Am 7. Dezember 2018 wurde der aktuelle Jahresbericht der deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD), ehemals bekannt unter dem Namen „REITOX-Bericht“, veröffentlicht. Er liefert umfangreiches Zahlenmaterial und Hintergrundinformationen zur Drogensituation in Deutschland.
Cannabis
Sowohl bei Jugendlichen als auch bei Erwachsenen nimmt Cannabis unter den illegalen Drogen weiterhin die prominenteste Rolle ein. Im Vergleich zu anderen Drogen dominiert Cannabis mit einer 12-Monats-Prävalenz von 7,3 Prozent unter 12- bis 17-Jährigen und 6,1 Prozent unter 18- bis 64-Jährigen deutlich. Der Anteil der Jugendlichen und Erwachsenen, die im gleichen Zeitraum irgendeine andere illegale Droge konsumiert haben, liegt bei 1,2 Prozent bzw. 2,3 Prozent. Insgesamt zeigt die Cannabisprävalenz bei Jugendlichen und Erwachsenen bei wellenförmigem Verlauf einen zunehmenden Trend.
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler: „Cannabiskonsum ist und bleibt ein Thema, sowohl bei den Jugendlichen, als auch bei den Erwachsenen. Das ist keine gute Entwicklung! Wer in jungen Jahren regelmäßig kifft, schädigt sich fürs ganze Leben: Merkfähigkeit, Konzentration und Leistungsfähigkeit lassen nach, Depressionen und Schizophrenie können die Folge sein. Daher werden wir ab 2019 eine halbe Million Euro mehr für den Ausbau einer bundesweiten Cannabisprävention mit dem starken Fokus auf Schulen in die Hand nehmen. Damit machen wir klar und deutlich: „Cannabis kann abhängig machen, ist nicht harmlos und hip, sondern eine Droge mit immensen gesundheitlichen Nebenwirkungen!“
Basierend auf den aktuellsten Bevölkerungsumfragen des Jahres 2015 haben in Deutschland etwa 14,4 Millionen Erwachsene im Alter von 18 bis 64 Jahren sowie 479.000 Jugendliche im Alter von zwölf bis 17 Jahren zumindest einmal in ihrem Leben eine illegale Droge konsumiert. Dies entspricht einer Lebenszeitprävalenz von 28,2 beziehungsweise 10,2 Prozent.
Dr. Tim Pfeiffer-Gerschel, Geschäftsführer der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen-und Drogensucht: „Die uns vorliegenden Daten zu Sicherstellungen und zum Konsumverhalten in der Bevölkerung weisen nicht immer in die gleiche Richtung – dennoch können uns beide Informationsquellen wertvolle Hinweise zu verschiedenen Aspekten des Marktgeschehens liefern, die unter Einbeziehung weiterer Informationen zu einem Gesamteindruck beitragen.“
Sicherstellungen
Die Sicherstellungsmenge von Kokain ging verglichen mit dem Vorjahr um 337 Prozent nach oben, damit ist bei Kokain der bedeutendste Anstieg im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Sicherstellungsmenge von Marihuana stieg um 30 Prozent an, was auf beträchtliche Einzelsicherstellungen zurückzuführen ist. Der stärkste Rückgang mit 693.668 sichergestellten Tabletten ist für Ecstasy, nach einer Rekordsicherstellungsmenge in 2016, zu verzeichnen (-69 Prozent). Der starke Rückgang ist durch drei große Sicherstellungen im Jahr 2016 zu erklären, die die Rolle Deutschlands als Transitland zwischen den Niederlanden und der Türkei belegen. Sicherstellungen dieser Größenordnung wurden 2017 nicht verzeichnet. Im Vergleich zum Vorjahr wurde 10 Prozent weniger Heroin und 30,9 Prozent weniger Haschisch sichergestellt.
Wirkstoffgehalt
Während der Wirkstoffgehalt bei Cannabisblüten mit durchschnittlich 13,1 Prozent einen neuen Höchststand erreicht und sich dieser beim Kokain im Straßenhandel seit 2011 mehr als verdoppelt hat (2017 bei 78,4 Prozent), ist bei den Amphetaminen ein markanter Rückgang zu verzeichnen. Nach einem Peak im Jahr 2016 (42,1 mg/Konsumeinheit (KE)) hat sich der Wirkstoffgehalt wieder deutlich auf 18 mg/KE reduziert.
Der vorliegende Jahresbericht wird jährlich durch die Deutsche Drogenbeobachtungsstelle (DBDD) als Beitrag zum Europäischen Drogenbericht erstellt. Die acht Workbooks und der zehnseitige Kurzbericht finden Sie unter www.dbdd.de.
Gemeinsame Pressemitteilung der Drogenbeauftragten der Bundesregierung und der DBDD, 07.12.2018
Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2017, 167 Seiten, € 29,00, ISBN 978-3-17-023948-7, auch als E-Book erhältlich
Kokain gilt als attraktive Leistungsdroge unserer Zeit. Zu erschwinglichen Preisen und nahezu überall verfügbar, täuscht es den Konsumenten lange Zeit ein Gefühl von Vitalität, Selbstsicherheit und Euphorie vor. Nicht wenige werden von der Droge abhängig – teilweise mit gravierenden körperlichen und seelischen Folgen. Das vorliegende Buch gibt einen allgemeinverständlichen Überblick über den aktuellen Wissensstand zum Thema Kokainabhängigkeit. Es informiert über die Wirkung des Kokains, körperliche und psychische Konsequenzen des Konsums und der Abhängigkeit, die Diagnostik der Kokainabhängigkeit sowie die neuesten Möglichkeiten der Behandlung.
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, und der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, haben am 23. Mai das Bundeslagebild Rauschgiftkriminalität 2017 in Wiesbaden vorgestellt.
Im siebten Jahr in Folge ist die Anzahl der Rauschgiftdelikte angestiegen. Insgesamt wurden 2017 330.580 Rauschgiftdelikte registriert. Die meisten Fälle gab es mit 198.782 Straftaten im Bereich Cannabis, dies entspricht einem Anstieg gegenüber dem Vorjahr von 11,8 Prozent. Die Entwicklung der Rauschgiftkriminalität in Deutschland war im Jahr 2017 zudem insbesondere durch einen starken Anstieg der Kokaindelikte um rund 18 Prozent bei einer gleichzeitigen Vervierfachung der Sicherstellungsmenge gekennzeichnet.
Neben den klassischen Drogen stellen zudem Neue psychoaktive Stoffe, kurz NPS, nach wie vor eine Gefahr dar. Ihre Wirkung ist für den Nutzer unberechenbar, da nicht klar ist, welche Substanzen sie in welcher Wirkstoffkonzentration enthalten. Durch Inkrafttreten des „Neue psychoaktive Stoffe Gesetzes“ im November 2016 hat der Gesetzgeber auf diese Problematik reagiert. Das Gesetz sieht ein weitreichendes Verbot des Erwerbs, Besitzes und Handels mit NPS und eine Strafbewehrung der Weitergabe von NPS vor. Dabei bezieht sich das Verbot in Ergänzung zum einzelstofflichen Ansatz des BtMG erstmals auf ganze Stoffgruppen.
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler: „Rauschgiftkriminalität ist nach wie vor eine sehr ernste Herausforderung für unseren Rechtsstaat. Die Einnahmen bieten vielen weiteren kriminellen Bereichen erst die Grundlage, sind Quelle für Leid und Ausbeutung. Im Fokus behalten müssen wir auch den Handel über das Internet und das Darknet – es kann nicht sein, dass Drogen einfach bestellt und per Post versendet werden. Aber auch beim Thema Cannabis müssen wir achtsam bleiben, eine Legalisierung wäre das falsche Signal. Es geht nicht darum, Statistiken zu verschönern, sondern darum, einer gefährlichen Droge entgegenzutreten.“
Der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch: „Drogenhandel ist ein lukratives, internationales Geschäft – auch für die Organisierte Kriminalität. Wachsende Anbauflächen und finanzkräftige Absatzmärkte mit hohen Gewinnmargen in Deutschland und Europa treiben den Rauschgifthandel an. Wir als BKA engagieren uns in verschiedenen internationalen Projekten, und unsere Verbindungsbeamte leisten in vielen Ländern einen wichtigen Beitrag bei der Bekämpfung des internationalen Rauschgifthandels. Auch den Vertriebsweg über das Internet haben wir fest im Blick. Ermittlungserfolge unserer Cyberkriminalisten und Cyberanalysten im Darknet belegen das. Die Polizei leistet damit ihren Beitrag bei der Rauschgiftbekämpfung – diese ist jedoch auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“
Nachgewiesene Streckmittel und Begleitstoffe. Quelle: Substanzmonitoring in Konsumräumen – Analysenergebnisse der Untersuchungen des Jahres 2017, Universitätsklinikum Freiburg
Was ist eigentlich in illegalen Drogen enthalten? Das wollte die Stadt Frankfurt wissen und hat Proben aus drei Drogenkonsumräumen untersuchen lassen. Vor allem der Wirkstoffgehalt von Heroin war deutlich geringer als erwartet.
