Schlagwort: Statistik

  • Der kleine Unterschied?

    Der kleine Unterschied?

    *Der Fachbeirat Statistik der DSHS ist derzeit vertreten durch Rudolf Bachmeier, Heike Timmen, Eva Egartner, Wolfgang Klose, Corinna Mäder-Linke, Anja Mevius, Peter Raiser, Gabriele Sauermann, Iris Otto und Detlef Weiler

    Einleitung

    2021 hatten laut Epidemiologischem Suchtsurvey (ESA) 8,8 % der erwachsenen Wohnbevölkerung in Deutschland binnen der letzten 12 Monate Cannabis konsumiert, wobei die Konsumprävalenz unter Männern (10,7 %) höher war als unter Frauen (6,8 %) (1). Bei knapp einem Drittel der Konsumenten bzw. knapp einem Viertel der Konsumentinnen wurde das Konsumverhalten als problematisch eingestuft (1). Langfristiger Konsum von Cannabisprodukten begünstigt die Entwicklung von Cannabinoidkonsumstörungen (CUD) (2).

    Eine wichtige Anlaufstelle für Menschen mit CUD ist die (ambulante) Suchthilfe. Der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) zu Folge wurden 2023 in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen 26.633 Betreuungen aufgrund von CUD begonnen, wobei etwa 4 von 5 Fällen auf Männer entfielen. Nur im Bereich von Alkoholkonsumstörungen (73.746 Fälle) war das Betreuungsvolumen noch größer (3). Trendanalysen auf Basis der DSHS zeigten, dass sich die Anzahl der Betreuungsfälle aufgrund von CUD seit der Jahrtausendwende verdreifacht hat (2001: 10,1 Fälle pro Einrichtung, 2021: 33,2 Fälle pro Einrichtung), der Frauenanteil unter den Betreuten aber nur minimal gestiegen ist (2001: 15,6 %; 2021: 18,1 %) (4).

    Entwicklungen innerhalb der Gesamtheit der Hilfesuchenden mit CUD werden somit stark durch Entwicklungen bei hilfesuchenden Männern geprägt. Ob sich bei weiblichen Hilfesuchenden andere Trends zeigen, soll diese Arbeit beleuchten.

    Methodik

    Datenquelle

    Im Rahmen der vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) werden seit etwa 45 Jahren routinemäßig Daten aus ambulanten Suchthilfeeinrichtungen, stationären Rehabilitationseinrichtungen und Einrichtungen der Sozialen Teilhabe gesammelt und aufbereitet. Unsere Analysen nutzen Daten, die ambulante Suchthilfeeinrichtungen von 2001 bis 2023 für die DSHS zur Verfügung gestellt haben. Die an der DSHS teilnehmenden Einrichtungen spiegeln dabei jedes Jahr etwa 70 % aller ambulanten Suchthilfeeinrichtungen (5-7), wobei die Anzahl und Zusammensetzung des Teilnehmerpools leicht schwankt („offene Kohorte“).

    Die Datenerhebung erfolgt nach den bundesweit einheitlichen Standards des Deutschen Kerndatensatzes zur Dokumentation in der Suchthilfe (KDS) und umfasst soziodemographische und klinische Daten sowie Informationen zum Versorgungsverlauf samt Ergebnis. Eine detaillierte Auflistung der im KDS erhobenen Variablen und ihrer Ausprägungen findet sich im jährlich aktualisierten zugehörigen Manual (8). Um nationalen und internationalen Bedarfen Rechnung zu tragen, wird der KDS regelmäßig weiterentwickelt, so dass die analysierten Daten auf unterschiedlichen (miteinander kompatiblen) KDS-Versionen beruhen: 2001 – 2006: KDS; 2007 – 2016: neuer KDS 2.0; 2017 – 2023: KDS 3.0.

    Die DSHS nutzt keine personenbezogenen Daten, sondern Aggregatdaten: In jeder teilnehmenden Einrichtung werden die Daten fallweise gebündelt und in Form von Pivot-Tabellen aufbereitet. Die entsprechenden Tabellen werden anschließend über alle an der DSHS teilnehmenden Einrichtungen hinweg zu einem einzigen Gesamtdatensatz zusammengefasst. Somit stehen für jeden einzelnen Parameter geschlechts- und Hauptdiagnosebezogene Häufigkeitsverteilungen zu Verfügung (z. B. Anzahl Erstbetreuungen unter Männern mit CUD, Anzahl Betreuungen bei unter 30-jährigen Männern mit CUD), es ist aber nicht möglich, die einzelnen Informationen miteinander zu verknüpfen (z. B. Anzahl Erstbetreuungen bei unter 30-jährigen Männern mit CUD). Aufgrund der fallweisen Dokumentation können konkrete Personen mehrfach in den Datensatz eingehen. Eine ausführlichere Beschreibung der Prozesse innerhalb der DSHS wurde anderweitig publiziert (9). Die Ergebnisse aus den Routineläufen der DSHS sind in Form von Excel-Tabellenbänden öffentlich verfügbar (https://suchthilfestatistik-datendownload.de/Daten/download-CDS-2.html).

    Statistische Analyse

    Unsere Analysen schließen alle Betreuungszugänge aufgrund von Cannabinoidmissbrauch (ICD10-Diagnose: F12.1) und Cannabinoidabhängigkeit (ICD10-Diagnose F12.2) ein. Die Betreuungen wurden für die einzelnen Jahre getrennt nach (biologischem) Geschlecht aufbereitet und ausgewertet. Um die Relevanz von CUD in der ambulanten Suchthilfe zu spiegeln, haben wir zunächst

    • den Anteil an CUD-bedingten Betreuungen an allen Betreuungen im Zeitverlauf sowie
    • die durchschnittliche Anzahl an CUD-bedingten Betreuungen pro Einrichtung

    abgebildet. Anschließend wurden Trends hinsichtlich

    • Alter bei Betreuungszugang (in Jahren),
    • ausgewählter soziodemographischer Parameter (zusammenlebend mit minderjährigen Kindern, Abitur, Arbeitslosigkeit),
    • Erstbetreuung (d. h. ohne Vorerfahrung mit der Suchthilfe; ja/nein) und
    • Betreuungsergebnis (verbesserte Symptomatik ja/nein)

    bei hilfesuchenden Männern und Frauen gegenübergestellt.

    Hierfür wurden zunächst Anteilswerte bei Beginn (2001) und Ende (2023) des Beobachtungszeitraums erfasst und mögliche Unterschiede anhand nicht-überlappender 95 %-Konfidenzintervalle (KI) bewertet. Diese Intervalle geben eine Spannweite an, in der der wahre Parameterwert mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % liegt. Sobald sich Konfidenzintervalle überlappen, lässt sich ein Unterschied nicht statistisch nachweisen. Anschließend wurde für alle Variablen der geschlechtsspezifische Gesamttrend über Joinpoint-Analysen (Joinpoint Trend Analysis Software Version 4.9.1.0 (10)) ermittelt. Im Rahmen von Joinpoint-Analysen lassen sich Bruchpunkte in Zeitreihen (sog. Joinpoints (JP)) identifizieren, an denen sich die Trendrichtung oder Trendstärke signifikant verändert (11-13). Für unsere Analysen wurde ein Signifikanzniveau von 5 % gewählt.

    Ergebnisse

    Relevanz von CUD in der ambulanten Suchthilfe in Deutschland

    2001 erfolgten bei Männern 7,7 % [95 %-KI: 6,8 %; 8,6 %] der 40.288 Betreuungszugänge aufgrund von CUD, bei Frauen waren es 5,0 % [3,2 %; 6,8 %] der 11.554 Betreuungszugänge. Bis 2023 hatte sich der entsprechende Anteil bei beiden Geschlechtern in etwa verdreifacht, bei Männern auf 19,8 % [19,3 %; 23,3 %] (von 107.411 Betreuungszugängen) und bei Frauen auf 13,6 % [12,7 %; 14,5 %] (von 39.102 Betreuungszugängen). Damit wurden 2001 in jeder Einrichtung im Mittel 8,5 CUD-bedingte Betreuungen bei Männern durchgeführt, 2023 waren es 23,7. Für Frauen lagen die entsprechenden Werte bei 1,6 und 5,9 (siehe Abbildung 1).

    Abbildung 1: Relevanz von CUD in der ambulanten Suchthilfe, 2001 – 2023

    Alter bei Betreuungsbeginn

    2001 lag das Durchschnittsalter der wegen CUD betreuten Männer mit 21,8 Jahren ähnlich hoch wie das der wegen CUD betreuten Frauen mit 21,7 Jahren. Bis 2023 stieg das Durchschnittsalter bei Männern auf 25,9 Jahre und bei Frauen auf 26,4 Jahre. Hierbei wechselten bei beiden Geschlechtern stabile Phasen mit Phasen des Anstiegs (siehe Abbildung 2).

    Abbildung 2: Durchschnittsalter der wegen CUD betreuten Männer und Frauen, 2001 – 2023

    Lebenssituation

    2001 teilte einer von 20 wegen CUD betreuten Männern (4,8 %; [1,1 %; 8,4 %]) bzw. eine von 7 wegen CUD betreuten Frauen (14,6 %; [6,6%; 22,5 %]) den Haushalt mit minderjährigen Kindern. Während bei Männern bis 2023 ein beständiger Anstieg auf nahezu das Doppelte des Ausgangswertes zu beobachten war (8,1%; [6,7 %; 9,5 %]), blieb der Anteilswert bei Frauen auf einem im Vergleich dazu signifikant höheren Niveau stabil (16,6 %; [14,0 %; 19,3 %]) (siehe Abbildung 3).

    Abbildung 3: Mit minderjährigen Kindern zusammenlebende wegen CUD betreute Männer und Frauen, 2001 – 2023

    Schulabschluss Abitur

    Das (Fach-)Abitur hatte 2001 einer von 20 wegen CUD betreuten Männern (4,5 %; [0,8 %; 8,3 %]) bzw. eine von 14 wegen CUD betreuten Frauen (7,0 %; [0,0%; 15,6 %]). Diese Anteilswerte werden statistisch als vergleichbar eingestuft. 2023 hatten Männer in einem Siebtel der Fälle (13,6 %; [12,1 %; 15,2 %]) und damit häufiger das (Fach-)Abitur als 2001. Bei Frauen lag der entsprechende Anteil bei einem Sechstel (17,7 %; [7,0 %; 28;4 %])wobei statistisch kein Unterschied zu 2001 nachweisbar war. Auch 2023 bestand kein Geschlechtsunterschied hinsichtlich des Anteils mit (Fach)Abitur. Im Beobachtungszeitraum wechselten bei beiden Geschlechtern Anstiegsphasen und stabile Phasen (siehe Abbildung 4).

