Schlagwort: Soziale Arbeit

  • Viel mehr als nur Beratung

    Viel mehr als nur Beratung

    Anja Vennedey
    Anja Vennedey

    Anja Vennedey ist Leiterin des Suchtberatungs- und Therapiezentrums der Diakonie Düsseldorf mit Fachambulanz und Tagesklinik. Vor dem Hintergrund ihrer beruflichen Praxis und einer gut zehnjährigen Berufserfahrung in leitender Funktion beschreibt sie die aktuelle Situation und sich abzeichnende Entwicklungen in der ambulanten Suchthilfe. Der Artikel beruht auf einem Vortrag, den die Autorin im September 2014 auf der „23. Fachtagung Management in der Suchttherapie“ des buss in Kassel gehalten hat.

    Angebote der ambulanten Suchthilfe

    Im übertragenen Sinne und auch ganz real befinden wir uns als Anbieter ambulanter Suchthilfe in einem Umbauprozess. Seit 30 Jahren sind die ambulanten Suchthilfeangebote der Diakonie Düsseldorf unter derselben Adresse zu finden. Doch zurzeit sind wir mit unseren Angeboten ausgelagert, da wir umbauen, um auf der einen Seite Strukturvorgaben wie „Barrierefreiheit“ umzusetzen und auf der anderen Seite moderner und kundenfreundlicher zu werden.

    Der Träger hat eine lange Tradition in der ambulanten Suchthilfe. Im Suchtberatungs- und Therapiezentrum beraten wir Menschen, die Probleme mit Alkohol, Medikamenten, pathologischem Glücksspiel und missbräuchlichem/pathologischem Internetgebrauch haben, und ihre Angehörigen. Wir sind Träger einer Fachstelle für Suchtprävention, die wir in Kooperation mit dem Düsseldorfer Drogenhilfe e. V. betreiben. Mit unserem alkoholfreien „cafe drrüsch“ bieten wir einen suchtmittelfreien Treffpunkt, der sich seit zehn Jahren als Teil des Stadtteils begreift und mit kulturellem Angebot Anlaufstelle für Klienten und Bewohner des Stadtteils sein will. Hier bieten wir auch für Klienten Beschäftigungsmöglichkeiten im Service- und Küchenbereich an als ein erster Schritt zurück in das Arbeitsleben. Ein Suchtnotruf – als telefonische Hotline – steht an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr als erste Anlaufstelle bei Fragen und Krisen zum Thema Sucht zur Verfügung.

    Seit 1992 bieten wir ambulante medizinische Rehabilitation und Nachsorge für Alkohol- und Medikamentenabhängige und pathologische Glücksspieler an. In Kooperation mit dem Düsseldorfer Drogenhilfe e. V. besteht diese Möglichkeit auch für Abhängige von illegalen Drogen. Im Jahr 2000 gründeten wir unsere Tagesklinik mit 18 Behandlungsplätzen zur ganztägig ambulanten Rehabilitation von Alkohol- und Medikamentenabhängigen. Das komplette Beratungs- und Behandlungsangebot wird zurzeit von insgesamt 27 Mitarbeitenden aufrechterhalten.

    Zum ambulanten Suchthilfeangebot des Trägers gehört auch das Ambulant Betreute Wohnen für Menschen mit einer Suchterkrankung. Seit Ende der 1980er Jahre erhalten Menschen aufsuchende Hilfen in eigenen Wohnungen und Wohngemeinschaften. Mit der Fachklinik Haus Siloah besteht ein Kooperationsvertrag, über den ärztliche Leistungen zur Verfügung gestellt werden und eine enge inhaltliche Kooperation sichergestellt ist. Es gäbe vieles zu den einzelnen Bereichen zu sagen, doch ich möchte mich im Folgenden auf die drei Beratung, Prävention und Nachsorge beschränken.

    Suchtberatung

    Das „Herzstück“ der Einrichtung, sicherlich auch der größte Tätigkeitsbereich, ist die ambulante Suchtberatung. Im besten Falle stehen hier Zeit, Raum und BeraterInnen bereit, um den schwierigen und höchst persönlichen Weg der Auseinandersetzung mit der eigenen Suchterkrankung oder der eines Angehörigen zu gehen. Allerdings handelt es sich hierbei auch schon um die größte „Grauzone“ im ambulanten Suchthilfebereich. Welche Leistungen der Begriff Suchtberatung beinhaltet, ist gesetzlich nicht definiert. Ebenso gibt es keine leistungsrechtliche Einordnung der Suchtberatung. So stellt sie eine freiwillige Leistung der Kommunen dar und unterscheidet sich in Standards, Beratungsdauer und Personaleinsatz von Träger zu Träger, Kommune zu Kommune, Bundesland zu Bundesland. Wie soll man beschreiben, was dort alles passiert?

    Ein paar Zahlen aus dem Jahr 2013 veranschaulichen die Aktivitäten: 1.450 Klienten suchten uns auf, darunter waren fast zehn Prozent Angehörige. 40 Prozent der Klienten suchten erstmalig Hilfe wegen ihres Suchtproblems oder des eines Angehörigen. Das heißt, dass 60 Prozent „Wiederkehrer“ waren, die schon irgendeine Maßnahme absolviert hatten. Viele davon auch bei uns. Für mich bedeutet das, dass wir den Menschen immer so begegnen müssen, dass ihnen ein Wiederkehren möglich ist. Ich habe in den Jahren viele Menschen kennengelernt, die eine erste Suchtberatung abgebrochen haben, einfach, weil sie noch nicht an dem Punkt zur Veränderung angelangt waren. Wenn sie Monate oder Jahre später wiederkommen (können) ohne Scham, dann haben wir gute Arbeit geleistet.

    Fakten 2013
    Fakten 2013

    Im Rahmen der Suchtberatung vermitteln wir in weitergehende Hilfen, Entgiftungen, ambulante oder stationäre Wohnhilfen oder eben auch in Rehabilitationen. Von den Mitarbeitenden wird eine ausgeprägte Kenntnis des Hilfesystems und der leistungsrechtlichen Voraussetzungen erwartet. Gleichzeitig müssen sie in der Lage sein, zusammen mit den Klienten Perspektiven zu erarbeiten, die annehmbar sind. In der Motivations- und Orientierungsphase der Suchtberatung geht es um Abstinenzentscheidung, Krankheitseinsicht und weitergehende Hilfen. Hier werden unterschiedlichste Gruppenangebote, die von hauptamtlichen Mitarbeitern und abstinent lebenden ehemaligen Klienten geleitet werden, angeboten. Die breite Vielfalt der Bevölkerungsschichten bildet sich auch in unserem Hause ab, das ist manchmal eine Herausforderung – häufiger aber eine gegenseitige Bereicherung.

    Suchtberatung ist abwechslungsreich, anspruchsvoll und wegweisend. Die Abstinenz ist nicht die Voraussetzung für unser Angebot, sondern im besten Falle das Ziel. Für mich ist die Suchtberatung die Seele und Schaltzentrale der Einrichtung. Hier bekommen wir Veränderungen, Trends und Entwicklungen mit. In der Suchtberatung finden sehr individuelle Prozesse statt. Wie viel Zeit jemand braucht, um sein Suchtverhalten für sich zu klären und eine tragfähige Entscheidung zur weiteren Behandlung zu treffen, kann sehr unterschiedlich sein und ist nicht von vorneherein auf eine geringe Anzahl an Terminen begrenzbar.

    Die Suchtberatung ist aber regional sehr unterschiedlich aufgestellt, da es eben keine regionen- oder sogar länderübergreifende Regelung gibt. Das heißt, wie viel Suchtberatung eine Stadt sich leisten kann, wie viel Zeit für den Prozess zur Verfügung gestellt wird, hängt auch sehr von der jeweiligen Kommune ab. Deshalb sehen wir in der Praxis unserer ganztägig ambulanten Rehabilitationseinrichtung sowohl Menschen, die vor ihrer Entwöhnungsbehandlung nur zwei bis drei ausschließlich auf Antragsstellung ausgerichtete Gespräche absolviert haben, als auch Klienten, die bereits in einen ersten intensiven Auseinandersetzungsprozess mit ihrer Erkrankung eingetreten sind. In der Regel werden Letztere das angebotene Reha-Programm besser nutzen können. Hier bedarf es aus meiner Sicht verbindlicherer Standards und überregionaler, gesetzlich geregelter Finanzierungsmodelle.

    Prävention

    In diesem Bereich haben wir unsere Angebote zusätzlich zur universellen Prävention (früher Primärprävention) zunehmend differenziert und ergänzt. Ein Gebiet, auf dem wir zusätzliche Erträge erwirtschaften und gleichzeitig frühzeitige Hilfen anbieten können, ist das Betriebliche Gesundheitsmanagement. Im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements beraten wir Firmen im Umgang mit suchtmittelauffälligen Mitarbeitern und schulen Vorgesetze in der Anwendung von Dienstvereinbarungen, die wir auch mit dem jeweiligen Unternehmen erarbeiten.

    „Komasaufen“ und „jugendliches Rauschtrinken“ sind weitere nennenswerte Phänomene, auf die wir in unserer Arbeit reagiert haben. So bieten wir mit „ALFred“ – in Anlehnung an das bekannte Fred-Programm – eine Frühintervention für unter Alkohol straffällig gewordene Jugendliche an. Dabei arbeiten wir eng mit der Jugendgerichtshilfe zusammen. „Standfest – dein Wille gegen Promille“ ist ein aufsuchendes Suchtpräventionsprojekt. Hier ist eine hauptamtliche Mitarbeiterin mit geschulten Peers, also Gleichaltrigen, unterwegs, um an Standorten, an denen sich Jugendliche in Düsseldorf aufhalten, über Alkohol & Co. ohne erhobenen Zeigefinger aufzuklären. Als neueste Entwicklung gibt es eine Standfest-App, die die wichtigsten Informationen für Jugendliche enthält. Ermöglicht wurde das Projekt durch Spenden. Das ist immer positiv zu bewerten. Für uns ist es aber immer auch ein Ziel, die Finanzierung solcher Projekte eigenständig sichern zu können.

    Das Standfest-Team im Einsatz
    Das Standfest-Team im Einsatz

    Diese speziellen Angebote sind zu dem bestehenden Angebot in der Suchtprävention sicherlich gute und sinnvolle Ergänzungen. Allerdings dürfen sie nicht zu Lasten der universellen Prävention in Kindergärten, Schulen oder Jugendfreizeiteinrichtungen gehen. Die Effekte von Präventionsarbeit sind nicht immer direkt mess- oder evaluierbar, es entstehen eher nachhaltige, persönlichkeitsstärkende Effekte. In fachlicher und finanzieller Sicht geraten wir hiermit aus meiner Sicht aber immer stärker unter Druck: Maßnahmen der Suchtprävention werden immer häufiger „als Feuerwehr angefragt“, um auf ordnungs- und gesellschaftspolitische Phänomene zu reagieren, wie z. B. in den letzten Jahren auf die vermehrten Anfragen zu Crystal Meth, Computerspiel- und Onlinesucht, Legal Highs etc. Eine auf Nachhaltigkeit angelegte Suchtprävention setzt aber viel früher und substanzungebunden an.

