ist. Der stärkste Rückgang mit 693.668 sichergestellten Tabletten ist für Ecstasy, nach einer Rekordsicherstellungsmenge in 2016, zu verzeichnen  (-69 Prozent). Der starke Rückgang ist durch drei große Sicherstellungen im Jahr 2016 zu erklären, die die Rolle Deutschlands als Transitland zwischen den Niederlanden und der Türkei belegen. Sicherstellungen dieser Größenordnung wurden 2017 nicht verzeichnet. Im Vergleich zum Vorjahr wurde 10 Prozent weniger Heroin und 30,9 Prozent weniger Haschisch sichergestellt.

    Wirkstoffgehalt

    Während der Wirkstoffgehalt bei Cannabisblüten mit durchschnittlich 13,1 Prozent einen neuen Höchststand erreicht und sich dieser beim Kokain im Straßenhandel seit 2011 mehr als verdoppelt hat (2017 bei 78,4 Prozent), ist bei den Amphetaminen ein markanter Rückgang zu verzeichnen. Nach einem Peak im Jahr 2016 (42,1 mg/Konsumeinheit (KE)) hat sich der Wirkstoffgehalt wieder deutlich auf 18 mg/KE reduziert.

    Der vorliegende Jahresbericht wird jährlich durch die Deutsche Drogenbeobachtungsstelle (DBDD) als Beitrag zum Europäischen Drogenbericht erstellt. Die acht Workbooks und der zehnseitige Kurzbericht finden Sie unter www.dbdd.de.

    Gemeinsame Pressemitteilung der Drogenbeauftragten der Bundesregierung und der DBDD, 07.12.2018

  • Europäischer Drogenbericht 2018

    Der am 7. Juni 2018 in Brüssel vorgestellte Europäische Drogenbericht 2018: Trends und Entwicklungen der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) zeigt, dass die Verfügbarkeit von Kokain zugenommen hat. Hintergrund dieser Entwicklung ist ein dynamischer Drogenmarkt, der in der Lage ist, sich rasch auf Maßnahmen zur Drogenbekämpfung einzustellen. Die Agentur untersucht in ihrem jährlichen Überblick zudem, welche Herausforderungen Neue psychoaktive Substanzen (NPS) und die Verfügbarkeit neuer synthetischer Opioide (insbesondere hochpotenter Fentanyl-Derivate) sowie der Konsum synthetischer Cannabinoide in marginalisierten Bevölkerungsgruppen (unter anderem bei Gefängnisinsassen) mit sich bringen. Die im Bericht vorgelegten Daten beziehen sich auf das Jahr 2016 bzw. das jeweils letzte Jahr, für das Daten verfügbar sind. Außerdem erschienen sind 30 Länderberichte (in englischer Sprache) mit den jüngsten Analysen zur Drogensituation in den einzelnen Ländern.

    Laut dem Bericht der EMCDDA ist eine durchweg hohe Verfügbarkeit von Drogen zu beobachten, die in einigen Regionen sogar anzusteigen scheint. Den jüngsten Zahlen zufolge wurden in Europa (EU-28, Türkei und Norwegen) 2016 mehr als eine Million Sicherstellungen illegaler Drogen gemeldet. Über 92 Millionen in der EU lebende Erwachsene (im Alter von 15 bis 64 Jahren) haben im Verlauf ihres Lebens schon mindestens einmal irgendeine illegale Droge konsumiert, während schätzungsweise 1,3 Millionen Menschen in der EU-28 im Jahr 2016 wegen des Konsums illegaler Drogen in Behandlung waren.

    Dimitris Avramopoulos, Europäischer Kommissar für Migration, Inneres und Bürgerschaft, erklärt hierzu: „Es ist zu beobachten, dass in Europa derzeit mehr Drogen produziert und angeboten werden. Hinzu kommt, dass der Markt für illegale Drogen sehr dynamisch und anpassungsfähig – und daher umso gefährlicher – ist. Wenn wir nicht ins Hintertreffen geraten wollen, müssen wir uns verstärkt darum kümmern, die Widerstands- und Reaktionsfähigkeit zu erhöhen, nicht zuletzt wegen der zunehmenden Bedeutung von Online-Marktplätzen und der Entwicklung neuer Drogenarten. Bis zum Jahresende werden neue Vorschriften hinsichtlich neuer psychoaktiver Substanzen in Kraft treten, die Europa zusätzliche, gute Instrumente an die Hand geben werden, um die Herausforderungen wirksamer angehen zu können und den Schutz der Bürger und Bürgerinnen in Europa vor gefährlichen Drogen zu erhöhen.“