Von der Herstellung bis zum Konsum gehen illegale Drogen wie Heroin und Kokain durch viele Hände. Händler strecken die Drogen, um ihre Gewinnspanne zu erhöhen. Was letztlich bei Konsumierenden ankommt, das wollte die Stadt Frankfurt genauer wissen und ließ erstmals Rückstände aus Drogenverpackungen und Spritzen analysieren. Gesundheitsdezernent Stefan Majer erklärt: „Der Handel und Konsum von illegalen Drogen stellt nach wie vor ein großes Dunkelfeld dar. Niemand kann sagen, was genau er oder sie gerade konsumiert.“
Die Proben stammen aus Drogenkonsumräumen, in denen sich Abhängige ihre Drogen unter hygienischen Bedingungen spritzen können und schnell Hilfe bekommen, falls ein Notfall eintritt. Mehr als 400 Heroin- und Kokainproben wurden an das Institut für Rechtsmedizin der Universität Freiburg geschickt und unter der Leitung von Prof. Dr. Volker Auwärter analysiert. Bei der Analyse von Heroinproben zeigte sich ein auffälliges Ergebnis: Der durchschnittliche Reinheitsgehalt betrug nur neun Prozent. Sicherstellungen von Heroin in der Europäischen Union legen jedoch Reinheitsgehalte von etwa 19 Prozent auf der untersten Handelsebene nahe.
Heroin, das in Frankfurt von Konsumierenden erworben wird, enthält somit überwiegend andere Substanzen. Darunter sind Begleitstoffe, die bei der Herstellung der Droge entstehen, und Streckmittel, die von Händlern zwecks Gewinnmaximierung hinzugefügt werden. Häufige Streckmittel in Heroin waren Paracetamol und Coffein. Das scheinbar harmlose Schmerzmittel Paracetamol kann gefährlich sein, weil es bei Überdosierungen schwere Leber- und Nierenschäden verursachen kann. Aufhorchen ließ, dass an zwei Verpackungen Spuren des synthetischen Opioids Fentanyl gefunden wurden. Regina Ernst, Leiterin des Frankfurter Drogenreferats, betont: „Fentanyl spielte 2017 bei mindestens drei Frankfurter Drogentoten eine Rolle.“ Fentanyl wird als besonders gefährlich eingestuft, weil es etwa 100-mal stärker wirkt als Heroin und die Gefahr einer lebensbedrohlichen Überdosierung besonders hoch ist.
Das Problem der Dosierung kann auch auftreten, wenn Straßenheroin ausnahmsweise mal einen höheren Wirkstoffgehalt als üblich aufweist. So schwankte der Heroingehalt der analysierten Proben zwischen einem und 58 Prozent. Gifte wie Strychnin wurden hingegen nicht in den untersuchten Heroinproben gefunden.
Der Reinheitsgehalt von Kokain lag hingegen mit durchschnittlich über 70 Prozent etwa auf dem Niveau, das auch in anderen europäischen Ländern beobachtet wird. Ein häufiges Streckmittel war das Medikament Levamisol, das normalerweise gegen Darmparasiten in der Tiermedizin eingesetzt wird. Der Konsum von mit Levamisol verschnittenem Kokain kann eine lebensgefährliche Bluterkrankung verursachen und die Gefäße schädigen, was zum Absterben von Gewebe führt.
Auwärter und sein Team schreiben in der Zusammenfassung ihrer Ergebnisse, dass sie entgegen den Erwartungen von Konsumierenden in keiner Kokainprobe Amphetamine wie Crystal Meth oder neue synthetische Drogen wie Badesalz gefunden haben.
Drogenkonsum ist kein neuzeitliches Phänomen. Drogen begleiten die Menschheit seit ihren Anfängen. Rauschmittel waren stets präsent und nie unumstritten. Mit der industriellen Herstellung von Wirkstoffen und dem daraus zu erzielenden Profit entwickelten sie sich sowohl zu einem unverzichtbaren Heilmittel als auch zu einem im Extremfall gesundheitsgefährdenden Konsumgut. Nicht zuletzt deshalb ist Gesundheitsförderung im Sinne von Prävention eine gesellschaftliche Aufgabe, der aber die nötigen finanziellen Mittel fehlen, um dem Angebotsdruck der Drogenproduzenten standzuhalten.
Entdeckungen und Erfindungen – Drogen im Lauf der Jahrtausende
Bis zum 16. Jahrhundert blieben die Gewohnheiten einzelner Völker in der Verwendung von Drogen aufgrund der geographischen Isolation erhalten, und Drogenmissbrauch wurde gewöhnlich durch soziale und religiöse Kontrolle in Grenzen gehalten. Im klassischen Altertum (ca. 3500 v. Chr. bis 600 n. Chr.) wurden Cannabis und Opium zu medizinischen Zwecken und die Cannabispflanze als Fasertyp zur Herstellung von Gegenständen des täglichen Bedarfs verwendet. Es gibt keine Hinweise auf einen bedeutsamen Konsum von Cannabis und Opium als Genuss- und Rauschmittel im Mittelmeerraum. Die einzige Droge, die soziale Probleme verursachte, war und ist Alkohol. Zweifellos geht das Trinken von Bier und Wein bis in prähistorische Zeiten zurück. Zeugnisse, die die gesundheitsschädlichen Wirkungen von Bier und Wein sowie die Bemühungen, ihren Genuss zu kontrollieren, diskutieren, reichen bis in das alte Ägypten und Mesopotamien zurück. Das klassische griechisch-römische Schrifttum ist angefüllt mit kritischen Schilderungen von Trinkexzessen und voller Lob der Tugend der Mäßigkeit (Legarno 1982).
Bereits in der Geschichte des Alten Ägyptens (vor 4000 v. Chr. bis 395 n. Chr.) finden wir Belege für alkoholische Getränke. Bier ist schon 3000 v. Chr. bezeugt. Bei der Herstellung war das Brotbacken als Vorstadium des Brauens wichtig. Da man weder das Destillieren noch den Gebrauch von Hopfen kannte, wurde Brotteig, vermischt mit gegorenem Dattelsaft oder Honig, als Maische verwendet. Bier war ein gebräuchliches Heil- oder Nahrungsmittel, aber es war auch das Hauptgetränk in den verrufenen Bierhäusern und Schenken, wo leichte Mädchen junge Männer von ihrem Studium abhielten, so dass die Moralprediger mahnten: „Du verlässt die Bücher und Du gehst von Kneipe zu Kneipe, der Biergenuss allabendlich, der Biergeruch verscheucht die Menschen (von Dir)!“ (von Cranach 1982). An anderer Stelle wird empfohlen: „Ein Napf Wasser stillt schon den Durst“ – eine frühe Präventionsbotschaft. Gegorene Fruchtsäfte waren in Ägypten schon in der Vorgeschichte (vor 4000 v. Chr.) bekannt, ebenso Dattel- und Granatapfelwein. Die ersten Rebsorten wurden vermutlich aus dem mesopotamischen Raum nach Ägypten gebracht (von Cranach 1982).
Wein war für die Bewohner des antiken Griechenlands (1600 v. Chr. bis 146 v. Chr.) Grundnahrungs- und Genussmittel und damit auch Opfergabe sowie Mittel des sozialen Kontaktes. Beobachtungen und Urteile zum Weingenuss und seinen Folgen finden sich zu damaliger Zeit in allen Literaturgattungen in Fülle, dafür gibt es genügend Belege (Preiser 1982).
Hanf ist wahrscheinlich ursprünglich in China in den Dienst des Menschen gestellt worden, und zwar als Faserpflanze, als nahrhafte Körnerfrucht und als Rauschmittel. Es wird vermutet, dass Reitervölker der Steppen Ostasiens die Anwendung von Hanf als Rauschmittel von den Chinesen gelernt und dann weitervermittelt haben. Herodot (450 v. Chr.) berichtet von den Skythen, einem Volk von Reiternomaden, die ab etwa dem 8./7. Jahrhundert v. Chr. die eurasischen Steppen nördlich des Schwarzen Meeres im heutigen Südrussland und der Ukraine besiedelten: „In die Hütte stellen sie ein flaches Gefäß mit glühenden Steinen gefüllt und werfen mitgebrachte Hanfsamen zwischen die Steine. Sofort beginnt es zu rauchen und zu dampfen, mehr noch als in einem griechischen Schwitzbad. Begeistert heulen die Skythen auf (…).“ (zit. n. Völger & von Welck 1982)
Über die Germanen schreibt der römische Historiker und Senator Tacitus im Jahr 98 n. Chr.:
22 Dann begeben sie sich an die Geschäfte und nicht weniger häufig zu Gelagen, und zwar bewaffnet. Tag und Nacht ununterbrochen fortzuzechen ist für keinen eine Schande. (…)
23 Als Getränk dient ihnen eine Flüssigkeit, die aus Gerste oder Weizen ganz ähnlich dem Wein zusammengebraut ist. (…) Leistet man ihrer Trinklust Vorschub und verschafft ihnen so viel, wie sie begehren, wird man sie gewiss nicht weniger leicht durch ihre Laster als mit Waffen besiegen.
24 Das Würfelspiel treiben sie merkwürdiger Weise nüchtern unter den ernsthaften Dingen, im Gewinnen und Verlieren so unbeherrscht, dass sie, wenn sie nichts mehr haben, im letzten Wurf ihre Freiheit und Person einsetzen. (zit. n. Reclam-Ausgabe 1972)
Im Mittelalter spielte der Hexenglaube eine große Rolle. Die Herkunft des Wortes „Hexe“ verweist auf eine Frau mit okkultem oder Naturheilwissen, die unter Umständen einer Priesterschaft angehörte. Diese Zuschreibungen sind eine Übertragung der Fähigkeiten der Göttin Freya aus der nordischen Mythologie und vergleichbarer Göttinnen in anderen Regionen (Heilen, Zaubern, Wahrsagen) auf die mittelalterlichen Priesterinnen, die im frühchristlichen Umfeld noch lange in der gewohnten Weise agierten. Mit dem Vordringen des Christentums wurden die heidnischen Lehren und ihre Anhänger dämonisiert. Der Begriff des Hexenglaubens ist im Übrigen doppeldeutig. Er bezeichnet nicht nur die Überzeugung, dass Hexen real und bedrohlich sind – eine Überzeugung, die im Volksglauben verwurzelt war und sich zum Hexenwahn steigern konnte. Sondern er kann heute auch die (naturreligiösen) Überzeugungen beschreiben, die sich auf ein vorchristliches Verständnis berufen, nach dem es Menschen beiderlei Geschlechts gibt, die über besondere Fähigkeiten und Kenntnisse verfügen und die als Hexen bezeichnet werden. Diese Fähigkeiten und Kenntnisse bezogen sich mit Sicherheit auch auf Pflanzen, die unter den Sammelbegriff Drogen fallen.