    Nachsorge

    Für viele Suchtkranke ist die ambulante Suchthilfe nicht nur Anlaufstelle zu Beginn ihrer Auseinandersetzung mit der Suchterkrankung, sondern auch im Anschluss an eine erfolgte Reha-Maßnahme. Das Stabilisieren und Sichern von Behandlungserfolgen und Abstinenz, die Wiedereingliederung in Arbeit und das Ermöglichen von Teilhabe stellen für uns zurzeit die größte Herausforderung dar. Nach abgeschlossenen ganztägig ambulanten oder stationären Rehabilitationsmaßnahmen bieten wir Nachsorge oder für Versicherte der DRV Rheinland als regionalem Leistungsträger ARS nachstationär an. Mit den Ergebnissen in diesem Bereich sind wir unzufrieden, und als Einrichtung treibt uns das um. Zahlen aus 2013 sollen dies verdeutlichen: Im Jahr 2013 lagen uns insgesamt 120 Bewilligungen für Nachsorge oder ARS nachstationär durch die Leistungsträger vor. 36 Prozent – also 44 Personen – haben die Behandlung regulär und erfolgreich beendet, bei ca. 30 Prozent wurde die Maßnahme durch uns oder die Klienten frühzeitig beendet. Und knapp 34 Prozent – also 41 Personen – traten die Maßnahme gar nicht erst an!

    Die hohe Nichtantrittsquote ist umso erstaunlicher, als wir – und ich denke die gesamte ambulante Suchthilfe – in den vergangenen Jahren unsere Struktur viel „zugehender“ organisiert haben. Wenn eine Leistungszusage für einen Versicherten vorliegt, der noch keinen Kontakt mit uns hatte, versuchen wir Kontakt herzustellen. Wir beobachten auch eine Veränderung in der Zuweisung. Während es vor ca. 15 Jahren üblich wahr, dass Versicherte bereits während ihrer stationären Reha Kontakt zur Nachsorgeeinrichtung aufnahmen und Termine vereinbarten, ist das heute die Ausnahme. Somit scheint es dringend notwendig, die Schnittstellen zu den stationären Einrichtungen zu verbessern und zu pflegen.

    Den Bereich der Nachsorge bzw. der ARS nachstationär erlebe ich als eine sehr anspruchsvolle, zeitintensive und fordernde Arbeit. Die Themen und Anliegen der Menschen, die zu uns kommen, sind vielfältig, komplex und schwierig. Kürzere Rehabilitationszeiten und komorbide Krankheitsbilder tragen dazu bei. Die erste Zeit nach einer Suchtrehabilitation, wenn der Abhängigkeitskranke wieder in seinem vertrauten Umfeld lebt, ist oft entscheidend für eine längerfristige Abstinenz oder eine erneute (andauernde) Rückfälligkeit.

    Seit März 2013 ist das neue von DRV Bund und GKV erarbeitete Nachsorgekonzept in Kraft. Die beschriebenen Inhalte sind durchaus richtig und wichtig, jedoch wurden die qualitativen und quantitativen Standards erheblich abgesenkt. Aus meiner Sicht zeigt sich im Alltag der Einrichtungen etwas anderes. Wie erwähnt kommen viele Patienten in der Praxis gar nicht erst in unserer Einrichtung an, wir erleben häufige Rückfälle direkt nach Beendigung der Rehabilitation. Es scheint, als wäre Abstinenz in dem strukturierten Setting der stationären Einrichtung oder der Tagesklinik möglich, aber mit unserem inhaltlichen und strukturellen Angebot im Rahmen der Nachsorge erreichen wir eine Gruppe von Patienten nicht oder nicht ausreichend. Die Zahl derer, die mit multiplen Problemlagen zu uns kommen, ist groß. Ihnen werden wir mit dem neuen Nachsorgekonzept nicht gerecht. Daneben sind die beiden Tatsachen, dass in diesem Bereich von den Mitarbeitern keine speziellen suchttherapeutischen Qualifikationen mehr gefordert werden und das Leistungsentgelt abgesenkt wurde (für unsere Region fast um 25 Prozent innerhalb von vier Jahren), nicht nachvollziehbar und aus meiner Sicht ein falscher Weg.

    Mitarbeiterstruktur

    Wenn man über die Gegenwart und Zukunft der ambulanten Suchthilfe spricht, kann man den drohenden Fachkräftemangel nicht unerwähnt lassen. Ich befürchte, dass dies eine der wesentlichen Fragestellungen unserer Einrichtung in den kommenden Jahren wird. Mit 40 Jahren bin ich in meiner Einrichtung die Drittjüngste! Ein Blick auf unsere Altersstruktur zeigt, dass fast 50 Prozent der Mitarbeitenden in den kommenden zehn Jahren die Altersgrenze erreicht haben werden. Neben den Chancen, die mit Mitarbeiterwechseln verbunden sind, steht uns der massive gleichzeitige Verlust von Fachkompetenz bevor.

    Finanzierung

    Das Suchthilfesystem wird durch unterschiedliche Leistungsträger finanziert und ist in verschiedenen Sozialgesetzbüchern versorgungsrechtlich geregelt. Zum Teil werden große Teile der ambulanten Hilfen auf freiwilliger Basis finanziert (Öffentlicher Gesundheitsdienst ÖGD). Das Suchtberatungs- und Therapiezentrum erbringt Leistungen nach dem SGB II, V, VI, VIII, IX und XII. Es rechnet seine Leistungen mit der Stadt Düsseldorf, mit Renten- und Krankenversicherungen, Unternehmen, Spenden- und Stiftungsgebern ab. Und ist dies auskömmlich?

    Leider nein. Und das ist höchst bedauerlich. In all den Jahren habe ich das Gefühl, dass wir uns auf immer neue Gegebenheiten einlassen, neue Arbeitsfelder anbieten, Ideen entwickeln, anders verwalten – wirklich eine breite Palette an Hilfen und Dienstleistungen anbieten – und unterm Strich rechnet es sich nicht. Der größte Zuschussgeber unserer Arbeit ist die Stadt Düsseldorf, mit der es einen Rahmenvertrag gibt. Darin sind Aufgabenfelder und Kennzahlen festgelegt, die in den Bereichen Prävention, Beratung etc. zu erbringen sind. Die Verträge haben i. d. R. eine Laufzeit von drei bis fünf Jahren und geben damit schon eine relative Planungssicherheit. Die Zuschüsse stiegen in den letzten 15 Jahren jährlich um 1,38 Prozent. Seit 01.01.2014 ist eine Steigerungsrate von zwei Prozent mit der Stadt Düsseldorf vereinbart. Das ist mehr als viele anderen Kommunen anbieten, aber es deckt nicht die jährlichen Steigerungen im Personal- und Sachkostenbereich. Die Schere geht in den letzten Jahren immer weiter auseinander. Daneben erhalten wir kleinere Beträge aus Landesmitteln, Einnahmen aus unserem café drrüsch und aus dem Betrieblichen Gesundheitsmanagement.

    Die Vergütungssätze der ambulanten Rehabilitation sind in den letzten 15 Jahren ebenfalls nur marginal angestiegen. Manche Träger sind bereits aus der ARS ausgestiegen, da sie sie sich nicht mehr leisten konnten. Die Tagesklinik ist sicherlich ein Sonderfall und teilt das Schicksal vieler Tageskliniken, die immer wieder unter gravierenden Sorgen leiden. Seit ihrem Bestehen begleiten uns sehr schwankende Belegungszahlen, die gerade in so kleinen Einrichtungen immer wieder existenzbedrohende Züge annehmen. Bei der letzten Visitation sagte eine Vertreterin des Leistungsträgers: „Seien Sie froh, dass wir schon so lange durchhalten.“ Ich bin es auch, aber durchhalten konnten wir nur, weil wir einen Träger im Rücken haben, der uns durch manch schlechtes Jahr „getragen“ hat.

    Projekte und innovative Ansätze können wir dank Stiftungs- oder Spendengeldern umsetzen. Dies ist erfreulich, aber so ist es auch immer wieder unsicher, ob und wie solche Arbeit fortgesetzt werden kann. Ein aktuelles Beispiel hierfür stellt die Arbeit im Bereich Computerspiel- und Onlinesucht dar. Wie viele andere Träger auch konnten wir in den letzten Jahren ein Angebot aus Drittmitteln aufbauen. Nun ist das Angebot bekannt und wird rege in Anspruch genommen – und die Frage der weiteren Finanzierung ist offen. Einige Träger haben ihre Angebote für diese Zielgruppe in den letzten Monaten bereits eingestellt.

    Um kostendeckend zu arbeiten, die so genannte „schwarze Null“ zu sehen, sind wir auf Eigenmittel der Diakonie angewiesen. Personal, Sach- und Overheadkosten werden durch Zuschüsse, Erträge und Erlöse nicht gedeckt. Rückläufige Kirchensteuereinnahmen und in allen Bereichen ansteigende Kosten sorgen dafür, dass die kirchlichen Träger immer weniger bereit sind, diese Einnahmen in Angebote der Suchthilfe zu investieren, oder es schlichtweg nicht mehr können. Unsere Kostenstruktur lässt kaum Einsparpotentiale zu, der Großteil liegt in den Personalausgaben. Rücklagen für Investitionen oder Innovationen sind kaum möglich und bilden ein weiteres Zukunftsrisiko.

    Die Arbeit in der ambulanten Suchthilfe ist für mich eine Herzensangelegenheit. Hier wird wichtige und engagierte Arbeit geleistet, die für ein gut ausgebautes Suchthilfesystem in Deutschland unabdingbar ist. Wir haben es mit vielen Menschen zu tun, die niemals oder erst nach vielen Anläufen in den stationären Angeboten ankommen. Ihnen ein Unterstützungssystem anzubieten, welches passgenaue Hilfen zur Verfügung stellt, muss – trotz aller finanziellen Probleme – weiterhin unser Ziel und Ansporn sein.

    Blick in die Zukunft

    Ambulante Suchthilfe hat sich professionalisiert und spezialisiert. Angebote für Kinder, Jugendliche und ältere Menschen gehören ebenso dazu wie Handlungssicherheit bei Fragen zu Kindeswohlgefährdungen. Dabei wird ein kultursensibles und gendergerechtes Vorgehen in allen Bereichen der Beratung und Prävention erwartet. Mannigfaltige Aufgabengebiete und Arbeitsfelder werden benannt. Wir wollen passgenaue Hilfen für die Betroffenen anbieten. Aber wir müssen auch vorsichtig sein, uns nicht immer weiter auszudifferenzieren. Grenzen sind in der Sucht ein Thema, m. E. gilt das auch für unsere Organisationsstrukturen.