    Kokain: Erhöhte Verfügbarkeit und höchster Reinheitsgrad seit zehn Jahren

    Kokain ist das am häufigsten konsumierte illegale Stimulans in Europa. Etwa 2,3 Millionen junge Erwachsene (zwischen 15 und 34 Jahren) haben diese Droge in den vergangenen zwölf Monaten konsumiert (EU-28). Die aktuelle Analyse zeigt, dass angesichts der Hinweise auf einen steigenden Koka-Anbau und eine erhöhte Kokainproduktion in Lateinamerika der Kokainmarkt in Europa floriert. Einige Indikatoren deuten gegenwärtig darauf hin, dass die Verfügbarkeit der Droge in einer Reihe von Ländern angestiegen ist. Obwohl der Kokainpreis stabil geblieben ist, erreichte die Reinheit der Droge 2016 im Straßenverkauf den höchsten Grad seit zehn Jahren. Auch die Zahl der Beschlagnahmungen von Kokain hat zugenommen. In der EU wurden 2016 rund 98 000 Sicherstellungen der Droge gemeldet (2015 waren es 90 000). Insgesamt wurden 70,9 Tonnen beschlagnahmt).

    Auf städtischer Ebene zeigte eine kürzlich durchgeführte Untersuchung, dass die Kokainrückstände im Abwasser von 26 der 31 Städte, zu denen Daten für diesen Zeitraum vorliegen, zwischen 2015 und 2017 angestiegen sind. Die meisten Rückstände wurden in Städten in Belgien, den Niederlanden, Spanien und im Vereinigten Königreich verzeichnet, während in den untersuchten osteuropäischen Städten niedrige Werte gemessen wurden.

    Der Bericht zeigt auch, dass die Zahl der lebenszeitbezogenen Erstbehandlungen im Zusammenhang mit Kokain zugenommen hat. Im Jahr 2016 begaben sich 30 300 Personen aufgrund von Problemen mit dieser Droge erstmals in Behandlung – über ein Fünftel mehr als 2014. Insgesamt unterzogen sich 2016 mehr als 67 000 Personen einer auf Kokainprobleme zugeschnittenen Spezialbehandlung. Besonders besorgniserregend sind die schätzungsweise 8 300 Personen, die sich 2016 wegen des primären Konsums von Crack in Behandlung begaben. Zudem war Kokain 2016 die zweithäufigste Droge, die bei drogenbedingten Notfällen in den Krankenhäusern des 19 Beobachtungsklinken umfassenden Euro-DEN-Netzes nachgewiesen wurde (Euro-DEN Plus).

    Auch die Schmuggelmethoden und Schmuggelrouten scheinen sich zu ändern. Die Iberische Halbinsel – bislang Haupteinfuhrort für Kokain, das auf dem Seeweg nach Europa gelangt – ist in dieser Hinsicht zwar weiterhin von Bedeutung, steht den Daten von 2016 zufolge jedoch nicht mehr unangefochten an erster Stelle, da auch von den Containerhäfen weiter nördlich große Sicherstellungen gemeldet wurden. 2016 wurden in Belgien 30 Tonnen Kokain sichergestellt (43 % der geschätzten jährlichen Gesamtmenge des in der EU beschlagnahmten Kokains).

    Anzeichen für eine gestiegene Drogenproduktion innerhalb Europas

    Europa ist ein wichtiger Markt für illegale Drogen, die aus verschiedenen Teilen der Welt, etwa aus Lateinamerika, Westasien und Nordafrika eingeschleust werden. In dem Bericht wird jedoch auch auf die Rolle Europas als Ort der Herstellung von Drogen hingewiesen: Bei einer Vielzahl von Substanzen waren im Berichtsjahr besorgniserregende Anzeichen dafür zu beobachten, dass die Herstellung von Drogen in Europa zunimmt.