Spanische Chronisten des 16. Jahrhunderts beschrieben zuerst, dass in Südamerika ein weitverbreiteter Gebrauch einer Vielzahl von Pflanzen mit außergewöhnlichen, zu Weissagungen und Ekstasen führenden Wirkungen auf die Sinne zu beobachten ist. In den Überlieferungen wird dabei besonders auf Pilze, Peyote und Trichterwinde Bezug genommen (Völger & von Welck 1982).
Die Weinproduktion erreicht in Europa im 16. Jahrhundert einen Höhepunkt, und die Berichte über ausgedehnte Saufgelage von Feudalherren und Bauern häufen sich in dieser Zeit. Dies nahm Luther 1534 zum Anlass, zu wettern: „Es muss ein jeglich Land seinen eigenen Teufel haben (…) unser deutscher Teufel wird ein guter Weinschlauch sein und muss Sauf heißen.“ (Völger & von Welck 1982)
500 Jahre Drogen-Geschichte in Stichworten
Die folgenden Ausführungen stützen sich im Wesentlichen auf Publikationen von Günter Amendt (1984), Norman Ohler (2017) und Irmgard Vogt (1982).
1618–1648
30-jähriger Krieg, Weinberge werden verwüstet, Branntwein wird in größeren Mengen produziert und ist das beliebteste alkoholische Getränk bei Soldaten.
1677
Die Holländer bekommen das Monopol für Opiumlieferungen nach China. Städte wie Macao, Hongkong und Shanghai werden als Handelsstützpunkte gegründet.
1771
Die importierten Konsumgüter Tabak, Kaffee und Tee sind so populär wie kostspielig. Dies erregt Ärger bei Kaufleuten und Regierung. Dieser Handel liegt außerhalb ihrer Kontrolle, er führt zu einer ungünstigen Handelsbilanz und bedroht andere wichtige Einnahmen. In Preußen förderte Friedrich der Große das Kaffeetrinken, bis er entdeckte, dass es seine Einkünfte aus dem Biermonopol schmälerte und – wie er in seinem 1771 erlassenen Kaffeemanifest feststellte – dazu führte, dass ein „abscheulich hoher Geldbetrag“ außer Landes ging. Der Konsum wurde auf heimische Produkte abgestellt – das sind in der Konsequenz Bier und Branntwein aus, wie man heute sagt, „regionaler Produktion“ (Austin 1982).
1773
Das Handelsmonopol für Mohnsaft liegt bei der englischen Ostindien-Kompanie.
1780
Kartoffeln werden zur Schnapsherstellung verwendet.
1804
Morphium (Morphin) wird erstmals von dem deutschen Apothekergehilfen Friedrich Wilhelm Adam Sertürner in Paderborn aus Opium isoliert.
19. Jahrhundert
Technische Neuerungen verbessern die Schnapsproduktion, es entwickeln sich mittelgroße und Großfabriken.
1850
Die Injektionsspritze wird erfunden. Es beginnt der Siegeszug des Morphiums in Europa.
1859/60
Albert Niemann isoliert die aktiven Komponenten des Cocastrauches. Er gibt dem Alkaloid den Namen Kokain.
1845
Laut Friedrich Engels führen die schlechten Lebensbedingungen des Proletariats fast zwangsläufig zur Trunksucht. Auch Teile der SPD sehen den Alkoholismus vor allem als Hindernis im Klassenkampf an. Diese Position wird vehement vom 1903 gegründeten Deutscher Arbeiter-Abstinenten-Bund (DAAB) vertreten.
1862
Die Firma Merck produziert Kokain als Medikament – u. a. gegen Husten, Depressionen und Syphilis.
1875
Eine Morphiumwelle erreicht Europa als Folge des amerikanischen Bürgerkrieges und des deutsch-französischen Krieges. „Morphin ist der Absinth der Frauen.“ (Alexandre Dumas)
1878
20.000.000 Opiumabhängige in China
1893
Das Vereinigte Königreich erteilt der Regierung von Indien den Auftrag, in Bengalen Hanf anzubauen und die Gewinnung von Drogen, den Handel damit und die Auswirkung auf den Zustand der Bevölkerung sowie die Frage eines etwaigen Verbotes zu überprüfen. Ergebnis: Die Kommission stellt fest, dass die medikamentöse Anwendung von Hanfdrogen umfangreich ist und daher ein Verbot unzweckmäßig erscheint.
1896
Bayer entwickelt ein Verfahren zur Synthese von Diacetylmorphin und lässt sich dafür den Markennamen „Heroin“ schützen.
1912
MDMA (3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin) wird von Merck als Beiprodukt zur Herstellung von Hydrastinin (Blutstiller) patentiert.
1920er Jahre
Die Firmen Merck, Böhringer und Knoll beherrschen 80 Prozent des Weltmarktes für Kokain.
1920er Jahre
In München entsteht der Nationalsozialismus. München ist Gründungsort der NSDAP. Die Stadt wird zur „Hauptstadt der Bewegung“, weil es den wenigen nationalsozialistischen Gründungsaktivisten hier gelingt, ihre anfängliche Splitterpartei von ein paar versprengten Verwirrten zu einer Massenbewegung anwachsen zu lassen. Dabei spielen die großen Bierkeller in München eine zentrale Rolle. Hier werden nicht nur Volksfeste gefeiert, sondern auch die großen politischen Versammlungen abgehalten. Im Kindl-Bräu sah und hörte Ernst „Putzi“ Hanfstaengl Hitler zum ersten Mal reden. Er war es, der Hitler auch in den großbürgerlichen Kreisen salonfähig machte. Auf den Rednerbühnen des Bürgerbräukellers avancierte Hitler unter Johlen und Bierkrugschwenken seiner Anhänger allmählich zum Volksheld und schließlich zum Führer des Deutschen Reiches. Der Aufstieg Adolf Hitlers – der selbst keinen oder kaum Alkohol getrunken hat – ist ohne das Bier nicht denkbar. Bier, das in München auch bei politischen Versammlungen in rauen Mengen konsumiert wurde, verwandelte Hitlers Zuhörer regelmäßig in eine berauschte, betrunkene Masse, die fast beliebig zu steuern war. Die durch den Alkohol bewirkte Enthemmung schuf aus Hitlers kleinbürgerlichen Anhängern gefährliche, gewaltbereite Extremisten. Der NS-Terror auf Münchens Straßen in den Zwanziger Jahren ist ohne Alkohol nicht denkbar (Hecht 2013).
1926
Deutschland steht an der Spitze der Morphin produzierenden Staaten und ist Exportweltmeister bei Heroin: 98 Prozent der Produktion gehen ins Ausland. Zwischen 1925 und 1930 werden 91 Tonnen Morphin hergestellt.
1926
Die Firma Parke-Davis entwickelt Phencyclidin (Abkürzung PCP, in der Drogenszene bekannt als „Angel Dust“) als Arzneistoff der Klasse der Anästhetika.
Berlin mutiert zur Experimentierhauptstadt Europas. 1928 gehen in Berlin 73 Kilogramm Morphin und Heroin legal auf Rezept in Apotheken über den Ladentisch. 40 Prozent der Berliner Ärzte sind angeblich morphinsüchtig. „Das Berliner Nachtleben, Junge-Junge, so was hat die Welt noch nicht gesehen! Früher mal hatten wir eine prima Armee; jetzt haben wir prima Perversität!“ (Klaus Mann)
1937
Am 31. Oktober melden die Temmler-Werke Berlin das erste – an Potenz das amerikanische Benzedrin weit in den Schatten stellende – deutsche Methylamphetamin zum Patent an. Der Markenname: Pervitin. Der Tübinger Pharmakologe Felix Haffner schlägt die Verordnung des Pervitin sogar als „höchstes Gebot“ vor, wenn es um den „letzten Einsatz für das Ganze“ gehe: eine Art „chemischer Befehl“.
Pervitin wird zum Symptom der sich entwickelnden Leistungsgesellschaft. Selbst eine mit Methamphetamin versetzte Pralinensorte kam auf den Markt. Pro Genusseinheit waren stolze 14 Milligramm Methamphetamin beigemischt – beinahe das Fünffache einer Pervitin-Pille. „Hildebrand Pralinen erfreuen immer“, lautete der Slogan der potenten Leckerei. Die Empfehlung lautete forsch, drei bis neun Stück davon zu essen mit dem Hinweis, dies sei, ganz anders als Koffein, ungefährlich. Die Hausarbeit ginge dann leichter von der Hand, zudem schmelzen bei dieser außergewöhnlichen Süßigkeit sogar die Pfunde, da der Schlankmacher Pervitin den restlichen Appetit zügle (Ohler 2017).
1938
Albert Hofmann stellt Lysergsäurediethylamid (LSD) her.
1940
Weckmittelerlass der Reichswehr vom 17. April: „Die Erfahrung des Polen-Feldzuges hat gezeigt, dass in bestimmten Lagen der militärische Erfolg in entscheidender Weise von der Überwindung der Müdigkeit einer stark beanspruchten Truppe beeinflusst wird. Die Überwindung des Schlafes kann in besonderen Lagen wichtiger als jede Rücksicht auf eine etwa damit verbundene Schädigung sein, wenn durch den Schlaf der militärische Erfolg gefährdet wird. Zur Durchbrechung des Schlafes (…) stehen die Weckmittel zur Verfügung.“
Pervitin wurde in der Sanitätsausrüstung planmäßig eingeführt. Daraufhin bestellte die Wehrmacht für Heer und Luftwaffe 35 Millionen Tabletten, die noch bis ca. 1950 im Umlauf waren.