    Abbildung 4: (Fach-)Abitur bei wegen CUD betreuten Männern und Frauen, 2001 – 2023

    Erwerbsstatus

    Der Anteil an Arbeitslosen unter wegen CUD betreuten Männern war 2001 mit einem Fünftel (20,4 %; [16,0 %; 24,8 %]) ähnlich hoch wie 2023 mit einem Viertel (24,8 % [23,6 %; 26,1 %]). Wegen CUD betreute Frauen waren 2023 in 3 von 10 Fällen arbeitslos (29,7 % [27,2 %; 32,2 %]) und damit signifikant häufiger als 2001, als ein Sechstel arbeitslos war (15,8 % [4,8 %; 26,9 %]). Somit war Arbeitslosigkeit unter Frauen und Männern 2001 ähnlich weit verbreitet, 2023 waren Frauen aber signifikant häufiger arbeitslos als Männer. Nach einem anfänglichen Anstieg ist bei beiden Geschlechtern der Anteil an Arbeitslosen in den letzten etwa 15 Jahren des Beobachtungszeitraums rückläufig (siehe Abbildung 5).

    Abbildung 5: Arbeitslosigkeit bei wegen CUD betreuten Männern und Frauen, 2001 – 2023

    Erstbetreute

    Während 2001 jeweils etwa 4 von 5 wegen CUD betreuten Männern (79,2 %; [77,5 %; 80,9 %]) bzw. Frauen (82,2 % [78,5 %; 85,9 %]) mit der laufenden Betreuung erstmalig in Kontakt zum Suchthilfesystem traten, waren Erstbetreuungen 2023 mit jeweils 5 von 9 Fällen sowohl bei Männern (55,2 % [54,2 %; 56,2 %]) als auch Frauen (58,9 %; [57,0 %; 60,8 %]) signifikant seltener. Nach einem anfänglichen starken Rückgang hat sich der Anteil an Erstbetreuungen bei beiden Geschlechtern ab 2008 bzw. 2009 stabilisiert (siehe Abbildung 6).

    Abbildung 6: Erstbetreute unter wegen CUD betreuten Männern und Frauen, 2001 – 2023

    Ergebnis bei Betreuungsende

    2001 hatte sich die CUD-Problematik bei Betreuungsende bei 4 von 9 Männern (55,2 % [51,0 %; 59,4 %]) verbessert. Bei Frauen lag der Anteil mit etwa der Hälfte der Fälle (51,8 %; [40,1 %; 63,6 %]) ähnlich hoch. 2023 war bei jeweils knapp 2 von 3 betreuten Männern (61,0 % [59,9 %; 62,0 %]) bzw. Frauen (60,6 % [58,5 %; 62,7 %]) eine Verbesserung zu verzeichnen. Bei Männern überstieg dieser Anteil den Ausgangswert signifikant, bei Frauen war er vergleichbar. Der Anteil an Betreuungen, die mit einer verbesserten Suchtproblematik enden, geht bei beiden Geschlechtern nach einem anfänglichen Anstieg seit 2007 leicht zurück (siehe Abbildung 7).

    Abbildung 7: Anteil an mit verbesserter Suchtproblematik beendeten Betreuungen unter wegen CUD betreuten Männern und Frauen, 2001 – 2023

    Diskussion

    Die nach Geschlecht stratifizierten Analysen unterstreichen, dass sich der Anteil CUD-bedingter Betreuungen in der ambulanten Suchthilfe bei Männern wie Frauen von 2001 bis 2023 verdreifacht hat – bei Männern aber von einem deutlich höheren Ausgangsniveau aus. Das Durchschnittsalter der Hilfesuchenden hat sich von Anfang auf Mitte 20 erhöht. Der Anteil an Erstbetreuungen war, nach einem anfänglichen Rückgang, in den letzten 15 Jahren des Beobachtungszeitraums stabil. Zeitgleich sinkt der Anteil an Betreuungen, die mit einer verbesserten CUD-Symptomatik enden – wobei die entsprechenden Anteilswerte bei Männern noch über dem Ausgangsniveau bzw. bei Frauen auf dem Ausgangsniveau liegen. All diese Trendverläufe sind bei Männern und Frauen nahezu deckungsgleich, weswegen die in der Hauptpublikation (4) diskutierten Erklärungsansätze für beide Geschlechter greifen dürften.

    Das steigende Durchschnittsalter der Hilfesuchenden könnte damit zusammenhängen, dass auch Cannabiskonsumierende im Mittel älter werden (14). Ein zweiter Erklärungsfaktor dürfte das erhebliche Rückfallrisiko (15) sein, das sich auch im gesunkenen Anteil an Erstbetreuungen spiegelt. Naturgemäß sind Hilfesuchende bei jeder neuen Betreuungsepisode älter als bei der vorhergehenden. Dass Betreuungen seltener mit einer verbesserten CUD-Problematik enden, sollte im Kontext der rückläufigen Erstbetreuungen gesehen werden und nicht als abnehmende Effektivität der Suchthilfe missinterpretiert werden. Menschen, die wiederholt wegen CUD Suchthilfe nachfragen, dürften eine höhere psycho-soziale und medizinische Problemlast haben als Erstbetreute. Die Chance für eine Verbesserung im Zuge der Betreuung dürfte bei komplexeren Fällen geringer sein (16-19).

    Zugleich zeigen sich gewisse soziodemographische Unterschiede zwischen den wegen CUD betreuten Männern und Frauen. So leben Frauen durchwegs häufiger mit minderjährigen Kindern zusammen als Männer, obgleich bei Männern diesbezüglich ein gewisser „Aufholeffekt“ zu beobachten ist. Zudem haben hilfesuchende Frauen tendenziell häufiger das (Fach-)Abitur, wobei die „Abiturquote“ bei beiden Geschlechtern im Zeitverlauf steigt. Diese Entwicklungen dürften teilweise durch das steigende Durchschnittsalter miterklärbar sein. Zugleich scheinen ungünstige Arbeitsmarktentwicklungen Frauen eher zu treffen als Männer, da der Anstieg im Anteil an Arbeitslosen bei Frauen stärker bzw. der Rückgang dieses Anteils schwächer ausgeprägt ist als bei Männern.

    Eine Einordnung dieser Beobachtungen erscheint aufgrund fehlender Vergleichsstudien herausfordernd: Der Mikrozensus 2019 geht davon aus, dass ein Fünftel der Erwachsenen mit minderjährigen Kindern in einem Haushalt lebt (20). Unter wegen CUD hilfesuchenden Männern und Frauen ist diese Lebenssituation seltener zu finden. Allerdings ist zu bedenken, dass das Gros der Betreuten jünger als 35 Jahre ist, während der Mikrozensus alle Altersgruppen einschließt. Eventuell befindet sich die hilfesuchende Klientel überwiegend in einer Altersspanne vor der Familiengründung. Vor dem Hintergrund, dass elterliche CUD ein wichtiger Prädiktor für dysfunktionale Erziehungsstrategien und späteren Cannabiskonsum der eigenen Kinder ist (21), sollte der steigende Anteil an Männern, die mit minderjährigen Kindern zusammenleben, in der Betreuungsarbeit aktiv aufgegriffen werden.

    Der steigende Anteil an Hilfesuchenden mit Abitur ist im Kontext der steigenden (Fach-)Abiturquote auf Bevölkerungsebene zu sehen. In der Altersgruppe der unter 35-Jährigen haben Frauen häufiger das (Fach-)Abitur als Männer (22), was sich mit der Beobachtung deckt, dass wegen CUD betreute Frauen tendenziell häufiger das (Fach-)Abitur haben als ihre männlichen Pendants. Auch der Trend bezüglich Arbeitslosigkeit in der hilfesuchenden Klientel spiegelt auf höherem Ausgangsniveau weitgehend Entwicklungen auf Bevölkerungsebene. Allerdings ist anders als auf Bevölkerungsebene (23) Arbeitslosigkeit unter betreuten Frauen weiter verbreitet als unter betreuten Männern. Daher sollte gerade in der Betreuung von Frauen die (Re-)Integration in den Arbeitsmarkt gezielt thematisiert werden.

    Fazit

    Zwar erlauben die Aggregatdaten der DSHS keine Rückschlüsse auf wechselseitige Einflüsse zwischen einzelnen Parametern, dennoch geben sie tragfähig Aufschluss, wie sich die Rolle von CUD in der ambulanten Suchthilfe und das soziodemographische Profil der Hilfesuchenden seit der Jahrtausendwende verändert hat. Hierbei zeigen sich bei Männern und Frauen zwar grundsätzlich ähnliche Entwicklungen, allerdings unterscheidet sich das Ausgangsniveau bzw. die Trendstärke zwischen beiden Geschlechtern. Bei der Interpretation ist zu beachten, dass die Punktschätzer in der weiblichen Klientel bedingt durch kleine Fallzahlen mit vergleichsweise großer Unsicherheit behaftet sind, was den statistischen Nachweis augenscheinlicher Unterschiede erschwert. Da 4 von 5 CUD-bedingten Betreuungen Männer betreffen, stellt sich die Frage, ob bestimmte Themen (z. B. Elternschaft, Arbeitslosigkeit), die für Frauen eine andere Relevanz haben, angemessen adressiert werden. Hier besteht nachgelagerter Forschungsbedarf.

    Literatur
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    8. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Deutscher Kerndatensatz zur Dokumentation im Bereich der Suchtkrankenhilfe 3.0. Definitionen und Erläuterungen zum Gebrauch. 2024.
    9. Schwarzkopf L, Braun B, Specht S, Dauber H, Strobl M, Künzel J, et al. Die Deutsche Suchthilfestatistik – DSHS. Eine Einführung in Datenerfassung, Datensammlung, Datenverarbeitung und Auswertungen. Konturen online Fachportal zu Sucht und sozialen Fragen [Internet]. 2020. Available from: https://dev.konturen.de/fachbeitraege/die-deutsche-suchthilfestatistik-dshs/.
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    20. Bundeszentrale für politische Bildung. Soziale Sitation in Deutschland. Eltern und Kinder 2021 [Available from: https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61594/eltern-und-kinder/#:~:text=Im%20Jahr%202019%20lebten%20lediglich%2036%2C2%20Prozent%20der,lag%20dieser%20Anteil%20deutschlandweit%20noch%20bei%2042%2C8%20Prozent.
    21. Hill M, Sternberg A, Suk HW, Meier MH, Chassin L. The intergenerational transmission of cannabis use: Associations between parental history of cannabis use and cannabis use disorder, low positive parenting, and offspring cannabis use. Psychol Addict Behav. 2018;32(1):93-103.
    22. Statistisches Bundesamt (Destatis). Bevölkerung (ab 15 Jahren): Deutschland, Jahre (bis 2019), Geschlecht, Altersgruppen, Allgemeine Schulausbildung (Code: 12211-9012) 2024 [Available from: https://www-genesis.destatis.de/datenbank/online/statistic/12211/table/12211-9012.
    23. Statistisches Bundesamt (Destatis). Erwerbslosenquote: Deutschland, Monate, Geschlecht, Altersgruppen, Original- und bereinigte Daten (Code: 13231-0003) 2024 [21.11.2024]. Available from: https://www-genesis.destatis.de/datenbank/online/statistic/13231/table/13231-0003.
    Kontakt:

    PD Dr. Larissa Schwarzkopf
    Leiterin Forschungsgruppe Therapie und Versorgung
    IFT Institut für Therapieforschung
    Leopoldstraße 175
    80804 München
    www.ift.de
    schwarzkopf(at)ift.de

    Angaben zu den Autorinnen:

    PD Dr. Larissa Schwarzkopf, IFT Institut für Therapieforschung München, Leiterin der Forschungsgruppe Therapie und Versorgung
    Alisa Stampf, IFT Institut für Therapieforschung München, Forschungsgruppe Therapie und Versorgung
    Prof. Dr. Eva Hoch, IFT Institut für Therapieforschung München, Institutsleiterin

  • Ambulante und stationäre Suchtrehabilitation

    Ambulante und stationäre Suchtrehabilitation

    1 Einleitung

    Menschen mit Suchterkrankungen haben im Anschluss an eine Entzugsbehandlung – bei Erfüllung der Zugangsvoraussetzungen – grundsätzlich Anspruch auf eine Entwöhnungsbehandlung („Suchtrehabilitation“) als Antragsleistung, wobei sich die Maßnahme möglichst nahtlos an den qualifizierten Entzug anschließen soll. Neben einer nachhaltigen Konsummengenreduktion (i. d. R. mit dem Ziel der Abstinenz) wird bei Entwöhnungsbehandlungen großer Wert auf eine psycho-soziale Stabilisierung der Behandelten und die Förderung ihrer beruflichen und sozialen Teilhabe gelegt (Deutsche Rentenversicherung, 2017; Verband der Ersatzkassen (vdek), 2001).

