Schlagwort: Ergotherapie

  • Die Relevanz von Assessments in der arbeitsbezogenen Ergotherapie

    Die Relevanz von Assessments in der arbeitsbezogenen Ergotherapie

    Petra Köser
    Frank Zamath

    Die arbeitsbezogene Ergotherapie in der Behandlung und Rehabilitation von Abhängigkeitserkrankten hat sich in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt. Ihre Hauptaufgabe ist die Diagnostik der Arbeitsfähigkeiten und die Förderung der Produktivität und Teilhabe. Je nach Störungsbild wenden Therapeuten komplexe arbeitsplatzorientierte Verfahren an, um die Arbeits- und Funktionsfähigkeit zu erhalten. Ergotherapeuten und -therapeutinnen behandeln Krankheiten, die mit Veränderungen des Verhaltens, des Gedächtnisses, der Körperfunktionen und des alltäglichen Lebens einhergehen. Sie greifen dabei auf psychosoziale, kognitive und arbeitstherapeutische Interventionen zurück. Sie haben eine staatlich anerkannte Fachschulausbildung mit fachtherapeutischen Weiterbildungen absolviert oder Ergotherapie studiert.

    Ergotherapeuten, deren Behandlungsauftrag auf die Teilhabeproblematik gerichtet ist, sind mit Berufskontexten vertraut. Sie kennen die in Deutschland gebräuchlichsten Messverfahren zur Überprüfung und Dokumentation der kognitiven und funktionellen Leistungsfähigkeit. Diese Verfahren sind nicht nur wichtig für die Wirksamkeitsforschung, sondern auch für die Qualitätssicherung der Behandlung. Die Ergotherapie ist in stationären Rehabilitationseinrichtungen für Abhängigkeitserkrankte fest etabliert und fördert die Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gesellschaft (DRV, 2013).

    Die MBOR-Strategie (Medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation; Bethge, 2017) stellt den Bezug zur Arbeitswelt stärker als bisher in den Mittelpunkt und verändert die klinischen Versorgungsstrukturen (www.medizinisch-berufliche-orientierung.de). In der Suchtreha erfolgt die Teilhabeförderung nach den „Empfehlungen zur beruflichen Orientierung in der Rehabilitation Abhängigkeitskranker“ (BORA) in so genannten Basismaßnahmen, Kernmaßnahmen und spezifischen Maßnahmen (Weissinger/Schneider, 2015). Diese werden nicht zuletzt durch die Zusammenarbeit unterschiedlicher Berufsgruppen wie Ergotherapeuten, Ärzten und Psychologen wirksam. Die Ergotherapie als multimodale Funktionstherapie leistet einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit im Alltags- und Berufsleben der Betroffenen (WFOT, 2012), besonders bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit in den Komponenten Aktivitäten und Partizipation nach der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF; Bickenbach, Cieza et al., 2012).

    Das Spektrum arbeitstherapeutischer Interventionen ist vielfältig (vgl. Höhl, Köser, Dochat, 2015; Storck/Plössl, 2015). Arbeitstherapie wird nicht mehr nur von traditionellen körperfunktionsorientierten Ansätzen dominiert und begleitend als materialgebundenes Gruppenangebot durchgeführt. Mit fortschreitender Professionalisierung gewinnen auch solche Interventionstypen an Bedeutung, die an der Schnittstelle zur ambulanten Versorgung (medizinische Rehabilitation oder Leistungen zu Arbeit und Ausbildung) erbracht werden (Gühne/Riedel-Heller 2015). Solche Leistungen beinhalten beispielsweise aktivierende verhaltenstherapeutische Methoden, die Ergotherapeuten eigenverantwortlich durchführen (Zamath, 2015). Ergotherapeuten erheben Arbeitsanamnesen, Arbeitsplatz- und Ressourcenanalysen, nutzen arbeitsdiagnostische Instrumente und gestalten den therapeutischen Prozess bei der Wiedereingliederung mit. In Gruppen- und Einzelsitzungen werden arbeitsrelevante Fertigkeiten zur Förderung der Kognition, Motivation, Emotionswahrnehmung oder Stressbewältigung vermittelt, vor allem dann, wenn die Frage „nach der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit und gegebenenfalls nach der Schaffung eines an die Erkrankung angepassten Arbeitsplatzes“ zu klären ist (Linden/Gehrke, 2013, S. 11).

    Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen leiden häufig unter motorischen, kognitiven und psychosozialen Einschränkungen, die sich auf die Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz auswirken. In der MBOR sind sozialmedizinische Aussagen zur Belastbarkeit zu treffen. In diesem Zusammenhang spielt die arbeitsbezogene Ergotherapie eine wichtige Rolle und wirkt mit, das Ziel der Rentenversicherung, die Erwerbsfähigkeit wiederherzustellen bzw. zu erhalten (DRV, 2013), zu erreichen. Mit ihren beruflich orientierten Behandlungseinheiten trägt die Ergotherapie dazu bei zu beurteilen, inwieweit abhängigkeitserkrankte Menschen weniger als drei Stunden, zwischen drei und sechs Stunden oder mehr als sechs Stunden pro Tag leistungsfähig sind (vgl. Zamath, 2017a).

    Im Folgenden werden verschiedene Funktions- und Leistungstests, Selbst- und Fremdratings sowie Profil- und Dokumentationsverfahren vorgestellt, die innerhalb der arbeitsbezogenen Ergotherapie Abhängigkeitserkrankter relevant sind.

    IMBA – Integration von Menschen mit Behinderungen in die Arbeitswelt

    Wenn es darum geht, einen Menschen nach seiner Erkrankung wieder in Arbeit zu bringen, kommt IMBA (Integration von Menschen mit Behinderungen in die Arbeitswelt) zum Einsatz (www.imba.de). Das Verfahren dient als Entscheidungshilfe im Rehabilitationsprozess und bezieht sich auf die Passung der arbeitsrelevanten Fähigkeiten von Klienten mit den Anforderungen eines Arbeitsplatzes (Zamath, 2017c).

    Neben der Dokumentation vorhandener Schlüsselqualifikationen (vgl. dazu Items Melba®) lassen sich mit IMBA körper- oder umweltbezogene Merkmale wie Körperhaltung, Körperfortbewegung oder physische Ausdauer erheben. In Kombination mit IMBA kann das ELA-Verfahren (Einschätzung körperlicher Leistungsfähigkeiten bei arbeitsbezogenen Aktivitäten; Drüke, Zander, Alles, 2010), das weiter unten noch einmal genannt wird, zur Beurteilung der arbeitsrelevanten physischen Leistungsfähigkeit eingesetzt werden (www.iqpr.de).

    Kognitive Leistungsfähigkeit

    Zur Beurteilung des kognitiven Leistungsvermögens im Erwerbsleben nutzen Ergotherapeuten Testverfahren mit hohem Normierungsumfang und zufriedenstellenden Testgütekriterien. So bieten Ibrahimovic und Bulheller (2013) eine umfangreiche Testbatterie zur Beschreibung beruflicher Interessen und Fähigkeiten. Mit ihrem Konzentrationstest kann man etwa die Frage beantworten, ob jemand in der Lage ist, ein bestimmtes Arbeitspensum zu leisten oder unter Zeitdruck eine gute Arbeitsqualität zu erreichen. Dabei müssen Zielsymbole nach einer vorgegebenen Regel markiert werden. Zusätzlich werden häufig computergestützte Kognitionstrainings wie COGPACK® (www.markersoftware.com) oder RehaCom® (www.rehacom.de) eingesetzt. Bei diesen Verfahren geht es hauptsächlich um die Diagnostik und Therapie von Störungen der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses und der Exekutivfunktionen. Solche Hirnleistungstrainings gehören neben anderen arbeitstherapeutischen Interventionen zu den Angeboten einer BORA-Kernmaßnahme.