1945
Der Zweite Weltkrieg endet, der Konsum von Aufputschmitteln geht weiter. Lastwagenfahrer, Lohnschreiber und Studenten setzen auf die stimulierende und Schlaf verhindernde Wirkung von Amphetamin.
1949
Die Firma Sandoz bringt LSD unter dem Namen „Delysid“ in den Handel. Es soll Psychiatrie-Ärzten ermöglichen, sich in die Wahrnehmungswelt psychotischer Patienten einzufühlen.
1953
Der österreichische Bergsteiger Hermann Buhl erklimmt im Himalaya den Nanga Parbat (8125 Meter) – auch dank Pervitin.
1954
In Bern gewinnt die deutsche Nationalelf die Fußball-WM. Ihr Mannschaftsarzt wird später verdächtigt, den Spielern den ‚Raketentreibstoff‘ Pervitin eingeflößt zu haben.
1954
Ritalin ist jetzt auch in Deutschland zu haben: Wer schnell müde wird oder deprimiert ist, soll es nehmen, empfiehlt die Werbung – außerdem all jene, die nach einer schlaflosen Nacht am nächsten Tag Vollgas geben müssen.
1967
Hippies in den USA berauschen sich an der ‚Liebesdroge‘ MDMA – einem Amphetaminabkömmling, der später als Ecstasy bekannt wird.
1968
Außerparlamentarische Opposition und Studentenbewegung sind Schlagworte der gesellschaftlichen Entwicklung der späten 1960er Jahre in Deutschland. Dazu muss man sich verdeutlichen, dass die Nachkriegszeit bis Mitte der 1960er Jahre in der BRD von denselben Personen, derselben Doppelmoral und denselben Ritualen beherrscht wird, die Deutschland in den 1930er Jahren eingeübt hatte. Als sich der Vietnamkrieg zum Völkermord entwickelt, in Bonn eine große Koalition gebildet wird und diese über Notstandsgesetze berät, die im Krisenfall das demokratische System außer Kraft setzen sollen, regt sich in der Gesellschaft ein lange angestauter Widerstand. Dabei geht es vor allem um eine Abgrenzung zur Elterngeneration und zum politischen System. Dazu gehören Provokation, Widerstand und Drogen. In Westdeutschland entwickelt sich daraus ein ‚hedonistischer Antifaschismus‘, während Ostdeutschland seinen moralischen Antifaschismus bewahrt: Die DDR erschafft sich einen perfekten Entstehungs- und Rechtfertigungs-Mythos, der sie gegen jede Kritik immunisiert. In der DDR sind Drogen nicht Teil des Widerstandes, sondern dienen den großen und kleinen Fluchten, mit denen man sich dem nicht minder spießigen System in der ‚Volksrepublik Preußen‘ entziehen kann.
Drogen und ihre Kultur
Alkoholkonsum
Drogenkultur in Deutschland ist Alkoholkultur, genauer gesagt Bierkultur. Der Blick auf den Pro-Kopf-Verbrauch alkoholischer Getränke in Deutschland zeigt dies deutlich (Abbildung 1).
Abbildung 1: Pro-Kopf-Verbrauch alkoholischer Getränke in Deutschland (eigene Grafik)
Während der jährliche Branntweinkonsum von einem Höchststand Anfang des 20. Jahrhunderts mit wenigen Schwankungen seit vielen Jahren bei fünf bis sechs Litern pro Kopf liegt, ist der Weinkonsum in über 100 Jahren von etwa fünf Litern auf fast 25 Liter gestiegen. Absoluter Spitzenreiter ist das Bier, das mit einem nicht erklärbaren Tiefpunkt in den späten 1930er Jahren des vorigen Jahrhunderts einen Konsumhöhepunkt im Jahre 1975 erreichte und jetzt bei einem Durchschnittsverbrauch von etwas über 100 Litern pro Kopf und Jahr liegt. Der in Rein-Alkohol umgerechnete Verbrauch erreichte erst 1970 wieder die hohen Werte um 1900 und sank dann allmählich auf jetzt etwa 9,5 Liter pro Kopf ab (DHS 2017).
Über die Schattenseite dieser Kultur informiert der Alkoholatlas Deutschland 2017:
18 Prozent der Männer und 14 Prozent der Frauen nehmen riskante Mengen Alkohol zu sich, vor allem unter 25-Jährige und Personen zwischen 45 und 65 Jahren.
Der Anteil der Risikokonsumenten ist bei den Männern in Thüringen, Sachsen und Berlin (je 22 Prozent) am höchsten.
2015 standen zehn Prozent aller Tatverdächtigen unter Alkoholeinfluss.
2015 ereigneten sich rund 34.500 Unfälle, bei denen mindestens ein Beteiligter alkoholisiert war. Bei über 13.000 dieser Unfälle wurden Personen verletzt oder getötet.
Konsum illegaler Drogen
An zweiter Stelle bei den konsumierten psychotropen Substanzen steht in Deutschland Cannabis. Bei Cannabis handelt es sich allerdings um eine illegale Droge, so dass die Ergebnisse von Konsument/innen-Befragungen sich nur in einer Grauzone abspielen können und die Realität abbilden können, aber nicht müssen. Nach den vorliegenden Daten (DBDD 2016) konsumieren bundesweit innerhalb einer Jahresfrist knapp über 4,5 Millionen Menschen Cannabis. Abbildung 2 gibt einen Überblick über die Werte für alle illegalen Substanzen:
Abbildung 2. Konsum illegaler Drogen pro Jahr. *Aufgrund zu geringer Zellbesetzungen werden für einige Zellen keine Prozentwerte angegeben. Werte im niedrigen Prozentbereich sind mit großer Vorsicht zu interpretieren, da von einer erheblichen Unschärfe bei der Extrapolation der Messwerte auszugehen ist. Quelle: DBDD 2016
Gewünschte Wirkung im gesundheitlichen Bereich
Der Grund, Drogen zu nehmen, liegt nicht nur in wie auch immer gearteten Rauscherlebnissen. Fast jede Droge erzeugt eine gewünschte Wirkung im gesundheitlichen Bereich. Auch darüber muss im Zusammenhang mit verbotenen illegalen Substanzen immer wieder diskutiert werden.
Alkohol
Alkohol ist die umgangssprachliche Bezeichnung für Ethanol. Die Vergärung von Zucker zu Ethanol ist eine der ältesten bekannten biochemischen Reaktionen. Ethanol wird als Lösungsmittel für Stoffe verwendet, die für medizinische oder kosmetische Zwecke eingesetzt werden, wie Duftstoffe, Aromen, Farbstoffe oder Medikamente. Außerdem dient es als Desinfektionsmittel. Die chemische Industrie verwendet Ethanol als Lösungsmittel sowie als Ausgangsstoff für die Synthese weiterer Produkte wie Carbonsäureethylester. Ethanol wird auch als Biokraftstoff, etwa als so genanntes Bioethanol, verwendet.
Die folgenden Informationen zu illegalen Drogen stützen sich auf die Publikation von Fred Langer et al. (2017).
Amphetamin
Amphetamin wurde erstmals 1887 synthetisiert. Zunächst wurde es gegen Asthma und als Appetitzügler eingesetzt, heute findet es Anwendung bei der Behandlung von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) und Narkolepsie (Schlafsucht). Wegen seiner aufputschenden Wirkung ist es als Partydroge beliebt (Speed).
Barbiturate
Barbitursäure wurde erstmals 1864 hergestellt. Barbiturate waren ab dem frühen 20. Jahrhundert für viele Jahrzehnte das Schlafmittel schlechthin. Sie werden als Narkosemittel, bei Epilepsie und auch in der Sterbehilfe eingesetzt. In den USA werden sie in Kombination mit anderen Präparaten zur Hinrichtung mittels Spritze verwendet. Abhängigkeit und Entzug verlaufen ähnlich wie beim Alkohol.
Cannabis
Seit Jahrtausenden nutzen Heilkundige die Wirkstoffe der Hanfpflanze (Cannabinoide). Cannabis wird gegenwärtig in immer mehr Ländern für medizinische Zwecke freigegeben. Einsatz findet es u. a. in der Schmerztherapie, bei Multipler Sklerose, gegen Übelkeit und Erbrechen, unterstützend in der Therapie von Krebs und Aids. Als Drogen werden die getrockneten Blütentrauben und Blätter als Marihuana geraucht (‚Gras‘) oder extrahiertes Harz als Haschisch. Die Wirkung ist entspannend und stimmungsaufhellend.
Kokain
Kokain wird aus den Blättern des Cocastrauches extrahiert. Es ist das älteste Mittel zur örtlichen Betäubung und spielte früher eine wichtige Rolle in der Augenheilkunde. Bei Eingriffen am Kopf ist es heute noch zulässig. Als Droge wird Kokain wegen seiner euphorisierenden Wirkung geschnupft (Pulver) oder als Crack geraucht.
Ketamin
Ketamin wurde ab 1962 gezielt als Arzneimittel entwickelt und wird als Analgetikum (schmerzstillendes Mittel) und Narkosemittel angewendet, vor allem in der Notfall- und Tiermedizin, neuerdings auch gegen schwere Depressionen. Als Rauschdroge (geschluckt, geschnieft oder gespritzt) löst es starke Wahrnehmungsveränderungen aus.