    Der gesamte Rehabilitationssektor – und damit auch die Suchtrehabilitation – ist traditionell durch stationäre Maßnahmen geprägt. Allerdings mehrten sich in den vergangenen 20 Jahren Stimmen, die eine konsequentere Umsetzung des gesundheitspolitischen Leitsatzes „ambulant vor stationär“ im Rehabilitationssektor forderten und sich für den Ausbau stationsersetzender Angebote aussprachen (Hibbeler, 2010; Kalinka, 2003; Karoff, 2003; Seitz et al., 2008). Im Zuge dieser Tendenzen wurde auch bei Abhängigkeitserkrankungen die Rolle ambulanter bzw. ganztägig ambulanter Angebote u. a. auf Grundlage gemeinsamer Rahmenvereinbarungen der Deutschen Rentenversicherung und der Gesetzlichen Krankenversicherung gestärkt (Deutsche Rentenversicherung, 2008; Deutsche Rentenversicherung, 2011).

    Zugleich wurde klargestellt, dass ambulante und stationäre Suchtrehabilitation nicht automatisch austauschbare Angebote darstellen. Vielmehr bestimmen medizinische Aspekte (Schwere der Störung, Komorbiditätsprofil), soziale Aspekte (Teilhabe, Unterstützung durch das Umfeld) und infrastrukturelle Aspekte (Erreichbarkeit), ob eine ambulante Entwöhnungsbehandlung im konkreten Einzelfall in Erwägung zu ziehen ist (Deutsche Rentenversicherung, 2001).

    Einzelstudien bestätigen, dass ambulante und stationäre Entwöhnungsbehandlung tatsächlich unterschiedliche Zielgruppen erreichen (Preuss et al., 2012), eine systematische Gegenüberstellung der Klientel beider Behandlungsformen hinsichtlich soziodemographischer und behandlungsbezogener Parameter auf einer breiten Datengrundlage fehlt aber bislang.

    2 Methodik

    Dieser Artikel baut auf dem Kurzbericht 2023/I der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) auf (Künzel et al., 2023) und erweitert die dort vorgenommene beschreibende Darstellung um statistische Verfahren, die Aufschluss geben, inwieweit Unterschiede zwischen der Klientel, die eine ambulante, und der Klientel, die eine stationäre Rehabilitation erhalten hat, als „auffällig“ einzustufen sind. Maßnahmen aus dem Bereich der ganztägigen ambulanten Rehabilitation bleiben unberücksichtigt.

    2.1 Datenquelle

    Die analysierten Daten stammen aus der Routineerhebung der DSHS im Datenjahr 2021. Die DSHS basiert auf einer großzahligen Gelegenheitsstichprobe ambulanter und stationärer Suchthilfe-Einrichtungen, die ihre Arbeit entsprechend den Vorgaben des Kerndatensatzes zur Dokumentation in der Suchtkrankenhilfe (KDS; aktuelle Version KDS 3.0) (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), 2022) mittels zertifizierter Softwareprogramme dokumentieren. Die Daten werden in den Einrichtungen fallbezogen erhoben, anhand bestimmter Gruppierungskriterien gebündelt und als Aggregatdaten dem IFT Institut für Therapieforschung in München zur Verfügung gestellt. Detaillierte Informationen zu den Erhebungsmechanismen und Datenflüssen wurden an anderer Stelle publiziert (Schwarzkopf et al., 2020).

    2.2 Stichprobenselektion

    Die hier präsentierten Auswertungen basieren auf der Gegenüberstellung der beiden Stichproben („Läufe“) „Fälle mit Hauptmaßnahme Stationäre Medizinische Rehabilitation“ (STR) sowie „Fälle mit Hauptmaßnahme Ambulante Medizinische Rehabilitation“ (ARS). Als Hauptmaßnahme gilt dabei diejenige Maßnahme, die die jeweilige Behandlungsepisode dominiert hat. Um bestmögliche Vergleichbarkeit der beiden Stichproben sicherzustellen, wurde jeweils die Bezugsgruppe der „Zugänge und Beender“ herangezogen. Somit gehen in die Auswertung nur Daten von Fällen ein, die im Jahr 2021 begonnen bzw. beendet wurden.

    Bei der Selektion wurde, den Standards der DSHS entsprechend, eine Missingquote von 33 % angesetzt. Demnach sind für jeden Auswertungsparameter nur Daten derjenigen Einrichtungen berücksichtigt, bei denen für den jeweiligen Parameter maximal 33 % der Angaben fehlen. Dies erhöht einerseits die Datenqualität, da Einrichtungen, die für einen entsprechenden Parameter viele Fehlwerte aufweisen, nicht in die Auswertungen eingehen, führt aber andererseits dazu, dass sich die Fallzahl von Parameter zu Parameter unterscheidet. Die Fallzahlen sowie die Anzahl der für die einzelnen Parameter datenliefernden Einrichtungen werden daher zusammen mit den Missingquoten jeweils ausgewiesen.

    2.3 Zielparameter

    Zunächst wurde die Zahl der Einrichtungen, die ARS bzw. STR als Hauptmaßnahme durchgeführt haben, sowie die Zahl der ARS- bzw. STR-Fälle deskriptiv gegenüberstellt.

    Anschließend wurde die in ARS und STR behandelte Klientel hinsichtlich soziodemographischer (Geschlechterverteilung, Altersstruktur, Elternschaft, Schulabschluss, Arbeitslosigkeit), störungsbezogener (Alter bei Erstkonsum, Konsumhäufigkeit bei Maßnahmenbeginn, dokumentierte Problembereiche) und behandlungsbezogener Parameter (Haltequote, Behandlungserfolg) verglichen. Hierfür wurde für soziodemographische und störungsbezogene Parameter auf Informationen aus der Stichprobe „Zugänge“ zurückgegriffen und für behandlungsbezogene Parameter auf Informationen aus der Stichprobe „Beender“. Auch dies trägt zu unterschiedlichen Fallzahlen bei.

    Zur Berücksichtigung der Altersstruktur wurde neben dem Durchschnittsalter die Verteilung der Fälle über die Kategorien „unter 30 Jahre“, „30 bis 49 Jahre“ und „50 Jahre und älter“ abgebildet. Der binär kodierte Parameter Elternschaft erfasst, ob die Behandelten eigene minderjährige Kinder haben. Für den Parameter Schulabschluss wurden die Ausprägungen „Abitur“ und „Schulabbruch“ dichotomisiert ausgewertet. Konsumhäufigkeit adressiert die Anzahl an Konsumtagen in den 30 Tagen vor Antritt der Maßnahme und berücksichtigt neben dem Durchschnittswert auch die Verteilung der Klientel über die Kategorien „kein Konsum“, „1 bis 6 Konsumstage“, „7 bis 15 Konsumstage“, „16 bis 28 Konsumtage“ und „(fast) täglicher Konsum“. Die dokumentierten Problembereiche benennen Bereiche des täglichen Lebens, die bei Behandlungsbeginn beeinträchtigt waren. Der Parameter Haltequote adressiert den Anteil planmäßig beendeter Behandlungen, wobei die unterschiedlichen Gründe einer plan- bzw. unplanmäßigen Beendigung differenziert erfasst werden. Als Behandlungserfolg gelten in Einklang mit den Standards der DSHS Behandlungen, an deren Ende sich die Suchtproblematik im Vergleich zur Ausgangssituation verbessert hat bzw. unverändert geblieben ist.

    2.4 Auswertungen

    Die Auswertungen konzentrieren sich auf eine Gegenüberstellung von ARS- und STR-Fällen aufgrund von alkohol- bzw. cannabinoidbezogenen Störungen, wobei die Klassifikation der zu Grunde liegenden Störungen gemäß der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) erfolgt (Dilling et al., 2015). Hierbei werden sowohl Fälle mit Abhängigkeitssyndrom als auch Fälle mit missbräuchlichem Konsum der jeweiligen Substanzen berücksichtigt, wobei DSHS-Auswertungen beide Ausprägungen nicht differenzieren, sondern gemeinsam berichten. Die Schwerpunktsetzung auf Alkohol- (ICD-10 F10) und Cannabinoidkonsumstörungen (ICD-10 F12) ist mit ihrer empirischen Relevanz in ARS und STR begründet.

    Aufgrund der aggregierten Daten können in der DSHS nur einfache Gruppenvergleiche vorgenommen werden. Eine modelltechnische Mitberücksichtigung weiterer Erklärungsfaktoren bei der Interpretation der Unterschiede ist nicht möglich. Somit wurden für kontinuierliche Daten Mittelwertsvergleiche anhand von t-Tests durchgeführt. Für Anteilswerte erfolgten Chi²-Tests. Hierbei wurden in die Grundgesamtheit auch Fälle mit der Variablenausprägung „unbekannt“ einbezogen. Aufgrund der hohen Sensitivität der beiden statistischen Tests und der großen Fallzahlen wurde ein Signifikanzniveau von p < 0,01 festgelegt, um das Risiko einer Überinterpretation kleiner Ausprägungsunterschiede zu minimieren.

    Alle Auswertungen und Datenvisualisierungen wurden mit Hilfe der Statistik-Tools von Microsoft Excel vorgenommen.

    3 Ergebnisse

    3.1 Fallzusammensetzung

    328 Einrichtungen haben Falldaten zu ARS als Hauptmaßnahme und 107 Einrichtungen Falldaten zu STR als Hauptmaßnahme geliefert. ARS wurde überwiegend in ambulanten Suchthilfe-Einrichtungen (n = 309 Einrichtungen) und STR nahezu ausnahmslos in stationären Suchthilfe-Einrichtungen (n = 104 Einrichtungen) erbracht. Das Fallvolumen der STR war mit 24.508 Zugängen bzw. 26.985 Beendern rund fünfmal so hoch wie das der ARS mit 4.871 Zugängen bzw. 5.469 Beendern.