    Die Produktion findet aus mehreren Gründen näher an den Verbrauchermärkten statt, etwa aus praktischen Erwägungen heraus, wegen des geringeren Risikos, an der Grenze entdeckt zu werden, und weil die Grundsubstanzen für die Produktion je nach Droge verfügbar und kostengünstig sind. Der Bericht führt mehrere Beispiele für eine höhere Drogenproduktion in Europa und für innovative Produktionsmethoden auf. Dazu zählen Hinweise auf illegale Labore, die Kokain verarbeiten, die zahlenmäßige Zunahme entdeckter MDMA- bzw. Ecstasy-Labore, die Ausweitung der Methamphetamin- produktion unter höherer Beteiligung organisierter Banden, die Produktion von Amphetaminen in der Endphase im Land des Konsums sowie die Entdeckung einer geringen Zahl an Laboren zur Herstellung von Heroin. Einige der in der EU hergestellten synthetischen Drogen sind für Auslandsmärkte, etwa für den amerikanischen Kontinent, Australien, Nah- und Fernost sowie die Türkei, bestimmt.

    Die vermehrte Produktion von hochpotentem Cannabis innerhalb Europas hat offenbar auch Auswirkungen auf die Aktivitäten von Cannabisproduzenten außerhalb der EU, was sich daran ablesen lässt, dass Cannabisharz mit höherem Wirkstoffgehalt aus Marokko nach Europa geschmuggelt wird. Des Weiteren gibt es Hinweise darauf, dass neue psychoaktive Substanzen, die gewöhnlich in China hergestellt und zur Verpackung nach Europa geliefert werden, bisweilen auch innerhalb Europas produziert werden.

    Cannabis: Verfügbarkeit und Konsum sind weiterhin hoch

    Cannabis ist auch weiterhin die am meisten konsumierte illegale Droge in Europa. Dies zeigen die Daten zur Prävalenz, zu Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, zu Sicherstellungen und zum gestiegenen Behandlungsbedarf. Etwa 17,2 Millionen junge Europäer (zwischen 15 und 34 Jahren) haben in den vergangenen zwölf Monaten Cannabis konsumiert (EU-28), und rund ein Prozent aller erwachsenen Europäer (zwischen 15 und 64 Jahren) verwenden die Droge täglich oder fast täglich (EU-28).

    Cannabis war bei mehr als drei Viertel (77 Prozent) aller 2016 in der EU gemeldeten 800 000 Verstöße gegen die Vorschriften über den Drogenbesitz oder -konsum, bei denen die Primärdroge bekannt ist, beteiligt. Zudem ist Cannabis die am häufigsten beschlagnahmte Droge: Im Jahr 2016 wurden in der EU 763 000 Sicherstellungen von Cannabisprodukten gemeldet. Der größte Anteil (45 Prozent) von Erstbehandlungen aufgrund von Drogenproblemen in Europa (EU-28, Türkei und Norwegen) geht auf den Konsum von Cannabis zurück. Die Zahl der Erstpatienten, die sich wegen Cannabisproblemen behandeln ließen, stieg in den 25 Ländern, für die Daten zu beiden Jahren vorliegen, von 43 000 im Jahr 2006 auf 75 000 im Jahr 2016.

    Kürzlich vorgenommene gesetzliche Änderungen in Bezug auf Cannabis in Teilen Amerikas, etwa die Legalisierung in einigen Ländern, haben dazu geführt, dass sich dort schnell ein kommerzieller Cannabismarkt für den Freizeitkonsum entwickelt hat. Dies führt derzeit zu Innovationen bei den Abgabesystemen und bei der Entwicklung von Cannabisprodukten (z. B. E-Liquids, essbare Produkte und hochpotente Stämme).

    Noch ist unklar, welche Folgen es für Europa haben wird, wenn in Teilen Amerikas ein großer legaler Markt für diese Droge entsteht, allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich dies auf die Angebots- oder Konsummuster in Europa auswirken wird. Die EMCDDA beobachtet die internationalen Entwicklungen im Bereich der Cannabis-Regulierung aufmerksam, um die sich vollziehenden Änderungen erfassen und verständlich darstellen zu können und mögliche Auswirkungen auf die Situation in Europa zu ermitteln. Ein Bereich, der infolge der sich weltweit ändernden Einstellungen zur Cannabis-Regulierung größere politische Aufmerksamkeit erhält, ist der Cannabiskonsum in Verbindung mit dem Fahren unter Drogeneinfluss. Dieses Thema steht im Mittelpunkt eines kürzlich veröffentlichten EMCDDA-Berichts, der sich auf die Erkenntnisse internationaler Experten stützt.