    MELBA – Merkmalprofil zur Eingliederung Leistungsgeminderter und Behinderter in Arbeit

    Mit MELBA (Merkmalprofil zur Eingliederung Leistungsgeminderter und Behinderter in Arbeit) werden bei den Rehabilitanden mit Hilfe verschiedener Informationsquellen Fähigkeiten wie Arbeitsorganisation, Feinmotorik oder Schlüsselqualifikationen eingeschätzt (Kleffmann et al., 2000). Schlüsselqualifikationen wie Auffassung, Konzentration und Kulturtechniken können in der Arbeitsdiagnostik prognostische Hinweise zur Befähigung und Eignung für bestimmte Tätigkeiten liefern. Die Ergebnisse werden mit konkreten Arbeitsplatzanforderungen in Beziehung gesetzt und im Profilvergleich dokumentiert.

    Zur Beurteilung berufsbezogener Fähigkeiten wie Rechtschreibkompetenz oder Rechenfähigkeit eignen sich Arbeitsproben. Beispiele hierfür sind die „Arbeitsprobe zur berufsbezogenen Intelligenz. Büro- und kaufmännische Tätigkeiten“ (Schuler/Klingner, 2005; Görlich/Schuler, 2010) oder die „Arbeitsprobe zur berufsbezogenen Intelligenz. Technische und handwerkliche Tätigkeiten“ (Görlich, Schuler, 2007).

    In DRV-Einrichtungen werden MELBA und IMBA zur Identifikation beruflicher Problemlagen vielfach eingesetzt (BAR, 2016), beispielsweise im Rahmen einer „Verhaltensbeobachtung zur arbeitsbezogenen Leistungsbeurteilung“ (DRV 2015, S. 121). Die noch relativ neue Ergänzung durch das Assessment Melba®+Mai (www.miro-gmbh.de/de/melbamai/) ergänzt das Assessment Melba und ermöglicht auch den Vergleich der körperlichen Fähigkeiten eines Menschen mit den Anforderungen einer Tätigkeit.

    O-AFP – Osnabrücker Arbeitsfähigkeitenprofil

    Das O-AFP (Osnabrücker Arbeitsfähigkeitenprofil; Wiedl, Uhlhorn, 2006) gehört zu den Assessments mit zufriedenstellenden Testgütekriterien, die sich für die Beurteilung psychisch erkrankter Menschen eignen. Damit werden mittels der Skalen „Lernfähigkeit“, „Fähigkeit zur sozialen Interaktion“ und „Anpassung“ die Arbeitsfähigkeiten mit der Bezugsreferenz allgemeiner Arbeitsmarkt gemessen (Zamath, 2017b). Das O-AFP ist ein Instrument zur Selbst- und Fremdeinschätzung. Es wird nach einer Verlaufsbeobachtung, in der Klienten in einer Therapie- oder Arbeitssituation Tätigkeiten ausgeführt haben, angewendet (Köhler, 2011). Fähigkeitsprofile wie MELBA oder O-AFP gehören zu den BORA-Kernmaßnahmen (Weissinger/Schneider, 2015).

    Mini ICF-APP – Mini-ICF-Rating für Aktivitäts- und Partizipationsbeeinträchtigungen bei psychischen Erkrankungen

    Die Abgrenzung zwischen Symptomen, Fähigkeitsbeeinträchtigungen und Lebensführung bei Abhängigkeitserkrankten ist komplex. Für die sozialmedizinische Begutachtung werden deshalb Rechtsvorschriften neben der ICD-10 ganzheitlich im Sinne der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) ausgelegt (Rose/Köllner, 2016). Mit diesem Ansatz können psychische Erkrankungen über Körperfunktionen hinaus erklärt werden.

