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  • Substanzkonsum geflüchteter Menschen

    Substanzkonsum geflüchteter Menschen

    Dr. Simone Penka
    Panagiotis Stylianopoulos
    Laura Hertner

    Dass geflüchtete Menschen Suchtmittel konsumieren, ist anzunehmen. Dennoch wissen wir wenig über die Art der konsumierten Substanzen, über Konsummuster oder -motivationen. Insgesamt gibt es international wenig Daten zum Substanzkonsum von geflüchteten Menschen. Studien, wie beispielsweise zusammengefasst in dem systematischen Review von Horyniak et al. (2016) oder Lo et al. (2017), weisen jedoch auf eine erhebliche Heterogenität in den Mustern sowie Prävalenzraten des Suchtmittelkonsums hin.

    Eine bisher häufige Annahme ist, dass geflüchtete Menschen aus Abstinenz-orientierten Herkunftsregionen aufgrund kultureller und religiöser Faktoren weniger Substanzen konsumieren als die europäische Bevölkerung, die u. a. einen sehr liberalen Umgang mit Alkohol pflegt (z. B. Salas-Wright & Schwartz, 2019). Im Kontrast hierzu steht die Annahme, dass eine – durch zahlreiche Studien erwiesene – erhöhte Prävalenz von Traumafolgestörungen bei geflüchteten Menschen auch eine erhöhte Prävalenz von Suchterkrankungen als komorbide psychische Erkrankung bedingt (Horyniak et al., 2016; Vaughn et al., 2015; Weaver & Roberts, 2010; Lindert et al., 2021). Letztere Annahme bildet sich allerdings in der Praxis nicht in der Inanspruchnahme von Einrichtungen der Suchthilfe ab. Aus der Wissenschaft wissen wir, dass geflüchtete Menschen, aber auch Menschen mit Migrationshintergrund, aufgrund kultureller, ökonomischer und rechtlicher Gründe als schwer erreichbar für suchtspezifische Versorgungsangebote zu betrachten sind (Penka et al., 2008). Verschiedene Studien deuten darauf hin, dass Menschen mit Migrationshintergrund deshalb in Einrichtungen der Suchthilfe unterrepräsentiert sind (Kimil, 2016; Rommel & Köppen, 2014; Schwarzkopf et al., 2021). Für geflüchtete Menschen im Spezifischen liegen hierzu bislang keine Daten vor.

    Um Suchthilfeangebote und Prävention für geflüchtete Menschen zu gestalten und bedarfsadäquat auszurichten, scheint vor allem ein tiefgreifendes Verständnis für Konsummotive und Faktoren, die den Substanzkonsum beeinflussen, notwendig. Das Teilprojekt „Erfassung des Substanzkonsums und Prinzipien guter Praxis bei Hilfsangeboten“ des durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsverbundes PREPARE (Prevention and Treatment of Substance Use Disorders in Refugees)* liefert nach drei Jahren Laufzeit hierzu Anknüpfungspunkte. Dieser Artikel präsentiert aus dem Teilprojekt „Erfassung des Substanzkonsums und Prinzipien guter Praxis bei Hilfsangeboten“ gewonnene Erkenntnisse zum Substanzkonsum geflüchteter Menschen und zu einer passgenaueren Versorgung durch das Suchthilfesystem. Die Ergebnisse geben Aufschluss über die von geflüchteten Menschen konsumierten Substanzen, über Konsummuster sowie Substanzkonsum fördernde Faktoren. Darüber hinaus werden 39 Strategien „Guter Praxis“ skizziert, mit deren Hilfe Einrichtungen der Suchthilfe für geflüchtete Menschen zugänglicher werden können und eine gute Versorgung gewährleistet werden kann.

    Wer konsumiert welche Substanzen?

    Im Rahmen von PREPARE wurden zwischen 2019 und 2021 an acht Standorten – Berlin, Bremen, Frankfurt (Main), Hamburg, Hannover, Köln, Leipzig und München – 108 semistrukturierte Interviews sowie 218 strukturierte Befragungen mit Schlüsselpersonen der lokalen Sucht- und Geflüchtetenhilfe sowie weiteren Personen durchgeführt. Die gesammelten Erkenntnisse wurden anschließend in zehn Fokusgruppen diskutiert. Leitfragen der Interviews und Befragungen waren: Wer konsumiert Substanzen in besonders auffälliger Art und Weise? Welche Substanzen werden konsumiert? Welche Probleme treten im Zusammenhang bzw. in Folge von Substanzgebrauch auf? Welche Faktoren beeinflussen den Substanzgebrauch? Die Schlüsselpersonen waren aufgefordert, sich vor allem auf geflüchtete Menschen zu beziehen, die seit 2015 in Deutschland angekommen waren. Im entsprechenden Zeitraum waren in Summe Syrien, Afghanistan und Irak die Hauptherkunftsländer von Menschen, die einen Erstantrag auf Asyl in Deutschland gestellt hatten (bpb, 2022).

    Es zeigte sich deutlich, dass es vor allem geflüchtete junge Männer sind, die in puncto Substanzkonsum auffallen. Dies muss vor dem Hintergrund interpretiert werden, dass junge Männer gemäß den Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in den Jahren 2015 bis 2020 die größte Gruppe unter den Asylantragstellenden in Deutschland ausmachten (bpb, 2022). Über den Substanzkonsum von Frauen wurde vergleichsweise wenig berichtet. Es bleibt unklar, ob und in welchem Ausmaß der Suchtmittelkonsum von geflüchteten Frauen ungesehen bleibt, z. B. aufgrund der konsumierten Substanzen oder der gesellschaftlichen Rollenbilder. Schlüsselpersonen betonen in ihren Berichten häufig, dass der Konsum geflüchteter Frauen landläufig weit unterschätzt wird.

    Interessanterweise zeigen unsere Daten, dass geflüchtete Menschen nicht auf einzelne bestimmte Substanzen zurückgreifen, die ihnen beispielsweise aus den Herkunftsländern vertraut sind, sondern dass die lokale Verfügbarkeit bzw. die Verfügbarkeit innerhalb der eigenen Peergroup die Art der konsumierten Substanz(en) bzw. die Konsummuster bedingt. Somit sind Alkohol und Cannabis den Befragungen zufolge die am häufigsten konsumierten Substanzen. Aber auch Medikamente, Heroin und – v. a. in Leipzig und dem Umland – Amphetamine werden konsumiert.

    Häufig wird die Frage gestellt, ob geflüchtete Menschen bereits in den Herkunftsländern Suchtmittel konsumiert haben und der aktuelle Substanzkonsum eine Kontinuität bereits bestehender Abhängigkeiten darstellt. Viele Fachkräfte konnten hierzu keine Angaben machen. Da viele geflüchtete Menschen sehr jung in Europa ankommen, ist neben der Betrachtung der individuellen Konsumbiografie die Betrachtung der substanz- bzw. konsumbezogenen Normen im Herkunftskontext überaus zentral. Selbst wenn, z. B. aufgrund des jungen Alters, in den Herkunftsländern noch nicht selbst konsumiert wurde, sind die dortigen gesellschaftlichen Haltungen rund um Suchterkrankungen, Substanzkonsum und Suchtmittel prägend. Unterschiede zwischen den gesellschaftlichen Haltungen im hiesigen und dem Herkunftskontext bedingen Konsequenzen, beispielsweise für die individuelle Konsumkompetenz.

    So verdient gerade der Alkoholkonsum geflüchteter Menschen als ein Beispiel dieses Zusammenspiels eine intensivere Betrachtung: Die hohe Verfügbarkeit, Erschwinglichkeit und die ausgeprägte gesellschaftlicher Akzeptanz von Alkohol in Deutschland kann bei Menschen, die in Bezug auf Alkohol in restriktiven Kontexten sozialisiert wurden, den Anschein von Harmlosigkeit erwecken. Extrem riskanter Alkoholkonsum ist die Folge.

    Welche Faktoren fördern den Substanzkonsum geflüchteter Menschen?

    Das mit Abstand am häufigste benannte Konsummotiv geflüchteter Menschen ist Selbstregulierung bei psychischen Belastungen – sich zu betäuben, zu vergessen, sich davon abzulenken, einfach mal abzuschalten. Diese psychischen Belastungen sind häufig bedingt durch migrationsbezogene Faktoren. Auf einige besonders relevante Faktoren, die den Substanzkonsum geflüchteter Menschen fördern, werden wir im Folgenden eingehen.

    Es zeichnet sich in unseren Daten deutlich ab, dass ein Leben in Deutschland ohne Familie, Partner:in und/oder Kinder konsumfördernd wirkt. Dabei ist ein zweiteiliger Mechanismus zu beobachten: Erstens stellen die Einsamkeit und das Vermissen der zurückgelassenen geliebten Menschen sowie die Sorge um deren (Über)Leben eine besondere psychische Belastung dar, die durch Substanzkonsum vermeintlich aushaltbarer wird. Zweitens bietet das Fehlen „sozialer Kontrolle“, von Struktur und Verantwortung innerhalb von Familienverbünden ein Einfallstor dafür, Verhaltensweisen, die im Herkunftsland nicht zu rechtfertigen gewesen wären, auszuprobieren bzw. im schlimmsten Fall die Kontrolle darüber zu verlieren. Gerade bei geflüchteten Frauen scheint sich dieser Effekt stark auf die Art der konsumierten Substanz und die Maßlosigkeit des Konsums auszuwirken: Frauen mit Kindern konsumieren den befragten Schlüsselpersonen zufolge in der Regel ausschließlich und oftmals unauffällig Medikamente, wohingegen Frauen (inklusive Transfrauen) ohne Familien bzw. Kinder durch exzessiven Alkohol-, Cannabis- und Kokainkonsum auffallen.

    Ähnlich wie bei anderen Personengruppen bietet Substanzkonsum auch geflüchteten Menschen eine Möglichkeit, sich mit einer sozialen Gruppe zu identifizieren und ein Gefühl erlebter Zugehörigkeit zu schaffen. Den Berichten der Schlüsselpersonen zufolge scheint bei geflüchteten Menschen dieser Aspekt von besonderer Relevanz zu sein, da zum einen soziale Beziehungen durch die Fluchtmigration erschüttert werden, zum anderen das Leben in Deutschland allzu häufig ein Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit, des sozialen Ausschlusses und diskriminierender Erfahrungen mit sich bringt. Somit ist es wenig überraschend, dass sich beispielsweise geflüchtete Jugendliche den alterstypischen Konsummustern anschließen und Alkohol und Cannabis konsumieren.

    Auch die Wohnsituation bzw. das sozial-räumliche Wohnumfeld geflüchteter Menschen scheint ein Suchmittelkonsum fördernder Faktor zu sein. Neben allseits bekannten Stressoren des Lebens in Gemeinschaftsunterkünften – in erster Linie wenig Privatsphäre sowie Autonomie –, die vermeintlich über Substanzkonsum reguliert werden können, ist von einer hohen Verfügbarkeit von Suchtmitteln innerhalb dieser Unterkünfte auszugehen. Vielfach wurde von befragten Schlüsselpersonen berichtet, dass gerade unter Mitbewohner:innen Konsumempfehlungen im Sinne von Erfahrungsberichten ausgesprochen werden: „Du bist ja so traurig, du hast ja so Stress. Komm rauch mal!“ (Originalzitat)

    Weitere zentrale Faktoren, die sich fördernd auf den Substanzkonsum auswirken, scheinen fehlende Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten zu sein. Für viele bedeutet die Ankunft in Deutschland weniger ein Ankommen als ein Warten, ein Bangen um den Aufenthaltsstatus und letztlich oftmals eine erlebte Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit. Die hieraus resultierende induzierte psychische Belastung, Überforderung und Enttäuschung über die Situation in Deutschland scheinen maßgeblich Substanzkonsum zu fördern.

    In diesem Zusammenhang ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass sich Perspektiven und Möglichkeiten geflüchteter Menschen in Deutschland je nach Herkunftsland unterscheiden. Der Effekt von herkunftsabhängigen Perspektiven in Deutschland führt scheinbar zu einem schädlicheren Konsum von Suchtmitteln in manchen Subgruppen im Vergleich zu anderen. Eine mangelnde Arbeitserlaubnis bzw. etwaige Barrieren des Arbeitsmarktes resultieren in nur wenigen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Beschäftigung. Mögliche Folgen sind Langeweile und – da Substanzkonsum u. a. das Erleben von Zeit verändert – in der Konsequenz der Konsum von Suchtmitteln. Hierzu ein zusammenfassendes Zitat: „Also die wissen, das [Substanzkonsum] ist dreckig, aber dreckiger als die Situation, in der sie sich befinden, ist das gar nicht.

    Strategien „Guter Praxis“ zum Erreichen und Versorgen geflüchteter Menschen

    Im Rahmen unserer Erhebungen wurde deutlich, dass Einrichtungen der Suchthilfe selten, und insbesondere in ländlichen Regionen kaum Kontakt zu geflüchteten Menschen haben. Mitarbeitende von Suchthilfeeinrichtungen lehnten Interviewanfragen sehr häufig ab, da sie über zu wenig Kontakt und Wissen zu der Zielgruppe verfügten. In der Folge gab der Großteil der interviewten Schlüsselpersonen an, im Bereich der Geflüchtetenhilfe zu arbeiten. Diese berichteten von gescheiterten Bemühungen, Konsument:innen in die lokalen Suchthilfeeinrichtungen zu vermitteln. Hierbei wurden Barrieren benannt, die aus der Literatur über Zugangsbarrieren in Bezug auf verschiedene psychosoziale, psychotherapeutische und psychiatrische Einrichtungen bereits bekannt sind, wie beispielsweise Sprachbarrieren oder die Angst vor Stigmatisierung (z. B. Byrow et al., 2020; Straßmayr et al., 2012). Beim Konsums illegalisierter Substanzen kommen Ängste vor rechtlichen und im schlimmsten Fall aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen hinzu (Greene et al., 2021). Um die suchtspezifische Versorgungssituation von geflüchteten Menschen systematisch zu verbessern, wurden im Rahmen der Studie Lösungsansätze identifiziert. Ein Delphi-Prozess mit 22 Expert:innen resultierte in 39 Strategien „Guter Praxis“. Eine Handreichung, die alle Strategien umfasst, aufgeteilt auf neun Themenfelder, steht online zur Verfügung (Hertner, Panagiotis & Penka, 2022).