    Im Bereich der medizinischen Reha müssen wir unsere Angebote an arbeitsbezogenen Leistungen besser aufstellen und attraktiver machen. Arbeit und Tagesstruktur sind wichtige Bestandteile von Teilhabe und im Rahmen der Abstinenzsicherung nach einer Behandlung von immenser Bedeutung. Bei der Orientierung am Teilhabebegriff und an den Sprach- und Denkmustern der ICF müssen unsere ambulanten Angebote in den nächsten Jahren noch „aufholen“. Wir brauchen Angebote, die die Nachhaltigkeit von Rehabilitation für Menschen mit multiplen Problemlagen besser sichern. Der Spagat zwischen einer dienstleistungs- bzw. kundenorientierten Suchtberatung und -behandlung auf der einen Seite bei gleichzeitigem klaren Behandlungsprofil und klaren Grenzen auf der anderen fordert uns täglich heraus und ist sicherlich noch zu verbessern. Wir müssen suchtkranke Menschen früher erreichen und brauchen gute und funktionierende Kooperationen z. B. mit Hausärzten.

    „Finanzierung steuert Prozesse“ – und damit die Antwort auf die Frage, wie viel und welche Qualität in der Betreuung suchtkranker Menschen wir uns leisten können. In der ambulanten medizinischen Rehabilitation benötigen wir ein kostendeckendes Entgelt, ansonsten wird es in der ambulanten Versorgung zunehmend weiße Flecken auf der Landkarte geben. Für den Bereich der Nachsorge benötigen wir Angebote, die den Menschen und ihren Bedarfen gerecht werden. Und nicht zuletzt müssen wir auch zukünftig ausreichend qualifizierte Fachkräfte finden, die sich vorstellen können, in der Suchthilfe ihre berufliche Heimat zu finden. Als Lehrbeauftragte arbeite ich in einem Bachelorstudiengang Soziale Arbeit mit. Ich bin immer wieder erstaunt, als wie wenig attraktiv die Suchthilfe durch die Studierenden wahrgenommen wird. Das war zu meiner Studienzeit anders.

    Schließen möchte ich mit der Antwort auf die Frage, warum eine gut aufgestellte ambulante Suchthilfe für die Reha-Kliniken wichtig ist: Weil wir uns als DIE Vermittler in Rehabilitationen verstehen, die für eine gute Belegung der Kliniken unabdingbar sind. Weil wir regionale Vernetzungsstrukturen und Versorgung vor Ort anbieten. Weil wir mit einer guten Weiter- und Nachbehandlung stationäre Katamneseerfolge sichern, und weil wir frühzeitig die Möglichkeit haben, Trends und Entwicklungen zu sehen.

    Kontakt:

    Anja Vennedey
    Sachgebietsleiterin
    Suchtberatungs- und Therapiezentrum
    Fachambulanz und Tagesklinik
    Langerstraße 2
    40233 Düsseldorf
    anja.vennedey@diakonie-duesseldorf.de
    www.diakonie-duesseldorf.de

    Angaben zur Autorin:

    Anja Vennedey ist Dipl.-Sozialpädagogin, Sozialmanagerin M.A., Sucht-/Sozialtherapeutin und Supervisorin (DGSv). Bei der Diakonie Düsseldorf leitet sie das Suchtberatungs- und Therapiezentrum, bestehend aus Fachambulanz und Tagesklinik.

  • Nützlichkeit, Sichtbarkeit und Kooperation

    Nützlichkeit, Sichtbarkeit und Kooperation

    Helga Meeßen-Hühne
    Helga Meeßen-Hühne

    Helga Meeßen-Hühne ist seit 1999 in der Leitung der Landesstelle für Suchtfragen im Land Sachsen-Anhalt (LS-LSA) tätig. Sie beschreibt, welche Funktion die ambulante Suchthilfe auf Landesebene erfüllt und welche Strategien nötig und möglich sind, um ihre Finanzierung zu sichern. Der Artikel beruht auf einem Vortrag, den die Autorin im September 2014 auf der „23. Fachtagung Management in der Suchttherapie“ des buss in Kassel gehalten hat.

    1. Wer ist eigentlich die ambulante Suchthilfe?

    „Die“ ambulante Suchthilfe gibt es nicht

    Griffiger Titel – komplexe Gemengelage: Wer handelt in wessen Auftrag mit welchem Ziel in Kooperation mit wem? Verschiedenste gesetzliche Regelungen formulieren für den Suchtbereich jeweils unterschiedliche Anspruchsberechtigte, Erbringer und Ziele der Leistung: das SGB II über die Grundsicherung für Arbeitsuchende, das SGB V über die gesetzliche Krankenversicherung, das SGB VI über die gesetzliche Rentenversicherung und das SGB XII über die Sozialhilfe sowie die jeweiligen Landesgesetze über den Öffentlichen Gesundheitsdienst und über die Hilfen für psychisch Kranke. Nicht unerwähnt bleiben sollen Hilfen für Kinder, Jugendliche und junge Volljährige nach dem SGB VIII. Alle genannten Gesetze und einige weitere Vorschriften haben Relevanz auch für die „ambulante Suchthilfe“ (Ministerium für Arbeit und Soziales 2011).

    logo_ls_suchtfragen_verkeinertSuchtkranke und suchtgefährdete Menschen heißen – je nach Zuständigkeit – Kundinnen und Kunden, Rehabilitandinnen und Rehabilitanden, Klientinnen und Klienten oder seelisch Behinderte in Folge von Sucht. Im Wirkungsbereich des Kinder- und Jugendhilfegesetzes sind junge Menschen mit Suchtproblemen „von seelischer Behinderung in Folge von Sucht bedroht“ (§ 35a SGB VIII). Je nach Zuständigkeit geht es den Leistungsträgern z. B. um die Teilhabe am Arbeitsleben, die Sicherung und Wiederherstellung von Erwerbsfähigkeit oder die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.

    Dass 80 Prozent aller Suchtkranken mindestens einmal pro Jahr ihren Hausarzt aufsuchen, ist zumindest in der (Sucht-)Fachwelt bekannt. Die wenigsten der niedergelassenen Ärzte zählen sich aber selbst zur „ambulanten Suchthilfe“. Einige Ärzte, die Substitutionsbehandlung bei Opiatabhängigen durchführen, zählen sich zur „ambulanten Suchthilfe“. Manchmal ordnen sich Tageskliniken von psychiatrischen Fachkrankenhäusern oder von Fachkliniken gem. SGB VI der ambulanten Suchthilfe zu.

    Suchtberatungsstellen – Kern der ambulanten Suchthilfe

    Die Suchtberatungs- und -behandlungsstelle mit ihren regional sehr unterschiedlich ausgestalteten Grund- und Spezialangeboten bildet sicherlich den Kern der ambulanten Suchthilfe. Sie ist der einzige Dienst, der wirklich allen von Sucht Betroffenen offensteht: Angehörigen, Kindern, Betriebsangehörigen, Lehrkräften, Betroffenen in allen Stadien einer Sucht – und dies zuverlässig und wohnortnah: vom ersten (möglicherweise angeordneten) Besuch bis zur Krisenintervention, unter Umständen Jahre nach dem Erreichen einer zufriedenen Abstinenz.

    Bei allen weiteren notwendigen Hilfen steht der ratsuchende Mensch im Mittelpunkt. Qualität und Umfang der Kooperation mit Diensten in anderweitiger Zuständigkeit (z. B. mit dem Sozialpsychiatrischen Dienst, der Arbeitsverwaltung, der Krankenversorgung, der Rehabilitation, der Kinder- und Jugendhilfe oder der Schule) hängen allerdings von den jeweiligen Möglichkeiten der Suchtberatungsstelle und von den sehr unterschiedlich ausgeprägten kommunalen Vorgaben ab. Was dann vor Ort unter ambulanter Suchthilfe verstanden wird, unterscheidet sich entsprechend.

    Suchtberatungsstellen tragen zu Förderung und Sicherung des Arbeitskräftepotentials vor Ort bei. Sie sind Kristallisationsorte für spezialisierte und innovative Hilfen und DAS Kompetenzzentrum für Abhängigkeitsfragen vor Ort. Sie haben hinsichtlich sich verändernder Suchtverhaltensweisen und Konsummuster eine Frühwarnfunktion (Beispiel: Methamphetaminkonsum „Crystal Meth“). Darüber hinaus helfen sie mit ihrer Kenntnis der regionalen und überregionalen Hilfen und Zuständigkeiten jedem Betroffenen und Mit-Betroffenen, die jeweils passende Hilfestellung zu finden. Damit haben sie für alle Beteiligten im Hilfeprozess Lotsenfunktion – nicht nur für die Betroffenen, auch für Angehörige, Kollegen, behandelnde Ärzte usw.

    In der Regel kooperieren Suchtberatungsstellen mit Suchtselbsthilfegruppen. Nicht selten waren sie diesen in der Anfangsphase behilflich, waren vielleicht sogar an der Gründung beteiligt. Vielfach unterstützen Suchtberatungsstellen „ihre“ Suchtselbsthilfegruppen: mit Räumlichkeiten, bei der Beantragung finanzieller Unterstützung oder in Krisensituationen. Abstinent lebende Suchtkranke aus Suchtselbsthilfegruppen wiederum unterstützten Suchtberatungsstellen häufig bei Veranstaltungen. So fördern Suchtberatungsstellen Selbsthilfepotential und Ehrenamt.

    Suchtprävention und die möglichst frühe Intervention gehören ebenfalls zu den Aufgaben: Neben schulischer Suchtprävention bieten viele Suchtberatungsstellen beispielsweise für Menschen mit hohem Alkoholkonsum manualgestützte krankenkassengeförderte Kurse zur Trinkreduktion an. Präventions- und Interventionsprojekte zum jugendlichen Rauschtrinken, aber auch Tabakentwöhnung gehören vielerorts zum Repertoire.

    Suchtberatungsstellen kooperieren in lokalen und regionalen Gremien nicht nur mit Diensten und Einrichtungen der Gesundheitsversorgung, sondern auch mit Schule sowie mit der polizeilichen Kriminalprävention. Selbstverständlich sind sie auch mit regionalen Netzwerken zur Kindeswohlsicherung in Kontakt und haben längst nicht mehr „nur“ den suchtkranken Hilfesuchenden, sondern auch dessen familiäre Situation und damit die mitbetroffenen Kinder im Blick.

    Insgesamt sind Suchtberatungsstellen Teil des gemeindenahen pluralen, öffentlichen Hilfeangebotes und tragen als „weicher Standortfaktor“ zur Verbesserung des sozialen Klimas vor Ort bei.