    Geringere Zahl neuer psychoaktiver Substanzen, aber mehr Hinweise auf Schädigungen

    Neue psychoaktive Substanzen (NPS/„neue Drogen“) stellen in Europa nach wie vor ein gravierendes Problem für die Politik und die öffentliche Gesundheit dar. Diese Substanzen, die nicht vom internationalen Drogenkontrollsystem erfasst werden, umfassen ein breites Spektrum, zu dem synthetische Cannabinoide, Opioide, Cathinone und Benzodiazepine gehören. Im Jahr 2017 wurden 51 neue psychoaktive Substanzen erstmals in das EU-Frühwarnsystem aufgenommen, dies entspricht einer Quote von etwa einer Substanz pro Woche. Auch wenn die jährliche Gesamtzahl neu auf dem Markt erscheinender Substanzen die der Spitzenjahre unterschreitet – 2015: 98, 2014: 101 –, ist die Zahl der verfügbaren neuen psychoaktiven Substanzen insgesamt weiterhin hoch. Ende 2017 überwachte die EMCDDA mehr als 670 neue psychoaktive Substanzen (gegenüber etwa 350 im Jahr 2013). Gesundheitsschäden im Zusammenhang mit neuen synthetischen Cannabinoiden und neuen synthetischen Opioiden, darunter akute Vergiftungen und Todesfälle, veranlassten die EMCDDA dazu, 2017 insgesamt neun Risikobewertungen durchzuführen, so viele wie noch nie davor.

    Die größte von der EMCDDA beobachtete Gruppe chemischer Stoffe sind neue synthetische Cannabinoide, von denen seit 2008 179 nachgewiesen wurden (10 davon im Jahr 2017). Die häufig als „Kräutermischungen“ verkauften synthetischen Cannabinoide waren 2016 mit knapp über 32 000 gemeldeten Beschlagnahmungen (gegenüber 10 000 im Jahr 2015) die am häufigsten sichergestellten neuen psychoaktiven Drogen. Damit machten sie fast die Hälfte aller beschlagnahmten neuen psychoaktiven Substanzen aus, die der Agentur 2016 gemeldet wurden. Vier synthetische Cannabinoide wurden 2017 einer Risikobewertung unterzogen: AB-CHMINACA, ADB-CHMINACA, 5F-MDMB-PINACA und CUMYL-4CN-BINACA.

    Es werden zunehmend mehr hochpotente neue synthetische Opioide (insbesondere Fentanyl-Derivate) entdeckt, die die Wirkung natürlich gewonnener Opiate (wie Heroin und Morphin) imitieren. Gelegentlich sind sie in neuartiger Form erhältlich (z. B. als Nasensprays), oder sie werden mit illegalen Drogen wie Heroin oder Kokain gemischt oder als solche verkauft. Seit 2009 wurden insgesamt 38 neue synthetische Opioide auf den europäischen Drogenmärkten nachgewiesen (13 davon im Jahr 2017). Fentanyl-Derivate, die wichtigsten Substanzen in der derzeitigen Opioidkrise in den USA, sollten in Europa weiter mit Besorgnis und Wachsamkeit verfolgt werden. Diese hochpotenten Substanzen – manche sind um ein Vielfaches potenter als Morphin – machten mehr als 70 Prozent der schätzungsweise 1 600 neuen synthetischen Opioide aus, die 2016 beschlagnahmt wurden. Im Jahr 2017 wurden zehn neue Fentanyl-Derivate über das EU-Frühwarnsystem gemeldet, fünf davon wurden einer Risikobewertung unterzogen (Acryloylfentanyl, Furanylfentanyl, 4-Fluorisobutyrylfentanyl, Tetrahydrofuranylfentanyl und Carfentanil).

    Haftanstalten: Konzentration auf Gesundheitsfürsorge und neue Drogen

    Haftanstalten sind relevante Settings, wenn es um die medizinische Versorgung von Drogen- konsumierenden geht. Eine gute intramurale Versorgung kann auch der Allgemeinheit zugutekommen (etwa indem Überdosierungen nach der Entlassung vermieden oder die Übertragung drogenbedingter Infektionskrankheiten wie HIV und HCV verringert werden). Der diesjährige Bericht zeigt die Interventionsmöglichkeiten in Gefängnissen und die unterschiedlichen Versorgungsleistungen in den einzelnen Ländern auf.