    Die Handreichung enthält Strategien, die auf die benannten strukturellen Aspekte und migrationsbezogenen Stressoren sowie auf Rechte zur Inanspruchnahme verschiedener Gesundheitsdienste Bezug nehmen (z. B. Reduktion strukturell suchtfördernder bzw. aufrechterhaltender Faktoren). Daneben werden einige grundlegende Ansprüche an das Versorgungssystem der Suchthilfe adressiert, wie z. B. die Gewährleistung einer Beständigkeit von Angeboten vor allem durch dauerhafte Finanzierung. Diese Strategien sind im Sinne der strukturorientierten Verhältnisprävention zwar wichtig, liegen aber außerhalb des direkten Einflussbereiches der Einrichtungen. Politische Schritte hierfür sind gefragt. 33 der 39 Strategien bieten hingegen konkrete Anknüpfungspunkte für Einrichtungen der Suchthilfe. Exemplarisch werden einige Strategien an dieser Stelle angeführt.

    Eine Vielzahl an Strategien fokussiert auf Ansätze zur Überwindung von Sprachbarrieren. Die hohe Sprachenvielfalt unter geflüchteten Menschen lässt sich nicht über muttersprachliches Personal alleine abdecken. Daher bietet sich der Einsatz von Sprachmittler:innen an. Damit die Versorgung mit Sprachmittler:innen gelingt, sollten folgende Faktoren erfüllt sein:

    a) Gewährleistung der Finanzierung, z. B. durch Berücksichtigung etwaiger Kosten in Förderungsanträgen und Budgets,
    b) niedrigschwellige und schnelle Verfügbarkeit, z. B. auch durch sprachmittelnde Telefon- oder Videodienstleistende, sowie
    c) Professionalität, die gerade im Suchtbereich gewährleistet, dass korrekt und ohne persönliche Wertung übersetzt wird.

    Leicht umzusetzen ist die mehrsprachige Übersetzung von schriftlichen Dokumenten in den Einrichtungen, z. B. Datenschutzerklärungen, Behandlungsvereinbarungen.

    Als Grundvoraussetzung für eine bedarfsadäquate Versorgung geflüchteter Menschen zeichnet sich in den Strategien das gemeinsame Handeln von Sucht- und Geflüchtetenhilfe ab. Es finden sich in der Handreichung einige Strategien „Guter Praxis“ zur zielgerichteten Netzwerkarbeit dieser beiden Arbeitsbereiche.

    Darüber hinaus ist auch ein Wissensaustausch zwischen den beiden Bereichen zu implementieren. Einerseits gilt es, Akteure der Geflüchtetenhilfe für Suchtthemen zu sensibilisieren, Unsicherheiten im Umgang mit Substanzen und Sucht abzubauen und eine eigene reflektierte Haltung gegenüber Konsum und Konsumierenden zu entwickeln. Dadurch können Mitarbeitende der Geflüchtetenhilfe frühzeitig problematischen Suchtmittelkonsum erkennen und mit dem Wissen über verfügbare Angebote der Suchthilfe dorthin vermitteln. Vice versa sollten auch Fachkräfte der Suchthilfe zur Lebenssituation geflüchteter Menschen und deren sozio-politischen Rahmenbedingungen informiert und regelmäßig geschult werden, z. B. in Bezug auf asyl- und aufenthaltsrechtliche Aspekte, Familiennachzug, Regelungen zu Kostenübernahmen und Zuständigkeiten von Kostenträgern. Keinesfalls geht es dabei darum, dass Fachkräfte die Aufgaben des jeweils anderen Arbeitsbereichs übernehmen sollen, sondern lediglich um eine Sensibilisierung für eine spezielle Lebenssituation und die Kenntnis von adäquaten Unterstützungsangeboten. Im Rahmen des Forschungsprojektes wurde mehr als deutlich, dass der Grad der Vernetzung zwischen Sucht- und Geflüchtetenhilfe ausschlaggebend ist für die Versorgungssituation geflüchteter Menschen vor Ort.

    Neben der sprachlichen Verständigung und der Netzwerkarbeit kommt auch der Haltung von Suchthilfe-Mitarbeitenden eine große Bedeutung zu. Ideal ist eine transkulturelle Kompetenz im Sinne von diskriminierungsfreier Haltung und Selbstreflexion im Umgang mit geflüchteten Klient:innen. Wichtig ist es, geflüchteten Menschen mit einer offenen, neugierigen und fragenden Haltung auf Augenhöhe, anstatt mit Vorurteilen und Wertung, zu begegnen.

    Darüber hinaus sollten geflüchtete Menschen für Themen rund um Substanzkonsum und Suchterkrankungen sensibilisiert und über die ausdifferenzierten Unterstützungsangebote in ihrer Region informiert werden. Die Strategien „Guter Praxis“ schlagen diesbezüglich vor, Präventions- und Aufklärungsangebote an Orten durchzuführen, an denen sich geflüchtete Menschen aufhalten. Damit sind nicht nur interaktive, mehrsprachige Infoveranstaltungen in Gemeinschaftsunterkünften gemeint, sondern auch das Einbringen von Themen rund um Substanzen und Suchterkrankungen in z. B. Deutsch- und Integrationskursen, Selbsthilfegruppen oder sozialen Medien. Zum Informieren und Aufklären über Substanzen und deren Risiken liegen bereits viele Materialien in diversen Sprachen vor, die hierfür genutzt werden können (z. B. von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen).

    Beispielhaft haben wir einige Einrichtungen der Suchthilfe zusammengestellt, die verschiedene Strategien „Guter Praxis“ bereits umsetzen und geflüchtete Menschen gut erreichen und versorgen. Die Kollektion der Projektsteckbriefe, die als Inspiration für andere Einrichtungen dienen kann, kann hier heruntergeladen werden.

    Ausblick

    Die dargestellten Ergebnisse unseres Teilprojektes des PREPARE-Forschungsverbundes zeigen deutlich, dass bisherige Ansätze der Suchtprävention, die im Sinne einer Verhaltensprävention auf Individuen, deren Wissen rund um die Themen Konsum und Sucht sowie auf Versorgungsstrukturen der Suchhilfe fokussieren, unzulänglich sind. Eine Erweiterung um Ansätze strukturorientierter Verhältnisprävention ist wichtig, um den Einfluss von Faktoren, die die Vulnerabilität strukturell erhöhen, einzudämmen. Dabei sind insbesondere die Themenfelder Unterbringung, Ungewissheit über Bleibeperspektiven, Möglichkeiten der Erwerbstätigkeit sowie Nutzungsrechte von Gesundheitsdiensten von Relevanz.

    Zudem zeigen die Ergebnisse, dass Angebote der Suchthilfe vielerorts nicht genügend auf die speziellen Bedürfnisse geflüchteter Menschen (z. B. Sprachmittlung, Niedrigschwelligkeit) zugeschnitten sind und geflüchtete Konsument:innen häufig nicht in Einrichtungen der Suchthilfe ankommen bzw. dort nicht dauerhaft angebunden werden. Oftmals sind die Mitarbeitenden der Unterkünfte somit die einzigen Fachkräfte, zu denen längerfristiger Kontakt besteht.

    Das Thema Substanzkonsum unter geflüchteten Menschen sollte bundesweit Berücksichtigung finden. Unter anderem deshalb bewerten wir es als vorbildlich, wie im Rahmen aktueller Fluchtbewegungen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine für bestimmte Personenkreise von aus der Ukraine geflüchteten Menschen unbürokratisch aufenthaltsrechtliche und auch arbeitsrechtliche Ausnahmeregelungen geschaffen wurden (vgl. BAMF, 2022). Es ist davon auszugehen, dass sich diese Rahmenbedingungen auch auf die psychische Gesundheit positiv auswirken und damit eine Anfälligkeit für problematischen Substanzkonsum geringer ausfallen könnte als bei geflüchteten Menschen aus anderen Herkunftsländern wie beispielsweise Afghanistan, Irak oder auch Syrien.

    Ebenfalls zeigt das dynamische Migrationsgeschehen, wie wichtig es ist, bestehende Angebote der Suchthilfe für alle Menschen zu öffnen. Insbesondere der Einsatz von Sprachmittler:innen ermöglicht es, flexibel mit Menschen unterschiedlichster Sprachkompetenzen umzugehen. Auch der Ansatz von transkultureller Kompetenz als selbstreflexive und fragende Haltung trägt zu einer Offenheit für alle zugewanderten Menschen bei – mehr als das Erlernen vermeintlichen Wissens über Herkunftsregionen und deren „Kultur“ (Steinhäuser et al., 2021).

    Darüber hinaus sind Vernetzungen zwischen Sucht- und Geflüchtetenhilfe sowie ein stetiger Wissensaustausch zwischen diesen Arbeitsbereichen unabdingbar, um für geflüchtete Konsument:innen einen Zugang zu Hilfen und eine bedarfsadäquate Versorgung zu gewährleisten. Die Strategien „Guter Praxis“ sowie die Kollektion „Praxisbeispiele“ bieten Fachkräften der Suchthilfe sowie Einrichtungsleitungen Inspiration, wie eine gute Vernetzung und interdisziplinäres Arbeiten mit dieser Zielgruppe gut gelingen können.

     *) Der Forschungsverbund PREPARE besteht insgesamt aus vier Teilprojekten. So wurde in einem Teilprojekt eine App (BePrepared) entwickelt, die im Rahmen einer Kurzintervention problematischen Alkohol- und Cannabiskonsum reduzieren soll. Ein anderes Teilprojekt bietet an verschiedenen Standorten auch derzeit weiterlaufend Affektregulations-Trainings in Gruppen für geflüchtete Menschen mit riskantem Suchtmittelkonsum oder einer Suchterkrankung an. Weitere Informationen:

    https://www.sucht-und-flucht.de/forschung/prepare-forschungsverbund

    https://www.mentalhealth4refugees.de/de/prepare

    Kontakt:

    Laura Hertner
    AG transkulturelle Psychiatrie, Charité Universitätsmedizin Berlin
    laura.hertner(at)charite.de

    Angaben zu den Autor:innen:

    Laura Hertner ist Psychologin und promoviert an der Charité – Universitätsmedizin Berlin zum Thema Substanzkonsum geflüchteter Menschen.
    Panagiotis Stylianopoulos befindet sich in der Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten und promoviert ebenfalls an der Charité.
    Dr. Simone Penka leitet als Ethnologin und Erziehungswissenschaftlerin in Berlin TransVer –Ressourcen-Netzwerk zur interkulturellen Öffnung (www.transver-berlin.de).

    Literatur:
    • Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) (2022). FAQ zur Einreise aus der Ukraine und dem Aufenthalt in Deutschland. Verfügbar unter https://www.bamf.de/DE/Themen/AsylFluechtlingsschutz/ResettlementRelocation/InformationenEinreiseUkraine/_documents/ukraine-faq-de.html
    • Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) (2022). Demografie von Asylsuchenden in Deutschland. Verfügbar unter https://www.bpb.de/themen/migration-integration/zahlen-zu-asyl/265710/demografie-von-asylsuchenden-in-deutschland/
    • Byrow, Y., Pajak, R., Specker, P. & Nickerson, A. (2020). Perceptions of mental health and perceived barriers to mental health help-seeking amongst refugees: A systematic review. Clinical Psychology Review, 75, 101812.
    • Greene, M.C., Haddad, S., Busse, A., Ezard, N., Ventevogel, P., Demis, L., et al. (2021). Priorities for addressing substance use disorder in humanitarian settings. Conflict and Health, 15(1), 1-10.
    • Hertner, L., Stylianopoulos, P. & Penka, S. (2022). PREPARE – Teilprojekt 1: Kollektion „Praxisbeispiele“ der Versorgung geflüchteter Menschen in der Suchthilfe. Verfügbar unter www.sucht-und-flucht.de
    • Hertner, L., Stylianopoulos, P. & Penka, S. (2022). PREPARE – Teilprojekt 1: Handreichung Strategien „guter Praxis“ in der Suchthilfe – Erreichen und Versorgen Geflüchteter Menschen. Verfügbar unter www.sucht-und-flucht.de
    • Horyniak, D., Melo, J. S., Farrell, R. M., Ojeda, V. D. & Strathdee, S. A. (2016). Epidemiology of substance use among forced migrants: a global systematic review. PLoS one, 11(7), e0159134.
    • Kimil, A. (2016). Sucht und Migration – Ausgangslage, Herausforderungen und Anregungen für die Suchthilfe in Deutschland. Suchthilfe in kultureller Vielfalt (Vol. Infodienst 01/16, pp. 7–11). Berlin: Fachverband der Diakonie Deutschland.
    • Lindert, J., Neuendorf, U., Natan, M. & Schäfer, I. (2021). Escaping the past and living in the present: a qualitative exploration of substance use among Syrian male refugees in Germany. Conflict and Health, 15, 1-11.
    • Lo, J., Patel, P., Shultz, J.M., Ezard, N. & Roberts, B. (2017). A systematic review on harmful alcohol use among civilian populations affected by armed conflict in low- and middle-income countries. Substance Use and Misuse, 52(11), 1494–510.
    • Penka, S. et al. (2008) Explanatory models of addictive behaviour among native German, Russian-German and Turkish youth. European Psychiatry, 23 Suppl 1,36-42
    • Rommel, A. & Köppen, J. (2014). Migration und Suchthilfe – Inanspruchnahme von Leistungen durch Menschen mit Migrationshintergrund. Psychiatrische Praxis, Epub Oct 27.
    • Salas-Wright, C.P. & Schwartz, S.J. (2019). The study and prevention of alcohol and other drug misuse among migrants: Toward a transnational theory of cultural stress. International Journal of Mental Health and Addiction, 17(2), 346–69.
    • Schwarzkopf, L., Künzel, J., Murawski, M. & Specht, S. (2021). Suchthilfe in Deutschland 2020. Jahresbericht der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS). München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Steinhäuser, T., von Agris, A. S., Büssemeier, C., Schödwell, S., & Auckenthaler, A. (2021). Transkulturelle Kompetenz: Spezialkompetenz oder psychotherapeutische Kernkompetenz? Psychotherapeut, 66(1), 46-53.
    • Straßmayr, C. et al. (2012). Mental health care for irregular migrants in Europe: Barriers and how they are overcome. BMC Public Health, 12, 367.
    • Vaughn, M., Salas-Wright, C., Qian, Z., & Wang, J. (2015). Evidence of a ‘refugee paradox’ for antisocial behavior and violence in the United States. The Journal of Forensic Psychiatry and Psychology, pp. 624-631.
    • Weaver, H. & Roberts, B. (2010). Drinking and displacement: A systematic review of the influence of forced displacement on harmful alcohol use. Substance Use Misuse, 45, 2340-55.
  • Psychosoziale Belastungen und Suchtmittelkonsum von unbegleiteten minderjährigen Ausländer/innen