    Auch die Arbeitstherapie nutzt die ICF als Bezugsrahmen, um den Zusammenhang zwischen Gesundheitsstörungen und der Leistungsfähigkeit zu verstehen (Hucke/Poss, 2015). So können sich in Rehabilitationskliniken tätige Ergotherapeuten nach den „Praxisempfehlungen für die (Arbeits-)Fähigkeitsbeurteilung bei psychischen Erkrankungen“ weiterbilden (Zamath, 2017a). In der Arbeitsdiagnostik nutzen sie das Mini-ICF-APP (Mini-ICF-Rating für Aktivitäts- und Partizipationsbeeinträchtigungen bei psychischen Erkrankungen; Linden, Baron, Muschalla, 2009) als Kurzinstrument zur Fremdbeurteilung von Aktivitäts- und Partizipationsstörungen bei psychischen Erkrankungen, das besonders von Fachgesellschaften empfohlenen wird. Damit wird eingeschätzt, in welchem Ausmaß ein Rehabilitand in seiner Leistungsfähigkeit bei der Durchführung arbeitsbezogener Aktivitäten beeinträchtigt ist. Im Fremdrating werden so Fähigkeiten wie „Flexibilität und Umstellungsfähigkeit“, „Kompetenz und Wissensanwendung“, „Widerstands- und Durchhaltefähigkeit“ oder „Gruppenfähigkeit“ beurteilt.

    AVEM – Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster

    Das Assessment AVEM (Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster; Schaarschmidt/Fischer, 2003) wird regelhaft in DRV-Kliniken eingesetzt (BAR, 2016). Ergotherapeuten erfassen damit die Einstellung zur Arbeit und klären gesundheitliche berufsbezogene Risiken ihrer Klienten ab (Kegler, 2014). Aus der Einschätzung lassen sich etwa Ansprüche auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ableiten. Kooperationen mit anderen Rehabilitationsträgern werden als spezifische Maßnahmen für BORA-Rehabilitanden durchgeführt, wenn ein weiterer Bedarf an Unterstützung zur beruflichen Wiedereingliederung festgestellt wurde (Weissinger/Schneider, 2015). Dies erfolgt häufig, wenn die Arbeitsfähigkeit für einen bestimmten Beruf auch bei gutem Verlauf nicht innerhalb von sechs Monaten und nach langandauernder Arbeitsunfähigkeit erreichbar ist. Dies ist etwa der Fall, wenn die Prognose für eine berufliche Wiedereingliederung wegen gesundheitsschädigender Verhaltensmuster durch den AVEM negativ bewertet wird (Rose/Köllner, 2016). Darüber hinaus kann das Verfahren zur Individualisierung der Rehabilitationsmaßnahme und zur Erfolgskontrolle des Rehabilitationsprozesses herangezogen werden.

    DIAMO – Fragebogen zur Diagnostik von Arbeitsmotivation

    Der Erfassung motivationaler Faktoren zu Beginn einer Rehabilitation kommt eine entscheidende Bedeutung zu. Der DIAMO (Fragebogen zur Diagnostik von Arbeitsmotivation) wurde entwickelt, um Rehabilitanden mit besonderen beruflichen Problemlagen nach ihrer arbeitsbezogenen Motivation zu unterscheiden. Dies verschafft diagnostische Ansatzpunkte für eine differenzierte Zuweisung zu bestimmten Behandlungsformen auch innerhalb der arbeitsbezogenen Ergotherapie. Beispielsweise ist es möglich, Rehabilitanden mit mangelnder Motivation psychosoziale Interventionen und Beratungen zur Motivationsförderung anzubieten. Rehabilitanden mit resignativer Haltung hinsichtlich beruflicher Zielperspektiven können frühzeitig identifiziert werden. Die Auswertung des Fragebogens ermöglicht einen Abgleich von Selbst- und Fremdeinschätzung zur Arbeitsmotivation, sie kann auch als Einstieg für die Auseinandersetzung mit den arbeitsbezogenen Motiven genutzt werden.

    Der Therapeutin bzw. dem Therapeuten wird mit dem DIAMO ermöglicht, gemeinsam mit den Rehabilitanden motivationsfördernde und -hemmende Faktoren im Arbeitstherapie-Setting zu berücksichtigen (Ranft et al., 2009). Der DIAMO wird als Basismaßnahme durchgeführt (Weissinger/Schneider, 2015).