    Sozialleistungsrechtliche Einordnung und Finanzierung

    Die Aufgaben der Suchtberatung und -prävention gehören zu den kommunalen Pflichtaufgaben im eigenen Wirkungskreis, die in der Regel im jeweiligen Gesetz über das Öffentliche Gesundheitswesen fixiert sind. Allerdings sind diese Aufgaben in keinem Bundesland hinsichtlich der vorzuhaltenden Quantität und Qualität belastbar formuliert. Das SGB II zur Teilhabe am Arbeitsleben formuliert seit Januar 2005 erstmals einen Anspruch der „Kundinnen und Kunden“ auf Hilfen zur Überwindung von psychosozialen Vermittlungshemmnissen, darunter auch jene in Folge von Sucht. Allerdings lassen sich auch hieraus kaum planerische Größen qualitativer oder quantitativer Natur ableiten. Angesichts des zunehmenden Legitimationsdrucks der Ausgaben vieler öffentlicher Haushalte befinden sich Suchtberatungsstellen zunehmend in Konkurrenz um die Förderung zu anderen wenig normierten psychosozialen kommunalen Leistungen wie z. B. Ehe-, Familie- und Lebensberatung.

    Weitere Normierungen u. a. für kommunale Aufgaben finden sich in den jeweiligen Landesgesetzen über die Hilfen und den Schutz für psychisch kranke Menschen (häufig PsychKG abgekürzt), zu denen auch Menschen mit Suchterkrankung zählen.

    In allen Bundesländern gehören Suchtberatung und -prävention zu den Aufgaben, die an freie Träger delegiert werden können: Die weitaus überwiegende Anzahl der Suchtberatungsstellen befindet sich in Trägerschaft der Verbände der freien Wohlfahrtspflege, die für das Angebot dieser kommunalen Dienstleistung auch Eigenmittel einbringen. Eigenmittel speisen sich v. a. aus Spenden und Kirchensteuern, zu einem Teil auch aus Leistungsentgelten wie z. B. ambulanter Rehabilitation. Die Art und Weise der Einbringung von Eigenmitteln divergiert von Kommune zu Kommune – je nach Verhandlungsstand.

    In der Regel unterliegen Suchtberatungsstellen der Fehlbedarfsfinanzierung. Damit schmälern unter Umständen Einkünfte, die im laufenden Jahr höher als gedacht ausfallen, die kommunale und – je nachdem – auch die Landeszuwendung. Damit kann also in der Regel nicht das Leistungsvolumen der Suchtberatungsstelle im laufenden Haushaltsjahr vergrößert werden. Werden eigene Einnahmen höher angesetzt und fallen niedriger aus, so liegt das Gesamtfinanzierungsrisiko beim Träger.

    Die Eigenmittel der Träger gehen tendenziell eher zurück. In den neuen Bundesländern stehen aufgrund der niedrigen Kirchenmitgliederquoten immer nur sehr begrenzte Mittel zur Verfügung. Die Anzahl der Bundesländer, die über Landesförderinstrumentarien Qualitätsdimensionen für regionale Suchtberatung definieren, nimmt ab. Unter wachsendem Spardruck muss die jeweilige Landesförderung zunehmend politisch erstritten werden – unter Umständen für jeden Haushaltszeitraum neu –, sofern die Landesförderung noch nicht in den kommunalen Finanzausgleich eingestellt worden ist. Dabei wissen die Länder in der Regel um ihr eigenes Interesse an der Arbeit von kommunalen Suchtberatungsstellen, beispielsweise weil sie vermeidbaren Bedarfen in der Eingliederungshilfe vorbeugt, weil sie Frühberentung vermeiden hilft oder weil sie zur Sicherung des Kindeswohls beiträgt. Dieses Interesse aus Sicht der Länder bildet die Legitimation für die freiwillige Förderung einer kommunalen Leistung.

    Koordination und Kooperation vor Ort – Psychosoziale Arbeitsgemeinschaften (PSAG)

    In den Psychosozialen Arbeitsgemeinschaften kann für die jeweilige Kommune definiert werden, was unter „ambulanter Suchthilfe“ zu verstehen ist. Häufig geht von den PSAGen der Impuls zur Abstimmung von Informationen über die Hilfeangebote für Bürgerinnen und Bürger aus. PSAGen arbeiten in der Regel unter der Leitung eines/-r Psychiatriekoordinators/-in. Einige Bundesländer schreiben in ihrem PsychKG einen solchen Koordinator in jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt vor. Je nach politischem Willen und Situation vor Ort findet in den entsprechenden Arbeitskreisen „Sucht“ mehr oder weniger verbindliche und lebendige Kooperationsplanung von Diensten und Einrichtungen statt. Dabei hat die Psychiatriekoordination hier weniger Steuerungs- als Moderationsfunktion: Echte Steuerung ist an Mitteleinsatz gebunden. Das Spektrum der inhaltlichen Arbeit in den PSAG-Arbeitskreisen reicht von der Planung klientzentrierter Kooperation bis zur Beobachtung der Konkurrenzsituation.

    2. Nützlichkeit, Sichtbarkeit und Kooperation legitimieren die ambulante Suchthilfe

    Wappen Sachsen-Anhalt
    Wappen Sachsen-Anhalt

    Die Landesstelle für Suchtfragen im Land Sachsen-Anhalt (LS-LSA)

    Wie können Suchtberatungsstellen ihren Wert für das regionale Hilfesystem darstellen und damit ihre weitere Finanzierung sichern? Hilfreich ist die Kooperation mit einer Bündelungsorganisation wie den Landesstellen für Suchtfragen. Diese gibt es in fast allen Bundesländern (Bundesarbeitsgemeinschaft 2010).

    Die Landesstelle für Suchtfragen im Land Sachsen-Anhalt (LS-LSA) fungiert als Landesfachstelle Sucht für die Landesregierung mit abgestimmter Aufgaben- und Jahresplanung. Die LS-LSA bündelt die Erkenntnisse und Anforderungen aus den Praxisfeldern der Suchtkrankenhilfe und Suchtprävention. Die sich daraus ergebenden Bestandsaufnahmen und Weiterentwicklungsbedarfe sind die Basis für die vielfältigen Aktivitäten der LS-LSA. Mitglieder der LS-LSA sind neben den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege alle landesweit tätigen Fachverbände in den Themenfeldern Suchtselbsthilfe, Suchtkrankenhilfe und Prävention. Rechtlich ist die LS-LSA ein Fachausschuss der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege im Land Sachsen-Anhalt e. V. (LIGA). Damit hat sie einen direkten Zugang zu allen Themenfeldern der psychosozialen Arbeit der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege. Da Sucht und Suchtvorbeugung Querschnittsthemen mit Relevanz für nahezu alle psychosozialen Versorgungsfelder darstellen, ist diese Einbindung wertvoll.

    Aufgrund der überdurchschnittlichen Problembelastung im Bereich der legalen Suchtmittel (vgl. Abb. 1) hat sich Sachsen-Anhalt unter anderen das Gesundheitsziel „Senkung des Anteils an Rauchern in der Bevölkerung und der alkoholbedingten Gesundheitsschäden auf Bundesdurchschnitt“ gesetzt. Die Arbeitsgruppe zu diesem Gesundheitsziel, in der Schlüsselinstitutionen der medizinischen Versorgung sowie Suchtfachkliniken mit Vertretern/-innen der GKV zusammenarbeiten, wird von der LS-LSA gemeinsam mit einem Vertreter der AOK Sachsen-Anhalt geleitet. Hieraus ergibt sich insgesamt eine gute Vernetzung der Themen, Aufgabenfelder und Akteure der Suchtkrankenhilfe und -prävention. Auch für die Deutsche Rentenversicherung in Mitteldeutschland übernimmt die LS-LSA Koordinierungsaufgaben, für die sie ebenfalls gefördert wird.

    Abb. 1: Krankenhausfälle aufgrund von Alkohol in Sachsen-Anhalt
    Abb. 1: Krankenhausfälle aufgrund von Alkohol in Sachsen-Anhalt

    Daten zum Suchtgeschehen auf Landesebene in Sachsen-Anhalt

    In der Diskussion über die Notwendigkeit von Suchtberatung und -prävention, die dann auch die Förderung legitimiert, werden in Sachsen-Anhalt vor allem folgende Datenquellen genutzt:

    • die Daten der Gesundheitsberichterstattung des Landes und des Bundes, v. a. Daten der Krankenhausberichterstattung: Diese Daten waren und sind wesentlich für die Formulierung der Gesundheitsziele des Landes.
    • die Daten der Deutschen Rentenversicherung: Hier sind v. a. die Informationen über den Zugang zur Rehabilitation, aber auch die Erwerbsunfähigkeitsquoten im Länder- und Bundesvergleich interessant.
      die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik: Diese werden v. a. im Hinblick auf die Anzahl von Straftaten unter Einfluss von Alkohol bzw. Betäubungsmitteln genutzt.
    • länderspezifische Erhebungen wie MODRUS – Moderne Drogen- und Suchtprävention; leider war 2008 das letzte Erhebungsjahr.
    • die Deutsche Suchthilfestatistik – Auswertung Sachsen-Anhalt (DSHS LSA): Die Datensammlung erfolgt seit 2001 als Vollerhebung mit dem System Ebis der Gesellschaft für Standard-Dokumentation und Auswertung München (GSDA) an den 32 Suchtberatungsstellen in Trägerschaft der freien Wohlfahrtspflege, koordiniert durch die LS-LSA. Die DSHS LSA liefert Informationen zum Ausmaß der Hilfeinanspruchnahme sowie soziodemografische Informationen und spiegelt seismografisch das Suchtgeschehen im Zeitverlauf.

    Die LS-LSA führt die Daten anlassbezogen thematisch prägnant zusammen.

    Daten zum Suchtgeschehen auf regionaler Ebene: der standardisierte Sachbericht der Suchtberatungsstellen

    Den standardisierten Sachbericht für Sachsen-Anhalt (http://www.ls-suchtfragen-lsa.de/data/mediapool/vorlage_2014.pdf) als Auszug aus den umfangreichen Ergebnistabellen des Deutschen Kerndatensatzes generiert jede Suchtberatungsstelle aus dem Datenerfassungs- und Auswertungsprogramm. Abgebildet werden die personelle Situation und wesentliche klientbezogene Daten, aber auch Aktivitäten der Suchtberatungsstelle. Dieser Datenüberblick bildet ein übersichtliches und prägnantes Instrument für die eigene fachpolitische Arbeit vor Ort. Da alle Suchtberatungsstellen mit dem standardisierten Sachbericht arbeiten, können beispielsweise Daten in Kooperation mit den anderen Suchtberatungsstellen in der Region regional zusammengeführt, aber auch in Bezug zu Landesdaten gesetzt werden.