    Psychosoziale Belastungen und Suchtmittelkonsum von unbegleiteten minderjährigen Ausländer/innen

    David Schneider
    Dr. Dieter Kunz
    Sabine Köhler

    Kinder und Jugendliche, die jünger als 18 Jahre alt sind und ohne Eltern bzw. Erziehungsberechtigte in Deutschland einreisen, wurden zunächst „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ (umF) genannt. Seit 2015 wird der Begriff „unbegleitete minderjährige Ausländer/innen“ (umA) verwendet, das BAMF spricht von „unbegleiteten Minderjährigen“. Alle Bezeichnungen sind inhaltlich nicht zufriedenstellend. So vernachlässigt der Begriff „Ausländer/innen“, dass Jugendliche ihr Heimatland unfreiwillig verlassen haben und besonders schutzbedürftig sind. Die Bezeichnung „Flüchtling“ beinhaltet Verwechslungsgefahr mit dem asylrechtlichen Status. Unbegleitete minderjährige Ausländer/innen erhalten zunächst eine Duldung. Vielen der Flüchtlingsstatus nicht zuerkannt und eine Flucht ohne Eltern bedeutet weit mehr als eine fehlende „Begleitung“. 

    Diese Kinder und Jugendlichen werden durch das Jugendamt in Obhut genommen und erhalten Leistungen der Jugendhilfe (SGB VIII). Dem Mediendienst Integration zufolge habe das Bundesfamilienministerium auf Anfrage mitgeteilt, dass Anfang 2018 rund 28.500 unbegleitete Minderjährige und 25.500 junge Volljährige in der Zuständigkeit der Jugendhilfe waren. Die Zahl der jungen Volljährigen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, da viele Jugendliche im Verlauf der Jugendhilfemaßnahme volljährig geworden sind („junge volljährige Ausländer/innen“). Ein Verbleib in der Jugendhilfe ist über das 18. Lebensjahr hinaus bis maximal zum 21. Lebensjahr nach § 41 SGB VIII möglich, wenn besondere Gründe dafür vorliegen, der bzw. die Jugendliche dies beantragt und das Jugendamt diesem Antrag zustimmt.

    Im Wissen um die oben beschriebenen und weitere Kritikpunkte wird zur besseren Lesbarkeit dennoch im Folgenden die Abkürzung „umA“ benutzt bzw. von Jugendlichen gesprochen. Darin sind auch die über 18-Jährigen eingeschlossen.

    Die Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Ausländer/innen

    Bei denjenigen, die als umA in Deutschland ankommen, handelt es sich um eine sehr heterogene Gruppe. Die überwiegend männlichen Kinder und Jugendlichen kommen aus verschiedenen Ländern, der Großteil stammt derzeit aus Afghanistan und Syrien. Vor ihrer Flucht waren sie in unterschiedlichem Ausmaß Bedrohung, Gewalt, Verfolgung, Folter, Krieg/Bürgerkrieg usw. ausgesetzt. Es gibt nicht wenige Jugendliche, die von erlebten Entführungen und/oder Foltermethoden wie Scheinhinrichtungen, Elektroschocks oder Aufhängen an den Füßen berichten.

    UmA unterscheiden sich im Hinblick auf ihre Fluchtgründe, auf ihr Alter bei Beginn der Flucht, auf die Dauer der Flucht und deren Verlauf. Eine Flucht aus dem Sudan mit der Durchquerung der Sahara, einem Aufenthalt in Libyen und der Überquerung des Mittelmeers ist mit einer Vielzahl lebensbedrohlicher Situationen verbunden, meist auch mit anhaltender oder wiederholter schwerwiegender interpersoneller Gewalt – diese erleben sie selbst und/oder werden Zeuge davon, häufig auch von Todesfällen (z. B. Ertrinkende im Mittelmeer). UmA unterscheiden sich außerdem hinsichtlich ihrer Herkunftsfamilie, ihrer Familiensituation, der Schul- und beruflichen Ausbildung, ihrer Interessen und Kompetenzen etc. Vor diesem Hintergrund werden umA einerseits als besonders belastet, vulnerabel und schutzbedürftig beschrieben, andererseits als besonders resilient und flexibel.

    Für alle umA ist das Leben in Deutschland mit der Erfahrung verbunden, sich in einer bis dato fremden Kultur mit teilweise anderen Normen und Werten orientieren und zurechtfinden zu müssen. Dies verlangt das Erlernen einer neuen Sprache und etliche weitere gesellschaftliche, soziale und kulturelle Anpassungsleistungen (vgl. z. B. Eisbergmodell nach E. Hall in Müller & Gelbrich, 2014). Interkulturelle Schwierigkeiten und Akkulturationsstress (siehe auch Kulturschockmodell nach K. Oberg in Erll & Gymnich, 2013) sind die Regel, auch von Diskriminierungs­erfahrungen wird berichtet.

    Mehr oder weniger offensichtlich leiden umA unter dem Verlust wichtiger Bezugspersonen, vermissen die (Kern-)Familie und Freunde. Auch wenn mit Hilfe von Smartphones der Austausch leichter möglich ist als früher, bricht dieser häufig ab oder beinhaltet Nachrichten über den Tod von Verwandten, Freunden oder Nachbarn. Viele leiden unter Schuldgefühlen, selbst in Sicherheit zu sein. Hinzu kommt die Unmöglichkeit, die Trauerprozesse in der Familie mit zu vollziehen. Häufig besteht der Wunsch, die Familie zu unterstützen oder einen „Auftrag der Familie“ zu erfüllen.

    Im Gegensatz zur Idee, dass das Ankommen in Deutschland Sicherheit und Ruhe bedeutet, sind die Jugendlichen mit vielfältigen Unsicherheiten konfrontiert: Das Asyl- und Aufenthaltsrecht, die unterschiedlichen Aufenthaltstitel und die vielfachen Neuerungen und Veränderungen sind selbst bei verbessertem Sprachniveau kaum durchschaubar. Der unsichere Aufenthaltsstatus, das Warten auf die Anhörung und auf den Bescheid sowie eine prekäre soziale Situation und eine ungeklärte Zukunftsperspektive stellen weitere Belastungen dar.

    Der Schulbesuch ist mit zahlreichen Herausforderungen verbunden: Viele Jugendliche müssen eine neue Schrift und fast alle müssen die Sprache erlernen. Das deutsche Schul- und Ausbildungssystem mit seinen vielfältigen Wegen, das Verhalten der Lehrer/innen und  Schüler/innen und ihr Umgang miteinander, die Vermittlung des Unterrichtsgegenstands usw. unterscheiden sich von den Bedingungen im Herkunftsland und bergen vielfältige Anlässe für Missverständnisse. Häufig wird darauf bestanden, eine „richtige Schule“ besuchen zu können. Der Besuch der Regelschule ist aufgrund des Alters, der nicht ausreichenden Sprachkenntnisse und vielfach auch der Schulbildung oft nicht bzw. nicht sofort möglich. Zeitgleich haben umA Entwicklungsaufgaben zu bewältigen.

    Viele Jugendliche leiden unter Stress- und Trauma­folge­symptomen wie sich aufdrängenden unangenehmen Erinnerungen, Schlafstörungen sowie Kopf- und Bauchschmerzen, die die schulische und berufliche Entwicklung behindern. Zu beachten ist außerdem, dass u. a. Hoffnungslosigkeit, ein fehlendes Zugehörigkeitserleben, der Eindruck, anderen eine Last zu sein, und Schlafstörungen Risikofaktoren für Suizidalität sind (Teismann et al., 2016).

    Für diese psychischen Belastungen existieren wirksame Behandlungsmethoden, die z. T. adaptiert werden müssen (verändertes Setting aufgrund der Zusammenarbeit mit Dolmetscher/innen, unterschiedliche Krankheits- und Heilungskonzepte, kultursensibles Vorgehen, Auftreten aktueller Stressoren und kritischer Lebensereignisse infolge der Migration und der Situation im Heimatland usw.) Der Zugang zu psychiatrischer und psychotherapeutischer Versorgung ist erschwert, da viele Jugendliche entsprechende Behandlungsangebote vor dem Hintergrund kultureller Zuschreibungen (zunächst) ablehnen, aber auch, weil viele Behandler/innen der Zusammenarbeit mit Dolmetscher/innen und Kulturvermittler/innen zurückhaltend bis skeptisch gegenüber stehen.

    Das Zusammenleben mit anderen umA ist teils hilfreich (Verständigung in der Muttersprache, Erklärungen und Unterstützung durch die „Erfahreneren“), teils aber auch eine Herausforderung für jeden Einzelnen. Allein die unterschiedliche Bedeutung von Gesten in verschiedenen Ländern (Reker & Grosse, 2010) bietet vielfältige Möglichkeiten für Missverständnisse. Auch Jugendliche aus demselben Land unterscheiden sich oft im Hinblick auf ihre (religiöse) Einstellung und ihre Sozialisation. Dementsprechend ist die Ausübung von sozialem Druck nicht selten und stellt für die persönliche Weiterentwicklung mitunter ein Hemmnis dar. Die erlebten Anforderungen an Eigenständigkeit während der Flucht erschweren mitunter das Einhalten der in den Jugendhilfeeinrichtungen geltenden Routinen und Regeln und andere Anpassungsleistungen.

    Explorative Untersuchung des Vereins Jugendberatung und Jugendhilfe

    Um Hinweise auf konkrete psychosoziale Belastungen, den Suchtmittelkonsum und die Ressourcen von unbegleiteten minderjährigen und jungen volljährigen Ausländer/innen zu erhalten, führte der Verein Jugendberatung und Jugendhilfe (JJ) eine explorative Untersuchung durch. Befragt wurden 140 Klienten/innen und ihre Bezugsbetreuer/innen in den eigenen stationären Jugendhilfeeinrichtungen. Der Verein bietet neben Jugend- und Suchtberatung, Betreutem Wohnen, Rehabilitation und Pflege auch Hilfen für Bildung und Erziehung sowie ambulante und stationäre Jugendhilfe an. In mehreren Einrichtungen besteht ein vollstationäres pädagogisches Betreuungsangebot auf der Grundlage des SGB VIII, Hilfen zur Erziehung gem. §§ 27, 34, auch in Verbindung mit §§ 35a, 41 und 42.

    Die Erkenntnisse der Befragung sollen dazu genutzt werden, die Betreuungs- und Behandlungsangebote für junge Ausländer/innen mit Fluchthintergrund pass- und zielgenau weiterzuentwickeln. Die Ergebnisse werden im Folgenden vorgestellt.

    Folgende Einrichtungen des Vereins waren an der vorliegenden Untersuchung beteiligt (Tab. 1):

    Tab. 1: Beteiligte Einrichtungen

    Methodik

    Stichprobe und Einschlusskriterien

    Zwischen dem 14. und 25. August 2017 wurden in den oben aufgelisteten stationären Jugendhilfeeinrichtungen insgesamt 140 Klienten/innen und ihre Bezugsbetreuer/innen befragt. Es handelt sich um eine Vollerhebung, es gab keine Ausschlusskriterien. 

    Messinstrumente

    Folgende Messinstrumente wurden eingesetzt:

    • ein selbst entwickeltes Fremdbeurteilungsinstrument zur Erfassung der Belastungen und des Suchtmittelkonsums der Jugendlichen, das von dem/der zuständigen Bezugsbetreuer/in auszufüllen war,
    • deutsche Version und Übersetzung (in die jeweilige Muttersprache) des SDQ (Strengths and Difficulties Questionnaire; Goodman, 2005). Dieser Fragebogen zu emotionalen und verhaltensspezifischen Stärken und Schwächen wurde von der/dem Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen bearbeitet. Subskalen: Emotionale Probleme, externalisierende Verhaltensauffälligkeiten, Hyperaktivität, Probleme mit Gleichaltrigen, Prosoziales Verhalten.

    Ergebnisse

    Das Datenmaterial besteht aus den Angaben der Bezugsbetreuer/innen zu 140 von ihnen betreuten unbegleiteten minderjährigen und jungen volljährigen Ausländer/innen.

    Soziodemographische Daten

    Die betreuten Jugendlichen sind im Alter von 13 bis 21 Jahren. Davon sind 95 Prozent männlich und fünf Prozent weiblich. 82,1 Prozent der umA sind zwischen 16 und 18 Jahre alt, zehn Prozent sind zum Erhebungszeitpunkt volljährig, und 7,9 Prozent sind jünger als 16 Jahre.

    Herkunft und Aufenthalt in Deutschland

    Ein Großteil der umA kommt ursprünglich aus Afghanistan (54,3 Prozent), gefolgt von Syrien (17,1 Prozent) und Eritrea (6,4 Prozent). Weitere Herkunftsländer sind Äthiopien (2,9 Prozent), Guinea (3,6 Prozent), Iran (2,1 Prozent), Myanmar (2,1 Prozent), Pakistan (2,1 Prozent), Somalia (2,9 Prozent) und weitere Länder (6,3 Prozent). 22 Prozent der Jugendlichen leben kürzer als ein Jahr in Deutschland, 56 Prozent seit einem bis zwei Jahren und 22 Prozent seit über zwei Jahren.