LSD
LSD wurde 1938 erstmals als Derivat der Lysergsäure hergestellt, die im Mutterkornpilz auch natürlich vorkommt. Früher wurde es zur psychotherapeutischen Behandlung von Krebspatienten und bei Alkoholismus eingesetzt. Vermutlich ist es wirksam gegen Cluster-Kopfschmerzen. LSD ist eine starke halluzinogene Droge (Acid) und löst einen intensiven psychedelischen Rausch aus.
MDMA
MDMA wurde 1912 synthetisiert und in den 1960er Jahren von US-Chemikern wiederentdeckt. Es ist ein viel versprechender Wirkstoff in der Therapie Posttraumatischer Belastungsstörungen. In Pillenform (Ecstasy) oder pulverisiert (Molly) ist es eine beliebte Partydroge.
Opiate
Opiate werden aus dem Saft geritzter Samenkapseln des Schlafmohns gewonnen. Durch Trocknen des Saftes entsteht Rohopium. Rohopium enthält u. a. die Wirkstoffe Morphin (eingesetzt als Schmerzmittel) und Codein (eingesetzt als gegen Hustenreiz). Das bekannteste Morphinderivat ist Heroin, ein sehr starkes Schmerzmittel, dessen therapeutische Anwendung heute in den meisten Ländern verboten ist aufgrund seines starken Abhängigkeitspotenzials. Opium ist nur noch zur Behandlung chronischen Durchfalls erlaubt. Gespritzt, geschnupft oder geraucht wirken Opiate euphorisierend und sedierend.
Psilocybin
Psilocybin kommt in diversen Pilzarten vor (Magic Mushrooms) und wurde ab 1959 auch synthetisch hergestellt. Seit Jahrhunderten ist es Teil spiritueller Rituale. In der modernen Medizin wird es zur Linderung von Depressionen und Angstzuständen, möglicherweise auch gegen Alkoholismus und Nikotinsucht eingesetzt. Es ruft einen bewusstseinsverändernden Rausch hervor, ähnlich wie bei LSD, aber kürzer.
Schlussbemerkung
Die Dosis macht das Gift: Drogen haben eine heilsame und eine unheilvolle Seite. Eine Ausnahme bildet Alkohol. Dieser ist vor allem als Lösungsmittel wirksam – zum Beispiel in menschlichen Beziehungen. Menschen aus anderen Kulturkreisen bringen andere Haltungen gegenüber Drogen und andere Konsumkulturen mit. Prävention muss sich einer Arbeit im Feld interkultureller Begegnung öffnen. Ein solcher Prozess ist angesichts der Zuwanderung in allen Bereichen erforderlich. Voraussetzung für diesen Prozess ist die Entwicklung interkultureller Kompetenz. Diese Entwicklung kann nur als mittel- bis langfristiger Prozess gedacht werden, dessen Realisierung u. a. gezielte Fortbildungs- und Supervisionsmaßnahmen erfordert.
„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern“, schreibt Karl Marx in seinen Thesen über Feuerbach. In der Suchtprävention reicht es daher nicht aus, das Gefüge von Kultur und Drogen zu beschreiben und soweit möglich zu interpretieren, sondern es bedarf auch einer Handlungsanleitung für die Praxis. Für die Fachkräfte in der Suchtprävention könnte diese heißen, zu überprüfen, in welchem Umfeld ihre Arbeit stattfindet und welche gesellschaftlichen Kräfte sie beeinflussen.
Prävention ist Gesundheitsförderung und versucht die Wirkungen zu lindern, die von den Drogenproduzenten durch den Verkauf ihrer Produkte und die entsprechende Werbung dafür erzeugt werden. Für illegale Drogen finden Werbung und Verkauf auf dem Schwarzmarkt statt, über den naturgemäß keine Daten vorliegen. Bei legalen Drogen dagegen – und hier reden wir nur über Alkohol – liegen die Informationen offen vor. Abbildung 3 zeigt die Werbeausgaben für alkoholische Getränke. Bundesweit sind das 544 Millionen Euro.
Abbildung 3: Ausgaben für die Bewerbung alkoholischer Getränke bundesweit (in Millionen Euro) (eigene Grafik, Quelle: DHS, Daten und Fakten)
Abbildung 4 zeigt, wie sich die Situation umgerechnet auf Thüringen darstellt (Angaben in Millionen Euro). Aussagekräftig ist der Vergleich der Ausgaben für Werbung und für Prävention.
Abbildung 4: Ausgaben für die Bewerbung alkoholischer Getränke in Thüringen (in Millionen Euro) (eigene Grafik)
Auf Thüringen entfallen 14,62 Millionen Euro an Werbeausgaben. Präventionsangebote werden in Thüringen von den Kommunen und dem Land gefördert. Für die Kommunen liegen keine Zahlen vor. Für das Land finden sich Angaben im Haushaltsplan 2017 des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, Titel: 684 71 314 (Freistaat Thüringen 2017). Es handelt sich um Maßnahmen auf dem Gebiet der Gesundheitsförderung, des Gesundheitsschutzes und der Gesundheitshilfen, für die 1,7005 Millionen Euro aufgewendet werden. Selbst wenn wir unterstellen, dass die Kommunen noch einmal eine Million Euro drauflegen, was wahrscheinlich sehr optimistisch ist, stünden dann diese 2,7 Millionen Euro Werbeaufwendungen der Alkoholindustrie in Höhe von 14,62 Millionen Euro gegenüber. Dieses als Ungleichgewicht zu bezeichnen, ist eine maßlose Untertreibung.
Wenn Gesundheitsförderung in Form von Suchtprävention nicht so wirkt, wie wir uns das wünschen, liegt das nicht an der Qualifikation und dem Fleiß der Fachkräfte. Es liegt an dem Ungleichgewicht zwischen Angebotsdruck bei legalen und illegalen Drogen und den gesundheitsfördernden Leistungen, die die Gesellschaft diesem Druck entgegenstellt. Und da tut Thüringen Einiges. Das darf an dieser Stelle auch mal gelobt werden. Ein kulturverträglicher Drogenkonsum funktioniert nämlich nur, wenn die möglichen Risiken von Substanzen und Verhalten durch ein wirksames Konzept der Gesundheitsförderung ausgeglichen werden können. Dazu braucht man Geld und guten Willen, sonst kann der Genuss schnell zum Verdruss führen.
Dieser Artikel basiert auf einem Vortrag, den der Autor anlässlich der 5. Thüringer Jahrestagung Suchtprävention am 25. Oktober 2017 in Erfurt gehalten hat. Redaktion des Vortragsmanuskripts: Simone Schwarzer
Austin, G. (1982), Die europäische Drogenkrise des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Völger, G. & Welck, K. von (Hg.), Rausch und Realität – Drogen im Kulturvergleich, Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg
Cranach, D. von (1982), Drogen im alten Ägypten, in: Völger, G. & Welck, K. von (Hg.), Rausch und Realität – Drogen im Kulturvergleich, Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg
Langer, F., Khazan, O., Hanske,P. (2017), Vom Segen der Drogen, in: Zeitschrift GEO, Ausgabe 06 2017 Seite 68-89
Legarno, A. (1982), Ansätze zu einer Soziologie des Rausches – zur Sozialgeschichte von Rausch und Ekstase in Europa, in: Völger, G. & Welck, K. von (Hg.), Rausch und Realität – Drogen im Kulturvergleich, Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg
Ohler, N. (20172), Der totale Rausch. Drogen im Dritten Reich, Kiepenheuer & Witsch, Köln
Preiser, G. (1982), Wein im Urteil der griechischen Antike, in: Völger, G. & Welck, K. von (Hg.) (1982), Rausch und Realität – Drogen im Kulturvergleich, Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg
Springer, A. (1997), Anthropologisch-gesellschaftliche Aspekte des Drogengebrauchs, in: Heckmann, W. (Hg.), Fleisch, E., Haller R., Suchtkrankenhilfe. Lehrbuch zur Vorbeugung, Beratung und Therapie, Beltz-Verlag Weinheim/Basel
Tacitus (1972), Germania, Reclam Ditzingen
Völger, G. & Welck, K. von (Hg.) (1982), Rausch und Realität – Drogen im Kulturvergleich, Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg
Vogt, I., Alkoholkonsum, Industrialisierung und Klassenkonflikte, in: Völger, G. & Welck, K. von (Hg.), Rausch und Realität – Drogen im Kulturvergleich, Rowohlt Taschenbuchverlag Hamburg
Das Factsheet gibt Empfehlungen für die Suchtprävention und hält spezielle Informationen für Fachkräfte und Multiplikatoren aus der Suchthilfe bereit. Dargestellt werden z. B. Konsumenten-Typen und Konsummotive, Bezugs- und Informationsquellen von Konsumenten, Indikatoren für einen NpS-Konsum, Tipps für den Umgang mit NpS-Konsumenten in der Beratungsstelle sowie Schnittstellen zu Kooperationspartnern. Der Anhang widmet sich dem Verhalten im Drogennotfall und Minimalregeln zur Risikominimierung.
Das 44-seitige Factsheet kann über die Online-Infobörse „Neue Drogen“ heruntergeladen werden. Die Website http://infoboerse-neue-drogen.de/ ist im Dezember 2017 an den Start gegangen und richtet sich an alle, die mit dem Thema NpS zu tun haben: Konsumenten, Angehörige, Fachstellen der Suchtversorgung sowie der Jungendhilfe etc. Sie hält ein breit angelegtes Informations- und Beratungsangebot vor. Projektträger ist der Landes-Caritasverband Bayern e.V.