    3. Beispiele für die Datennutzung

    Die LS-LSA verzichtet auf die Herausgabe von umfangreichen Berichten. Die Erfahrung zeigt, dass Politik und Verwaltung Informationen gern zur Kenntnis nehmen (und bestenfalls in politisches Handeln einbeziehen), wenn sie themenbezogen, belastbar und knapp aufbereitet sind. Am besten ist, wenn Politik und Verwaltung selbst Informationen nachfragen. Die themenbezogenen Arbeiten der LS-LSA werden bei Bedarf von den Suchtberatungsstellen in den Landkreisen bzw. kreisfreien Städten auf die Region bezogen beschrieben. Die Daten hierfür liegen ja allen Suchtberatungsstellen vor.

    2005: SGB II – Kooperationen mit der Bundesagentur für Arbeit

    Gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen hat die LS-LSA 2005 für die neu eingeführten Fallmanager der ARGEn (heute: Jobcenter) mit der Veranstaltung „Basiswissen Suchtfragen – Versorgungsstrukturen und Behandlungskonzepte in Sachsen-Anhalt“ den Grundstein für die gute Kooperation der Suchtberatungsstellen (und auch der stationären Suchthilfe) mit den Jobcentern gelegt. Da die Ergebnistabellen des Deutschen Kerndatensatzes damals noch keine genauen Auskünfte zur Dauer der Arbeitslosigkeit lieferten, konnte in Spezialerhebungen und mit Unterstützung der Gesellschaft für Standard-Dokumentation und Auswertung (GSDA) der Erfahrungshorizont der Suchtberatungsstellen in der Arbeit mit längerfristig arbeitslosen Menschen gezeigt werden. Dies trug zur Akzeptanz der Suchtberatungsstellen durch die ARGEn bei. In der Folge organisierten Suchtberatungsstellen Weiterbildung zu Suchtfragen für „ihre“ ARGE und verhandelten Kooperationsvereinbarungen fachlich auf Augenhöhe.

    2009: Handlungsempfehlung: Beitrag zur Kindeswohlsicherung durch Suchtberatungsstellen

    Nach Inkrafttreten des § 8a Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetzes (KICK) im SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz KJHG) im Jahr 2005 stellte sich auch für Suchtberatungsstellen die Frage, wie die Kinder der bei ihnen Rat Suchenden systematisch in den Blick genommen werden können. Die Daten aus der DSHS LSA machten unmittelbar den Handlungsbedarf deutlich: „Im Jahr 2007 wurden durch die Suchtberatungsstellen in Sachsen-Anhalt rund 6.000 Menschen mit Alkoholproblemen betreut. Insgesamt hatten diese ca. 4.000 eigene Kinder. Etwa 1.700 Kinder lebten insgesamt im Haushalt der Betroffenen. Bei Suchtproblemen mit den illegalen Drogen Opiate, Cannabis, Kokain und Stimulanzien wurden insgesamt rund 2.000 Menschen betreut. Insgesamt hatten diese ca. 800 eigene Kinder. Etwa 600 Kinder lebten insgesamt im Haushalt der Betroffenen.“ (LIGA et al. 2009)

    Die mit allen relevanten Partnern abgestimmte Handlungsempfehlung gibt den Suchtberatungsstellen eine Orientierung für stringentes klientzentriertes Handeln in diesem heiklen Themenfeld. Mit der Veröffentlichung der Handlungsempfehlung wurden die Suchtberatungsstellen in die regionalen Initiativen zur Kindeswohlsicherung verstärkt einbezogen. Unter dem Aspekt, dass die Arbeit an der eigenen Problematik der erwachsenen Ratsuchenden immer auch den Kindern zu Gute kommt, erfuhr die Nützlichkeit von Suchtberatungsstellen verstärkte Aufmerksamkeit.

    2009 bis 2011: Neustrukturierung der Beratungslandschaft in Sachsen-Anhalt

    Im Auftrag des Landtags erarbeitete eine Gruppe unter Federführung des Ministeriums für Arbeit und Soziales Sachsen-Anhalt eine umfangreiche Bestandsaufnahme zu den landesgeförderten Beratungsstellen und den Landesstellen. Ziel war u. a. die Überprüfung des Landesinteresses. Für die Suchtberatungsstellen konnte die LS-LSA anhand der DSHS LSA und anhand eigener Erhebungen belastbare Informationen zu Personalentwicklung und Versorgungsquote, zu den Beratungsbedarfen und Betreuungen, aber auch zu „neuen“ Problemfeldern wie der problematischen Mediennutzung beisteuern. Im Resultat wurde das Landesinteresse bestätigt, sowohl an den Suchtberatungsstellen als auch an der LS-LSA.

    Seit 2010: ICD-10 F15 und Crystal

    Nach den Problemanzeigen zunächst einzelner Suchtberatungsstellen hat die LS-LSA die Crystal-Thematik landesweit im Facharbeitskreis der Suchtberatungsstellen und im Facharbeitskreis Suchtprävention mit einem Dezernenten des Landeskriminalamtes diskutiert. Der Anstieg der Betreuungsfälle mit der Hauptdiagnose ICD-10 F15 – Stimulanzien zeichnet sich in der DSHS LSA seit dem Jahr 2007 deutlich ab (Meeßen-Hühne 2014).

    Ob es sich hier tatsächlich um Betreuungen von Klienten/-innen mit der Hauptdiagnose Methamphetaminkonsum handelt, wurde mit einer Zusatzabfrage erhoben. Der Anteil der Crystal-Klientel an der Gesamtklientel mit der Hauptdiagnose ICD-10 F15 betrug im Jahr 2011 38 Prozent, das entspricht etwa 241 Personen. Inklusive der Einmal-Kontakte wurden 276 Crystal-Klienten betreut. Der Anteil der Crystal-Klientel an der Gesamtklientel mit der Hauptdiagnose ICD-10 F15 betrug im Jahr 2012 bereits 54 Prozent, das entspricht etwa 549 Personen. Inklusive der Einmal-Kontakte wurden 734 Crystal-Klienten betreut. Der Anteil der Crystal-Klientel an der Gesamtklientel mit der Hauptdiagnose ICD-10 F15 betrug im ersten Trimester 2013 etwa 82 Prozent und steigerte sich im Jahresverlauf auf nahezu 100 Prozent. Inklusive der Einmal-Kontakte wurden 1.177 Crystal-Klienten betreut.

    Eine Zunahme der Betreuungsfälle mit der Hauptdiagnose Stimulanzienkonsum zeigt sich in allen Altersgruppen. 2012 waren erstmals unter 14-Jährige, aber auch über 50-Jährige wegen Problemen mit Crystal in Beratung. Der Anteil weiblicher Ratsuchender mit Stimulanzienproblematik lag über die Jahre konstant bei etwa einem Drittel.

    Um sicherzugehen, dass die Betreuungsfälle nicht nur das Geschick der Suchtberatungsstellen, sondern echte Konsumtrends abbilden, wurden die Daten der Suchtberatungsstellen denen der Krankenhausberichterstattung gegenübergestellt. Darüber hinaus wurden die Betreuungsfälle landkreisbezogen dargestellt.

    Mit den Daten der DSHS lässt sich auch die Entwicklung der Betreuungszahlen in den anderen Hauptdiagnosen zeigen, auch in Bezug zur Bevölkerungsentwicklung. Damit wird zweierlei klar: 1. Trotz sinkender Einwohnerzahlen geht der Bedarf an Suchtberatung nicht zurück. 2. Bei gleichbleibender Personalausstattung kann es in den Anteilen der Betreuungen im legalen (v. a. Alkohol) und illegalen Hilfebereich nur Verschiebungen geben.

    2013 war die LS-LSA Kooperationspartner der Fachhochschule Polizei bei Organisation und Durchführung der Fachtagung „Neue Drogentrends“. Auf der Tagung wurden das Datenmaterial der LS-LSA zur Crystal-Problematik und die besonderen Herausforderungen für die Suchtprävention im Bereich der illegalen Drogen vorgestellt, und auch die FH Polizei forderte in der Presseinformation zur Veranstaltung die bedarfsentsprechende Ausstattung von Suchtberatung und -Prävention.

    Im Rahmen einer Zuarbeit zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage aus dem Landtag Sachsen-Anhalt wurden die aktualisierten Daten weiterverwendet. Auch der Psychiatrieausschuss des Landes verwertete diese Informationen in seinem 21. Bericht an den Landtag und an das Ministerium für Arbeit und Soziales und forderte eine angemessene Personalausstattung der Suchtberatungsstellen (Psychiatrieausschuss Sachsen-Anhalt 2014).

    Mit der belastbaren Aufbereitung der Daten zur Betreuungssituation und der Problemsicht in den Suchtberatungsstellen trägt die LS-LSA wesentlich zur Gesamtschau der Crystal-Problematik vor allem aus der Perspektive der ambulanten Suchthilfe bei, und diese Expertise wird durch Politik und Verwaltung angefragt.

    „Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Familienförderung des Landes Sachsen-Anhalt und zur Neuordnung der Förderung sozialer Beratungsangebote“

    Angesichts der Finanzlage des Landes insgesamt standen die landesseitig „freiwilligen Leistungen“ in jeder Haushaltsverhandlung neu zur Disposition. Mit dem „Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Familienförderung des Landes Sachsen-Anhalt und zur Neuordnung der Förderung sozialer Beratungsangebote“ vom 13.08.2014 scheint die Sicherung der Landesförderung für Suchtberatungsstellen und für Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsberatungsstellen gelungen zu sein.

    Zugleich bietet das Gesetz die Chance auf Weiterentwicklung der Hilfequalität: Mit Beantragung der einwohnerbezogenen Landesförderung müssen die Landkreise und kreisfreien Städte erstmalig zum Oktober 2015 eine „Sozial- und Jugendhilfeplanung“ vorlegen, die mit Trägern und Regionalpolitik abgestimmt sein muss. Die Versorgung von „Multi-Problem-Familien“ soll mit ressortübergreifender integrierter Beratung verbessert werden. Neben Suchtberatungsstellen und Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsberatungsstellen sind auch die Insolvenz-, Schuldner- und die Schwangeren- bzw. Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen beteiligt. An der Umsetzung dieser Idee der LIGA arbeiten die Träger der freien Wohlfahrtspflege in den Gebietskörperschaften schon seit geraumer Zeit. Die ersten Kooperationsvereinbarungen stehen vor dem Abschluss, Diagnose- und Dokumentationsinstrumente für die Abbildung von Multi-Problem-Familien und Beratungsverläufen werden entwickelt (LIGA 2012).

    4. Fazit

    Der Nutzen von Suchtberatungsstellen konnte in den letzten Jahren anhand einzelner Themen auf unterschiedlichen Ebenen immer wieder verdeutlicht werden. Insgesamt hat sich dadurch die allgemeine Zustimmung zu dieser Leistungsform verbessert. In einigen Bereichen wurde die knappe Personalsituation stabilisiert, in einer Kommune wurde eine weitere Suchtberatungsstelle eingerichtet. Für die Weiterentwicklung im Rahmen der integrierten Beratung sind die Suchtberatungsstellen in Sachsen-Anhalt gut gerüstet.