    Flucht

    Die Fluchtdauer der Jugendlichen variiert. Die meisten (58,2  Prozent) waren länger als einen Monat, 15,7 Prozent über sechs Monate und sechs Prozent über ein Jahr auf der Flucht. Bei etwas mehr als 20 Prozent der Jugendlichen dauerte die Flucht weniger als einen Monat (s. Abb. 1).

    Abb. 1: Fluchtdauer (Angabe in Prozent)

    Der Anteil der Jugendlichen, die auf dem Landweg geflüchtet sind, beträgt 39,7 Prozent. 51,5 Prozent flüchteten mit dem Boot und auf dem Landweg, 8,5 Prozent kamen per Flugzeug nach Deutschland. 

    Lebensbedrohung

    Die Fachkräfte geben an, dass für 81,2 Prozent der Jugendlichen eine Lebensbedrohung im Heimatland und/oder auf der Flucht bestand. In 63,9 Prozent der Fälle gibt es zusätzlich zu den Schilderungen der Jugendlichen weitere Hinweise auf eine solche Bedrohung. Die Items „Lebensbedrohung des Jugendlichen im Heimatland bzw. auf der Flucht“ und das Item „Konfliktbewältigung“, mit dem die Fähigkeit beurteilt wird, in sozialen Konflikten zu bestehen, korrelieren signifikant negativ. Mit der „Lebensbedrohung“ korreliert außerdem das Item „emotionale Stabilität“. Je mehr Lebensbedrohung angegeben wird, desto schlechter wird die emotionale Stabilität und die Konfliktbewältigung bewertet.

    Die Items beziehen sich auf die „Zielerreichungsskala“, mit der in den umA-Einrichtungen von JJ gemessen wird, inwieweit die Jugendlichen in der Lage sind, eigenverantwortlich und gemeinschaftsfähig zu handeln. Diese Ziele der Jugendhilfemaßnahme leiten sich ab von § 1 SGB VIII. Um den jeweiligen individuellen Entwicklungsstand abzubilden, werden zu Beginn, halbjährig im Verlauf und am Ende der Maßnahme verschiedene Kompetenzen und Verhaltensweisen der Jugendlichen bewertet. Die Bewertung erfolgt anhand einer Punkteskala von 0 bis 10 Punkten, wobei mit verbessertem Entwicklungsstand oder Erfüllungsgrad der Anforderung die Punktzahl wächst. Die Bewertung findet jeweils in Kleingruppen von Mitarbeitern/innen statt.

    Kontakt zu Angehörigen

    Nach Angaben der Fachkräfte haben 63,5 Prozent der Jugendlichen Angehörige in Deutschland, 81,6 Prozent Angehörige im Heimatland. In den meisten Fällen besteht Kontakt zur Familie (67,6 Prozent). Bei 25,6 Prozent der Jugendlichen sind Angehörige gegenwärtig auf der Flucht und befinden sich somit in einer ungeklärten und oftmals gefährlichen Situation. 70,9 Prozent haben Freunde im Heimatland. Auch Freunde sind gegenwärtig auf der Flucht (18,1 Prozent). 36,5  Prozent haben keine Angehörigen in Deutschland (s. Tab. 2).

    Tab. 2: Angehörige und Freunde

    Suizidversuche und selbstverletzendes Verhalten

    17 Prozent der Jugendlichen äußerten im Rahmen der stationären Jugendhilfe einmalig oder mehrfach Suizidgedanken. 4,4 Prozent der Jugendlichen haben einmalig einen Suizidversuch unternommen. Einmaliges oder mehrfaches selbstverletzendes Verhalten liegt in 15 Prozent der Fälle vor (s. Tab. 3).

    Tab. 3: Suizidalität und selbstverletzendes Verhalten

    Inanspruchnahme von Behandlungen

    14,5 Prozent der Jugendlichen nehmen seit Eintritt in die Einrichtung regelmäßig Termine im Rahmen einer psychiatrischen Behandlung wahr. 14,3 Prozent der Jugendlichen nehmen regelmäßige Termine im Rahmen einer psycho­therapeutischen Behandlung wahr.   

    EVAS-Dokumentation

    Unabhängig von der dargestellten Untersuchung werden Verlaufsmessungen in allen JJ-Einrichtungen im Rahmen der EVAS-Dokumentation durchgeführt (EVAS = Dokumentationssystem für Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität in der Kinder- und Jugendhilfe). 

    Schule

    Fast 90 Prozent der Jugendlichen haben einen Schulplatz, 7,1 Prozent haben einen Ausbildungsplatz. Die meisten der Jugendlichen besuchen eine „InteA“-Klasse. Das hessische Integrationsprogramm InteA ist ein Angebot für Schülerinnen und Schüler, die erst grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache erwerben müssen. Jugendliche Flüchtlinge, die noch nicht volljährig sind, lernen zwei Jahre lang Deutsch und werden parallel dazu auf den Hauptschulabschluss vorbereitet. Von den umA in den Einrichtungen von JJ haben bisher sechs Prozent einen Schulabschluss erreicht.

    Suchtmittelkonsum

    Von den 140 Jugendlichen konsumierten nach Angaben der Bezugsbetreuer/innen in den letzten 30 Tagen insgesamt 39,3 Prozent Suchtmittel (inklusive Nikotin), 48,6 Prozent lebten abstinent, und bei 12,1 Prozent der Jugendlichen war keine Einschätzung möglich bzw. der Konsum unbekannt.

    Das im letzten Monat am häufigsten konsumierte Suchtmittel ist Nikotin mit 35,9 Prozent. Alkohol wurde von 17,8 Prozent der Jugendlichen konsumiert, Cannabis von 8,1 Prozent und Beruhigungsmittel von 3,6 Prozent der Jugendlichen. So genannte harte Drogen wurden nicht konsumiert. Auch Verhaltenssüchte wie Glücksspiel spielten keine Rolle.

    Abb. 2: Suchtmittelkonsum (Angabe in Prozent) in den letzten 30 Tagen, Angaben der Bezugsbetreuer/innen

    Cannabiskonsum

    Tabelle 4 stellt die Antworten der Bezugsbetreuer/innen zum Cannabiskonsum der Jugendlichen dar. Interessant sind sie im Vergleich zu den Ergebnissen einer Befragung von gleichaltrigen Schüler/innen in Frankfurt am Main (N = 1.509). Laut Angaben der Bezugsbetreuer/innen und soweit bekannt konsumieren die umA seltener Cannabis (7,8 Prozent) als Frankfurter Schüler/innen (23 Prozent; vgl. Werse et al. 2016).

    Tab. 4: Cannabiskonsum innerhalb der letzten 30 Tage: *Angaben der Bezugsbetreuer/innen und Befragung von Schüler/innen in Frankfurt am Main (Werse et al. 2016)

    Alkoholkonsum

    Zieht man die Vergleichszahlen zum Alkoholkonsum heran, ergibt sich das in Tabelle 5 dargestellte Bild:

    Tab. 5: Alkoholkonsum innerhalb der letzten 30 Tage: *Angaben der Bezugsbetreuer/innen und Befragung von Schüler/innen in Frankfurt am Main (Werse et al. 2016)

    Auffällig ist hier, dass nach Angaben der Bezugsbetreuer/innen in den Einrichtungen von JJ 61,4 Prozent der Jugendlichen keinen Alkohol konsumieren, wohingegen in der herangezogenen Vergleichsstichprobe (Schüler/innen aus Frankfurt/Main) nur 43 Prozent angeben, keinen Alkohol zu konsumieren.

    Vorfälle aufgrund von Alkohol oder illegalen Suchtmitteln

    Im Fragebogen sollten die Fachkräfte angeben, ob es seit Betreuungsbeginn Vorfälle aufgrund des Konsums von Alkohol oder illegalen Suchtmitteln gegeben hat, was bei 23 Prozent der Jugendlichen der Fall war (vgl. Tab. 6).

    Tab. 6: Vorfälle aufgrund von Suchtmittelkonsum seit Betreuungsbeginn

    Bei der Betrachtung aller umA, die durch Vorfälle im Zusammenhang mit Alkohol oder illegalen Suchtmitteln in der Einrichtung auffällig wurden, ergeben sich signifikante Unterschiede in den Kategorien Selbstfürsorge und Konfliktbewältigung. Bei ihnen wurden Selbstfürsorge und Konfliktbewältigung als noch nicht ausreichend eingeschätzt.

    Die Gruppe der Konsumierenden

    Um herauszufinden, ob die Gruppe der Suchtmittel-Konsument/innen Besonderheiten aufweist, wurde ein Gruppenvergleich vorgenommen: Als Konsumierende wurden diejenigen klassifiziert, die laut Bezugsbetreuung in den letzten 30 Tagen einmalig oder mehrfach Cannabis konsumiert haben und/oder öfter als einmal – d. h. wöchentlich oder mehrfach wöchentlich – Alkohol konsumiert haben (n=21). Als Vergleichsgruppe wurden diejenigen herangezogen, bei denen kein Cannabiskonsum vorliegt und die während der letzten 30 Tage höchstens einmal Alkohol getrunken haben (n=117; von diesen 117 umA haben 106 während der letzten 30 Tage gar keinen Alkohol getrunken, elf haben während der letzten 30 Tage einmal Alkohol getrunken). Folgende Unterschiede konnten festgestellt werden:

    • Herkunftsland: 76,2 Prozent der Konsumierenden kommen aus Afghanistan. Der Anteil der Afghanen ist auch in der Vergleichsgruppe hoch, aber mit 49,6 Prozent deutlich geringer.
    • Geschlecht: Der Frauenanteil ist in der gesamten Stichprobe gering, die Gruppe der Konsumierenden besteht jedoch ausschließlich aus männlichen umA. Die sechs weiblichen umA befinden sich allesamt in der Vergleichsgruppe. Auch wenn es sich um eine geringe Anzahl handelt
    • Dauer des Aufenthalts in Deutschland: Die Konsumierenden leben seit durchschnittlich 26 Monaten in Deutschland, die anderen erst seit 19,1 Monaten.
    • Suizidgedanken: Von den Konsumierenden hatten 46 Prozent einmal oder mehrfach Suizidgedanken. In der Vergleichsgruppe ist der Anteil der umA, die Suizidgedanken hatten, mit 15 Prozent deutlich geringer.
    • Selbstverletzendes Verhalten: Von den Konsumierenden zeigten 10 Prozent einmal und 19 Prozent mehrfach selbstverletzendes Verhalten (zusammen: 29 Prozent). In der Vergleichsgruppe waren es 5 Prozent (einmal) und 8 Prozent (mehrfach), zusammen waren es 13 Prozent.
    • Psychotherapeutische Behandlung seit der Aufnahme in der Einrichtung: Die Konsumierenden haben seit Betreuungsbeginn häufiger eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch genommen: 45 Prozent vs. 27 Prozent.

    EVAS-Dokumentation

    Hierbei zeigen erste Messungen positive Entwicklungen in verschiedenen Bereichen. Der Anteil der Jugendlichen, die gut, sehr gut bzw. fließend Deutsch sprechen, erhöht sich innerhalb des ersten Betreuungsjahres von 15,2 Prozent auf 54,8 Prozent. Ebenso verbessert sich die Bleibeperspektive, was sich günstig auf die gesamte Betreuung auswirkt: Während zu Beginn der Maßnahme bei nur drei Prozent der Jugendlichen eine Anhörung bei der zuständigen Behörde schon erfolgt war und nur bei 6,3 Prozent ein Bescheid bereits vorlag, ist zum Hilfeende bei 21,4 Prozent eine Anhörung erfolgt und bei 16,7 Prozent liegt ein Bescheid vor. Bei 59,5 Prozent ist zum Hilfeende die „Aktenanlage erfolgt / Asylanatrag gestellt“.

    Mit der Ressourcenskala, die im EVAS-Dokumentationssystem zentral ist, werden verschiedene soziale, kommunikative und gesundheitliche Fähigkeiten des jeweiligen Jugendlichen eingeschätzt und abgebildet. Die Ressourcen der Jugendlichen konnten gestärkt werden. Besonders deutlich ist die Verbesserung in den folgenden Bereichen:

    • Soziale Integration (Fähigkeit, Freundschaften und Beziehungen zu pflegen oder Verantwortung in Gruppen zu übernehmen)
    • Selbstkonzept und Selbstsicherheit (Selbstbewusstes Bewältigen von Lebensaufgaben unter Berücksichtigung der eigenen Interessen)
    • Soziale Attraktivität (Beliebtheit bei Gleichaltrigen, Körperkonzept, Modeorientierung)

    Befragung der Jugendlichen mit dem SDQ

    Mit dem Fragebogen „Strengths and Difficulties Questionnaire“( SDQ) wurden die Jugendlichen selbst befragt. Der SDQ soll Auskunft über emotionale und verhaltensspezifische Stärken und Schwächen liefern. Für ihn liegen den Autoren keine Normwerte oder Vergleichswerte einer deutschen Normpopulation Jugendlicher vor. Zudem ist das Instrument mit methodischen Mängeln versehen, die Zurückhaltung bei der Interpretation notwendig machen (z. B. dreistufiges Nominalskalenniveau). Die Autoren haben den Fragebogen einerseits eingesetzt, da er in verschiedenen Übersetzungen vorlag, was eine Bearbeitung auch bei noch fehlenden Deutschkenntnissen ermöglicht und die laut hinzugezogener Dolmetscher/innen sorgfältig vorgenommen wurden, und andererseits, um Hinweise auf deutliche Besonderheiten zu erhalten.

    Als Vergleichsstichprobe wurden 27 Jugendliche einbezogen, die zum Erhebungszeitpunkt in der stationären Rehabilitationseinrichtung „Therapeutische Einrichtung Eppenhain“ wegen einer diagnostizierten Suchterkrankung behandelt wurden.

    Die Unterschiede in den Subskalen „Emotionale Probleme“, „externalisierende Verhaltensauffälligkeiten“, „Probleme mit Gleichaltrigen“ und „Prosoziales Verhalten“ sind nicht signifikant, was vor dem Hintergrund zu betrachten ist, dass die Vergleichsstichprobe eine klinische Stichprobe (Drogenabhängigkeit) ist. Nur in der Subskala „Hyperaktivität“ bestehen deutliche Unterschiede. Die umA erreichen deutlich geringere Hyperaktivitätswerte als die Vergleichsgruppe. Dieses Ergebnis lässt sich sinnvoll interpretieren, da für die meisten suchtmittelabhängigen Jugendlichen zusätzlich eine ADHS-Diagnose vorliegt.

    Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

    Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Mehrzahl der umA, die in den stationären Jugendhilfeeinrichtungen von JJ betreut werden, belastende Erfahrungen im Herkunftsland gemacht haben und in Deutschland vielfachen Anforderungen und Unsicherheiten gegenüberstehen. Es gelingt den meisten umA, in den Jugendhilfeeinrichtungen aktiv mitzuwirken, soziale Netzwerke aufzubauen, regelmäßig die Schule zu besuchen, Deutsch zu lernen und Suchtmittel nicht bzw. nicht in riskanter oder schädigender Weise zu konsumieren.

    Es gibt jedoch nach Einschätzung der Bezugsbetreuer/innen auch Jugendliche, deren emotionale Stabilität und Selbstfürsorge als nicht ausreichend eingeschätzt werden, die selbstverletzendes Verhalten oder Suizidalität zeigen oder im Zusammenhang mit Suchtmittelkonsum auffallen. Es liegen Zusammenhänge zwischen zurückliegenden Erfahrungen und aktuellen Problembewältigungsmustern vor.

    Obwohl es deutliche Hinweise auf Traumata gibt, nimmt die Mehrheit der Jugendlichen zu Beginn der Behandlung keine regelmäßigen psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlungsangebote wahr, was damit zusammenhängen könnte, dass zu Beginn der Betreuung andere Probleme, wie z. B. die Frage des Aufenthalts, dominieren.

    Der Kontakt zu Freunden und Angehörigen hat einen messbaren Einfluss auf die aktuelle Lebenssituation und die Zukunftsängste in Deutschland. Außerdem zeigte sich, dass es einen Zusammenhang zwischen „Angehörige in Deutschland“ und „emotionale Stabilität“ gibt: Jugendliche, die Angehörige in Deutschland haben, erzielen höhere Werte bei der Zielerreichung im Bereich „emotionale Stabilität“. Das Gleiche gilt für die Befähigung zur Konfliktbewältigung.

    Der Kontakt zu Angehörigen – in Deutschland oder im Herkunftsland – hat positive Auswirkungen auf die Jugendlichen, weshalb sie darin unterstützt werden sollten, den Kontakt zu pflegen und aufrechtzuhalten.

    Suchtmittel sind Thema in der Betreuung, jedoch in der gegenwärtigen Situation zunächst nicht das dominierende Problem, auch wenn der Suchtmittelkonsum durchaus in Teamsitzungen und Gesprächen mit den Jugendlichen eine Rolle spielt. Durch die im Abschnitt „Suchtmittelkonsum“ beschriebenen Ergebnisse lässt sich veranschaulichen, dass die Dauer der Flucht einen Einfluss auf das Ausmaß des Cannabiskonsums der Jugendlichen hat. Auffällig ist, dass die hohen Werte im Bereich „Vorfälle mit Suchtmitteln oder Alkohol in der Einrichtung“ nicht gedeckt werden von den konkreten Benennungen zum Suchtmittelkonsum durch die Fachkräfte. Dies ist ein Hinweis darauf ist, dass der tatsächliche Konsum möglicherweise höher ist als der bekannte.

    Schlussfolgerungen für die Praxis

    Ein Teil der  unbegleiteten minderjährigen bzw. jungen Ausländer/innen leidet an psychischen Erkrankungen, viele werden noch nicht entsprechend behandelt. Sowohl das Gesundheitssystem als auch die Suchthilfe sind gefordert, entsprechende Konzepte für die Behandlung von umA anzuwenden bzw. weiterzuentwickeln. Vielen umA ist das deutsche Versorgungssystem nicht bekannt, und viele der hiesigen Angebote sind im Herkunftsland unbekannt. Deshalb gibt es in den Einrichtungen von  Jugendberatung und Jugendhilfe e.V. z. B. suchtspezifische Informationsangebote in den umA-Einrichtungen sowie Suchtberatungsstellen mit Angeboten für Geflüchtete, die unterschiedlich gut angenommen werden.

    Für einen Einstieg in den deutschen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt sind das Erlernen der deutschen Sprache sowie das Erreichen eines Schulabschlusses entscheidende Voraussetzungen. Hinsichtlich der schulischen Vorbildung und der sprachlichen Kenntnisse haben die Jugendlichen ungleiche Ausgangslagen. Dementsprechend benötigen sie unterschiedliche, flexible und ihrer individuellen Ausgangslage gerecht werdende Unterstützungsangebote. 

    Suchtmittelkonsum spielt im Betreuungsalltag eine Rolle, ist für die Mehrheit der Jugendlichen jedoch kein vordringliches Problem. Es stehen zunächst andere Probleme im Vordergrund. Zudem fällt das Reden über Suchtmittelkonsum oftmals schwer, z. B. weil das Thema Sucht schambesetzt ist oder Suchtmittelkonsum im Herkunftsmilieu als Sünde gilt. Hier helfen Prävention und Aufklärung. Informationsorientierte Suchtpräventions­veranstaltungen sind sinnvoll, auch um weiterführende (möglicherweise unbekannte) Unterstützungsangebote transparent und zugänglich zu machen. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass diese von vielen Jugendlichen angenommen und mit Interesse verfolgt werden. Im Falle derjenigen Jugendlichen, die regelmäßig konsumieren, kommt es darauf an, ein Problembewusstsein zu schaffen und ihnen das Suchthilfesystem gegebenenfalls überhaupt erst näher zu bringen.

    Aufgrund der Gegebenheiten in der Jugendhilfe (z. B. Ausgangsregelungen) ist bei einem Gutteil der Jugendlichen unklar, ob und in welchem Umfang sie Suchtmittel konsumieren, auch wenn die Bezugsbetreuer/innen meist eine sehr enge Arbeitsbeziehung zu den Betreuten haben. Daher plant der Verein Jugendberatung und Jugendhilfe im nächsten Jahr eine Befragung der Jugendlichen zu ihrem Suchmittelkonsum.

    Kontakt und Angaben zu den Autoren:

    Sabine Köhler
    Dipl.-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin
    Villa Anna – Stationäre Jugendhilfe-Einrichtung, Eppstein
    Theodor-Fliedner-Weg 5
    65817 Eppstein
    sabine.koehler@jj-ev.de
    Tel. 069/06198 5746-0

    Dr. Dieter Kunz
    Dipl.-Psychologe
    Geschäftsführer JJ
    Gutleutstraße 160-164
    60327 Frankfurt a. M.
    dieter.kunz@jj-ev.de
    Tel. 069/74 34 80-10

    David Schneider
    Dipl.-Soziologe
    Fachstelle Evaluation JJ
    Gutleutstraße 160-164
    60327 Frankfurt a. M.
    david.schneider@jj-ev.de
    Tel. 069/74 34 80-13 

    Literatur
    • Donath, C., Gräßel, E., Baier, D., Hillemacher, T. (2013). The prevalence of suicidal thoughts and attempts in a representative sample of German adolescents. Vortrag am XIV. International Congress of the International Federation of Psychiatric Epidemiology: 6. Juni 2013. Leipzig
    • Kunz, D., Schneider, D. (2017). Flucht und Sucht, in: SuchtAktuell, Heft 02.17, https://www.sucht.de/heft-22017-746.html
    • Lohbeck, A., Schultheiß, J., Petermann, F., Petermann, U. (2005). Die deutsche Selbstbeurteilungsversion des Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ-Deu-S). Diagnostica, 61, 222-235. Online (2015): https://econtent.hogrefe.com/doi/full/10.1026/0012-1924/a000153
    • Müller, S., Gelbrich, K. (2014): Interkulturelle Kommunikation. München: Vahlen
    • Oberg, K. (1960): Culture Shock: adjustment to new cultural environment. Practical Antropology 7, 177-182. In: Erll, A. & Gymnich, M. (2013): Interkulturelle Kompetenzen. Stuttgart: Klett
    • Reker, J., Grosse, J. (2010). Versteh mich nicht falsch! Gesten weltweit. Das Handbuch. München: Bierke
    • Teismann, T., Koban, C., Illes, F. & Oermann, A. (2016). Psychotherapie suizidaler Patienten. Göttingen: Hogrefe.
    • Werse et al. (2016). Jahresbericht 2015 Monitoring System Drogentrends. Frankfurt am Main: 2016
  • Integration heißt Erneuerung

    Pabst Science Publishers, Lengerich 2017, 172 Seiten, € 15,00, ISBN 978-3-95853-350-9, auch als E-Book erhältlich

    Zuwanderung hat in der Geschichte der BRD nicht nur in den vergangenen zwei Jahren, sondern fortwährend in großem Maße stattgefunden und wird auch weiter stattfinden. Sämtliche Arbeitsbereiche, die für die sozialarbeiterische, psychologisch-psychotherapeutische und medizinische Versorgung von Menschen zuständig sind, stehen damit gleichermaßen fortwährend vor der Herausforderung, sicherzustellen, dass ihre Angebote und Leistungen Neubürgern gleichermaßen zugänglich sind wie Einheimischen. Sind die fachlichen Konzepte der Suchthilfe geeignet, eine adäquate Versorgung von Zuwanderern zu leisten? Was bedeutet Kultursensibilität? Welche Grundlagen sind zu schaffen für die Entwicklung transkultureller Kompetenzen, für Prozesse interkultureller Öffnung, für kooperative Vernetzung mit Migrantenorganisationen?

    Dieses Buch zeigt Linien der Auseinandersetzung mit dem Thema „Migration und Sucht“ über einen längeren Zeitraum hin auf. Es macht deutlich, dass immer wieder neu die immer wieder gleichen Fragen zu stellen sind. Zwar sind bedeutende Fortschritte gemacht worden, es sind aber auch immer wieder die gleichen Versäumnisse und Fehler zu beklagen.

    Das Buch richtet sich an Fachleute der Suchthilfe und der Migrationsdienste, an Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Psychologinnen und Psychologen, Ärztinnen und Ärzte, Funktionstragende in Verbänden und Sozialpolitik und an alle anderen, für die die Frage der adäquaten Versorgung zugewanderter Menschen von Bedeutung ist.

  • Migration und Sucht

    Migration und Sucht

    Beate Zornig-Jelen
    Eva Egartner

    In den letzten Jahren kamen viele geflüchtete Menschen nach Deutschland, unter ihnen auch viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF). Dies wirft die Frage auf, ob die Suchthilfe sich auf steigende Zahlen von Hilfesuchenden vorbereiten muss und neue Angebote braucht.

    Die Arbeit mit Migrant*innen ist in der Suchthilfe schon seit Jahrzehnten ein wichtiges Thema und bei vielen Trägern fest verankert. Bereits in der Folge des Jugoslawienkrieges und durch den Zuzug vieler Spätaussiedler*innen in den 90er Jahren stellten die Einrichtungen der Suchthilfe viele spezialisierte Angebote für Migrant*innen zur Verfügung. Werden diese ausreichen oder brauchen wir noch mehr und auch andere Angebote aufgrund der aktuellen Zuwanderung?

    Suchthilfe und Geflüchtetenhilfe bei Condrobs e.V.

    Als einer der größten überkonfessionellen Träger in Bayern bietet Condrobs e.V. sowohl Hilfen für Suchtmittelkonsumierende als auch Hilfen für geflüchtete Menschen an.

    Seit der Entstehung des Vereins 1971 wurde die Kernkompetenz, die anfangs in Präventions- und Hilfsmaßnahmen für suchtgefährdete Kinder und Jugendliche lag, ausgebaut und erweitert. Heute umfasst das Spektrum der Suchthilfe bei Condrobs: Beratung, ambulante Therapie und therapeutische Wohngruppen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit psychosozialen Problemen, spezielle Angebote für suchtmittelkonsumierende Frauen und Männer, Substituierte und ältere Konsument*innen sowie Beratung für Angehörige. In Arbeitsprojekten und Beschäftigungsmaßnahmen in den Kontaktläden sowie in zwei sozialen Betrieben erhalten die Klient*innen die Möglichkeit, durch Arbeit und Ausbildung einen Weg zurück in ein selbstbestimmtes und gesundes Leben zu finden.

    Mit sechs schwer traumatisierten männlichen Jugendlichen ging die erste Einrichtung für Geflüchtete auf Anfrage der Landeshauptstadt München im Jahr 2010 an den Start. Mittlerweile werden an sieben Standorten in 26 Einrichtungen rund 330 unbegleitete minderjährige Geflüchtete sowie 450 erwachsene Geflüchtete und ihre 70 Kinder von Condrobs betreut. Untergebracht sind die Jugendlichen in therapeutischen Wohngruppen, im Begleiteten Wohnen, im Betreuten Wohnen sowie in einer Wohngruppe für Mädchen und ihre Kinder. Seit 2015 ist Condrobs (im Rahmen des Paritätischen Kooperationsprojekts zur Flüchtlingshilfe) in zwei Einrichtungen auch an der Betreuung erwachsener Geflüchteter beteiligt, darunter die erste Unterkunft in Bayern für allein angekommene Frauen mit und ohne Kinder. Schwerpunkte in der Betreuung sind spezialisierte Hilfen in kleineren Einheiten für traumatisierte Jugendliche, Frauen, Mädchen und Kinder, aber auch für junge Männer und Familien.

    Die im Folgenden dargestellten Erfahrungen und Erkenntnisse beruhen auf sechs Betreuungsjahren (seit 2010). Die Fallzahlen waren anfangs aufgrund der geringen Zahl der Betreuten jedoch nicht repräsentativ. Aufgrund der langjährigen Erfahrung in der Suchhilfe insbesondere mit traumatisierten Jugendlichen wurde bei Condrobs der Bedarf in der Arbeit mit geflüchteten Menschen sehr früh erkannt.