    WAI – Work Ability Index

    International ist der WAI (Work Ability Index) ein anerkanntes Verfahren, um Arbeitsfähigkeit zu messen (Ilmarinen, 2009). Mit diesem Fragebogen wird eingeschätzt, inwiefern sich eine Person durch ihren Gesundheitszustand zur Bewältigung von Arbeitsanforderungen in der Lage sieht (Zamath, 2017b). Laut der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Beschäftigung (BAUA, 2013) ist der WAI ein Instrument, mit dem die aktuelle und künftige Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit verschiedener Altersgruppen bewertet werden kann.

    Nach einer Studie (Bethge et al., 2012) hat der WAI prognostische Bedeutung für eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit und Teilhabe nach einer MBOR. So ermöglicht die WAI-Erhebung die Vorhersage erwerbsminderungsbedingter Rentenanträge. Für das MBOR-Stufenkonzept kann der WAI als ein Indikator dienen, um die Zuordnung zu den Stufen B und C zu unterstützen. Die Stufen sind mit den oben beschriebenen BORA-Maßnahmen (Kern und spezifische Maßnahmen) vergleichbar (Weissinger/Schneider, 2015).

    Ergotherapeuten können mit dem Assessment Therapieverläufe in Bezug auf die Arbeitsfähigkeit darstellen, um den Aufbau von Motivation und Selbstwirksamkeit zu unterstützen (Mathiaszyk, 2013). Der WAI ist über ein Netzwerk frei zugänglich (http://www.arbeitsfaehig.com/de/work-ability-index-(wai)-382.html).

    FCE-Verfahren – Functional Capacity Evaluation

    „Die interne Belastungserprobung wird als Leistungserprobung mit diagnostischem Schwerpunkt unter idealen Standardbedingungen gesehen, um die persönliche psychische und physische Leistungsfähigkeit der Klienten einzuschätzen. Ziel hierbei ist, frühzeitig die Möglichkeiten einer Wiedereingliederung oder die Einleitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu planen“ (Mallach, 2015, S. 272). Zur objektiven Erfassung der individuellen arbeitsbezogenen funktionellen Leistungsfähigkeit wurden spezielle FCE-Systeme (Functional Capacity Evaluation) entwickelt, die Einzug in die medizinische Rehabilitation gefunden haben. Hierunter fallen zum Beispiel die Verfahren EFL (Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit) und ELA (Einschätzung körperlicher Leistungsfähigkeiten bei arbeitsbezogenen Aktivitäten).

    Das EFL-Verfahren nach Susan Isernhagen (1992), bei dem Work Hardening oder die physische Konditionierung zur Überprüfung der Arbeitsfähigkeit eine entscheidende Rolle spielt, ist weit verbreitet. Darüber hinaus können nach dem Evaluationsverfahren Ala® (Arbeitstherapeutische Leistungsanalyse) Belastungserprobungen mit standardisierten WorkPark-Therapiegeräten durchgeführt werden. Damit werden etwa die Lastenhandhabung, Gangleistung oder verschiedene Arbeitspositionen getestet. FCE-Instrumente sollen nach den BORA-Empfehlungen auch in Einrichtungen der Rehabilitation Abhängigkeitserkrankter zum Einsatz kommen.

    WRI – Worker Role Interview

    „Analyse und Diagnostik der beruflichen Ausgangsbedingungen erhalten durch die BORA-Empfehlungen einen herausragenden Stellenwert, sie werden nunmehr der Analyse und Diagnostik des suchtbezogenen Krankheitsverlaufes gleichgestellt. Es geht nicht mehr nur um die Erfassung anamnestischer Daten zur schulischen und beruflichen Situation des Rehabilitanden, sondern vielmehr um den Gesamtkontext des Erwerbsbezuges“ (Köser et al., 2015). Ein geeignetes Assessment aus ergotherapeutischer Sicht stellt hierzu das WRI (Worker Role Interview; Velozo, Kielhofner, Fisher, 2007) dar. Es ermöglicht im Rahmen eines semistrukturierten Interviews mit anschließender Auswertung die Identifizierung von psychosozialen und Umweltfaktoren in den Bereichen Selbstbild, Werte, Interessen, Rollen, Gewohnheiten und Umwelt, die die Rückkehr in den Arbeitsprozess gefährden oder fördern können (Köller Looser, 2009).