    Suchterkrankungen führen zu Störungen in vielen Lebensdimensionen. „40 Prozent aller Erkrankungen und vorzeitigen Todesfälle lassen sich auf nur drei vermeidbare Risikofaktoren zurückführen: Rauchen, Alkoholmissbrauch und Verkehrsunfälle, die selbst oft durch Alkohol verursacht werden.“ (WHO 2011 zit. n. DHS 2014) Nach unserer Erfahrung wird die ambulante Suchthilfe weiter Bestand haben, wenn sie weiterhin ihren Nutzen für alle Finanzierungsebenen belegen kann, wenn alle relevanten Partner sie weiter nützlich finden und ihrerseits Lobby-Funktion ausüben.

    Kontakt:

    Helga Meeßen-Hühne
    Landesstelle für Suchtfragen im Land Sachsen-Anhalt (LS-LSA)
    Fachausschuss der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege im Land Sachsen-Anhalt e.V.
    Halberstädter Str. 98
    39112 Magdeburg
    Tel. 0391/543 38 18
    info@ls-suchtfragen-lsa.de
    www.ls-suchtfragen-lsa.de

    Angaben zur Autorin:

    Helga Meeßen-Hühne, Dipl.-Sozialpädagogin und Suchttherapeutin, ist seit 1999 in der Leitung der Landesstelle für Suchtfragen im Land Sachsen-Anhalt (LS-LSA) tätig. Die LS-LSA ist ein Fachausschuss der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege im Land Sachsen-Anhalt e. V. (LIGA FW), dem Zusammenschluss der im Land tätigen Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege. Wesentliche Aufgaben der LS-LSA sind Förderung und Koordination von Suchtprävention und Suchtkrankenhilfe.

    Literatur:

     

  • Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe

    Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe

    Rita Hansjürgens
    Rita Hansjürgens

    Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe ist seit den Anfängen der Versorgung Suchtkranker ein Teil des Hilfesystems. Obwohl regional oft akzeptiert und geschätzt, scheint bis heute im Fachdiskurs unklar zu sein, was genau Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe ist und wie sie ihre Aufgaben insbesondere im Umgang mit Konsumenten von legalen Suchtmitteln wahrnimmt. Im Rahmen einer qualitativen Arbeitsfeldanalyse wurden diese Tätigkeiten rekonstruiert. Sichtbar wurde, dass die Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe komplexe Tätigkeiten sowohl auf der Ebene des individuellen Kontakts (Mikroebene) als auch auf der Ebene der Vernetzung von Institutionen (Mesoebene) wahrnimmt, die deutlich über einfache Suchtanamnese und formale Vermittlungstätigkeit hinausgehen. Deutlich wurde aber auch, dass der formale Rahmen diese Tätigkeiten nicht abbildet und hier nur wenig Orientierung und Sicherheit gibt. Fachkräfte der Sozialen Arbeit brauchen ein deutlicheres Bewusstsein ihrer eigenen Expertise, und Konzepte der Sozialen Arbeit müssen expliziter in Organisationsstrukturen und Qualitätshandbücher Eingang finden, um Hilfepotentiale der Sozialen Arbeit dauerhaft für KlientInnen zu sichern.

    Ausgangslage

    Die ambulante Suchthilfe im Allgemeinen hat sich hervorgehend aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit mit primär fürsorgerischer Intention professionalisiert. Heute umfasst sie ein weit differenziertes Angebot für Menschen mit Suchtverhalten oder seinen Vorstufen. Dies Angebot richtet sich an die Betroffenen selbst sowie an ihr soziales Umfeld, unabhängig von der Art und Weise der konsumierten Substanz oder der Verhaltensauffälligkeit, die im Zusammenhang mit Sucht steht. Das Angebot reicht von der ersten Kontaktaufnahme über Beratungsangebote, die Vermittlung in weitere suchtspezifische (Therapie-)Angebote und Nachsorge nach erfolgter Therapie bis hin zu Langzeitprozessen, die mit Unterbrechungen Jahre dauern können.

    Seit ihrem Entstehen Anfang des 20. Jahrhunderts war die ambulante Suchthilfe ein multiprofessionell geprägtes Feld, zunächst durch die Berufsgruppen von Theologen und Diakonen, aber auch zum Teil durch Ärzte geprägt. Aber „seit der Nachkriegszeit strömten immer mehr Sozialarbeiter und Sozialpädagogen in das Feld der Suchthilfe. Sie wurden zu wesentlichen Trägern der Professionalisierung.“ (Helas 1997)

    Heute hat sich die ehemals ehrenamtlich geprägte ambulante Suchthilfe zu einer professionellen Hilfeleistung entwickelt. Ambulante Suchthilfe besteht heute zu 98 Prozent aus ambulanten Beratungs- und Behandlungsstellen. Der multiprofessionelle Charakter dieses Arbeitsfeldes hat sich gehalten. Aktuell sind dort ÄrztInnen (zwei Prozent) genauso tätig wie PsychologInnen (elf Prozent) oder PädagogInnen, SozialwisssenschaftlerInnen und SoziologInnen (insges. acht Prozent). Aber bis heute stellen SozialarbeiterInnen mit 69 Prozent die größte akademisch ausgebildete Berufsgruppe in der ambulanten Suchthilfe dar (Pfeiffer-Gerschel et al. 2012). Dies bedeutet, dass die ambulante Suchthilfe bis heute ein klassisches Feld der Sozialen Arbeit ist und deshalb vornehmlich durch einen eher sozialarbeiterischen Habitus bzw. sozialarbeiterische Methoden geprägt sein müsste. Umso erstaunlicher ist, dass speziell für das Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit in der ambulanten Suchthilfe eine Analyse in Bezug auf ihre Tätigkeiten und Handlungsweisen nur begrenzt vorliegt und eher einen groben Überblick liefert oder sich vornehmlich auf die Arbeit mit KonsumentInnen von illegalen Suchtmitteln bezieht (Loviscach, Lutz 1996; Preuß-Ruf 2012; Stöver 2012). Dieser Befund war der Auslöser für den Versuch, Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe näher beschreiben zu wollen mit besonderem Fokus auf die Inhalte, auf methodisches Handeln und Professionalität.

    Forschungsdesign

    Fragestellung

    Anhand von Selbstbeschreibungen der Fachkräfte sollte versucht werden zu klären, welche Aufgaben SozialarbeiterInnen im Kontext ambulanter Suchthilfe wahrnehmen und wie sie diese bearbeiten. Konkret sollte versucht werden herauszufinden, ob sich Handeln und Selbstwahrnehmung in ausgewählte Theorien und Konzepte der Profession Soziale Arbeit einordnen lassen und zu einer Arbeitsfeldbeschreibung verdichtet werden können.

    Rechtliche Rahmenbedingungen und theoretische Grundlagen

    Von Fachverbänden formulierte Standards und gesetzliche Rahmenvorgaben beschreiben, welche Aufgaben Fachkräfte der Sozialen Arbeit in der ambulanten Suchthilfe wahrnehmen sollen. Als entsprechende Quellen wurden herangezogen:

    • „Mindeststandards der ambulanten Suchthilfe“ des Fachverbandes Drogen und Rauschmittel fdr (2005)
    • „Leistungsbeschreibung für Beratungs- und Behandlungsstellen“, herausgegeben von der Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren DHS (1999)
    • „Suchthilfe im regionalen Behandlungsverbund“, ebenfalls von der DHS herausgegeben (1999)
    • Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst in Nordrhein-Westfalen (ÖGDG NRW), insbesondere § 16 Abs. 2 (Hilfen der unteren Gesundheitsbehörde für Abhängigkeitskranke)
    • Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG)
    • SGB VI § 13 Anl. 9 (= Anl. 3 zur Vereinbarung „Abhängigkeitserkrankungen“)
    • SGB VI § 13 Anl. 6

    In den letzten Jahren wurden weitere Standards einer professionellen Sozialen Arbeit entwickelt und festgelegt. Zu nennen sind folgende theoretische Grundlagen:

    • Spezialisierung von klinischer Sozialarbeit als Fachsozialarbeit mit den methodischen Schwerpunkten „Beratung und Behandlung“ (Pauls, Gahleitener 2011)
    • Zuständigkeit und Ziele sozialer Arbeit in der Sozialpsychiatrie, welche sich konkret auf die „Schaffung von sozialen Erfahrungsräumen, Erfahrung von Sinn, Schaffung von Sicherheit und Selbstwirksamkeitserfahrungen“ beziehen (Sommerfeld et al. 2011)
    • „Multiperspektivisches Fallverstehen“ als Kernkompetenz „Sozialpädagogischen Könnens“ (Müller 2012)
    • Beschreibung eines Professionsideals Sozialer Arbeit mit den Dimensionen „Spezifisches Berufsethos, Fähigkeit zur Gestaltung eines Arbeitsbündnisses, Fähigkeit zum theoriegeleiteten Fallverstehen“ (Becker-Lenz, Müller 2009)

    Forschungsgegenstand und Auswahl der GesprächspartnerInnen

    Gegenstand dieser Forschungsarbeit waren Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die in der ambulanten Suchtkrankenhilfe arbeiten. Da sich Beschreibungen Sozialer Arbeit in der Suchthilfe vor allem auf den Bereich der Arbeit mit Abhängigen von illegalen Suchtmitteln beziehen, sollte in dieser Forschungsarbeit der Schwerpunkt auf der Sozialen Arbeit im Kontext mit Abhängigen von legalen Suchtmitteln liegen (vornehmlich Alkohol und Medikamente). Um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten, wurden GesprächspartnerInnen aus dem eher ländlichen Raum mit einem Einzugsgebiet von ca. 150.000 bis 250.000 Einwohnern gesucht. Die Arbeitsstellen liegen teilweise in einem Flächenkreis und sind daher dezentral organisiert. Alle Beratungsstellen liegen in NRW, um von einer einheitlichen Rechtslage in Bezug auf die Finanzierung ausgehen zu können. Zustande kamen fünf Interviews mit drei weiblichen und zwei männlichen InterviewpartnerInnen im Alter von 36 bis 59 Jahren. Es handelt sich um festangestellte MitarbeiterInnen mit zehn bis 30 Jahren Berufserfahrung im Feld der Suchthilfe, davon vier bis 30 Jahre im untersuchten Einsatzgebiet. Die Interviewpersonen sind primär im Aufgabengebiet der allgemeinen Versorgung eingesetzt und nicht in einem Spezialfeld (z. B. Betreutes Wohnen, Prävention, ambulante Therapie), wobei berufliche Vorerfahrungen in diesen Feldern teilweise vorliegen.

    Der explorative Charakter dieser Untersuchung legt eine quantitative Überprüfung der Ergebnisse zu einem späteren Zeitpunkt nahe, welche aktuell in Vorbereitung ist.