    Allgemeine Informationen zu Sucht und Flucht bzw. Migration

    Die Flüchtenden

    Ein Großteil der Geflüchteten ist männlich. Bei den unbegleiteten Minderjährigen werden oft die stärksten und am besten ausgebildeten männlichen Jugendlichen von der Familie auf die Flucht geschickt. Sie haben die besten Überlebensmöglichkeiten und sollen, wenn die Flucht gelingt, finanzielle Unterstützung ins Herkunftsland senden, Familienmitglieder nachholen oder zumindest das ‚Überleben des Blutes‘ sichern. Auch erwachsene Männer fliehen oft erst einmal alleine, da es für Männer wahrscheinlicher ist, die Flucht zu überleben.

    Mädchen und Frauen fliehen in der Regel mit männlichem Begleitschutz. Wenn Mädchen und Frauen alleine fliehen, sind die Gründe neben Krieg und Vertreibung in der Regel massive Gewalterfahrungen in den Herkunftsländern: Verstümmelung der Genitalien, Zwangsverheiratung, Zwangsprostitution und Menschenhandel, sexueller Missbrauch und Demütigungen durch Angehörige, aber auch Staatsbedienstete, zum Beispiel im Rahmen von Verhören und Inhaftierungen oder – als Kriegswaffe – bei Massenvergewaltigungen. Wenn Frauen alleine fliehen, sind sie auf der Flucht wieder in Gefahr, massiver Gewalt ausgesetzt zu sein, z. B. von Schleppern, Piraten, Staatsbediensteten und Sicherheitskräften anderer Länder sowie männlichen Mitflüchtlingen.

    Die Herkunftsländer

    In den Jahren 2016 und 2017 kamen unter den nach Deutschland geflüchteten Menschen die meisten aus Syrien, Irak, Afghanistan, Eritrea und Iran (Tabelle 1). Die Anteile der Herkunftsländer haben sich 2016 gegenüber 2015 deutlich verändert. Die meisten Menschen kamen zwar nach wie vor aus Syrien, die Zahl derer, die aus Afghanistan kamen, hat sich jedoch mehr als vervierfacht, ähnliche Steigerungsraten wurden für Iran und Irak verzeichnet. Aus Eritrea, Pakistan, Nigeria und aus der Russischen Föderation kamen auch weitaus mehr Flüchtlinge als 2015, jedoch ist hier die Zahl der Erstanträge (= erstmalig gestellte Asylanträge) nicht so hoch. Aus den Zahlen wird deutlich, wie stark politische Entwicklungen und Maßnahmen (z. B. die Entwicklung in der Türkei oder diplomatische, wirtschaftliche und politische Interaktionen und Interventionen der EU-Staaten vor Ort wie beispielsweise in Libyen) den Flüchtlingsstrom nach Deutschland beeinflussen. Die Anzahl der geflüchteten Menschen ist 2017 aufgrund der diversen Interventionen deutlich zurückgegangen, die prozentualen Anteile sind aber – bis auf den Anteil von Migrantinnen und Migranten aus der Türkei, bei denen eine deutliche Zunahme an Erstanträgen zu verzeichnen ist – in etwa gleich geblieben.

    Tab. 1: Welche Menschen kommen zu uns? Jahresvergleich der zehn stärksten Herkunftsländer nach Anzahl der Erstanträge. Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF); Asylgeschäftsbericht 12/2017

    Der Hilfebedarf

    Nach Schätzungen von Dietmar Czycholl (2016) sind von einer Million Geflüchteten ca. 30 bis 60 Prozent traumatisiert, zwischen 40.000 und 80.000 Menschen haben Psychotherapiebedarf. Ungefähr 30.000 Menschen sind bereits substanzabhängig, wenn sie nach Deutschland kommen. 

    Laut dem Münchner Institut für Therapieforschung (IFT) handelt es sich bei den meisten Diagnosen um verstärkten Alkoholkonsum, gefolgt von Opioid- und Cannabinoidkonsum. Des Weiteren spielen Stimulanzien sowie pathologisches Glücksspiel eine Rolle (Künzel et al., 2017. S. 11 f.).

    Erfahrungen aus den Condrobs-Einrichtungen zum Umgang mit Rauschmitteln 

    Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

    Ungefähr ein Drittel der ankommenden unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge konsumiert anfangs stark (d. h. regelmäßiger, unter Umständen gesundheitsgefährdender Konsum). Der Schwerpunkt liegt auf dem Konsum von Alkohol, Cannabis, zunehmend auch künstlichen Cannabinoiden und Kokain, überwiegend in Verbindung mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS). Mit zunehmender Integration und Teilhabe nimmt der Konsum jedoch deutlich ab. Nach Beendigung therapeutischer und betreuender Maßnahmen bei einer durchschnittlichen Verweildauer von 22 Monaten war bis 2016 bei über 90 Prozent der Klientel in Condrobs-Einrichtungen kein bzw. ein unauffälliger Konsum zu verzeichnen.

    Aktuell zeigt sich leider in vielen Einrichtungen eine negative Entwicklung. Circa 40 Prozent der Jugendlichen konsumieren nach längerem Aufenthalt stark, d. h. die Anzahl der Konsument*innen steigt während des Aufenthalts. Gründe hierfür sind vor allem der ungewisse Aufenthaltsstatus sowie der Umstand, dass in diesen Fällen keine Ausbildungs- und/oder Arbeitsmöglichkeit besteht, so dass die jungen Menschen zum Nichtstun verdammt sind.

    Es gibt viele weitere Gründe für Suchtmittelkonsum, und diese sind vielfältig: Trennungen, Traumatisierungen und die dadurch verursachten Schlafstörungen und Selbstmedikationen, eine unsichere Zukunftsperspektive, wiederkehrende oder chronische Existenzangst, strukturelle Überforderung im Lebensalltag, unsichere soziale Bindungen und Beziehungen, Unsicherheit und Angst. Auch die Integration in ein fremdes Normen- und Wertesystem und ein anderer Umgang mit Rauschmitteln in den Herkunftsländern begünstigen den Konsum. Zum Beispiel ist Cannabiskonsum in vielen westafrikanischen Ländern üblich und gehört zur Kultur.

    Hinzu kommen häufig Langeweile, mangelnde Tagesstruktur, unerfüllte Erwartungen und Versprechen, Identitätssuche zwischen den Kulturen, unklare Erwartungshaltungen Dritter und Schuldgefühle Angehörigen gegenüber. Ein großes Problem bilden durchwegs Sprachbarrieren und der fehlende Zugang zu ausreichend kulturspezifischen Übersetzerinnen und Übersetzern. Bei Jugendlichen kommen diese Probleme erschwerend zu den normalen Entwicklungsaufgaben hinzu.

    Eine besondere Rolle spielt bei geflüchteten Jugendlichen ein Schuldempfinden: Während die Familie weiter im Krieg leben muss, sind sie angekommen, in Sicherheit, finden Perspektiven. Gleichzeitig erwarten die Angehörigen, mit Geld unterstützt oder nachgeholt zu werden. Diese Erwartungen können oft nicht erfüllt werden. Unter Umständen wird die Versorgung der Angehörigen in der Heimat zum Problem. Die Folge können Kleinkriminalität, Dealen und Suchtmittelkonsum sein. Der Einfluss durch Landsleute und die gezielte Anwerbung für Kleinhandel lassen die Jugendlichen oft unsicher werden. Die Verlockung, mehr Geld für das Leben im Westen, für Frauen, zu haben, ist stark.

    Hinzu kommen außerdem die von Czycholl (2016 u. 2017) beschriebenen generellen Belastungen der Migration. Der anfänglichen Euphorie über die gelungene Flucht folgt die „Dekompensationsphase“, wenn die Realität die geflüchteten Menschen einholt und ernüchtert

    Erwachsene Geflüchtete

    Die Erfahrungen in der Arbeit mit erwachsenen Geflüchteten werden bei Condrobs seit 2016/2017 erfasst. Hier waren die Fallzahlen von Anfang an repräsentativ. 

    Anfangs konsumiert auch in dieser Gruppe ungefähr ein Drittel der Betreuten stark, vor allem Alkohol und Cannabis, aber auch Opiate. Bei Frauen spielen Medikamente häufig eine Rolle. Auch bei der Gruppe der erwachsenen Geflüchteten ist eine Zunahme des Konsums während des Aufenthalts zu beobachten. Mindestens 50 Prozent aller Klient*innen werden gemäß ihrem Konsumverhalten als suchtgefährdet eingestuft.

    Bei erwachsenen Geflüchteten sind die Hintergründe für Suchtmittelkonsum ähnlich wie bei den Jugendlichen, aber nicht gleich: Manche kommen bereits süchtig an, viele, aktuell mindestens 50 Prozent, sind suchtgefährdet. Circa 70 Prozent der Klient*innen haben eine diagnostizierte PTBS. Die Unterbringungssituation und die Tagesstrukturierung sind deutlich schwieriger als bei Jugendlichen, die im Moment noch nach dem deutschen Sozialgesetzbuch (SGB) VIII versorgt werden. Zum Beispiel gelten in München in den Unterkünften Betreuungsschlüssel von 1:100 für Erwachsene und 1:30 für Kinder. Diese Betreuungsschlüssel sind besser als die bayernweit gültigen – das bayerische Staatsministerium refinanziert nur Betreuungsschlüssel von 1:150 und in den geplanten Ankerzentren in Zukunft vermutlich noch schlechtere Schlüssel. Der Mehraufwand in München wird durch die Landeshauptstadt selbst bezahlt. Dennoch sind die Betreuungsschlüssel bei Weitem nicht ausreichend. Zudem sind Erwachsene und ihre Kinder in Gemeinschaftsunterkünften in der Regel in Mehrbettzimmern untergebracht. Mangelnde Privatsphäre und mangelnde Ruhe auch nachts führen häufig zu Belastungsreaktionen, vor allem zu Schlafstörungen, die wiederum mit Selbstmedikation beantwortet werden.

    Wie bei den Jugendlichen verstärken eine mangelnde Integration in Arbeit und daraus resultierende Langeweile, mangelnde Möglichkeiten zur Teilhabe sowie mangelnde Sprachkenntnisse die Negativspirale. Bei erwachsenen Geflüchteten spielt auch eine Rolle, dass viele von ihnen nur geduldet sind oder sich in offenen Verfahren befinden oder dass Abschiebungen bevorstehen. Auch anerkannte Asylbewerber*innen sind häufig gezwungen, weiter in Unterkünften leben, weil Wohnraum nicht vorhanden oder nicht erschwinglich ist. Oft gestaltet sich der Familiennachzug schwierig, und Perspektivlosigkeit und Resignation nehmen zu.

    Geflüchtete Frauen

    Laut UNO-Flüchtlingskommissariat (UNHCR 2016) sind weltweit über die Hälfte aller Geflüchteten Frauen und Mädchen, die vor Krieg, Gewalt, Terror oder Verfolgung fliehen – aber auch vor Zwangsheirat, genitaler Verstümmelung oder Vergewaltigung (wie oben schon erwähnt). Frauenspezifische Gründe für Suchtmittelkonsum sind daher geschlechtstypische, multiple Traumatisierungen. Auch nach der Flucht sowie in den großen Gemeinschaftsunterkünften sind Frauen und Mädchen besonderen Gefährdungen ausgesetzt. Oft werden sie Opfer sexueller Gewalt durch Sicherheitspersonal oder andere männliche Geflüchtete. Hinzu kommen Konflikte durch unterschiedliche Anforderungen, beispielsweise die Erziehung von Kindern, oder enttäuschte Erwartungen, die nicht selten aufgrund falscher Versprechungen entstehen. Die seelischen Konflikte äußern sich häufig als körperliche Symptome in einem völlig anderen Krankheitsbild. Diese Somatisierung verhindert dann eine frühzeitige Behandlung der psychosozialen Belastung, da das eigentliche Krankheitsbild nicht erkannt bzw. fehlinterpretiert wird.

    Wie geflüchtete Männer auch, können geflüchtete Frauen über ihre psychischen Probleme in der Regel nicht sprechen. In den Herkunftsländern sind psychische Erkrankungen tabuisiert, und es gibt keine Begrifflichkeiten und kein Verständnis hierfür. Oft sind somatische Beschwerden ein Ventil. Die somatischen Beschwerden können von den Frauen benannt werden, und mit diesen können sie auch medizinische Hilfe einfordern. Häufig bekommen sie dann Medikamente verschrieben, von Schlafmitteln bis zu Psychopharmaka, und diese konsumieren sie regelmäßig und in hohen Dosen. Durchaus werden verschreibungspflichtige Medikamente auch unter der Hand weitergegeben oder verkauft und mehrere Ärztinnen und Ärzte konsultiert, um hohe Dosen erlangen zu können. 

    Methoden und Lösungsansätze auf Basis der Erfahrungen 

    In den letzten Jahren ist die Zahl der Hilfesuchenden mit Fluchthintergrund in der Suchthilfe gestiegen. Die zentrale Beratungsstelle von Condrobs in München verzeichnete 2016 im Vergleich zum Vorjahr eine Zunahme um knapp 60 Prozent bei Migrant*innen, die aus den Ländern Afghanistan, Irak, Somalia und Tunesien kamen (Tabelle 2). Auch 2017 blieb der Anteil dieser Menschen hoch. Obwohl die Leistungen von Beratungsstellen offiziell erst nach einer Aufenthaltsdauer von 15 Monaten oder mit geklärtem Status in Anspruch genommen werden dürfen, werden Beratungen in Einzelfällen geduldet.

    Tab. 2: Staatsangehörigkeit der Klient*innen in einer Suchtberatungsstelle. Quelle: Condrobs, 2017

    Neben weiteren Beratungsgesprächen besteht bei geklärtem Aufenthaltsstatus und ausreichend guten Deutschkenntnissen die Möglichkeit zur Vermittlung in Einrichtungen der Eingliederungshilfe sowie zur Beantragung von stationärer und ambulanter Rehabilitation. In Notfällen kann eine Entgiftung mittels Klinikeinweisung erfolgen.