    Informationen zur Hauptdiagnoseverteilung lagen für 322 Einrichtungen mit ARS-Angebot sowie für alle 107 Einrichtungen mit STR-Angebot vor, wobei in ARS häufiger keine Hauptdiagnose dokumentiert wurde (n = 293 Fälle; 6,1 %) als in STR (n = 387 Fälle; 1,6 %; p-Wert < 0,0001). Alkoholbezogene Störungen dominierten jeweils die Fälle mit Hauptdiagnose (ARS: n = 3.103 Fälle; 69,0 % | STR: n = 15.711 Fälle; 65,2 %; siehe Abbildung 1). In ARS wie auch in STR folgten an zweiter Stelle Behandlungen aufgrund von cannabinoidbezogenen Störungen (ARS: n = 406 Fälle; 9,0 % | STR: n = 2.342 Fälle; 9,7 %). An dritter Stelle stand in ARS das Pathologische Spielen (n = 325 Fälle; 7,2 %), das in STR den siebten Rang einnahm (n = 445 Fälle; 1,8 %). Hier bildete Multipler Substanzmissbrauch den dritthäufigsten Behandlungsanlass (n = 2.085 Fälle; 8,6 %), der in ARS an sechster Stelle stand (n = 131 Fälle; 2,9 %). Auf Entwöhnungsbehandlungen aufgrund von Störungen durch den Konsum von Flüchtigen Lösungsmitteln, Tabak oder Halluzinogenen entfiel jeweils nur ein geringer Anteil. Gleiches gilt für Exzessive Mediennutzung.

    3.2 Klientelcharakteristika

    a) Soziodemographie

    Die aufgrund von alkohol- bzw. cannabinoidbezogenen Störungen behandelte ARS-Klientel unterschied sich hinsichtlich soziodemographischer Charakteristika systematisch von der STR-Klientel (siehe Tabelle 1). Bei beiden Konsumstörungen war die ARS-Klientel im Mittel älter und es fand sich ein geringerer Anteil an unter 30-Jährigen. Zudem lebte die ARS-Klientel jeweils seltener allein, hatte ein höheres Bildungsniveau (Abiturquote höher, Schulabbruchquote geringer) und war häufiger an den Arbeitsmarkt angebunden (Erwerbstätigkeit häufiger, Arbeitslosigkeit seltener). Für Rehabilitationsmaßnahmen aufgrund von alkoholbezogenen Störungen fand sich in ARS zudem ein höherer Anteil an Frauen und an Eltern minderjähriger Kinder.

    b) Störungsbezogene Parameter

    Der Erstkonsum von Alkohol bzw. Cannabinoiden erfolgte bei der ARS-Klientel und der STR-Klientel ähnlich früh, jedoch waren die ARS-Fälle bei Störungsbeginn im Mittel älter (siehe Tabelle 1). ARS wurde häufiger abstinent angetreten als STR, zugleich waren die drei Konsumklassen „7 bis 15 Tage“, „16 bis 28 Tage“ und „fast täglich“ schwächer besetzt (höchste Klasse bei cannabinoidbezogenen Störungen nicht signifikant). Für ARS-Fälle mit alkoholbezogenen Störungen ließen sich zudem im Mittel weniger Konsumtage im Monat vor Maßnahmenantritt beobachten.

    c) Dokumentierte Problembereiche

    Grundsätzlich wurde in ARS seltener eine Beeinträchtigung verschiedener Lebensbereiche dokumentiert als in STR, wobei die entsprechenden Unterschiede für beide Konsumstörungen meist signifikant waren (siehe Abbildung 2). Lediglich psychische Probleme (alkoholbezogene Störungen: ARS = 67,9 %; STR = 71,8 %; p = 0,02 | cannabinoidbezogene Störungen: ARS = 71,0 %; STR = 79,0%; p = 0,09) und familiäre Probleme (alkoholbezogene Störungen: ARS = 54,7 %; STR = 51,8 %; p = 0,05 | cannabinoidbezogene Störungen: ARS = 53,4 %; STR = 62,9 %; p = 0,03) wurden in ARS und STR jeweils ähnlich häufig erfasst.

    3.3 Behandlungsergebnisse

    Grundsätzlich endeten Entwöhnungsbehandlungen überwiegend planmäßig, wobei die Haltequote bei ARS und STR jeweils ähnlich war (siehe Abbildung 3). In wenigen Fällen wurde nicht dokumentiert, ob die Maßnahme planmäßig oder unplanmäßig endete, ohne dass diesbezüglich systematische Unterschiede zwischen ARS und STR bestanden (alkoholbezogene Störungen: ARS = 2,8 %, STR = 0,2 %; p = 0,16 | cannabinoidbezogene Störungen: ARS = 2,3 %, STR = 0,3 %; p = 0,68).

    Betrachtet man die Anlässe einer planmäßigen Beendigung, so kam es in ARS jeweils häufiger als in STR zur Beendigung nach Behandlungsplan (alkoholbezogene Störungen 80,2 % vs. 73,8 %; p = 0,0003 | cannabinoidbezogene Störungen 80,1 % vs. 57,5 %; p < 0,0001) und seltener zu planmäßigen Wechseln in andere Einrichtungen (alkoholbezogene Störungen 5,1 % vs. 12,6 %; p < 0,0001 | cannabinoidbezogene Störungen 5,8 % vs. 17,9 %; p < 0,0001). Bei Entwöhnungsbehandlungen aufgrund von alkoholbezogenen Störungen fanden sich in ARS zudem häufiger vorzeitige Beendigungen mit ärztlichem / therapeutischem Einverständnis (8,8 % vs. 7,3 %; p = 0,008) und bei cannabinoidbezogenen Störungen seltener Beendigungen auf ärztliche / therapeutische Veranlassung (7,6 % vs. 15,4 %; p = 0,0003).

    In Bezug auf eine unplanmäßige Beendigung waren disziplinarische Beendigungen in ARS seltener als in STR (alkoholbezogene Störungen 10,7 % vs. 17,5 %; p = 0,0001 | cannabinoidbezogene Störungen 9,8 % vs. 27,9 %; p = 0,003). Zudem kam es bei Entwöhnungsbehandlungen aufgrund von cannabinoidbezogenen Störungen in ARS häufiger zu außerplanmäßigen Einrichtungswechseln (17,1 % vs. 2,7 %; p < 0,0001) und bei Entwöhnungsbehandlungen aufgrund von alkoholbezogenen Störungen gab es in ARS mehr Todesfälle (2,7 % vs. 0,1 %; p < 0,0001).

    Im Zuge der Entwöhnungsbehandlung wurde bei beiden Konsumstörungen in ARS und STR ähnlich häufig eine Verbesserung der Ausgangssituation erreicht (siehe Abbildung 4). Bei alkoholbezogenen Störungen bestand auch hinsichtlich des Prozentsatzes, der stabil geblieben ist, kein Unterschied zwischen ARS und STR. Bei cannabinoidbezogenen Störungen wurde in ARS indes seltener eine Stabilisierung erreicht als in STR (13,3 % vs. 21,9 %; p = 0,005). Die Ausgangsproblematik verschlechterte sich in ARS jeweils häufiger als in STR, allerdings auf niedrigem Niveau (alkoholbezogene Störungen: ARS = 2,6%; STR = 0,6 %, p < 0,0001 | cannabinoidbezogene Störungen: ARS = 5,5%; STR =1,0 %, p < 0,0001).


    Zugleich war der Anteil an Behandelten, die die Konsumenge von Alkohol bzw. Cannabinoiden im Zuge der Entwöhnungsbehandlung verringert haben, in ARS niedriger als in STR (alkoholbezogene Störungen: 38,3 % vs. 72,5 %; p < 0,0001 | cannabinoidbezogene Störungen: 35,2 % vs. 63,4 %; p < 0,0001). Allerdings war am Ende der Maßnahme nicht immer dokumentiert, ob sich die anfängliche Suchtproblematik verändert hat, wobei dies bei der Klientel mit cannabinoidbezogenen Störungen in ARS seltener vorkam als in STR (5,0 % vs. 9,9 %; p = 0,002).

    4 Einordnendes Fazit

    Dieser Artikel vergleicht erstmals anhand von aktuellen Daten der DSHS die Fallzusammensetzung und das Ergebnis bei ambulanten und stationären Entwöhnungsbehandlungen aufgrund von alkohol- bzw. cannabinoidbezogenen Störungen. Hierbei zeigt sich, dass stationäre Suchtrehabilitation deutlich weiter verbreitet ist als ambulante Maßnahmen, wobei in beiden Settings jeweils eine spezifische Klientel behandelt wird. Einschränkend sei darauf verwiesen, dass die Gegenüberstellung Fälle mit alkohol- bzw. cannabinoidbezogenen Störungen – die Hauptanlässe für Suchtrehabilitation – adressierte. Eine Verallgemeinerung auf andere stoffgebundene und stoffungebundene Suchterkrankungen ist nicht unmittelbar möglich.

    Grundsätzlich waren soziodemographische Unterschiede zwischen der ARS-Klientel und der STR-Klientel ausgehend von den Anforderungskriterien, für wen eine ambulante Maßnahme geeignet ist, zu erwarten: Anlage 3 zur Vereinbarung „Abhängigkeitserkrankungen“ fordert unter anderem, dass im Falle einer ambulanten Entwöhnungsbehandlung ein stabilisierendes / unterstützendes soziales Umfeld sowie ausreichende berufliche Integration gewährleistet sein sollten (Deutsche Rentenversicherung, 2001). Dass den DSHS-Daten zu Folge die ARS-Klientel seltener allein lebt und häufiger erwerbstätig sowie seltener arbeitslos ist als die STR-Klientel, spiegelt eine adäquate Umsetzung dieser Vorgabe.

    Darüber hinaus hat die ARS-Klientel ein höheres Bildungsniveau (d. h. Abitur häufiger, Schulabbruch seltener) als die STR-Klientel. Dies deckt sich mit Beobachtungen in einer kleinen monozentrischen Studie unter Alkoholabhängigen (Schmidt et al., 2009). Hier steht zu vermuten, dass das höhere Bildungsniveau sich förderlich auf die Therapieadhärenz auswirkt, die wiederum eine Grundanforderung an die ambulante Durchführbarkeit einer Suchtrehabilitation darstellt (Deutsche Rentenversicherung, 2001). Zudem legt episodische Evidenz nahe, dass ein höherer Bildungsgrad – insbesondere bei Frauen – positiv mit dem Verbleib in der Suchtbehandlung assoziiert ist (Courtney et al., 2017; Pinto et al., 2011; Vigna-Taglianti et al., 2016).