Seit über 45 Jahren gibt es ‚Drogenhilfe‘ in Deutschland. Eine der ersten Drogenberatungsstellen wurde 1972 in München eröffnet. Federführend dabei: Alexander Eberth, damals Vereins-, heute Aufsichtsratsvorsitzender von Condrobs e. V., einem der größten deutschen Suchthilfeträger. Im Hauptberuf ist er seit 1972 Rechtsanwalt und hat sich als Experte für Betäubungsmittelrecht einen Namen gemacht. Ein ‚Betäubungsmittelgesetz‘ gibt es in Deutschland seit 1971. 1981 wurde es um die heftig umstrittenen Therapiebestimmungen für betäubungsmittelabhängige Straftäter ergänzt.
In einem KONTUREN-Interview gab Alexander Eberth Anfang November Auskunft darüber, was in den vergangenen 35 Jahren aus den „Therapie statt Strafe“-Regelungen im Betäubungsmittelgesetz geworden ist. Angesichts der Doppelbelastung, die drogenabhängige Menschen durch ihre Abhängigkeitserkrankung und die Strafbestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes erleben, erläuterte er, was Fachkräfte bei der Beratung und Behandlung Drogenabhängiger unbedingt berücksichtigen müssen. Schließlich formulierte er seine Wünsche an die Zukunft der Rechtsprechung im Bereich Betäubungsmittelkriminalität.
Es bleibt ein desillusionierendes Fazit: Das Betäubungsmittelgesetz mit seinen Therapiebestimmungen hat sich in den vergangenen 35 Jahren zu einem Strafverfolgungsrecht verdichtet. Die Interessen der Drogenabhängigen – Verbesserung und Schutz ihrer Gesundheit – verlieren sich heute in einer rigorosen Verfolgung und dem (Irr)Glauben, durch Verknappung und verschärftes Recht das Drogenproblem in den Griff bekommen zu können. Alle Maßnahmen, die bisher eingeleitet wurden, sind kontraproduktiv, weil sie Drogenabhängige daran hindern, Hilfeangebot anzunehmen, denn sie müssen bei einer Offenlegung ihrer Abhängigkeit immer damit rechnen, dass strafrechtliche Konsequenzen gezogen werden. Das Interview führte Jost Leune vom Fachverband Drogen- und Suchthilfe e. V.
Veränderte Dynamiken auf dem Heroinmarkt, aktuelle Auswirkungen des Cannabiskonsums und neue Merkmale und Dimensionen der Szene für Stimulanzien und „neue Drogen“ gehören zu den Themen, die von der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) in ihrem gerade in Lissabon veröffentlichten „Europäischen Drogenbericht 2015. Trends und Entwicklungen“ behandelt werden. In ihrem Jahresbericht lässt die EMCDDA 20 Jahre Beobachtungsarbeit Revue passieren und untersucht die globalen Einflüsse und lokalen Auswirkungen der in stetem Wandel begriffenen europäischen Drogenproblematik. Die Daten in diesem Bericht beziehen sich auf das Jahr 2013 bzw. das letzte verfügbare Jahr.
Heroin verliert zwar an Bedeutung, doch Marktveränderungen erfordern genaue Beobachtung
Der EMCDDA zufolge machen Probleme im Zusammenhang mit Heroin zwar immer noch einen großen Anteil an den drogenbedingten Gesundheits- und Sozialkosten in Europa aus, jedoch wiesen die jüngsten Entwicklungen in diesem Bereich in eine ‚positivere‘ Richtung. Insgesamt stagniere die Nachfrage nach dieser Droge. Mittlerweile würden weniger Menschen als früher erstmals eine spezialisierte Behandlung wegen Heroinproblemen beginnen: Im Jahr 2013 waren dies 23.000 gegenüber 59.000 im Jahr 2007. Schätzungen zufolge unterzieht sich über die Hälfte (700.000) der 1,3 Millionen europäischen Opioidkonsumenten (d. h. Langzeit- bzw. abhängige Konsumenten) derzeit einer opioidgestützten Substitutionstherapie. Bei den Daten in Bezug auf gemeldete Sicherstellungen, die einen Einblick in die Entwicklung des Heroinangebots ermöglichen, sind ebenfalls Rückgänge zu verzeichnen. Die im Jahr 2013 in der EU sichergestellte Heroinmenge (5,6 Tonnen) war eine der niedrigsten gemeldeten Mengen seit zehn Jahren und entspricht in etwa der Hälfte der im Jahr 2002 sichergestellten Menge (10 Tonnen). Die Zahl der Heroinsicherstellungen fiel ebenfalls von 45.000 im Jahr 2002 auf 32.000 im Jahr 2013. Vor diesem insgesamt positiven Hintergrund erläutert die EMCDDA eine Reihe von Marktveränderungen, die eine genaue Beobachtung erfordern.
Jüngsten Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge hat die Opiumproduktion in Afghanistan in den Jahren 2013 und 2014 deutlich zugenommen. So liefert das Land den Großteil des in Europa konsumierten Heroins. Diese Entwicklung könnte zu einer höheren Verfügbarkeit von Heroin auf dem europäischen Markt führen. Ferner werden Anzeichen für Neuerungen im Heroinmarkt hervorgehoben, einschließlich der erstmals seit den 1970er Jahren erfolgten Entdeckung von Labors zur Heroinaufbereitung in Europa. In den Jahren 2013 und 2014 wurden in Spanien zwei Labors zur Umwandlung von Morphin in Heroin entdeckt.
Des Weiteren werden Veränderungen beim Heroinnachschub nach Europa beobachtet. Während die traditionelle „Balkanroute“ nach wie vor eine wichtige Rolle spielt, gibt es Anzeichen, dass die „südliche Route“ an Bedeutung gewinnt. Diese beginnt in Iran und Pakistan und erreicht Europa direkt oder indirekt über die Länder der Arabischen Halbinsel und Ost-, Süd- und Westafrikas. Eine gerade veröffentlichte Studie über den Opioidhandel von Asien nach Europa deutet auf eine Diversifizierung der gehandelten Produkte (z. B. Morphinbase und Opium neben Heroin) und der genutzten Transportmittel und Routen hin (siehe Perspectives on Drugs/POD).
Neben Heroin stellten die Strafverfolgungsbehörden 2013 in europäischen Ländern eine Reihe weiterer Opioide sicher: Opium, Rohopiumzubereitungen (z. B. „Kompott“), Arzneimittel (Morphin, Methadon, Buprenorphin, Fentanyl und Tramadol) sowie neuartige synthetische Opioide.
Opioidabhängigkeit ist häufig ein chronischer Zustand, weshalb die Bereitstellung geeigneter Behandlungs- und Pflegeangebote für Langzeitkonsumenten von Opium inzwischen eine immer größere Herausforderung für Behandlungs- und Sozialdienste darstellt. Im Bericht wird gezeigt, wie sich das Durchschnittsalter der Personen, die sich wegen Opioidproblemen in Behandlung begeben, entwickelt. So stieg das Durchschnittsalter zwischen 2006 und 2013 um fünf Jahre. Ein bedeutender Teil der Opioidkonsumenten in Europa mit einer langen Vorgeschichte des Mehrfachkonsums befindet sich mittlerweile im vierten oder fünften Lebensjahrzehnt. Ein seit langem bestehender schlechter körperlicher und psychischer Gesundheitszustand, ungünstige Lebensbedingungen, Infektionen und der missbräuchliche Mehrfachkonsum (u. a. auch von Alkohol und Tabak) machen diese Konsumentengruppe anfällig für eine Reihe von chronischen Gesundheitsproblemen (z. B. kardiovaskuläre und pulmonale Erkrankungen und Hepatitis).
Benötigt werden laut Bericht klinische Leitlinien, die den demografischen Wandel unter Europas problematischen Opioidkonsumenten berücksichtigen. Solche Leitlinien würden eine wirksame klinische Praxis begünstigen und folgende Themen umfassen: Mitnahme-Dosen von Arzneimitteln für die Substitutionstherapie (z. B. Methadon und Buprenorphin), Schmerztherapien und die Behandlung von Infektionen. Wenige Länder melden die Verfügbarkeit zielgerichteter Programme für ältere Drogenkonsumenten. Diese Personengruppe wird in der Regel in bestehende Drogentherapieangebote integriert. Die Niederlande sind eines der Länder, in denen Altenpflegeheime eingerichtet wurden, die an die Bedürfnisse älterer Drogenkonsumenten angepasst sind.
Verbesserte Therapien bei Hepatitis C und stagnierende Zahlen bei HIV-Neudiagnosen
Aufgrund der Übertragung durch die gemeinsame Nutzung von Nadeln, Spritzen und anderem Spritzbesteck ist Hepatitis C die am häufigsten vorkommende Infektionskrankheit unter drogeninjizierenden Personen in Europa. Nationale Stichproben im Zeitraum 2012/2013 bei dieser Personengruppe ergaben eine Hepatitis C-Virus-Infektionsrate zwischen 14 und 84 Prozent. Eine Hepatitis C-Infektion verläuft anfänglich häufig ohne Symptome und kann jahrzehntelang unentdeckt bleiben. Viele Infizierte entwickeln später eine chronische Hepatitis, wodurch sich ihr Risiko für die Entwicklung von Lebererkrankungen (z. B. Leberzirrhose und Leberkrebs) erhöht.
Eine wachsende Anzahl von Ländern haben spezifische Hepatitis C-Strategien verabschiedet oder arbeiten zurzeit daran. Diese Strategien sollen insbesondere den Zugang zu Hepatitis C-Tests sicherstellen. Obwohl aktuell antivirale Arzneimittel erhältlich sind, die den Fortschritt der Erkrankung verhindern oder eine vollständige Genesung ermöglichen, beschränken fehlende Diagnostik und hohe Arzneimittelkosten die Reichweite dieser neuen Behandlungsangebote.