    In einer neuen länderübergreifenden Studie, die gemeinsam mit dem heute vorgestellten Bericht veröffentlicht wird, untersucht die Agentur die zunehmenden Gesundheits- und Sicherheitsprobleme, die sich aus dem Konsum neuer psychoaktiver Substanzen in Haftanstalten ergeben. „Der Konsum neuer psychoaktiver Substanzen und die damit einhergehenden Schäden sind für das Strafvollzugs- system in Europa eine neue wichtige Herausforderung“, heißt es in der Studie. Unter den vier Haupttypen der in Haftanstalten entdeckten neuen psychoaktiven Substanzen stehen synthetische Cannabinoide an erster Stelle. Wichtige Faktoren, die ihren Konsum in Gefängnissen ermöglichen, sind die Leichtigkeit, mit der sie eingeschleust werden können (etwa in flüssiger Form auf Papier oder auf Textilien aufgesprüht), sowie die Schwierigkeit, sie in Drogentests nachzuweisen.

    Verkauf im Internet und das Aufkommen neuer Benzodiazepine 

    Mengenmäßig wird der Verkauf von Drogen nach wie vor von traditionellen Offline-Märkten dominiert, allerdings scheint die Bedeutung von Online-Marktplätzen zuzunehmen, was die Drogenbekämpfung vor neue Herausforderungen stellt. In einer kürzlich veröffentlichten EMCDDA/Europol-Studie wurden über 100 globale Darknet-Marktplätze ermittelt, rund zwei Drittel aller Käufe auf diesen Plattformen betrafen Drogen. Auch das sichtbare Web und die sozialen Medien spielen offenbar eine immer wichtigere Rolle, vor allem beim Angebot neuer psychoaktiver Substanzen und beim Zugang zu missbräuchlich verwendeten Arzneimitteln.

    In dem Bericht wird auch auf das besorgniserregende Aufkommen neuer Benzodiazepine – sowohl auf der Straße als auch im Internet – hingewiesen, die in der EU nicht als Arzneimittel zugelassen sind. Die EMCDDA überwacht derzeit 23 neue Benzodiazepine (drei davon wurden 2017 erstmals in Europa nachgewiesen). Einige werden unter ihrem Eigennamen verkauft (z. B. Diclazepam, Etizolam, Flubromazolam, Flunitrazolam, Fonazepam). In anderen Fällen werden diese Substanzen zur Herstellung von Fälschungen häufig verschriebener Benzodiazepine (z. B. Diazepam, Alprazolam) verwendet, die dann auf dem Schwarzmarkt angeboten werden. Im Jahr 2016 wurden mehr als eine halbe Million Tabletten sichergestellt, die neue Benzodiazepine oder ähnliche Stoffe enthielten – rund zwei Drittel mehr als noch 2015.

    In einer zusammen mit dem Bericht veröffentlichten Analyse untersucht die EMCDDA den Benzodiazepinmissbrauch bei Hochrisiko-Opioidkonsumierenden in Europa. Obwohl die Verschreibung dieser Arzneimittelgruppe an Hochrisiko-Drogenkonsumierenden größtenteils legitime therapeutische Ziele verfolgt, kommt es durchaus vor, dass sie weitergegeben und missbraucht werden, was zu einer erhöhten Morbidität und Mortalität in dieser Gruppe führt. Rund 40 Prozent aller Personen, die sich wegen des primären Konsums von Opioiden in Behandlung begaben, nannten Benzodiazepine als ihre sekundäre Problemdroge. Die Studie enthält auch eine Zeitleiste, an der sich die Meldung neuer Benzodiazepine an die EMCDDA ablesen lässt.

    Anstieg der Todesfälle durch Überdosierung und die Rolle von Naloxon bei der Prävention

    Der Bericht unterstreicht die Besorgnis über die hohe Zahl an Todesfällen durch Überdosierung in Europa, welche in den letzten vier Jahren stetig angestiegen ist. Laut Schätzungen starben in Europa (EU-28, Türkei und Norwegen) 2016 mehr als 9 000 Menschen an einer Überdosis, hauptsächlich in Verbindung mit Heroin und anderen Opioiden, die jedoch häufig in Kombination mit anderen Substanzen, insbesondere Alkohol und Benzodiazepinen, konsumiert wurden.