    Des Weiteren finden sich in ARS häufiger Eltern minderjähriger Kinder als in STR. In einem ambulanten Setting lassen sich annahmegemäß Fürsorge- und Aufsichtspflichten leichter realisieren als in einem stationären Setting, weswegen Eltern gewisse Präferenzen für ambulante Angebote haben könnten. Dies legt zumindest eine Studie nahe, die den Mangel an auf Eltern zugeschnitten Therapieangeboten als eine von mehreren Hürden für die Inanspruchnahme stationärer Entwöhnungsbehandlungen unter Methamphetaminabhängigen identifizierte (Hoffmann et al., 2018). Eine Übertragbarkeit auf andere Suchterkrankungen erscheint hier legitim.

    Darüber hinaus spricht das klinische Bild der STR-Klientel für eine komplexere Problematik. Die STR-Fälle haben häufiger Probleme in verschiedenen Lebensbereichen und konsumieren Alkohol bzw. Cannabinoide im Monat vor Behandlungsbeginn intensiver. Dies korrespondiert mit den Klientelcharakteristika einer früheren Studie, die Risikoprofile für den frühzeitigen Abbruch einer ambulanten bzw. stationären Entwöhnungsbehandlung unter Personen mit Alkoholkonsumstörungen analysierte (Preuss et al., 2012). Hier fand sich eine höhere Prävalenz psychischer und körperlicher Begleiterkrankungen und eine kürzere Abstinenzperiode unter den stationär Behandelten. Beide Befunde reflektieren die Vorgaben der Anlage 3 zur Vereinbarung „Abhängigkeitserkrankungen“, die bei Personen mit intensivem Suchtverlauf und schwerwiegenden psychischen, sozialen oder körperlichen Beeinträchtigungen eine stationäre Rehabilitation empfehlen (Deutsche Rentenversicherung, 2001).

    Trotz dieser unterschiedlichen Fallcharakteristika wird in ARS und STR ähnlich häufig ein positives Behandlungsergebnis (Reduktion oder Stabilisierung) erzielt. In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass sich in ARS behandelte Personen mit cannabinoidbezogenen Störungen zwar signifikant seltener stabilisieren, sich aber zugleich (nicht-signifikant) häufiger verbessern. Dies spricht für eine tendenzielle Verschiebung aus der Kategorie „Stabilisierung“ in die Kategorie „Verbesserung“. Zudem ist eine Verringerung der initialen Suchtproblematik in ARS und STR ähnlich wahrscheinlich. Dies lässt vermuten, dass Personen mit komplexerem Störungsbild von STR zumindest kurzfristig stärker profitieren als von ARS. Zugleich kommt es in ARS häufiger als in STR zu einer Verschlechterung der Suchtproblematik und die Konsummenge wird seltener verringert – was sicher auch mit der ausgangs niedrigeren Konsumintensität zusammenhängt. Ein wichtiger Erklärungsfaktor hierfür dürfte aber insbesondere die einfachere Verfügbarkeit der Substanzen kombiniert mit weniger engmaschigen Kontrollmöglichkeiten im ambulanten Setting sein.

    Da die Daten die Situation unmittelbar zum Behandlungsende abbilden, besteht keine Rückschlussmöglichkeit, ob sich die für STR beobachtete deutlich stärkere Konsummengenreduktion nachhaltig verstetigt. Es ist anzunehmen, dass bei stationären Entwöhnungsbehandlungen ein erhöhtes Rückfallrisiko besteht, sobald die Betroffenen in ihrer regulären Lebenswelt wieder erleichterten „Substanzzugriff“ haben. So geht der Katamnesebericht des Fachverbandes Sucht für das Datenjahr 2018 davon aus, dass die Hälfte der Personen, die eine ambulante Entwöhnungsbehandlung durchlaufen haben – davon 79,2 % aufgrund von Alkohol- und 6,4 % aufgrund von Cannabinoidkonsumstörungen – ein Jahr nach deren Abschluss gemäß DGSS 4-Standard (also ggf. nach Rückfall) abstinent war (Becker et al., 2021). Im Bereich der stationären Entwöhnungsbehandlung galt dies im Datenjahr 2020 aber nur für zwei Fünftel der Personen, die aufgrund von Alkoholkonsumstörungen behandelt worden waren (Bachmeier et al., 2023), bzw. für ein Fünftel der Personen, die aufgrund von Cannabinoidkonsumstörungen behandelt worden waren (Kemmann et al., 2023). Dies unterstreicht implizit die Bedeutung, die einer adäquaten Rehabilitations-Nachsorge (Deutsche Rentenversicherung, 2015) insbesondere nach einer stationären Entwöhnungsbehandlung zukommt.

    Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ARS und STR unterschiedliche Personengruppen erreichen und nicht per se individuell austauschbare Behandlungsangebote darstellen. Da es die Aggregatdaten der DSHS nicht erlauben, soziodemographische und störungsbezogene Unterschiede zwischen ARS-Klientel und STR-Klientel statistisch zu berücksichtigen, ist ein Vergleich der „Effektivität“ von ARS und STR grundsätzlich nicht angebracht. Vor dem Hintergrund der komplexeren Problematik der STR-Fälle ist der fehlende Unterschied zwischen beiden Behandlungsansätzen hinsichtlich Haltequote und Anteil an Fällen mit verbesserter Suchtproblematik allerdings positiv zu werten. Anscheinend gelingt es ARS und STR gleichermaßen gut, ihre spezifische Klientel bedarfsgerecht durch die Entwöhnung zu begleiten.

    5 Abkürzungsverzeichnis
    • ARS                Ambulante Medizinische Rehabilitation
    • DSHS             Deutsche Suchthilfestatistik
    • ICD                 International Classification of Diseases
    • IFT                  Institut für Therapieforschung
    • KDS                Kerndatensatz zur Dokumentation in der Suchtkrankenhilfe
    • STR                Stationäre Medizinische Rehabilitation
    6 Literatur
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    • Becker, A., Bick-Dresen, S., Schneider, B., Bachmeier, R., Bingel-Schmitz, D., Fölsing, B., Funke, W., Klein, T., Kramer, D., Löhnert, B., Steffen, D., Seydlitz, U., & Granowski, M. (2021). Effektivität der ambulanten Suchtrehabilitation–FVS-Katamnese des Entlassjahrgangs 2018 von Ambulanzen für Alkohol-und Medikamentenabhängige. Sucht aktuell, 2021(3) 38-47.
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    Förderhinweis

    Das Projekt Deutsche Suchthilfestatistik wird im Rahmen einer jährlichen Laufzeit vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert.

    Kontakt:

    PD Dr. Larissa Schwarzkopf
    Leiterin Forschungsgruppe Therapie und Versorgung
    IFT Institut für Therapieforschung
    Leopoldstraße 175
    80804 München
    www.ift.de
    schwarzkopf(at)ift.de

    Angaben zu den Autorinnen:

    Die Autorinnen repräsentieren die Forschungsgruppe „Therapie und Versorgung“ am IFT Institut und Therapieforschung. Das IFT ist als selbstständiges, gemeinnütziges Forschungsinstitut auf dem Gebiet der Abhängigkeitserkrankungen tätig und bearbeitet grundlagen- und anwendungsbezogene Fragestellungen zu Ätiologie, Epidemiologie, Prävention, Therapie und Versorgungsforschung. Die Deutsche Suchthilfestatistik (DSHS), die das IFT seit mehr als vierzig Jahren betreut, bildet einen zentralen Grundpfeiler dieser Forschungsaktivitäten. Hierbei koordiniert die Forschungsgruppe Therapie und Versorgung schwerpunktmäßig die inhaltliche und methodische Weiterentwicklung der DSHS.

    • PD Dr. Larissa Schwarzkopf, Dipl.-Ges.ök, MSc. Biostatistics, IFT, Leiterin Forschungsgruppe Therapie und Versorgung
    • Monika Murawski, MPH, Dipl.-Soz., Wissenschaftliche Mitarbeiterin
    • Carlotta Riemerschmid, MSc. Psychologie, IFT, Doktorandin Forschungsgruppe Therapie und Versorgung
    • Jutta Künzel, Dipl.-Psych., IFT, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Forschungsgruppe Therapie- und Versorgung
  • Suchthilfe in Deutschland 2019

    Suchthilfe in Deutschland 2019

    Im November wurde der Jahresbericht der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS), „Suchthilfe in Deutschland 2019“, veröffentlicht. In den regelmäßig erscheinenden Jahresberichten der DSHS werden die wichtigsten aktuellen Ergebnisse zusammengefasst. Im April berichteten wir auf KONTUREN online in einem Fachartikel über die an der DSHS beteiligten Institutionen und das Zustandekommen der Statistiken. In dem jüngsten, nun vorliegenden Bericht widmet sich ein Kapitel verschiedenen „Entwicklungen im Zeitverlauf“, die hier im Folgenden wiedergegeben werden. Der vollständige Bericht steht auf der DSHS-Website zum Download bereit.

    Die vorliegende Statistik basiert auf den Daten des Jahres 2019, die mit dem KDS 3.0 erhoben worden sind. Der Bericht bietet neben Informationen zu den teilnehmenden Einrichtungen und dem Betreuungsvolumen einen Überblick über störungsbezogene und soziodemographische Merkmale der betreuten/behandelten Klientel sowie zu Merkmalen der Betreuung bzw. Behandlung. Ergänzend werden die Auswertungen für einige wesentliche Merkmale auch anhand folgender Hauptmaßnahmen erstellt: niedrigschwellige Hilfen, ambulante medizinische Rehabilitation, (Reha-) Nachsorge sowie ambulant betreutes Wohnen und Adaption.

    Im Jahr 2019 wurden in 863 ambulanten und 142 stationären Einrichtungen, die sich an der DSHS beteiligt haben, 324.874 ambulante Betreuungen und 35.485 stationäre Behandlungen durchgeführt. Abweichend von der bisherigen Berichterstattung erfolgt die Darstellung der ambulanten Betreuung bzw. der stationären Behandlung sowie der Auswertungen für ausgewählte Hauptmaßnahmen ab dem Berichtsjahr 2020 in eigenständigen Kapiteln.

    Im Folgenden wird das Kapitel 6 „Entwicklungen im Zeitverlauf“ wiedergegeben (hier ohne Abbildungen, im Bericht S. 90-103).

    Entwicklungen im Zeitverlauf

    Zur Darstellung von Veränderungen im Zeitverlauf werden einige ausgewählte Variablen im Vergleich zu den Vorjahren (ab Datenjahr 2017) dargestellt und Auffälligkeiten berichtet. Hierbei werden Veränderungen zwischen 5% und 10% als leichte Veränderungen, Veränderungen von mindestens 10% als deutliche Veränderungen interpretiert. Bei gleichgerichteten Veränderungen zwischen 3% und 5% wird eine Tendenz angenommen.

    Beteiligung

    Die Beteiligung an der DSHS hat bei ambulanten Einrichtungen minimal zugenommen (2017: 849, 2018: 861, 2019: 863), während sich bei den stationären Einrichtungen kein einheitlicher Trend ergibt (2017: 152, 2018: 137; 2019: 142). Im ambulanten Bereich blieben die Fallzahlen weitestgehend stabil (2017: 324.874, 2018: 325.052, 2019: 322.697, -0,7%), wohingegen im stationären Bereich eine leichte Zunahme zu beobachten war (2017: 33.588, 2018: 31.188; 2019: 135.458; +5,6%).