2011 und 2012 sind die Zahlen neuer HIV-Diagnosen, die dem injizierenden Konsum zugeordnet waren, angestiegen, hauptsächlich bedingt durch HIV-Krankheitsausbrüche in Griechenland und Rumänien. Die neuesten Zahlen zeigen, dass der Anstieg inzwischen gestoppt und die Gesamtzahl der Fälle in der EU auf ein Niveau wie vor den Ausbrüchen gesunken ist. Vorläufige Zahlen für 2013 weisen 1.458 neu gemeldete HIV-Infektionen gegenüber 1.974 im Jahr 2012 aus. Damit kehrt sich der seit 2010 bestehende Aufwärtstrend um. Trotz der in diesem Bereich erzielten Fortschritte hält die EMCDDA es für notwendig, wachsam zu bleiben und ein angemessenes Behandlungsangebot bereitzustellen.
Bekämpfung von Überdosierungen – eine gesundheitspolitische Herausforderung
Die Verringerung der Zahl tödlicher Überdosierungen und anderer drogenbedingter Todesfälle (z. B. als Folge von drogenbedingten Erkrankungen, Unfällen und Suizid) ist und bleibt eine zentrale Aufgabe der aktuellen Gesundheitspolitik. Schätzungen zufolge soll es im Jahr 2013 zu mindestens 6.100 Todesfällen aufgrund von Überdosierung, meist im Zusammenhang mit Heroin und anderen Opioiden, gekommen sein.
In einer den aktuellen Bericht begleitenden neuen Analyse wird der Missbrauch von Benzodiazepinen unter Hochrisiko-Opioidkonsumenten, die diese Arzneimittel zur Selbstmedikation oder zur Verstärkung der Wirkung von Opioiden nehmen, näher beleuchtet (siehe POD). Die Analyse zeigt, wie der kombinierte Konsum von Opioiden, Benzodiazepinen und anderen zentralnervös wirksamen Beruhigungsmitteln (z. B. auch Alkohol) zu einer erhöhten Lebensgefahr durch Überdosierung beiträgt. Verschreibungen und Leitlinien für die klinische Praxis könnten für die Bewältigung dieses komplexen Problems eine entscheidende Rolle spielen.
Maßnahmen zur Vorbeugung von Überdosierungen umfassen zielgerichtete Strategien, Aufklärung über Risiken des Drogenkonsums sowie mögliche Hilfen bei Überdosierungen, einschließlich der Verteilung von Naloxon in Mitnahme-Dosen. Einige Länder haben eine seit langem bewährte Praxis der Bereitstellung von Drogenkonsumräumen. In sechs europäischen Berichtsländern der EMCDDA werden derartige Dienste derzeit in insgesamt rund 70 Einrichtungen angeboten (Dänemark, Deutschland, Spanien, Luxemburg, Niederlande und Norwegen), während in Frankreich vor kurzem ein Modellversuch von Drogenkonsumräumen genehmigt wurde. Eine Überprüfung der in diesen Einrichtungen erbrachten Dienstleistungen ergänzt die diesjährige Analyse (siehe POD) und zeigt, wie mittels Drogenkonsumräumen eine ‚lokale Antwort‘ auf ‚lokale Probleme‘ gegeben wird. Unter anderem können Drogenkonsumräume eine Rolle bei der Reduzierung drogenbedingter Schäden (einschließlich Todesfälle durch Überdosierung) spielen und hilfreich sein, um schwer erreichbare Drogenkonsumenten an Gesundheitsdienste heranzuführen.
Wachsende Bedeutung von Cannabis innerhalb der Drogenbehandlungssysteme in Europa
Cannabis ist nach wie vor die am häufigsten konsumierte illegale Droge in Europa: 19,3 Millionen Erwachsene im Alter zwischen 15 und 64 Jahren geben an, die Droge in den vergangenen zwölf Monaten konsumiert zu haben. 14,6 Millionen davon sind junge Erwachsene im Alter zwischen 15 und 34 Jahren. Schätzungen zufolge konsumiert ein Prozent aller Erwachsenen die Droge täglich oder nahezu täglich.
Aus Erhebungen unter der Allgemeinbevölkerung von drei Ländern (Deutschland, Spanien und das Vereinigte Königreich) geht eine rückläufige oder stagnierende Prävalenz des Cannabiskonsums in den letzten zehn Jahren hervor. Steigerungen wurden dagegen in Bulgarien, Frankreich und vier nordischen Ländern (Dänemark, Finnland, Schweden und Norwegen) beobachtet. Insgesamt zeigen die Ergebnisse der aktuellen Erhebungen uneinheitliche Trends im Cannabiskonsum der letzten zwölf Monate bei jungen Erwachsenen.
Die hohe Prävalenz der Droge spiegelt sich in der Anzahl an Personen wider, die eine spezialisierte Drogentherapie beginnen. So gibt die größte Gruppe von Erstpatienten inzwischen Cannabis als ihr Hauptdrogenproblem an. Die Gesamtzahl der Patienten in Europa, die sich erstmals wegen Cannabisproblemen in Behandlung begaben, stieg von 45.000 im Jahr 2006 auf 61.000 im Jahr 2013. Während sich viele der eine Behandlung beginnenden Cannabispatienten selbst einweisen (34 Prozent), geht aus der Analyse hervor, dass etwa ein Viertel derjenigen, die eine Behandlung wegen Cannabis als Primärdroge begannen (23.000), fremdmotivierte Überweisungen aus dem Strafjustizsystem waren. Wissenschaftliche Erkenntnisse sprechen für psychosoziale Interventionen bei der Behandlung von Drogenproblemen. Bei der Behandlung von Problemen im Zusammenhang mit Cannabis wird von diesen auch umfassend Gebrauch gemacht. Diese Ansätze werden in einer den Bericht begleitenden Analyse (siehe POD) und in einer aktuellen Insights-Ausgabe der EMCDDA erforscht.
Akute Notfälle im Zusammenhang mit Cannabiskonsum können – wenngleich selten – nach dem Konsum der Substanz, insbesondere in hohen Dosen, auftreten (siehe unten den Abschnitt zum Reinheitsgrad). In einer in Notfalleinrichtungen durchgeführten aktuellen Studie wurde in elf von 13 untersuchten europäischen Ländern im Zeitraum zwischen 2008 und 2012 ein Anstieg der Zahl der Notfälle im Zusammenhang mit Cannabiskonsum festgestellt.
Im aktuellen Bericht wird die zentrale Rolle von Cannabis in Statistiken über Drogenkriminalität hervorgehoben, denen zufolge 80 Prozent der Sicherstellungen auf die Droge und 60 Prozent aller gemeldeten Drogendelikte in Europa auf den Konsum oder Besitz von Cannabis für den eigenen Gebrauch entfallen.
Die Zahl der Sicherstellungen von Cannabiskraut in Europa überstieg im Jahr 2009 die von Cannabisharz, und diese Kluft hat sich noch weiter vergrößert. Im Jahr 2013 entfielen von den 671.000 in der EU gemeldeten Cannabis-Sicherstellungen 431.000 auf Cannabiskraut (Marihuana) und 240.000 auf Cannabisharz (Haschisch). Dieser Trend liegt vermutlich zum großen Teil in der Tatsache begründet, dass immer mehr in Europa gezüchtetes Cannabiskraut verfügbar ist, was sich an der wachsenden Zahl der Beschlagnahmungen von Cannabispflanzen zeigt. Dennoch ist die in der EU sichergestellte Menge an Cannabisharz immer noch deutlich höher als die Menge an sichergestelltem Cannabiskraut (460 Tonnen gegenüber 130 Tonnen).
Mehr als 130 verschiedene synthetische Cannabinoide, die als legaler Ersatz für Cannabis verkauft werden und dem Cannabismarkt eine neue Dimension hinzufügen, wurden bislang über das EU-Frühwarnsystem entdeckt. Der Konsum dieser Substanzen kann gesundheitsschädliche Auswirkungen haben (z. B. Nierenschäden, kardiovaskuläre und pulmonale Erkrankungen und Krämpfe). Jüngste Todesfälle und akute Vergiftungen in Europa und der Welt im Zusammenhang mit diesen Substanzen haben die EMCDDA dazu bewegt, Warnmeldungen in Bezug auf die Gefährdung der öffentlichen Gesundheit herauszugeben.
Wettbewerb im umkämpften Stimulanzienmarkt
Europa steht einem hart umkämpften Stimulanzienmarkt gegenüber, auf dem sich das Angebot von Kokain, Amphetaminen, Ecstasy und einer wachsenden Anzahl an synthetischen Drogen an ähnliche Konsumentengruppen richtet. Kokain ist nach wie vor das am häufigsten konsumierte illegale Stimulans in Europa, doch konzentriert sich die Mehrheit der Konsumenten auf eine kleine Zahl von westlichen EU-Ländern. Schätzungsweise 3,4 Millionen Erwachsene der Altersgruppe zwischen 15 und 64 Jahren haben in den zurückliegenden zwölf Monaten Kokain konsumiert. Davon waren 2,3 Millionen junge Erwachsene zwischen 15 und 34 Jahren. Nur wenige Länder meldeten für die letzten zwölf Monate eine Kokainprävalenz unter jungen Erwachsenen von mehr als drei Prozent. Bei den neuesten Daten ist ein Rückgang des Kokainkonsums feststellbar. Von den Ländern, die seit 2012 Erhebungen durchführen, meldeten acht niedrigere Schätzungen und drei höhere Schätzungen im Vergleich zur vorangegangenen Erhebung.