    Erhebung der Daten

    Es sollte ein qualitatives Design angewandt werden, das dazu geeignet ist, aus einer Beschreibung des konkreten Tuns verifizierbare Kategorien zu extrahieren. Daher wurde als Erhebungsmethode ein leitfadengestütztes Experteninterview mit festangestellten SozialarbeiterInnen der operativen Ebene in Anlehnung an Helfferich (2011) und Bogner (2009) gewählt. Als theoretischen Hintergrund für den Interviewleitfaden wurden die Theorieskizze Sozialer Arbeit mit Zuständigkeiten und Zielen Sozialer Arbeit in der Sozialpsychiatrie (Sommerfeld et al. 2011) sowie die Beschreibung eines Professionsideals von Sozialer Arbeit auf der Basis eines professionellen Habitus (Becker-Lenz, Müller 2009) herangezogen.

    Auswertung der Daten

    Die Interviews wiesen aufgrund der Unterschiede in Alter, Berufserfahrung im Feld, Zugang zur Suchtkrankenhilfe und Geschlecht der Befragten maximal kontrastierende Merkmale auf. Sie wurden in Anlehnung an Bohnsack (2003) transkribiert und in Anlehnung an das sequentielle Verfahren der objektiven Hermeneutik (Oevermann 1980) ausgewertet. In einer sich anschließenden vergleichenden Analyse wurden die gefundenen Fallstrukturen noch einmal verdichtet und in Bezug auf die Beantwortung der Forschungsfrage – welche Aufgaben übernehmen SozialarbeiterInnen im Kontext ambulanter Suchthilfe und wie nehmen sie dies wahr? – reformuliert. Dabei dienten die oben genannten theoretischen Grundlagen als „Folie“, um zu überprüfen, ob und wenn ja welche Elemente der aus der Theorie bekannten professionellen Weiterentwicklungen der Sozialen Arbeit in der Praxis der ambulanten Suchtkrankenhilfe auftreten und möglicherweise auch benannt werden.

    Ergebnis der Untersuchung

    Die Forschungsfrage setzte sich aus zwei Teilfragen zusammen. Für jede werden die Ergebnisse im Folgenden einzeln vorgestellt.

    Welche Aufgaben übernehmen Fachkräfte der Sozialen Arbeit in der ambulanten Suchthilfe?

    Als wichtigste Aufgabe wird auf der Ebene der direkten Arbeit mit den KlientInnen (Mikroebene) ein multiperspektivisches Fallverstehen gesehen, welches einen großen Raum einnimmt in der konkreten Arbeit. Diese diagnostische Herangehensweise ist die Grundlage für alle weiteren Tätigkeiten der Fachkräfte sowie auch für die Gestaltung eines Arbeitsbündnisses. Über das Fallverstehen und die Konstituierung des Arbeitsbündnisses, explizit auch in und mit Zwangskontexten (z. B. Druck durch den Arbeitgeber, Familienmitglieder, Führerscheinstelle), wird die in der Regel vorhandene Ambivalenz der KlientInnen bearbeitet (sog. Motivationsarbeit). Die Auflösung der Ambivalenz führt dann in der Interventionsphase entweder zu einer Vermittlung in weiterführende Hilfen, zu einer problemzentrierten Beratung innerhalb der Einrichtung oder zu einer (vorläufigen) Beendigung des Kontaktes.

    Im Rahmen der Vermittlung übernimmt die ambulante Suchthilfe meist Lotsenfunktion für die KlientInnen im (Sucht-)Hilfesystem und leistet individuelle Hilfe und Unterstützung bei der Antragstellung. Diese direkte Vermittlung bezieht sich auf suchtbezogene Hilfen nach den SGB V und VI (Entgiftung und Therapie) oder die Vermittlung in Selbsthilfe oder andere nicht suchtspezifische Hilfen. Die Tätigkeit der Vermittlung wird von den Fachkräften weniger als „technischer oder administrativer Akt“ verstanden, sondern zum einen als aktive Biographiearbeit und erste Erarbeitung subjektiver weitergehender Therapieziele und zum anderen als Teil der Gestaltung eines Prozessbogens, der mit dem Fallverstehen beginnt und mit der vollzogenen Vermittlung nicht zwangsläufig enden muss. Der Bogen kann sich auf der Basis des sog. Arbeitsbündnisses in Zeiten des Übergangs fortsetzen (z. B. zwischen Therapie und Nachsorge oder bei Nicht-Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen), und die Beratungsstelle kann abermals als Schnittstelle zu einer weiter versorgenden Stelle fungieren.

    Die durch die problemzentrierte Beratung und individuelle Hilfeplanung gewonnen Erkenntnisse in Bezug auf Notwendigkeiten der Hilfe für die Suchtkranken (z. B. bei neuen Trends des Substanzkonsums oder Veränderung der Lebensbedingungen der KlientInnen) führen zu einem vertieften Fallverstehen und fließen in die Vorschläge für eine Optimierung bzw. Anpassung der regionalen Versorgungssituation ein. Abbildung 1 stellt eine Visualisierung der gefunden Tätigkeiten dar.

    Abb. 1: Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe – Mikroebene (eigene Darstellung)
    Abb. 1: Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe – Mikroebene (eigene Darstellung)

    Auf der Mesoebene (Strukturebene) sind als Aufgaben in erster Linie die Kooperation und Vernetzung – teilweise auch die aktive Initiierung und Pflege eines regionalen Suchthilfenetzes – auf der professionellen Ebene zu nennen. Diese Vernetzung erfolgt in Richtung der Hilfen nach SGB V und VI, aber auch in Richtung der Selbsthilfe und der nicht primär suchtbezogenen Hilfen. Als konkrete Elemente der Netzwerkarbeit konnten zum einen die Moderation von und Mitarbeit in Arbeitskreisen gefunden werden und zum anderen Kooperation und Konfliktmanagement mit zunächst eher losen Kontakten. Aus dieser Zusammenarbeit ergibt sich dann ebenfalls (wie auf der Mikroebene) ein Arbeitsbündnis, nun aber zwischen konkreten Organisationen. Über dieses Arbeitsbündnis werden dann feste Kooperationen, teilweise mit Festschreibung in Kooperationsverträgen, und Fortbildungen, z. B. für Einrichtungen der Jugendhilfe, Betriebe oder Einrichtungen der Arbeitsvermittlung, vereinbart (s. Abb. 2).

    Abb. 2: Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe – Mesoebene (eigene Darstellung)
    Abb. 2: Soziale Arbeit in der ambulanten Suchthilfe – Mesoebene (eigene Darstellung)

    Mit Blick auf das Finanzierungssystem und die vorhandenen Standards kann festgestellt werden, dass die rechtsverbindlichen Vorgaben der gesetzlichen Grundlagen (ÖGDG und PsychKG) sich inhaltlich und fachlich vieldeutig gestalten und eine direkte Ableitung von Aufgaben nicht erlauben. Währenddessen haben die Fachstandards und Richtlinien der Leistungsträger der ambulanten Rehabilitation für diejenigen Einrichtungen, die eine solche im Haus anbieten, einen quasi Rechtsstatus, an dem sich die ganze Organisationsstruktur der Einrichtung orientiert, obwohl die Leistungen im Vorfeld einer ambulanten Therapie ausdrücklich nicht von der DRV und der GKV refinanziert werden. Die für die Umsetzung nötigen Ressourcen speisen sich aus den Leistungsverträgen, die mit den Kommunen auf der Basis des ÖGDG bzw. PsychKG ausgehandelt werden und letztlich eine freiwillige Leistung darstellen. Die eigentliche Versorgungsverpflichtung der unteren Gesundheitsbehörden bezieht sich auf die Vorhaltung eines Sozialpsychiatrischen Dienstes (§ 16, Abs. 2 ÖGDG, § 5 Abs. 1 S. 1 Psych KG).

    Wie nehmen Fachkräfte der sozialen Arbeit ihre Aufgaben wahr?

    Ein Vergleich der von den Fachkräften beschriebenen Tätigkeiten mit den oben genannten theoretischen Grundlagen professionellen sozialarbeiterischen Handelns ergab, dass die Tätigkeiten diesen im Wesentlichen entsprechen:

    • Die wahrgenommen Aufgaben mit ihrem vornehmlich beraterischen, therapienahen Schwerpunkt entsprechen einer Spezialisierung von klinischer Sozialarbeit als Fachsozialarbeit mit den methodischen Schwerpunkten „Beratung und Behandlung“ (Pauls, Gahleitener 2011).
    • Es kann davon ausgegangen werden, dass die Klärung der Ambivalenz der KlientInnen verbunden mit einer aktiven Unterstützung (nicht Übernahme!) bei der administrativen Beantragung weiterführender Leistungen dazu beiträgt, für die KlientInnen Sicherheit zu schaffen und sie in ihrer Selbstwirksamkeit zu stärken, wie dies als Zuständigkeit und Ziel der Sozialen Arbeit in der Sozialpsychiatrie beschrieben wird (Sommerfeld et al. 2011). Um dieses zu verifizieren, müsste eine Untersuchung aus der KlientInnenperspektive erfolgen.
    • Die Art des Fallverstehens zeigt deutliche inhaltliche und methodische Nähe zum multiperspektivischen Fallverstehen (Müller 2012) mit den Dimensionen „Fall von“ (fachlich-sachliche Bestandsaufnahme), „Fall für“ (konsiliarische Beteiligung anderer professioneller Hilfesysteme, teilweise auch mit Initiierung einer Akutversorgung) und „Fall mit“ (systematische Exploration der Sichtweise des Klienten/der Klientin selbst). Die Fachkräfte brachten eine Haltung zum Ausdruck, die die Autonomie der KlientInnen und eine Orientierung an deren biopsychosozialer Integrität betont.
    • Des Weiteren wurde, wie auch schon in den Ergebnissen zu den wahrgenommen Aufgaben dargestellt, ein Arbeitsbündnis geschlossen und gestaltet. Das von den Fachkräften dargelegte Wissen zeigt ein biopsychisches Verständnis von Sucht, das auf den Einzelfall bezogen, durch „Erfahrung“ ergänzt und in das Fallverstehen integriert wird. Dies bedeutet, dass hier alle Elemente eines Professionsideals (Becker-Lenz, Müller 2009) rekonstruiert werden konnten.