    Störungen

    Seit 2017 zeigt sich im ambulanten Bereich ein deutlicher Rückgang opioidbezogener Störungen (-25%) und Pathologischen Glücksspielens (-15%) sowie eine deutliche Zunahme von Störungen in Folge des Konsums anderer psychotroper Substanzen (+102%) und exzessiver Mediennutzung (+49%) – in den beiden letztgenannten Bereichen sind allerdings die eingangs kleinen Fallzahlen zu beachten. Im stationären Bereich ist ebenfalls ein Rückgang opioidbezogener Störungen (-13%) und Pathologischen Glücksspielens (-26%) zu beobachten. Zudem haben hier kokainbezogene Störungen (+44%) und Störungen in Folge des Konsums anderer psychotroper Substanzen (+35%) zugenommen.

    Geschlechterverteilung

    Die Geschlechterverteilung ist im ambulanten Bereich seit 2017 relativ stabil geblieben. Bei Klient*innen mit exzessiver Mediennutzung hat der Frauenanteil zwar zugenommen (+40%), dies ist in Anbetracht der geringen Fallzahlen jedoch mit Vorsicht zu interpretieren.

    Im stationären Bereich ist der Frauenanteil seit 2017 tendenziell rückläufig (-4%). Dieser Trend ist insbesondere auf rückläufige Anteile bei den Patient*innen mit alkoholbezogenen Störungen (-9%) zurückzuführen.

    Alter

    Im ambulanten Bereich ist das durchschnittliche Alter seit 2017 insgesamt stabil geblieben. Allerdings war bei Personen mit alkoholbezogenen Störungen (+6 Monate), stimulanzienbezogenen Störungen (+10 Monate) oder exzessiver Mediennutzung (+14 Monate) eine tendenzielle Zunahme des Durchschnittsalters zu beobachten.

    Im stationären Bereich ist das Durchschnittsalter zwar innerhalb der Gesamtklientel seit 2017 stabil, aber auf Hauptdiagnoseebene sind Trends erkennbar. Bei Patient*innen mit Glücksspielproblematik (+12 Monate) bzw. mit opioid- (+16 Monate) oder stimulanzien-bezogenen Störungen (+18 Monate) ist das durchschnittliche Alter um mindestens ein Jahr gestiegen, wohingegen sich bei Personen mit exzessiver Mediennutzung ein gegenläufiges Bild zeigt (-54 Monate). Allerdings sind in der letztgenannten Gruppe die geringen Fallzahlen zu beachten.

    Familiensituation

    Im Hinblick auf die Familiensituation ist die durchschnittliche Anzahl minderjähriger Kinder innerhalb der betreuten Klientel mit Kindern seit 2017 unverändert. Allerdings zeigen sich Veränderungen bei Personen mit opioidbezogenen Störungen, bei denen die Kinderzahl im Durchschnitt gesunken ist (-12%).

    Im stationären Bereich hat sich die durchschnittliche Anzahl minderjähriger Kinder in der gesamten Klientel mit Kindern seit 2017 reduziert (-5%), insbesondere bei Patient*innen mit opioidbezogenen Störungen (-17%). Der deutliche Rückgang bei Patient*innen mit exzessiver Mediennutzung (-27%) ist bedingt durch die kleine Fallzahl jedoch kaum interpretierbar.

    Migrationshintergrund

    Die Trendanalyse zeigt, dass der Anteil an Klient*innen mit Migrationshintergrund im ambulanten Bereich seit 2017 rückläufig ist (-6%), insbesondere bei Personen mit Glücksspielproblematik (-13%). Lediglich bei Klient*innen mit opioidbezogenen Störungen (+3%) oder exzessiver Mediennutzung (+36%) ist tendenziell eine gegenläufige Entwicklung beobachtbar, wobei bei der letztgenannten Gruppe die kleine Fallzahl zu berücksichtigen ist.

    Im stationären Bereich ist der Anteil an Patient*innen mit Migrationshintergrund seit 2017 tendenziell gestiegen (+3%). Diese Entwicklung ist im Wesentlichen auf einen steigenden Migrant*innenanteil bei Personen mit alkoholbezogenen Störungen (+21%) zurückzuführen. Auch bei Patient*innen mit exzessiver Mediennutzung (+53%) ist eine deutliche Zunahme zu verzeichnen, die aufgrund der kleinen Fallzahlen jedoch nur eingeschränkt interpretierbar ist. Demgegenüber ist der Anteil an Personen mit Migrationshintergrund bei Patient*innen mit opioidbezogenen Störungen (-7%) rückläufig. Dies trifft tendenziell auch auf Personen mit stimulanzienbezogenen Störungen zu (-4%).

    Bildungsstand

    Seit 2017 hat sich der Bildungsstand der ambulanten Klientel insgesamt leicht verbessert. Es finden sich über alle Hauptdiagnosen mehr Klient*innen mit hoher Schulbildung (+11%), am stärksten ist die Zunahme bei Personen mit Glücksspielproblematik (+24%), cannabinoidbezogenen Störungen (+13%) und exzessiver Mediennutzung (+10%), wobei in der letztgenannten Gruppe die kleinen Fallzahlen zu beachten sind. Der Anteil an Personen ohne Schulabschluss ist über alle Hauptdiagnosen hinweg leicht zurückgegangen (-8%), am stärksten unter Klient*innen mit alkoholbezogenen Störungen (-10%).

    Auch in der stationären Klientel zeigt sich seit 2017 insgesamt ein leichter Anstieg des Bildungsstandes. Dies betrifft insbesondere Patient*innen mit Störungen in Folge des Konsums illegaler Substanzen, bei denen der Anteil mit hoher Schulbildung jeweils leicht zugenommen hat (opioidbezogene Störungen: +7%; stimulanzienbezogene Störungen: + 7%; cannabinoidbezogene Störungen: +5%). Der Anteil an Patient*innen ohne Schulabschluss ist weitestgehend stabil, mit Unterschieden zwischen den verschiedenen Patient*innengruppen: Bei Patient*innen mit opioidbezogenen Störungen (+11%) oder Glücksspielproblematik (+34%) finden sich vermehrt Personen ohne Schulabschluss, während der entsprechende Anteil bei Patient*innen mit cannabinoidbezogenen Störungen (-14%) bzw. exzessiver Mediennutzung (-89%) (cave kleine Fallzahlen!) deutlich abgenommen hat.

    Berufliche Integration

    In Bezug auf die berufliche Integration zeigt die Trendentwicklung seit 2017 einen deutlichen Rückgang der Arbeitslosenquote (-10%) über alle Klient*innengruppen hinweg. Der stärkste Rückgang an Arbeitslosen findet sich bei Personen mit Glücksspielproblematik (-15%) und alkoholbezogenen Störungen (-10%).

    Im stationären Bereich ist die Arbeitslosenquote seit 2017 ebenfalls leicht gesunken (-6%), insbesondere bei Patient*innen mit exzessiver Mediennutzung (-23%) (cave! kleine Fallzahl) oder alkoholbezogenen Störungen (-8%). Lediglich bei Personen mit Glücksspielproblematik ist der Anteil an Arbeitslosen geringfügig gestiegen (+6%).

    Erstbetreute

    Der Anteil an Erstbetreuten ist im ambulanten Bereich seit 2017 um +7% gestiegen. Eine Zunahme findet sich bei nahezu allen Patient*innengruppen, wobei der Trend bei Personen mit opioidbezogenen Störungen (+17%) am stärksten ausgeprägt ist.

    Im stationären Bereich zeigt die Trendanalyse seit 2017 einen tendenziell steigenden Anteil an Erstbehandelten (+4%), insbesondere bei Personen mit stimulanzienbezogenen Störungen (+6%) sowie bei Patient*innen mit alkoholbezogenen Störungen (+5%). Der deutliche Anstieg bei Patient*innen mit exzessiver Mediennutzung (+20%) ist aufgrund der geringen Fallzahlen nur begrenzt interpretierbar. Eine gegenläufige Entwicklung ist im Bereich Glücksspielproblematik zu beobachten, wo der Anteil Erstbehandelter leicht gesunken ist (-5%).

    Latenz

    Die Latenz von Störungsbeginn bis Betreuungsbeginn blieb im ambulanten Bereich seit 2017 über alle Patient*innengruppen hinweg nahezu unverändert. Nur bei Klient*innen mit stimulanzienbezogenen Störungen ist eine leichte Zunahme zu verzeichnen (+6 Monate).

    Im stationären Bereich findet sich seit 2017 eine zunehmende Latenz bei stimulanzien- bzw. opioidbezogenen Störungen (jeweils +14 Monate). Demgegenüber ist die Zeit zwischen Störungs- und Behandlungsbeginn bei alkoholbezogenen Störungen (-8 Monate) und Glücksspielproblematik (-11 Monate) rückläufig.

    Durchschnittliche Betreuungs-/Behandlungsdauer

    Seit 2017 ist die durchschnittliche Betreuungsdauer im ambulanten Bereich insgesamt unverändert, obgleich sich auf Hauptdiagnoseebene eher längere Betreuungszeiten beobachten lassen. Die deutlichste Zunahme ist hier bei Personen mit opioidbezogenen Störungen (+4 Monate, d.h. 26%) zu beobachten.

    Im stationären Bereich ist die durchschnittliche Behandlungsdauer seit 2017 über alle Patient*innengruppen hinweg stabil, wobei sich auf Ebene der einzelnen Hauptdiagnosen tendenziell längere Behandlungsdauern verzeichnen lassen.

    Planmäßige Beendigungen

    Seit 2017 hat der Anteil der planmäßig beendeten Betreuungen im ambulanten Bereich über alle Klient*innengruppen hinweg tendenziell zugenommen (+3%). Am ausgeprägtesten ist die Zunahme bei Personen mit Glücksspielproblematik (+7%) und opioidbezogenen Störungen (+6%).

    Im stationären Bereich liegt der Anteil planmäßiger Beendigungen seit 2017 insgesamt unverändert bei 80%. Auf Ebene der einzelnen Hauptdiagnosen hat sich die Planmäßigkeitsquote bei Patient*innen mit Störungen in Folge des Konsums illegaler Substanzen eher erhöht (opioidbezogenen Störungen: +11%, stimulanzienbezogene Störungen: +4%), während sie bei Personen mit Glücksspielproblematik tendenziell gesunken ist (-4%).

    Positive Betreuungs-/Behandlungsergebnisse

    Der Anteil positiver Betreuungsergebnisse liegt im ambulanten Bereich seit 2017 stabil bei 97%. Hier kann lediglich bei Klient*innen mit opioidbezogenen Störungen eine minimale Zunahme angenommen werden.

    Im stationären Bereich ist der Anteil positiver Behandlungsergebnisse seit 2017 unverändert (98%). Am ehesten lässt sich hier bei Patient*innen mit opioidbezogenen Störungen eine Zunahme beobachten.

    Quelle: Hanna Dauber, Jutta Künzel, Larissa Schwarzkopf, Sara Specht (2020), Suchthilfe in Deutschland 2019. Jahresbericht der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS), IFT München, S. 90-103.