    Die Erfahrungen in der Suchthilfe zeigen, dass von den Klient*innen mit Migrationshintergrund (inklusive Angehörige) 2016 und 2017 jeweils ein größerer Anteil den Kontakt zur Beratungsstelle vorzeitig beendet als von den Klient*innen ohne Migrationshintergrund. Gleichzeitig beenden von den Klient*innen mit Migrationshintergrund deutlich mehr eine ambulante Rehabilitation regulär als von den Klient*innen ohne Migrationshintergrund (2016: 80,0 Prozent vs. 41,4 Prozent; siehe Abbildungen 1a und 1b). Die Zahlen belegen somit, dass Suchthilfe erfolgreich ist, wenn die Anbindung gelingt.

    Abb. 1a) Beispiel Beratungsstelle: Beendigungen/Erfolge 2017, Klient*innen mit Migrationshintergrund. Quelle: Condrobs 2017
    Abb. 1b) Beispiel Beratungsstelle: Beendigungen/Erfolge 2017, Klient*innen ohne Migrationshintergrund. Quelle: Condrobs 2017

    Verstehen und Verständnis

    Die Sprachbarriere stellt das größte Hindernis für erfolgreiche Suchthilfe dar. In den ersten 15 Monaten und bei unsicherem Status findet die Beratung vorwiegend mit Dolmetscher*innen statt. Eine große Rolle spielt der Faktor Zeit. Bereits die Anbahnung von Beratungsgesprächen braucht mehr Zeit: Wie sind die Deutschkenntnisse der/des Hilfesuchenden? Muss eine Dolmetscherin/ein Dolmetscher hinzugezogen werden? Die Verständigung muss in jedem Fall sichergestellt werden.

    Wichtig sind des Weiteren ein freundlicher Empfang und vor allem Offenheit, damit sich niemand abgewiesen vorkommt. Die Berater*innen lassen die Klient*innen ankommen, nehmen ihre Bedürfnisse wahr und schaffen eine Atmosphäre des Vertrauens. Viel Zeit gehört neben Verständnis zu den wichtigsten Faktoren. Smalltalk spielt in vielen der Kulturen, aus denen die Geflüchteten kommen, eine wichtige Rolle. Oft werden die eigentlichen Probleme erst angesprochen, wenn sehr lange über vieles andere gesprochen wurde und es dabei gelungen ist, ein erstes Vertrauensverhältnis zu schaffen.

    Kultursensibles Arbeiten

    Interkulturelle Suchthilfe muss viele Aspekte beachten: die Kultur und die politische Situation im Herkunftsland, der Umgang mit den Geschlechtern, mit Hierarchien und mit Religion, das Stadt-Land-Gefälle, das Kommunikationsverhalten und vieles mehr.

    Geflüchtete haben oft keine Vorstellung von Institutionen in unserer Gesellschaft und können unsere Hilfeeinrichtungen somit nicht einordnen. Sind sie staatlich oder privat? Sind sie kirchlich und verfolgen einen bestimmten Zweck? Die Skepsis ist groß, und dementsprechend sind auch hier Zeit und Geduld gefragt, um Vertrauen aufzubauen.

    In vielen Ländern zählt das Kollektiv mehr als das Individuum – es kommt eher auf die Harmonie des Ganzen an, und die/der Einzelne muss ihre/seine Bedürfnisse denen der Allgemeinheit unterordnen. Somit ist es schwierig für Einzelne, über ihre individuellen Probleme zu sprechen. Auch die Sprachformen sind oft sehr anders, es wird von „man“ und „wir“ gesprochen, auch wenn jemand sich selbst meint. Der Begriff der Ehre hat in manchen Kulturkreisen eine sehr differenzierte Bedeutung. Eine ‚Ehrverletzung‘ kann vor allem für Männer als sehr schlimm empfunden werden, teilweise schlimmer als der Tod. Auch kommt es oft vor, dass Familienmitglieder und Freunde sich für die Ehre eines Mitglieds/Freundes mitverantwortlich fühlen und diese im Zweifel auch verteidigen, selbst wenn sie sich dadurch persönlich in Gefahr bringen.

    Kultursensible Arbeit knüpft an die Ressourcen der Migrant*innen an, nicht an ihre Defizite (Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, 2005). In Krisen müssen die Menschen gehalten – nicht entlassen – werden. Eine professionelle Herangehensweise in der Begegnung mit Geflüchteten ist absolut notwendig. Persönliche Haltung, soziale Kompetenzen sowie Strategien, um Sprachbarrieren zu überwinden und Informationslücken zu schließen, sind grundlegende Voraussetzungen, um eine interkulturelle Verständigung zu schaffen. Fachkräfte sollten über Methodenvielfalt verfügen, um mit Migrant*innen nicht nur über Sprache, sondern zum Beispiel auch über gestalterische, körperbetonte oder kunsttherapeutische Methoden kommunizieren zu können.

    Die Fachkräfte müssen gut begleitet werden durch Fallbesprechungen und regelmäßige Supervision. Um qualitativ hochwertige Grundlagen für die Arbeit mit Geflüchteten zu entwickeln, ist ein professionelles Programm zur Fort- und Weiterbildung der Asylsozial- und Migrationsberater*innen unabdingbar. Eine enge und verlässliche Kooperation mit Fachärzten, Kliniken und anderen Hilfeeinrichtungen schafft ein Netzwerk der Unterstützung über die Grenzen und Möglichkeiten der einzelnen Beratungsstelle oder Einrichtung hinaus.

    Eingliederungsmaßnahmen von Anfang an

    Die Erfahrungen der Condrobs-Einrichtungen zeigen, dass der Konsum von Suchtmitteln mit fortschreitender, gelingender Integration und Teilhabe abnimmt. Je besser die Integration gelingt und je schneller Integration und Teilhabe ermöglicht werden, desto weniger Sucht- und auch andere Komplikationen sind bei den Migrant*innen zu erwarten. Daher sind umfassende Eingliederungsmaßnahmen und frühe Hilfen bereits bei der Ankunft im neuen Land wichtig, um eine Suchtentwicklung zu verhindern.

    Die Realität sieht anders aus: Erst für Leistungsberechtigte, die sich mindestens 15 Monate im Bundesgebiet aufhalten, gelten die Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) in Bezug auf Eingliederungsleistungen. Flüchtlinge, die noch nicht so lange in Deutschland sind, erhalten dagegen nur bei akuten Erkrankungen oder Schmerzzuständen Hilfe. Dies führt zu vielen Problemen, denn Psychotherapien für traumatisierte Flüchtlinge und Suchthilfeleistungen werden verweigert, da sie nicht als akute Erkrankung gelten.

    Fazit

    Geflüchtete kommen bereits an in den Einrichtungen der Suchthilfe. Die Zahl der Traumatisierungen in den Condrobs-Einrichtungen ist höher als erwartet, der Suchtmittelkonsum war ursprünglich so hoch wie erwartet, mittlerweile ist er jedoch höher wegen teilweise schwieriger Perspektiven, Behandlungsbarrieren, Sprachbarrieren, mangelnder Integration sowie mangelnder Traumabehandlungs- und Psychotherapiemöglichkeiten.

    Aus den Erfahrungen in den Condrobs-Einrichtungen lassen sich folgende Forderungen ableiten, um den Unterstützungsbedarf geflüchteter Menschen in Bezug auf ihre psychische Gesundheit abzudecken:

    1. Geflüchteten Menschen bzw. Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sollen vom Zeitpunkt ihrer Ankunft an Eingliederungsleistungen gemäß §§ 53 ff. SGB XII in Verbindung mit SGB IX offenstehen.
    1. Der Bedarf an Suchthilfeleistungen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe gemäß SGB VIII für Geflüchtete ist hoch. Diese Leistungen müssen von Beginn an gewährt werden.
    1. Es müssen genügend spezialisierte Hilfen für Menschen mit Fluchthintergrund zur Verfügung gestellt werden, insbesondere Traumatherapie-Angebote. Traumata müssen als akute Gesundheitsprobleme anerkannt werden.
    1. Beschäftigte in Unterstützungssystemen müssen Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund umfassend beraten und unterstützen können, damit diese die geeigneten Hilfen in Anspruch nehmen können.
    1. Gesundheitsbezogene Hilfeangebote inklusive der Suchthilfe brauchen Zugang zu ausreichend kulturspezifischen Dolmetscherinnen und Dolmetschern.
    1. Beschäftigte in Unterstützungssystemen müssen vor allem im Hinblick auf die Ausnahmen, die das Asylbewerberleistungsgesetz oder kommunale Bestimmungen zulassen, umfassend geschult werden. Nur so können sie geflüchtete Menschen optimal unterstützen. Zudem brauchen die Beschäftigten und die Ehrenamtlichen Hintergrundwissen zum Umgang mit Krankheiten, Traumata und Suchtmitteln in den jeweiligen Herkunftsländern, um einschätzen zu können, wie hoch der Hilfebedarf ist und welche Art von Hilfe die richtige ist.
    1. In Bezug auf Geflüchtete und Suchtmittelkonsum sind spezielle Präventionsangebote wichtig. Frühe Hilfen sind wichtig, um eine Chronifizierung zu vermeiden.

    Die Mitarbeitenden in der Suchthilfe müssen sich darauf einstellen, dass der Anteil der Menschen mit Fluchthintergrund steigen wird. Daher werden Therapeut*innen mit entsprechenden Sprachkenntnissen oder Behandlungsmöglichkeiten unter Einbezug von Dolmetscher*innen sowie traumatherapeutisch ausgebildetes Personal und weiteres interkulturelles Know-how dringend benötigt. Zudem ist Suchthilfe mit Geflüchteten zeitintensiver. Sie ist nicht einfach zusätzlich zu bewältigen.

    Wichtig sind eine schnelle Integration und Teilhabe – je besser die Integration gelingt, umso weniger Sucht- und auch andere Probleme sind zu erwarten. 

    Kontakt:

    Eva Egartner
    Condrobs e.V.
    Heßstraße 134
    80797 München
    eva.egartner@condrobs.de 

    Angaben zu den Autorinnen:

    Eva Egartner ist Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin und Supervisorin DGSv. Sie ist Geschäftsführende Vorsitzende des Condrobs e.V., München.
    Beate Zornig-Jelen ist Kommunikationswissenschaftlerin M.A.

    Literatur:
    • Ameskamp, D., Kuhlmann, T., Leicht, A., Meyer-Thompson, H.-G., Quellhorst, S., Tretter, F., Wessel, T.: Flüchtlinge und (Opioid-)Abhängigkeit. Die Hürden zur Behandlung, Text anlässlich des Treffens zum Thema „Flüchtlinge in Deutschland – eine Herausforderung auch für die Sucht- und Drogenpolitik?“, Berlin, München, Bergisch-Gladbach, Hamburg, 22. Juni 2016
    • Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, Berlin 2005
    • Czycholl, D.: Flucht und Migration – Zahlen, Fakten und Gedanken, Vortrag, 25. Paritätisches Fachgespräch Suchthilfe des fdr, Fachverband Drogen- und Suchthilfe e.V., Berlin 2016, S. 23-40
    • Czycholl, D.: Integration heißt Erneuerung: Beiträge zu Migration und Sucht, Pabst Science Publishers, Lengerich 2017
    • Ethno-Medizinisches Zentrum e.V. (Hrsg.): Gewaltschutz für Frauen in Deutschland – Ratgeber für geflüchtete Frauen, Migrantinnen und Jugendliche, Hannover 2016
    • Europäisches Parlament: Bericht über die Lage weiblicher Flüchtlinge und Asylsuchender in der EU (2015/2325(INI)), Berichterstatterin: Mary Honeyball, 10.02.2016
    • European Parliament, Policy Department C: Reception of female refugees and asylum seekers in the EU, Case study Germany, Study for the Femm Committee, 2016
    • Kimil, A., Salman, R.: Migration und Sucht, in: Hegemann, T., Salman, R., Handbuch Transkulturelle Psychiatrie, Psychiatrie-Verlag, Bonn 2010, S. 368-382
    • Künzel, J., Steppan, M., Pfeiffer-Gerschel, T.: Klienten mit Migrationshintergrund in ambulanter und stationärer Suchtbehandlung, Kurzbericht Nr.1/2013, Deutsche Suchthilfestatistik 2011, IFT Institut für Therapieforschung, München 2013
    • Künzel, J., Specht, S., Dauber, H., Braun, B.: Die Klientel mit Migrationshintergrund in ambulanter und stationärer Suchtbehandlung. Kurzbericht Nr.1/2018 – Ergänzung zum Jahresbericht der Deutschen Suchthilfestatistik 2016 (Thaller et al., 2017), München 2017
    • Michels, I. I.: Migration und Sucht – was sind die gegenwärtigen Herausforderungen für die Sucht- und Dogenpolitik?, www.suchthilfe.koeln/download/psag_ak/Migration_und_Sucht_-_Herausforderung_der_Suchthilfe_Februar_2016.pdf, Februar 2016
    • Salman, R.: Gesunde Integration: Interkulturelle Suchthilfe als Beitrag zur Integration, Tagungstext (Institut Suchtprävention, Linz), 2008
    • Salman R., Tuna. S., Lessing, A. (Hrsg.): Handbuch interkulturelle Suchthilfe. Modelle, Konzepte und Ansätze der Prävention, Beratung und Therapie, Psychosozial Verlag, Gießen 1999
    • Sánchez Dionis, M., Timar, M., Domscheit-Berg, A.: Geflüchtete Frauen und Mädchen vor Gewalt schützen, World Future Council, 2016
    • Thaller, R., Specht, S., Künzel, J., Braun, B.: Suchthilfe in Deutschland, Jahresbericht der deutschen Suchthilfestatistik (DSHS), IFT Institut für Therapieforschung, München 2017
    • Tretter, F., Arnold, M.: Dokumentation BAS e.V. Workshop Suchtprobleme bei Flüchtlingen, München, 03.03.2016, Bayerische Akademie für Suchtfragen e.V., München 2016
    • UNHCR, Global Report 2016
  • Flüchtlinge und (Opioid-)Abhängigkeit

    Flüchtlinge und (Opioid-)Abhängigkeit

    Unter den Flüchtlingen, die in den zurückliegenden Jahren Deutschland erreicht haben, findet sich eine nennenswerte Gruppe von Menschen mit riskantem, schädlichem oder abhängigem Konsummuster von psychoaktiven Substanzen. Dies betrifft nach unserer Beobachtung sämtliche gebräuchliche legale wie illegale Substanzen. Für die Suchthilfe ergeben sich hierdurch neue Herausforderungen. Zusätzlich bestehen etliche Hürden, die eine angemessene Behandlung dieser Patienten erschweren. In besonderem Maße gilt dies für Flüchtlinge mit einer Opioidabhängigkeit.