    Professionstheoretisch bemerkenswert allerdings war der Befund, dass die Anwendung der beschriebenen Theorien und Konzepte Sozialer Arbeit in keinem der untersuchten Fälle den Fachkräften bewusst war und als solche beschrieben werden konnte, weiter noch, dass die Fachkräfte die sozialarbeiterischen Konzepte gar nicht kannten. Die Erklärung liegt darin, dass alle Konzepte erst in jüngerer Zeit entwickelt wurden und damit noch nicht Teil der Ausbildung der Befragten waren. Dass die Fachkräfte dennoch danach handelten, ergibt sich daraus, dass sie ihr Tun in der Reflexion der Bedürfnisse und Wünsche der KlientInnen und der Möglichkeiten der organisationalen Rahmenbedingungen entwickelt haben und immer weiterentwickeln. Kristallisationspunkt des dargelegten Wissens ist ein in erster Linie biopsychisches Verständnis von Sucht. Das Wissen um die soziale Dimension wird durch die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung von Professionswissen in Fachteams und Supervision ergänzt. Dies bedeutet, sozialarbeiterisches Wissen wurde und wird in Fallbesprechungen, Intervision und Supervision entwickelt und fließt dann in Handlung und Organisationsstrukturen. Dieses speziell sozialarbeiterische Wissen ist aufgrund seiner fallbezogenen Entwicklung als so genanntes implizites Wissen zu kategorisieren. Somit entstehen die sozialarbeiterischen Interventionen und Organisationssturen auf Basis des in Beziehung Setzens von theoretischem (biopsychischem) Wissen, bereits erworbenem Professionswissen (Erfahrungswissen) und den Erfordernissen des konkreten Falls.

    Diskussion

    Im Rahmen der Untersuchung wurde deutlich, dass ambulante Suchtberatungsstellen strukturell eine vermittelnde Rolle einnehmen zwischen Maßnahmen zur Versorgung Hilfebedürftiger, welche in Leistungsverträgen zwischen den Ländern, Kommunen und einzelnen Beratungsstellen festgelegt werden, und Leistungen nach den SGB V und VI. Konkreter handelt es sich hierbei um eine exklusive Scharnierfunktion zu den Hilfen des Sozialgesetzbuches. Ziel ist die Klärung mit den KlientInnen, ob und wenn ja welche konkreten Maßnahmen in welchem Rahmen wann für den konkreten Einzelfall in Frage kommen. Die Bedeutung dieser Funktion für das Suchthilfesystem liegt darin, dass eine zeitlich und inhaltlich passgenaue Vermittlung in weiterführende Hilfen erfolgen kann. Dadurch werden diese Hilfen gewinnbringender und damit für das System ressourcenschonender von den KlientInnen genutzt, weil ihre Veränderungsmotivation ungleich höher zu sein scheint als die von KlientInnen, die diese Hilfen direkt aufsuchen oder ohne ausführliche Vorbereitung „technisch-admininstrativ“ vermittelt werden.

    Dieser Effekt kann entstehen, so die Vermutung, weil es den Fachkräften gelingt, eine funktionale Arbeitsbeziehung – teilweise unter den Bedingungen eines Zwangskontextes (z. B. Druck durch den Arbeitgeber, Familienmitglieder, Führerscheinstelle) – zu den KlientInnen aufzubauen. Diese Arbeitsbeziehung ermöglicht die Auflösung der Ambivalenzen der KlientInnen bezüglich ihrer Veränderungsmotivation und die Gestaltung eines langfristigen Prozessbogens über den Rahmen einer aktuellen Behandlung hinaus. Dies erleichtert ein erneutes Hilfesuchverhalten bei Rückfällen. Aber auch wenn ein Hilfeprozess ohne weiterführende Maßnahmen abgebrochen wurde, besteht doch die Möglichkeit, dass die KlientInnen erneut Kontakt aufnehmen, da die Beendigung im Rahmen eines Arbeitsbündnisses und nicht im Rahmen eines Konfliktes erfolgte.

    Diese Funktion der ambulanten Suchthilfe im Gesamtsystem der Suchthilfe hat sich historisch entwickelt, ist aber bis heute gesetzlich nicht normiert. Zwar ist die ambulante Suchthilfe aktuell noch mit Ressourcen ausgestattet, aber diese werden auf freiwilliger Basis von Kommunen und teilweise durch Länder, Projekte und Träger gegenfinanziert. Abgesehen von der Unsicherheit, die diese Situation für die Fachkräfte der Sozialen Arbeit und die Träger ihrer Organisation bedeutet, könnte diese Situation auch ein Risiko für die Versorgung Suchtkranker bzw. für die Effektivität von weiterführenden Maßnahmen insbesondere des SGB V und VI bedeuten, z. B. von Rehabilitationen oder Akutmaßnahmen wie Entgiftungen. Um möglichen Entwicklung in dieser Richtung vorzubeugen, ist es wichtig, dass die Fachkräfte der Sozialen Arbeit sich ihrer Bedeutung im Gesamtsystem der Suchthilfe bewusst werden und die von ihnen wahrgenommen Aufgaben formulieren und nach außen vertreten. Nur so können notwendige Ressourcen für diese Arbeit, die das Scharnier zwischen Fürsorge und medizinisch-rehabilitativer Versorgung bildet, dauerhaft legitimiert und damit gesichert werden. Insbesondere die gesetzliche Legitimierung unter expliziter Einbeziehung sozialarbeiterischer Expertise über eine kommunale Kann-Leistung hinaus ist entscheidend, um einheitliche Standards, Ausstattungen und Aufträge für Suchtberatungsstellen formulieren und mit Blick auf integrierte Versorgung weiterentwickeln zu können.

    Implikationen für die Praxis

    Soziale Arbeit liefert einen komplexen Beitrag zur Versorgung Suchtkranker und ihrer Angehörigen im ambulanten Kontext. Schwerpunkt dieser Arbeit ist, eine bezogen auf den jeweiligen Einzelfall und auf regionale Versorgungsstrukturen optimale Verbindung zwischen Fürsorge und medizinisch-rehabilitativer Versorgung und anderen Hilfsangeboten herzustellen. Fachkräfte der Sozialen Arbeit sollten sich ihrer speziellen Expertise insbesondere in Bezug auf das multiperspektivische Fallverstehen, den Aufbau eines tragfähigen Arbeitsbündnisses und die Gestaltung eines regionalen Hilfenetzes zur Optimierung der Versorgungsstrukturen bewusst werden. Konzepte der Sozialen Arbeit sollten explizit in Organisationskonzepte und Qualitätshandbücher als Standards mit aufgenommen werden, um die Ressourcen, die zu ihrer Umsetzung notwendig sind, dauerhaft zu sichern bzw. deren Evaluation und Weiterentwicklungen zu ermöglichen.

    Interessenkonflikte: Die Autorin gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

    Kontakt:

    Rita Hansjürgens
    Katholischen Hochschule NRW, Abt. Paderborn
    Leostraße 19
    33098 Paderborn
    r.hansjuergens@katho-nrw.de
    www.katho-nrw.de/paderborn

    Angaben zur Autorin:

    Rita Hansjürgens, M.A., Dipl- Sozialarbeiterin, ist Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Katholischen Hochschule NRW, Abt. Paderborn.

    Literatur:
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    • Bohnsack, Ralf (2003): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. 5. Aufl. Opladen: Leske + Budrich (UTB, 8242).
    • Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (Hg.) (1999): Leistungsbeschreibung für Beratungs- und Behandlungsstellen der Suchtkrankenhilfe. Institut für Therapieforschung (IFT). Online verfügbar unter http://www.dhs.de/fileadmin/user_upload/pdf/Arbeitsfeld_Beratungsstellen/leistungsbeschreibung_1999.pdf, zuletzt geprüft am 26.03.2013.
    • fdr (Fachverband Drogen und Rauschmittel e. V.) (2005): Mindeststandards der ambulanten Suchthilfe. Vorschläge des Fachverbandes Drogen und Rauschmittel e. V. zu den Arbeitsgrundlagen von ambulanten Hilfen für Suchtkranke. Unter Mitarbeit von Michael Hoffmann-Bayer, Jost Leune und Birgit Wichelmann-Werth. Hannover, 2005.
    • Helas, Irene (1997): Über den Prozess der Professionalisierung in der Suchtkrankenhilfe. In: Elke Hauschildt (Hg.): Suchtkrankenhilfe in Deutschland. Geschichte, Struktur und Perspektiven. Freiburg im Breisgau: Lambertus, S. 147–161.
    • Helfferich, Cornelia (2011): Die Qualität qualitativer Daten. Manual für die Durchführung qualitativer Interviews. 4. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften / Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Wiesbaden.
    • Kemper, Ulrich (2008): Der Suchtbegriff. Versuch einer Annäherung. In: Jahrbuch Sucht, S. 210–226.
    • Loviscach, Peter; Lutz, Roland (1996): Soziale Arbeit im Arbeitsfeld Sucht. Eine Einführung. Freiburg im Breisgau: Lambertus.
    • Moch, Matthias (2012): Die Lücke. implizites Wissen und das Theorie-Praxis-Verhältnis. In: neue praxis 42 (6), S. 555–565.
    • Müller, Burkhard (2012): Sozialpädagogisches Können. Ein Lehrbuch zur multiperspektivischen Fallarbeit. 7. überarb. und erw. Aufl. Freiburg im Breisgau: Lambertus.
    • O’Brien, Charles P.; Volkow, Nora; Li, T-K (2006): What’s in a Word? Addiction Versus Dependence in
      DSM-V. In: Am J Psychiatry 2006;163:764-765. 163, S. 764–765.
    • Oevermann, U. (1980): Zur Logik der Interpretation von Interviewtexten. Fallanalyse anhand eines Interviews mit einer Fernstudentin. In: Thomas Heinze, Hans-W Klusemann und Hans-Georg Soeffner (Hg.): Interpretationen einer Bildungsgeschichte. Überlegungen zur sozialwissenschaftl. Hermeneutik. Bensheim: Päd.-extra-Buchverlag (Päd. Forschung), S. 15–69.
    • Pauls, Helmut; Gahleitener, Silke (2011): Klinische Sozialarbeit. In: Fachlexikon der sozialen Arbeit. 7. völlig überarb. u. erw. Aufl. Baden-Baden: Nomos, S. 521–522.
    • Pfeiffer-Gerschel, Tim; Kipke, Ingo; Steppan, Martin (2012): Deutsche Suchthilfestatistik 2011- alle Bundesländer. Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen. Institut für Therapieforschung (IFT). München.
    • Preuß-Ruf, Ulrike (2012): Ambulante Suchthilfe in Psychosozialen Beratungsstellen. In: Hans Joachim Abstein und Sigmund Gastiger (Hg.): Methoden der Sozialarbeit in unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Suchthilfe. [Methoden und Konzepte der Sozialen Arbeit in verschiedenen Arbeitsfeldern]. Freiburg im Breisgau: Lambertus (skills), S. 53–70.
    • Sommerfeld, Peter; Hollenstein, Lea; Calzaferri, Raphael (2011): Integration und Lebensführung. Ein forschungsgestützter Beitrag zur Theoriebildung der Sozialen Arbeit. 1. Aufl. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss.
    • Stöver, H. (2012): Konzepte und Arbeitsmethoden der Sozialen Arbeit in der Suchthilfe. In: Suchttherapie 13 (04), S. 162–166.