  • Die Deutsche Suchthilfestatistik – DSHS

    Die Deutsche Suchthilfestatistik – DSHS

    1.     Einleitung

    Dr. Tim Pfeiffer-Gerschel
    PD Dr. Larissa Schwarzkopf

    Die Deutsche Suchthilfestatistik (DSHS) ist ein bundesweites Dokumentationssystem, das dazu dient, zentrale Charakteristika des Suchthilfesystems und seiner Klientel zu dokumentieren. Die DSHS beschreibt wichtige Veränderungen im Bereich der Suchthilfe sowohl hinsichtlich der behandelten Population als auch in Bezug auf die Betreuung selbst. Betreuung bedeutet hier die gesamte Bandbreite der von Suchthilfeeinrichtungen angebotenen Leistungen von der Beratung bis hin zur Behandlung. Diese Informationen werden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Damit ist die DSHS europaweit eines der größten Monitoringsysteme im Betreuungs-/Behandlungsbereich von Suchterkrankungen.

    Die Anfänge der Deutschen Suchthilfestatistik liegen in den späten 1970ger Jahren, als im Rahmen eines Modellprojektes ein erster einheitlicher Datensatz für die Dokumentation in der Suchthilfe (Bundesdatensatz) entwickelt und erprobt wurde (Hachmann & Bühringer, 1980). Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) hat darauf aufbauend 1998 die erste Version eines Kerndatensatzes (KDS) „Klient“ herausgebracht. Es folgten 1999 der Kerndatensatz „Einrichtung“ und 2000 ein erster Kerntabellensatz (standardisierte Auswertung in Kreuztabellen). Eine erste umfassende Überarbeitung erfolgte 2007 („neuer KDS“; zuletzt DHS, 2010). Im Rahmen einer zweiten Überarbeitung entstand der KDS 3.0 (DHS, 2020), der seit 2017 die Dokumentations- und Datengrundlage der DSHS bildet.

    Der KDS 3.0 setzt sich aus dem Kerndatensatz „Einrichtung“ (KDS-E), in dem Einrichtungsmerkmale erfasst werden, und dem Kerndatensatz „Fall“ (KDS-F), in dem für jeden betreuten Fall soziodemographische sowie problem- und betreuungsbezogene Merkmale erfasst werden, zusammen. Die mit dem Inkrafttreten des KDS 3.0 verbundenen umfangreichen inhaltlichen Neuerungen wurden an anderer Stelle detailliert beschrieben (Braun & Lesehr, 2017). Besonders hervorzuheben ist die nun verringerte Anzahl der erfassten Einrichtungstypen (sieben statt vorher 16) verbunden mit differenzierten Dokumentationsmöglichkeiten für die in den Einrichtungen angebotenen Maßnahmen im KDS-E. Für den KDS-F bestehen die bedeutsamsten Änderungen in der Trennung von Konsummustern und Diagnosen, der Erfassung vielschichtiger psychosozialer Problembereiche zu Betreuungsbeginn und -ende sowie einer veränderten Erfassung der Konsummengen.

    Dieser Beitrag hat das Ziel, die für die Erstellung der DSHS zentralen Prozesse darzustellen und grundlegende Begriffe einzuführen. Zu diesem Zweck werden zunächst die an der DSHS beteiligten Partner*innen vorgestellt. Anschließend wird der gesamte Datenmanagementprozess ausgehend von Datenerfassung und -versand über Datensammlung und -verarbeitung bis hin zur Erstellung der Auswertungen beschrieben. Zuletzt werden die aus diesen Daten entstehenden Veröffentlichungen benannt.

    2. Strukturen und Prozesse der DSHS

    2.1. Beteiligte Institutionen und Gremien

    Die bundesweite Datenerhebung und Auswertung der DSHS wird im Rahmen eines jahresweise ausgeschriebenen Projekts durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gefördert. Antragsteller ist hierbei das IFT Institut für Therapieforschung München, das eng mit dem Unterauftragnehmer Gesellschaft für Standarddokumentation und -auswertung, Mainburg, (GSDA) zusammenarbeitet. Das IFT ist für die Projektdurchführung sowie die Veröffentlichung der Auswertungen verantwortlich, während die institutionell getrennte GSDA für die Datensammlung und -verarbeitung zuständig ist.

    Abbildung 1 beschreibt sämtliche an der DSHS beteiligten Partner*innen sowie grundlegende Gremienstrukturen:

    • Die Datenerhebung erfolgt auf der Ebene der teilnehmenden Suchthilfeeinrichtungen, die durch ihre übergeordneten Fach- und Wohlfahrtsverbände in den Gremien vertreten sind. Vertreter*innen der Verbände bilden den Fachbeirat Suchthilfestatistik, der über die grundlegende Ausrichtung und über Auswertungen und Veröffentlichungen der DSHS entscheidet. Vertreter*innen des IFT und der GSDA gehören dem Fachbeirat als ständige Gäste an.
    • Dem Fachausschuss Statistik der DHS gehören an: Vertreter*innen von IFT, GSDA, BMG und Softwareanbietern, Repräsentant*innen der an Datenhaltung, -sammlung und -lieferung beteiligten Institutionen (Länder, Verbände, Kostenträger) sowie weitere Beteiligte (Städtetag, Vertreter*innen von Wissenschaft und Praxis). Zu den Aufgaben des Fachausschusses Statistik gehört die Überarbeitung des KDS und die Festlegung von Lösungsstrategien zu anwendungs- und auswertungsbezogenen Fragestellungen.
    • Zudem hat die Projektleitung der DSHS einen Gaststatus in der aus Vertreter*innen von Bund, Ländern, Verbänden und Kostenträgern zusammengesetzten AG DSHS Die AG DSHS widmet sich einer Vereinheitlichung der Suchthilfestatistik, was insbesondere die Harmonisierung von Datenerhebung und -nutzung sowie abgestimmte Vorgehensweisen zur Formulierung, Begleitung und Durchsetzung gemeinsamer Standards umfasst. Sie wird durch die Deutsche Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (DBDD) einberufen und fungiert gegenüber der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) als Expertengremium.
    Abbildung 1: Gremienstrukturen der Deutschen Suchthilfestatistik und ihre beteiligten Institutionen. BMG = Bundesministerium für Gesundheit, DSHS = Deutsche Suchthilfestatistik, DBDD = Deutsche Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, GSDA = Gesellschaft für Standarddokumentation und -auswertung, IFT = Institut für Therapieforschung

    2.2. Prozesse

    Abbildung 2 gibt einen schematischen Überblick über das Datenmanagement im Rahmen der DSHS. Diese Kernprozesse werden im Folgenden näher beschrieben.

    Abbildung 2: Datenflüsse im Rahmen der Deutschen Suchthilfestatistik

    2.2.1. Prozesse innerhalb der Einrichtung

    Datenerhebung

    In den Suchthilfeeinrichtungen wird für jede einzelne Einrichtung der Einrichtungsdatensatz (KDS-E) und für jeden einzelnen Betreuungsfall ein Kerndatensatz Fall (KDS-F) erhoben. Diese fallweise Betrachtung ist im Gesundheitswesen durchaus üblich (z.B. Arztfälle, Krankenhausfälle) und bedingt, dass eine Person mit unterschiedlichen Betreuungsepisoden im Beobachtungszeitraum mit mehreren Fällen in die DSHS eingeht.

    Die Datenerhebung innerhalb der Einrichtungen erfolgt dabei (in der Regel) elektronisch unter Einsatz verschiedener Softwaresysteme. In die DSHS gehen ausschließlich solche Daten ein, die mittels zertifizierter Systeme erhoben wurden, die bestimmte Vorgaben hinsichtlich Datenerfassung und -aggregation erfüllen. Die Zertifizierung erfolgt innerhalb der DSHS durch die GSDA.

    Aggregation und Datenexport

    Am Ende eines Erhebungsjahres werden alle Fälle in der Einrichtung aggregiert, d.h. nach zuvor definierten Vorschriften abgefragt und aufaddiert. Zu diesem Zweck stellt die DSHS den Softwareanbietern ein entsprechendes Programm zu Verfügung, das diese an die Einrichtungen (ihre Kund*innen) weiterleiten.

    Im Rahmen der Aggregierung entstehen verschiedene Auswertungsdateien über die einzelnen KDS-Items, die jeweils keine personenbezogenen Daten mehr enthalten (Tabellen). Diese sind bedingt durch die Zusammenfassung der einzelnen Fälle anonymisiert. Eine Aggregierung über einzelne Hauptmaßnahmen findet nur statt, wenn mindestens zehn Fälle eingehen, um valide Auswertungen zu gewährleisten. Die einzelnen aggregierten Ergebnisdateien werden einrichtungsweise in einem Tabellenband gebündelt und elektronisch an die GSDA übermittelt. Alle personenbezogenen Rohdaten verbleiben zu jedem Zeitpunkt in den Einrichtungen.

    2.2.2. Prozesse innerhalb der GSDA, der zentralen Datensammelstelle

    Mit dem Versand der auf Einrichtungsebene aggregierten Daten an die GSDA beginnt die Phase der Datensammlung und -verarbeitung, die mit der Erstellung einrichtungsübergreifender Tabellenbände endet. Der idealtypische Zeitablauf dieses Prozesses ist in Tabelle 1 zusammengefasst.

    Tabelle 1: Zeitlicher Ablauf von der Datensammlung bis zur Tabellenbanderstellung

    Plausibilitätsprüfung

    Nach Ende der Annahmefrist für Daten des Vorjahres (in der Regel 31.03. des Folgejahres) wird eine Liste der teilnehmenden Einrichtungen an die Verbände und Bundesländer versandt. Diese haben dann die Möglichkeit, Einrichtungen, die bis dato noch keine Daten geliefert haben, zur Teilnahme zu motivieren. So lässt sich die Anzahl der teilnehmenden Einrichtungen erhöhen.

    Nach Eingang der Daten finden bei der GSDA umfangreiche Kontrollmaßnahmen statt. Jeder Dateneingang wird auf technische Vollständigkeit und Korrektheit geprüft, um mögliche Fehlerquellen bei der Dokumentation und Aggregation frühzeitig zu identifizieren. Darüber hinaus finden zahlreiche Analysen statt, um eventuell vorhandene generelle Datenfehler (z.B. Programm- oder Exportfehler einzelner Softwaresysteme) zu identifizieren. Die GSDA spiegelt jedes beobachtete Problem an die liefernde Einrichtung zurück und leitet eine einzelfallbezogene Aufklärung in die Wege. Darüber hinaus werden zahlreiche softwaresystembezogene Auswertungen vorgenommen, um ggf. vorhandene generelle Datenfehler, die durch Programm- oder Exportfehler einzelner Softwaresysteme entstanden sind, systemspezifisch zu identifizieren und mit den Anbieter*innen abzuklären.