    Hintergrund

    Flüchtlinge aus Vorder- und Mittelasien, die seit 2014 nach Deutschland kommen, stammen vielfach aus Herkunftsländern, in denen der Opioidgebrauch endemisch (= örtlich begrenzt gehäuft auftretend, Anm. d. Red.), kulturell akzeptiert oder toleriert ist. Wir sehen Flüchtlinge aus Afghanistan, die bereits im Säuglings- oder Kleinkindalter mit Opium in Berührung kamen, da es gegen Durchfall und Husten in weiten Teilen des Landes sonst keine wirksamen Medikamente gibt. In Iran wird traditionell bei Schmerzen oder als Einschlafhilfe Opium konsumiert oder aus hedonistischen Gründen. Afghanistan und Iran zählen weltweit zu den Ländern mit dem höchsten Pro-Kopf-Konsum von Opium und Heroin. Die spärlichen Quellen aus Irak und Berichte irakischer Patienten hierzulande weisen auf eine steigende Anzahl von Opioidkonsumenten (Opium/Theriak) hin. Syrien weist wie andere arabische und nordafrikanische Länder eine zunehmende Prävalenz für das synthetische Opioid und Schmerzmittel Tramadol auf. Auch Stimulanziengebrauch wird in diesen Regionen beobachtet.

    (Bürger-)Krieg, Vertreibung, Flucht und (Opioid-)Abhängigkeit

    Seit 1979 herrschen in Afghanistan Krieg, Vertreibung und Flucht, Iraner fliehen seit den 1960er Jahren nach Europa, und auch Flüchtlinge aus Irak und Syrien bringen seit einigen Jahren nicht selten eine manifeste Opioidabhängigkeit mit. Hintergrund sind häufig Traumata infolge der kriegerischen und/oder tyrannischen Verhältnisse in ihren Heimatländern, unzureichend behandelte Schmerzen nach (Kriegs- )Verletzungen und/oder eine posttraumatische Belastungsstörung. Gewalterlebnisse, Entwurzelung und Migration sind generell Risikofaktoren für die Entwicklung einer Abhängigkeitserkrankung, so dass wir auch Patienten aus den aktuellen und anderen Herkunftsländern kennen, die erst hierzulande eine Abhängigkeitserkrankung entwickelt haben.

    Behandlungsmöglichkeiten in den Herkunftsländern und auf der Flucht

    Afghanistan bietet lediglich in der Hauptstadt Kabul eine substitutionsgestützte Behandlung an. In Iran existiert ein entwickeltes Drogenhilfesystem mit Prävention, Entzugs- und Behandlungsmöglichkeiten, es werden mehr als 100.000 Patienten substituiert, u. a. in Gefängnissen. In Irak (mit irakisch Kurdistan) gibt es keine Behandlungsmöglichkeiten außer ‚kalten‘ Entzügen. Das syrische Gesundheitswesen ist nahezu völlig zerstört. Auf den Fluchtrouten nach Europa ist in Iran die Behandlung mit Methadon und Buprenorphin erlaubt, in Libanon und in der Türkei lediglich die Substitution mit Buprenorphin (für Flüchtlinge nicht zugänglich); in Griechenland ist die Zahl der Substitutionsplätze schon für einheimische Abhängige sehr begrenzt, das gilt auch für die nach Norden liegenden Balkanländer. Erst in Wien gibt es niedrigschwellige Zugänge zur Substitutionsbehandlung. Andere Hilfen wie niedrigschwellige Kontakt- und Informationsangebote, frühintervenierende und schadensmindernde Maßnahmen u. a. fehlen auf den Fluchtrouten fast vollständig.

    Die aktuelle Lage

    Aus den metropolitanen Regionen München, Frankfurt, Köln, Hamburg und Berlin melden niedrigschwellige Kontaktstellen, Drogenberatungsstellen, klinische Entzugsabteilungen und Substitutionspraxen/-ambulanzen spätestens seit der Jahreswende 2015/16 und deutlich früher als erwartet eine merkliche Zunahme von Anfragen zur Beratung und Behandlung von Flüchtlingen mit Substanzstörungen unterschiedlicher Art und Ausprägung:

    • Heroinabhängigkeit von Menschen aus Afghanistan, Iran und Irak
    • Problematischer Gebrauch von Alkohol unter Flüchtlingen, die aus kulturellen und/oder religiösen Gründen den Umgang mit dieser Substanz nicht gelernt haben und mit dem leichten Zugang zum Alkohol nicht umgehen können
    • Problematischer Gebrauch von Schmerzmitteln und Stimulanzien bei Flüchtlingen aus arabischen Ländern
    • Überwiegend inhalativer Konsum von Opioiden und (Meth-)Amphetamin von jungen Geflüchteten aus Syrien, die teilweise erst in Europa mit dem Konsum begonnen haben
    • Konsum von Amphetaminen und anderen Stimulanzien unter Flüchtlingen, die diese Substanzen als aufputschende Kriegsdrogen in regulären oder irregulären militärischen Verbänden kennengelernt haben
    • Problematischer Gebrauch von Cannabis unter jugendlichen Einwanderern aus dem Maghreb
    • Spielsucht bei Einwanderern der ersten und zweiten Generation mit islamischem Hintergrund

    Exakte Zahlen liegen nicht vor. Aus Flüchtlingscamps entlang der Fluchtrouten sind Vorfälle bekannt, bei denen es unter dem Einfluss von Alkohol zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen einzelnen ethnischen Gruppen kommt. Die eingangs geschilderte Prävalenz der Opioidabhängigkeit in den Herkunftsländern lässt erwarten, dass diese Entwicklung in den kommenden Monaten und Jahren zunehmen wird. Entwurzelung und erschwerte Integration von jungen männlichen Einwanderern bzw. Flüchtlingen sind erfahrungsgemäß der Nährboden für die Entwicklung von kriminellen Strukturen. Aus Flüchtlingslagern und Konsumräumen wurden erste Anhaltspunkte für ethnisch geprägte Konsumentengruppen und Händlerstrukturen berichtet.

    Hürden zur Behandlung

    • Bei Geflüchteten, insbesondere denjenigen, die erst während oder nach der Flucht eine Substanzstörung bzw. eine Sucht entwickelt haben, ist zu berücksichtigen, dass viele kein Verständnis von ihrer Erkrankung haben und eine Entzugssymptomatik nicht kennen oder nicht als solche deuten. Die meisten geflüchteten Süchtigen haben keine Vorstellung von den sozialen und medizinischen Hilfemöglichkeiten jenseits von staatlicher Repression. Generell wird Sucht eher nicht als Krankheit, sondern als moralische Verfehlung oder als unglücklicher Schicksalsschlag angesehen.
    • Für viele Flüchtlinge (und Migranten der vorherigen Jahre) stehen die hierzulande etablierten Behandlungsmöglichkeiten bestenfalls eingeschränkt zur Verfügung:
    • Der „Notfallschein“ (24-Stunden-Kostenübernahmeschein) berechtigt allenfalls zur Entzugsbehandlung bei Abhängigkeit von Opioiden, Alkohol, Benzodiazepinen und anderen Substanzen. Dies führt überdies zu der paradoxen Situation, dass Patienten nach der Entlassung nicht ambulant abstinenzorientiert weiterbehandelt werden können.
    • Erst mit der Ausstellung einer Gesundheitskarte für Asylbewerber (in NRW, Bremen, Hamburg und seit kurzem auch in Berlin) ist eine ambulante abstinenzorientierte Therapie bzw. bei Opioidabhängigkeit eine Substitution möglich.
    • Abstinenzorientierte stationäre Langzeitbehandlungen stehen generell nicht zur Verfügung, tagesstrukturierende, alltagsorientierte und stabilisierende abstinenzbasierte Hilfen ebenfalls nicht.
    • Eine weitere Hürde besteht darin, dass für Anamnese, Untersuchungen und Folgegespräche keine Sprachmittler/Dolmetscher zur Verfügung stehen oder diese nicht von den Kostenträgern bezahlt werden. Benötigt werden nicht nur Sprachmittler mit notwendigen (sub)kultur- und fluchtsensiblen Kenntnissen für den Arztkontakt, sondern auch zur vorbereitenden und begleitenden Motivationsarbeit, damit eine Intervention nicht schon vor oder mit dem Beginn scheitert.
    • Es fehlt eine Plattform, auf der bisherige Veröffentlichungen zum Thema, Seminarberichte, Ankündigungen von Veranstaltungen und Fortbildungen, muttersprachliche Materialien u. ä. zur Verfügung stehen.
    • Ebenfalls ungeklärt und unvorbereitet ist die psycho-soziale Begleitung hinsichtlich Finanzierung, Kulturkompetenz und sprachlicher Verständigung. Zu klären ist, wie „erforderliche psychiatrische, psychotherapeutische oder psycho-soziale Behandlungs- und Betreuungsmaßnahmen“ erbracht werden können, wie die BtMVV (= Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung, Anm. d. Red.) formuliert. Die KVen (= Krankenversicherungen, Anm. d. Red.) sehen das regional durchaus unterschiedlich.
    • Es stehen keine Informationsmaterialien in den Sprachen der hauptsächlich betroffenen Konsumentengruppen zur Erkrankung selbst, zu den unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten, zur Schadensminderung/safer use, zu Begleiterkrankungen u. a. zur Verfügung. Bei einem nennenswerten Anteil der Geflüchteten handelt es sich um Analphabeten, so dass auch Bilder und gesprochene Informationen (Audiodateien) zur Verfügung gestellt werden müssen.
    • Beschaffungskriminalität im Zusammenhang mit der Opioidabhängigkeit und praktisch der Konsum selbst können ein Abschiebegrund sein. Dies hindert Konsumenten am Zugang zur Beratung und Therapie.
    • Viele Flüchtlinge sind in ländlichen Regionen untergebracht. Es ist damit zu rechnen, dass substanzabhängige Flüchtlinge auf der Suche nach suchtmedizinischer Hilfe vom Land in die Städte kommen werden und sich dabei ihre rechtliche, soziale und gesundheitliche Lage zusätzlich destabilisiert.
    • Es steht zu befürchten, dass Opioidkonsumenten von Tabletten oder inhalativem Heroinkonsum auf das Spritzen von Heroin umsteigen mit den bekannten Risiken für Infektionskrankheiten.
    • Wir beobachten, dass nicht nur einzelne Geflüchtete in die Beratung und Behandlung kommen, sondern diese zu mehreren erscheinen. Teilweise leben sie in einem Zimmer in der Unterkunft zusammen, hausen in einer Notunterkunft oder haben sich zu sozialen Zweckbündnissen zusammengeschlossen. Hier ist zu überlegen, wie mit solchen sozialen Netzwerken und deren hoher Bindungskraft (im Guten wie im Schlechten) umzugehen ist.
    • Den sozialarbeiterischen und medizinischen Teams in den Aufnahmestellen ist die Symptomatik einer Opioidabhängigkeit und anderer Abhängigkeitserkrankungen in der Regel nicht bekannt. Deshalb kann dort auch keine gezielte Beratung und Vermittlung stattfinden.

    Schlussfolgerungen

    Abhängigkeitserkrankungen sind unter Flüchtlingen und Einwanderern kein seltenes, vor allem aber ein jeweils komplexes Phänomen. Drogenpolitik und Suchthilfe haben darauf bisher unzureichend reagiert. Zu entwickeln ist ein Konzept, das alle Formen der Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen einschließt. Die Entwicklung der Opioidabhängigkeit in der Gruppe der jüngst nach Deutschland geflüchteten Menschen kann sich zu einem besonderen Problem ausweiten – aus dem Blickwinkel von Public Health wie aus Sicht der Inneren Sicherheit. Die Drogenpolitik in Bund und Ländern, Polizeibehörden, Fachverbände, Drogenhilfeträger sowie die Kostenträger sollten sich deshalb gemeinsam mit diesem Thema beschäftigen und ein aktuelles Lagebild erstellen. Die Hürden zur Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen, vordringlich bei Opioidabhängigkeit, müssen aus den vorgenannten Gründen beseitigt werden. Schnelles, abgestimmtes und kompetentes Handeln kann viel Leid für die Betroffenen und ihre Familien abwenden und Schaden für die Gesellschaft verhindern.

    Dieser Text entstand nach dem Fachaustausch zum Thema „Flüchtlinge in Deutschland – eine Herausforderung auch für die Sucht- und Drogenpolitik?“ am 25. Mai 2016, zu dem die Drogenbeauftragte der Bundesregierung eingeladen hatte.

    Kontakt:

    Hans-Günter Meyer-Thompson
    meyerthompson@gmail.com

    Angaben zu den Autoren:

    Dieter Ameskamp: Sozialpädagoge bei Asklepios Hamburg Nord Ochsenzoll, Klinik für Abhängigkeitserkrankungen, Ambulanz Altona
    Dr. med. Thomas Kuhlmann: Chefarzt und Ärztlicher Leiter, Psychosomatische Klinik Bergisch Gladbach
    Astrid Leicht: Diplom-Pädagogin, Geschäftsführung Fixpunkt Berlin
    Hans-Günter Meyer-Thompson: Arzt bei Asklepios Hamburg Nord Ochsenzoll, Klinik für Abhängigkeitserkrankungen, Ambulanz Altona
    Dr. med. Sibylle Quellhorst: FÄ für Allgemeinmedizin, Koordination der medizinischen Versorgung Flüchtlinge, Gesundheitsamt Hamburg-Altona
    Prof. Dr. Dr. Dr. Felix Tretter: Bayerische Akademie für Suchtfragen in Forschung und Praxis BAS e. V., 2. Vorsitzender
    Dr. Theo Wessel: Gesamtverband für Suchthilfe e. V. (GVS) Fachverband der Diakonie Deutschland, Geschäftsführer