    HiPRO – Hildesheimer-Projekt-Assessment

    Das Hildesheimer-Projekt-Assessment (HiPRO) erfasst Ressourcen und Defizite und bezieht Klienten als Experten für ihre Lebenswelt in die psychosoziale Ergotherapie ein (Düchting, 2008). In der Praxis tätige Ergotherapeuten mit Schwerpunkt Arbeitstherapie nutzen das Instrument, um die Kompetenzen in den Bereichen berufsübergreifende Grundfähigkeiten, soziale und emotionale Fähigkeiten zu erfassen. Dabei werden objektive Ergebnisse aus der Arbeits- und Leistungsdiagnostik berücksichtigt und mit den Rollenerwartungen im Arbeitsleben wie etwa Konzentration, Ausdauer und Arbeitsplanung verknüpft. Die Gütekriterien wurden für unterschiedliche Diagnosegruppen untersucht.

    Kontakt und Angaben zu den Autoren:

    Frank Zamath ist nach einem Lehramtsstudium und Ergotherapie-Examen in Münster seit 2002 am Alexianer Krankenhaus Köln angestellt. Neben der Koordination und Konzeption der teilstationären Arbeitstherapie ist er im Bereich der Leistungsdiagnostik tätig. Seit 2010 ist er Mitglied im Leitungsteam des DVE-Fachausschusses Arbeit und Rehabilitation (DVE = Deutscher Verband der Ergotherapeuten) mit Vorträgen und Veröffentlichungen zu diesem Thema. Frank Zamath ist Mitglied der DGPPN – Referat Gesundheitsfachberufe (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde) und der DGSP (Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie). Kontakt: f.zamath@alexianer.de

    Petra Köser ist Ergotherapeutin seit 1984. Sie verfügt über langjährige berufliche Erfahrung in der psychiatrischen Arbeitstherapie. Seit 1997 ist sie als Lehrkraft mit den fachlichen Schwerpunkten Arbeit und Rehabilitation tätig – aktuell an der ETOS Ergotherapieschule Osnabrück. Nebenberufliche Tätigkeit als Referentin und Autorin. Seit 1999 ist Petra Köser für den buss aktiv, zurzeit im Rahmen des Qualitätszirkels „Arbeitsbezogene Maßnahmen“ als Moderatorin und fachliche Begleiterin. Seit 2008 ist sie Vorsitzende des Fachausschusses Arbeit und Rehabilitation des DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten). Kontakt: petrakoeser@aol.com

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    Titelfoto©Ulrike Niehues-Paas

  • Arbeitsbezogene Ergotherapie in Suchtreha-Kliniken

    Arbeitsbezogene Ergotherapie in Suchtreha-Kliniken

    Der Fachausschuss Arbeit & Rehabilitation: Frank Zamath, Werner Höhl, Azize Kasberg, Detlef Mallach, Petra Köser, Nicolas Poss (v.l.n.r.)
    Der Fachausschuss Arbeit & Rehabilitation: Frank Zamath, Werner Höhl, Azize Kasberg, Detlef Mallach, Petra Köser, Nicolas Poss (v.l.n.r.)

    Der Fachausschuss Arbeit & Rehabilitation ist ein ehrenamtliches Expertengremium des Deutschen Verbandes der Ergotherapeuten e. V. (DVE). In Zusammenarbeit mit dem DVE-Vorstand ist es seine Aufgabe, die Ergotherapie fachlich-methodisch und wissenschaftlich weiterzuentwickeln und die Qualitätssicherung im arbeitstherapeutischen und arbeitsrehabilitativen Fachbereich zu unterstützen.