Der Konsum von Amphetaminen, darunter Amphetamine und Metamphetamine, liegt insgesamt auf niedrigerem Niveau als der Kokainkonsum in Europa. So gaben etwa 1,6 Millionen Erwachsene an, in den letzten zwölf Monaten eine dieser Drogen konsumiert zu haben. 1,3 Millionen davon waren junge Erwachsene im Alter zwischen 15 und 34 Jahren. Der aktuelle Bericht beleuchtet ferner neue Muster des Metamphetaminkonsums. So wurde in der Tschechischen Republik ein deutlicher Anstieg des hochriskanten Metamphetaminkonsums (vor allem injizierender Konsum) beobachtet, wobei die Zahl der Konsumenten Schätzungen zufolge von rund 21.000 im Jahr 2007 auf über 34.000 im Jahr 2013 gestiegen ist. Des Weiteren wird aus einer Reihe von europäischen Ländern der injizierende Konsum von Metamphetamin in Kombination mit anderen Stimulanzien (z. B. synthetische Cathinone) unter kleinen Gruppen von Männern, die Geschlechtsverkehr mit anderen Männern praktizieren, gemeldet. Diese als „Slamming“ bezeichneten Praktiken geben aufgrund der Kombination von hochriskantem Drogenkonsum und riskantem Sexualverhalten Anlass zur Besorgnis.
Schätzungsweise 2,1 Millionen Erwachsene der Altersgruppe zwischen 15 und 64 Jahren haben in den zurückliegenden zwölf Monaten Ecstasy konsumiert. Davon waren 1,8 Millionen junge Erwachsene zwischen 15 und 34 Jahren. Nach einem Zeitraum, in dem als Ecstasy verkaufte Tabletten unter Konsumenten im Ruf standen, von schlechter Qualität bzw. Produktfälschungen zu sein, ist hochreines MDMA in Pulver- und Tablettenform inzwischen weiter verbreitet (siehe unten den Abschnitt zum Reinheitsgrad).
Synthetische Cathinone wie Mephedron, Pentedron und MDPV sind in einigen europäischen Ländern inzwischen zu einer festen Größe auf dem Markt für illegale Stimulanzien geworden und werden häufig abwechselnd mit Amphetamin und Ecstasy konsumiert. Der injizierende Konsum synthetischer Cathinone ist – obgleich in Europa kein besonders weit verbreitetes Phänomen – in einigen Ländern ein lokales Problem bei Gruppen von Hochrisiko-Drogenkonsumenten. Steigender Behandlungsbedarf im Zusammenhang mit dem Konsum dieser Substanzen wird aus Ungarn, Rumänien und dem Vereinigten Königreich gemeldet.
Zunahme des Wirkstoffgehalts und des Reinheitsgrads gibt Anlass zur Besorgnis
Ein zentraler Befund des diesjährigen Berichts ist der deutliche Anstieg des Wirkstoffgehalts und des Reinheitsgrads der europaweit am häufigsten konsumierten illegalen Drogen, was Bedenken hinsichtlich der Gesundheit der Konsumenten hervorruft, die bewusst oder unbewusst möglicherweise stärkere Produkte konsumieren. Die Gesamtentwicklung im Zeitraum 2006 bis 2013 zeigt, dass in den Ländern, die regelmäßig Meldungen übermitteln, ein Anstieg des Wirkstoffgehalts von Cannabis (THC-Gehalt), des Reinheitsgrads von Kokain und des MDMA-Gehalts in Ecstasy-Tabletten zu verzeichnen ist. Der Reinheitsgrad von Heroin ist 2013 ebenfalls gestiegen. Technische Innovation und Wettbewerb sind zwei Faktoren, die aller Wahrscheinlichkeit nach für diesen Trend verantwortlich sind.
Hervorgehoben werden Bedenken angesichts von Ecstasy-Tabletten mit hohem MDMA-Gehalt, die oft in individuellen Formen und mit markanten Logos angeboten werden. Im Laufe des vergangenen Jahres haben die EMCDDA und Europol Warnmitteilungen zu Gesundheitsrisiken im Zusammenhang mit dem Konsum derartiger Produkte herausgegeben. Weitere Warnmitteilungen, die nach einer Reihe von Todesfällen herausgegeben wurden, betrafen Tabletten, die als Ecstasy verkauft wurden, aber andere schädliche Substanzen wie PMMA enthielten.
Zwei „neue Drogen“ pro Woche entdeckt
Pro Woche wurden in den letzten zwölf Monaten in der EU zwei neue psychoaktive Substanzen (NPS oder „neue Drogen“, häufig als „Legal Highs“ verkauft) entdeckt. Insgesamt wurden dem EU-Frühwarnsystem im Jahr 2014 101 neue Substanzen gemeldet (gegenüber 81 Substanzen im Jahr 2013). Damit setzte sich der Aufwärtstrend bei Substanzen, die innerhalb eines einzelnen Jahres gemeldet wurden, fort. Die Gesamtzahl von Substanzen, die von der Beobachtungsstelle überwacht werden, steigt so auf über 450, wobei mehr als die Hälfte allein in den zurückliegenden drei Jahren identifiziert wurde.
Im Jahr 2014 wurde die Liste der gemeldeten Substanzen einmal mehr von zwei Gruppen dominiert: von synthetischen Cathinonen (31 Substanzen) und synthetischen Cannabinoiden (30 Substanzen), die jeweils häufig als legaler Ersatz für Stimulanzien bzw. Cannabis angeboten werden. Diese beiden Gruppen sind die größten der über das EU-Frühwarnsystem beobachteten Gruppen und machen zusammen fast zwei Drittel der im Jahr 2014 gemeldeten neuen Drogen aus. Neue Daten zu Sicherstellungen zeigen, dass im Jahr 2013 in der EU etwa 35.000 Sicherstellungen von NPS gemeldet wurden. Diese Zahl ist in Ermangelung von routinemäßigen Meldungen in diesem Bereich als Mindestschätzung anzusehen. Die am häufigsten sichergestellten Drogen waren synthetische Cannabinoide und synthetische Cathinone.
Neue Studien und Erhebungen gewähren zunehmend Einblicke in den Konsum von NPS, wobei neun Länder die NPS-Prävalenz mittlerweile in ihre nationalen Drogenerhebungen aufgenommen haben. Die meisten EU-Länder weisen eine niedrige Prävalenz des Konsums dieser Substanzen auf. Allerdings kann aufgrund der hochtoxischen Eigenschaften einiger NPS auch ein begrenzter Konsum dieser Substanzen problematisch sein. Die gesundheits- und sozialpolitischen Maßnahmen zur Bewältigung der durch neue Drogen entstehenden Herausforderungen gewinnen an Dynamik und umfassen das gesamte Spektrum an Maßnahmen zur Bekämpfung der stärker etablierten Drogen (z. B. Aufklärungsarbeit, internetbasierte Interventionen und Nadel- und Spritzenaustauschprogramme).
Das Internet und Apps: Entwicklung eines virtuellen Drogenmarkts
Das Internet spielt beim Nachschub und der Vermarktung von Drogen in Europa eine immer wichtigere Rolle. So werden sowohl NPS als auch etablierte Drogen online zum Kauf angeboten. Die Nutzung des über die einschlägigen Suchmaschinen zugänglichen „Surface Web“ zum Verkauf von NPS hat in den letzten zehn Jahren größere Aufmerksamkeit erfahren. So identifizierte die EMCDDA rund 650 Websites, auf der „Legal Highs“ für die europäische Kundschaft angeboten werden. Eine problematische Entwicklung auf dem Online-Markt ist der Verkauf illegaler Drogen auf „Kryptomärkten“ oder auf Online-Marktplätzen im „Deep Web“, die über Verschlüsselungssoftware zugänglich sind. Auf derartigen Plattformen können Waren und Dienstleistungen anonym zwischen den Parteien ausgetauscht werden. Dabei werden häufig „Kryptowährungen“ (z. B. Bitcoin) eingesetzt, um verborgene Transaktionen zu erleichtern. So genannte „graue Märkte“ sind ebenfalls zunehmend zu finden. Hierbei handelt es sich um Websites, die sowohl im „Surface Web“ als auch im „Deep Web“ betrieben werden. Im Bericht wird erläutert, wie soziale Medien und Apps bei derartigen Drogengeschäften eingesetzt werden – entweder direkt zum Kaufen und Verkaufen von Drogen oder indirekt zu Zwecken des Marketings, der Meinungsbildung oder des Erfahrungsaustausches.
„Insgesamt stellt das Wachstum der Online- und virtuellen Drogenmärkte Strafverfolgung und Drogenkontrollpolitik vor große Herausforderungen“, lautet eine zentrale Aussage des Berichts. Bestehende Regulierungsmodelle müssten angepasst werden, um in einem globalen und virtuellen Kontext zu funktionieren.
João Goulão, Vorsitzender des Verwaltungsrates der EMCDDA, zieht folgendes Fazit: „Diese 20. Analyse der europäischen Drogenproblematik macht deutlich, wie viel sich seit der Veröffentlichung des ersten Berichts der EMCDDA im Jahr 1996 geändert und wie sehr die Beobachtungsstelle ihre Kenntnisse in diesem Bereich vertieft hat. Die Drogenproblematik ist inzwischen weitaus komplexer, da viele der in diesem Bericht genannten Substanzen vor zwei Jahrzehnten praktisch unbekannt waren. Die Grenzen zwischen alten und neuen Drogen verschwimmen ebenfalls immer mehr, da neuartige Substanzen zunehmend kontrollierte Drogen nachahmen. Dieser jährliche Einblick in die Drogenproblematik in Europa bildet eine wertvolle Grundlage für fundierte Diskussionen über die aktuelle Drogenpolitik. Außerdem vermittelt er wichtige Erkenntnisse im Hinblick auf politische Strategien, die in der Zukunft benötigt werden.“
Das vollständige Informationspaket „Europäischer Drogenbericht 2015“ ist erhältlich unter www.emcdda.europa.eu/edr2015.