    Die mit alten und neuen Opioiden verbundenen Probleme rücken erneut die Rolle des Opioid-Gegenmittels Naloxon bei Maßnahmen zur Verhinderung von Überdosierungen in den Fokus. Im Bericht wird darauf hingewiesen, dass es dringend notwendig ist, „die derzeitige Naloxonpolitik zu überprüfen und die Ausbildung und Sensibilisierung sowohl der Drogenkonsumierenden als auch der Fachleute, die mit der Droge in Berührung kommen könnten, zu verstärken“.

    Die Vorsitzende des Verwaltungsrates der EMCDDA, Laura d’Arrigo, bemerkt abschließend: Die Gefahren, die von Drogen für die öffentliche Gesundheit und Sicherheit in Europa ausgehen, machen nach wie vor eine gemeinsame Reaktion erforderlich. Der 2017 verabschiedete EU-Drogenaktionsplan bildet den Rahmen für die europäische Zusammenarbeit. Es ist äußerst wichtig, dass unser Überwachungssystem mit den sich verändernden Drogenproblemen und neu aufkommenden Entwicklungen Schritt hält.“

    Pressestelle der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA), 07.06.2018

  • Bundeslagebild Rauschgiftkriminalität 2017

    Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, und der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, haben am 23. Mai das Bundeslagebild Rauschgiftkriminalität 2017 in Wiesbaden vorgestellt.

    Im siebten Jahr in Folge ist die Anzahl der Rauschgiftdelikte angestiegen. Insgesamt wurden 2017 330.580 Rauschgiftdelikte registriert. Die meisten Fälle gab es mit 198.782 Straftaten im Bereich Cannabis, dies entspricht einem Anstieg gegenüber dem Vorjahr von 11,8 Prozent. Die Entwicklung der Rauschgiftkriminalität in Deutschland war im Jahr 2017 zudem insbesondere durch einen starken Anstieg der Kokaindelikte um rund 18 Prozent bei einer gleichzeitigen Vervierfachung der Sicherstellungsmenge gekennzeichnet.

    Neben den klassischen Drogen stellen zudem Neue psychoaktive Stoffe, kurz NPS, nach wie vor eine Gefahr dar. Ihre Wirkung ist für den Nutzer unberechenbar, da nicht klar ist, welche Substanzen sie in welcher Wirkstoffkonzentration enthalten. Durch Inkrafttreten des „Neue psychoaktive Stoffe Gesetzes“ im November 2016 hat der Gesetzgeber auf diese Problematik reagiert. Das Gesetz sieht ein weitreichendes Verbot des Erwerbs, Besitzes und Handels mit NPS und eine Strafbewehrung der Weitergabe von NPS vor. Dabei bezieht sich das Verbot in Ergänzung zum einzelstofflichen Ansatz des BtMG erstmals auf ganze Stoffgruppen.

    Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler: „Rauschgiftkriminalität ist nach wie vor eine sehr ernste Herausforderung für unseren Rechtsstaat. Die Einnahmen bieten vielen weiteren kriminellen Bereichen erst die Grundlage, sind Quelle für Leid und Ausbeutung. Im Fokus behalten müssen wir auch den Handel über das Internet und das Darknet – es kann nicht sein, dass Drogen einfach bestellt und per Post versendet werden. Aber auch beim Thema Cannabis müssen wir achtsam bleiben, eine Legalisierung wäre das falsche Signal. Es geht nicht darum, Statistiken zu verschönern, sondern darum, einer gefährlichen Droge entgegenzutreten.“

    Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch: „Drogenhandel ist ein lukratives, internationales Geschäft – auch für die Organisierte Kriminalität. Wachsende Anbauflächen und finanzkräftige Absatzmärkte mit hohen Gewinnmargen in Deutschland und Europa treiben den Rauschgifthandel an. Wir als BKA engagieren uns in verschiedenen internationalen Projekten, und unsere Verbindungsbeamte leisten in vielen Ländern einen wichtigen Beitrag bei der Bekämpfung des internationalen Rauschgifthandels. Auch den Vertriebsweg über das Internet haben wir fest im Blick. Ermittlungserfolge unserer Cyberkriminalisten und Cyberanalysten im Darknet belegen das. Die Polizei leistet damit ihren Beitrag bei der Rauschgiftbekämpfung – diese ist jedoch auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“

    Das Rauschgiftlagebild 2017 sowie weitere Informationen finden Sie unter www.bka.de und auf www.drogenbeauftragte.de.

    Gemeinsame Pressemitteilung der Drogenbeauftragten der Bundesregierung und des Bundeskriminalamtes, 23.05.2018