    MBOR und BORA

    Dazu gehört u. a. auch die Beratung von Mitgliedern. In den vergangenen zwei Jahren erreichten den Verband viele Anfragen zur Umsetzung der medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation (MBOR), was zu einer intensiven Auseinandersetzung mit diesem Thema auch im Fachausschuss Arbeit & Rehabilitation führte. Da die Arbeitstherapie mit dem Ziel der beruflichen (Wieder-)Eingliederung im Bereich der Rehabilitation Abhängigkeitserkrankter eine lange Geschichte hat, ist es zu begrüßen, dass hier durch die Deutsche Rentenversicherung ein Sonderweg beschritten wurde. Die bestehenden MBOR-Angebote wurden für die Suchtreha-Kliniken nicht einfach übernommen und ‚übergestülpt‘, sondern nach genauer Analyse des Integrationspotentials in die BORA-Empfehlungen eingearbeitet. Die in BORA formulierten Grundlagen und Zielsetzungen bieten eine sehr gute Grundlage für die Ausformulierung und Begründung der arbeitsbezogenen Konzepte und Angebote der Suchthilfe.

    Moderne Ergotherapie

    DVE_LogoDie Arbeitstherapie in Suchtkliniken gehört nach unserem Verständnis zum klassischen Aufgabengebiet von ErgotherapeutInnen. Die qualitative Umsetzung der Arbeitstherapie nach der BORA-Empfehlung gelingt am ehesten in der interdisziplinären Zusammenarbeit z. B. mit Fachleuten aus handwerklichen Berufen mit Zusatzqualifikation. Eine Trennung der Begrifflichkeiten in Ergo- und Arbeitstherapie, geschweige denn die Verwendung des Begriffes Beschäftigungstherapie, entspricht nicht mehr dem aktuellen Verständnis und Wissensstand unseres mittlerweile auch akademischen Berufsbildes. Diese Kritik am Sprachgebrauch von BORA muss an dieser Stelle sein. Der Einbezug des modernen wissenschaftlichen ergotherapeutischen Wissens in die Konzepte der bestehenden arbeitstherapeutischen Strukturen kann in Zukunft viel zur qualitativen Entwicklung innerhalb der Einrichtungen wie auch zur Weiterentwicklung von Therapiestandards und Empfehlungen wie BORA beitragen.

    Instrumente und Assessments

    Der in BORA geforderte Einsatz von Instrumenten und Assessments bietet viel Raum, Know-how einzubringen. Die beschriebene Erhebung einer Berufs- und Bildungsanamnese und deren Inhalte entsprechen der aktuellen professionellen ergotherapeutischen Vorgehensweise. Die geforderte physiologische Befunderhebung im Rahmen der FCE-Systeme (functional capacity evaluation) lässt sich gut gemeinsam mit z. B. den PhysiotherapeutInnen umsetzen. Die bedeutsamen motorischen Funktionsstörungen sollen und müssen bei der relevanten Klientengruppe erfasst und ggf. auch therapiert werden. Ihren Stellenwert im Rahmen der arbeitsbezogenen Suchtrehabilitation schätzen wir jedoch als nicht so bedeutsam ein, wie er aktuell an mancher Stelle diskutiert wird. Im Vordergrund stehen sicherlich eher mentale Funktionen (ICF) bzw. die instrumentellen wie sozioemotionalen Arbeitsfähigkeiten (Köser 2013). Wir sehen die bewährten arbeitsdiagnostischen Instrumente wie die Dokumentationssysteme MELBA, MELBA+Mai und IMBA als relevant bei der Erhebung von Arbeitsfähigkeiten und des Jobmatchings an. AVEM und DIAMO können zu Beginn eines arbeitstherapeutischen Prozesses wertvolle Hinweise für eine klientenzentrierte Interventionsplanung liefern. Wünschenswert wäre, dass in Zukunft weitere evidenzbasierte (arbeitstherapeutische) Assessments Einzug in die Arbeitstherapie der Suchtkliniken halten, auch, um auf Dauer die dringend erforderlichen Wirksamkeitsnachweise erbringen zu können (Höhl, Köser, Dochat 2015).

    Die bisher in vielen Kliniken schon gelebten partizipativen Zielerreichungsprozesse wurden nun in den BORA-Empfehlungen als feste Meilensteine festgeschrieben, um die Planung und die arbeitsbezogenen Maßnahmen den Bedürfnissen der KlientInnen anpassen zu können. Die ganzheitliche, teilhabeorientierte Ausrichtung von BORA und im Speziellen die Therapie- und Teilhabeplanung anhand der Komponenten der ICF ist nach heutigem Verständnis unabdingbar. Diese ressourcenorientierte, ganzheitliche Sicht der Lebenssituation von KlientInnen ist der Ergotherapie sehr vertraut.

    Schnittstellenmanagement und die Zeit nach der Reha

    Zu begrüßen ist ebenso die Betonung des Schnittstellenmanagements, der Verzahnung mit anderen beteiligten Institutionen, mit weiterbegleitenden und nachsorgenden Diensten. Hier wurde aus unserer Sicht eine gelungene Grundlage geschaffen, den Rehabilitanden eine möglichst große Chance zur Teilhabe zu ermöglichen. Die medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation ermöglicht aufgrund ihrer Dauer – im Gegensatz zu vielen anderen arbeitstherapeutischen Angeboten – derzeit noch ein kompetenzbezogenes Training. Aber besonders die KlientInnen, die den Bezug zur Teilhabe am Arbeitsleben aufgrund von Erkrankung und Langzeitarbeitslosigkeit verloren haben, benötigen im Rahmen der medizinischen Rehabilitation eine gründliche Arbeitsdiagnostik mit einem sich anschließenden längerfristigen Interventionsplan, der auch nach der Entlassung aus dem klinischen Umfeld nahtlos weitergeführt werden kann.

    Realitätsnähe durch klinikinterne Aufgabenbereiche

    BORA betont die Notwendigkeit von handlungsbezogenen arbeitstherapeutischen Angeboten. Die geforderte Einschätzung und Selbstwahrnehmung von Arbeitsfähigkeiten in einem Kontext, der Arbeitshandeln einzeln und in Gruppen ermöglicht und beobachtbar macht, unterstützt realistische prognostische Aussagen. Zu dem notwendigen (geschützten) Übungsrahmen zählen auch die klinikinternen Aufgabenbereiche, die eine realitätsnahe Ressource an Arbeitsmöglichkeiten darstellen, wenn sie, wie in BORA vorgesehen, zielgerichtet und begründet genutzt werden.

    Alles in allem ist BORA sehr kompatibel mit modernen arbeitsbezogenen ergotherapeutischen Ansätzen. Die konzeptionelle Umsetzung im Zusammenhang mit der Neufassung der Klassifikation therapeutischer Leistungen (KTL) und der zu erwartenden Überarbeitung der Reha-Therapiestandards Alkoholabhängigkeit stellt eine Herausforderung dar, die nur in einem engagierten multiprofessionellen Team gelöst werden kann.

    Kontakt:

    Petra Köser
    Fachausschuss Arbeit & Rehabilitation
    im Deutschen Verband der Ergotherapeuten e.V. (DVE)
    fa-arbeit-rehabilitation@dve.info
    www.dve.info

    Literatur:
    • Köser, P. (2013). Hilfen zur Befunderhebung/Arbeitsdiagnostik. 3. Auflage. Idstein: Schulz-Kirchner
    • Höhl W., Köser P., Dochat A. (2015). Produktivität und Teilhabe am Arbeitsleben. Arbeitstherapie, Arbeitsrehabilitation, Gesundheitsförderung. Idstein: Schulz-Kirchner