    Meta-Aggregierung zu Gesamttabellenbänden

    Nach Abschluss dieser Plausibilitätsprüfung nimmt die GSDA eine Addition der eingegangenen einrichtungsspezifischen Tabellenbände zu einem einzigen einrichtungsübergreifenden Gesamttabellenband vor (Meta-Aggregierung). Generell werden aus Datenschutzgründen itembezogene Tabellen nur unter der Voraussetzung erstellt, dass die Daten von mindestens drei Einrichtungen eingegangen sind. So wird verhindert, dass bei nur zwei datenliefernden Einrichtungen Angaben identifizierbar werden.

    Zudem ist bei der Erstellung der übergeordneten Tabellen der „Missingwert“ zu beachten. Dieser Wert legt fest, in wie vielen Fällen (maximaler Prozentwert) Angaben zu einem bestimmten Item fehlen dürfen, damit die Daten einer Einrichtung für diese Tabelle berücksichtigt werden. Der Missingwert liegt standardgemäß bei 33 Prozent. Somit geht in eine Tabelle jede Einrichtung ein, für die bei der entsprechenden Item-Kombination maximal 33 Prozent der Angaben fehlen. Dies führt zu einer Steigerung der Datenvalidität. Der Missingwert für die einzelnen Tabellen bewegt sich im Mittel um die fünf Prozent.

    2.2.3. Auswertungen am IFT

    Ist der einrichtungsübergreifende Gesamttabellenband erstellt, beginnt das IFT mit den ambulanten und stationären Hauptauswertungen. Die Auswertungen für die DSHS basieren auf einem Kerntabellensatz, der im Fachausschuss Statistik konsentiert wurde (siehe KDS-Manual, DHS, 2017). Diese Kreuztabellen aus einzelnen Items des KDS berücksichtigen unterschiedliche Stichproben und wenden verschiedene Filter an. Im Folgenden werden solche Stichprobenziehungen und Filterungen als Läufe bezeichnet. Hierbei wird zwischen „Standardläufenund jahresweise wechselnden Sonderläufen unterschieden. Standardläufe werden jedes Jahr in unveränderter Form sowohl für die Gesamtpopulation als auch stratifiziert nach Geschlecht durchgeführt. Sonderläufe adressieren einmalig bestimmte, vorab definierte Fragestellungen.

    Die Bezugsgröße der Auswertungen sind wie oben beschrieben grundsätzlichBetreuungsepisoden und nicht hilfesuchende Personen. Auf Einrichtungsebene kann eine Doppelzählung dadurch vermieden werden, dass nur die erste Betreuungsepisode in die Aggregierung eingeht. Die Problematik von Mehrfacherfassungen innerhalb der DSHS wird so auf die Nutzung von Hilfsangeboten in unterschiedlichen Einrichtungen reduziert.

    Die wichtigsten Stichproben und Filter werden im folgenden Abschnitt dargestellt.

    Stichproben für Standardläufe

    Alle Betreuungen: In diesem Lauf sind alle Betreuungsepisoden enthalten, die innerhalb eines Jahres dokumentiert wurden, unabhängig davon, ob die Maßnahme im Auswertungsjahr begonnen bzw. beendet wurde oder ob es sich um Übernahmen aus dem Vorjahr bzw. ins Folgejahr handelt. So lassen sich auch Langzeitbetreuungen abbilden.

    Zugänge/Beender: Dieser Lauf umfasst lediglich Betreuungsepisoden, die innerhalb des Auswertungsjahres begonnen oder beendet wurden. Übernommene Fälle aus dem Vorjahr und Übernahmen in das Folgejahr bleiben unberücksichtigt. Aktuelle Veränderungen können so besser beobachtet werden, da Langzeitbetreuungen nicht berücksichtigt sind. Die Zugänge-Stichprobe wird dabei für Basis-, Verwaltungs-/Zugangs-, soziodemographische sowie Konsum- und Diagnosedaten herangezogen. Die Beender-Stichprobe wird für Angaben zu Maßnahmen/Interventionen und Abschlussdaten herangezogen.

    Beender: Dieser Lauf enthält lediglich jene Betreuungsepisoden, die im Laufe des jeweiligen Jahres abgeschlossen wurden. Diese Selektion wird vor allem für den stationären Bereich verwendet, wo Entlassjahrgänge die übliche Bezugsgröße für Leistungserbringer und Kostenträger darstellen.

    Erstbehandelte: Dieser Lauf enthält nur die Betreuungsepisoden von Personen, die vor der aktuell dokumentierten Episode noch niemals suchtbezogene Hilfe in Anspruch genommen haben.

    Ohne Einmalkontakte: Dieser Lauf lässt Personen, die lediglich für einen einzigen Kontakt in der Einrichtung vorstellig wurden, unberücksichtigt. Dadurch wird der Missingwert auf Itemebene gesenkt, da im ambulanten Setting über Basisvariablen hinaus gehende Informationen häufig erst im Verlauf der Betreuung, also nach mehreren Kontakten, erfasst werden. Im stationären Setting besteht die Behandlungsepisode definitionsgemäß aus einem einzigen (eine gewisse Zeitspanne umfassenden) Kontakt, so dass hier die Regelung für Einmalkontakte nicht greift.

    TDI-Selektion: Auf europäischer Ebene (treatment demand indicator/TDI; European Monitoring Center for Drugs and Drug Addiction, 2012) soll jeweils die erste Inanspruchnahme suchtbezogener Hilfen im jeweiligen Datenjahr berichtet werden. Anhand einer KDS-Filterfrage werden daher Fälle ausgeschlossen, die im laufenden Jahr bereits suchtbezogene Hilfen in Anspruch genommen haben. Ergänzend wird die Stichprobe mit der ersten Betreuungsepisode in der jeweiligen Einrichtung berücksichtigt. Abweichend vom üblichen Prozedere (33 Prozent Missingwert) findet bei der TDI-Selektion ein Missingwert von 100 Prozent Anwendung (siehe auch 3.2.3).

    Tabelle 2 bietet eine Übersicht über die seit dem Datenjahr 2017 gültigen Standardläufe. Hierbei lassen sich die Läufe sowohl gegliedert nach Einrichtungstyp (ambulant vs. stationäre Rehabilitationsmaßnahmen) als auch gegliedert nach den angebotenen Maßnahmen (z.B. Niedrigschwellige Hilfen, Adaption, Ambulant Betreutes Wohnen) durchführen. Lauf 12 Alle Bezugspersonen dient ausschließlich als Information für die Einrichtungen und geht nicht in die Veröffentlichungen der DSHS ein.

    Tabelle 2: Standardläufe der Deutschen Suchthilfestatistik seit dem Datenjahr 2017. ZB = Zugänge/Beender, EK = Einmalkontakte, Haupt-MN = Hauptmaßnahme, HD = Hauptdiagnose, PSB = Psychosoziale Betreuung

    Inhaltliche Filtervariablen/Sonderläufe

    Grundsätzlich kann jedes KDS-Item als Filter für einen (einmaligen oder periodisch wiederkehrenden) Sonderlauf dienen. Hierbei werden besonders häufig Diagnosen (z.B. opioidbezogene Störung, Pathologisches Glücksspiel), klientenbezogene Charakteristika (z.B. Erwerbssituation, Alter, Migrationshintergrund) oder Aspekte des Betreuungsverlaufs (z.B. Art der Beendigung, Weitervermittlung) genutzt. Grundsätzlich lassen sich auch mehrere Filter kombinieren (z.B. Fälle ab 60 Jahren mit einer alkoholbezogenen Hauptdiagnose).

    Regionalauswertungen

    Neben den bundesweiten Tabellenbänden werden für den ambulanten Bereich Tabellenbände auf Landesebene erstellt und den jeweils zuständigen Ministerien zur Verfügung gestellt. Für einige Spezialauswertungen existieren zudem regionale Tabellenbände.

    Ermittlung der Beteiligungsquote

    Die DBDD hat in den Jahren 2006/2007 im Rahmen eines vom BMG geförderten Projekts ein zentrales Register deutscher Suchthilfeeinrichtungen aufgebaut (Süß & Pfeiffer-Gerschel, 2009), in dem jede Einrichtung über ihren Einrichtungscode eindeutig identifizierbar ist. Durch Abgleich mit den Dateneingängen aus der DSHS lässt sich feststellen, welche der registrierten Einrichtungen sich an der Erhebung beteiligen. Das nicht-öffentliche Register ermöglicht somit eine Abschätzung der Beteiligungsquote (siehe hierzu Süß & Pfeiffer-Gerschel, 2011), wodurch Rückschlüsse auf die Repräsentativität der DSHS-Daten gezogen werden können. Das Register wird zu diesem Zweck im Rahmen der DSHS weitergeführt und regelmäßig aktualisiert. Hierbei werden die Rückmeldungen der angeschriebenen Suchthilfeeinrichtungen zu Einrichtungstyp und Angebot bedarfsweise an systematische Veränderungen innerhalb des KDS angepasst.

    2.3. Datenschutz-Aspekte

    Die Erhebung und Dokumentation der Daten in den Einrichtungen erfolgt teilweise gemäß sozialrechtlich definierten Vorgaben unter Berücksichtigung der gesetzlichen Auflagen zum Sozialdatenschutz (insb. SGB X). Dies trifft auf Leistungen zu, auf die ein gesetzlich begründeter Anspruch besteht (bspw. Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation). Viele andere Maßnahmen, insbesondere ambulante Beratungsleistungen, stellen demgegenüber Angebote dar, die nicht in den sozialrechtlichen Kontext eingebettet sind. Infolgedessen greifen die Regelungen des SGB X hier nicht, und die Erhebung und Speicherung personenbezogener Daten auf Einrichtungsebene ist nur mit Einwilligung der Betroffenen und unter Wahrung der Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG zulässig.

    Die Lieferung der Daten aus den Einrichtungen an die DSHS erfolgt auf freiwilliger Basis, ohne dass hierfür eine gesetzliche Verpflichtung besteht. Hierfür verlassen die Daten die Einrichtungen in aggregierter Form. Es liegen also keine personenbezogenen, gesundheitsbezogenen und damit besonders schutzbedürftigen Daten im Sinne der einschlägigen Datenschutzgesetze vor. Die dort beschriebenen Vorgaben zum Datenschutz finden demnach keine Anwendung.

    Somit haben auch die umfassenden datenschutzrechtlichen Regelungen, die das Inkrafttreten der EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) mit sich gebracht hat, keinen Einfluss auf den Datenaustausch innerhalb der DSHS. Schließlich ist aufgrund der aggregierten Datenlieferung keine Rückverfolgung einzelner Personen möglich.

    3. Ergebnisse und ihre Verwertung

    3.1. Standardläufe in Tabellenform

    Ausgewählte bundesweite Tabellenbände der Standardläufe sind im Download-Bereich der DSHS-Website als Excel-Arbeitsmappen öffentlich zugänglich, so dass die einzelnen Einrichtungen Ihre eigenen Daten mit dem bundesweiten Durchschnitt vergleichen können. Bei der Stichprobe „Alle Betreuungen“ werden die bundesweiten Tabellenbände grundsätzlich für alle sieben Einrichtungstypen öffentlich gemacht. Die Stichprobe „Zugänge/Beender“ wird für alle Einrichtungstypen mit Ausnahme der stationären Rehabilitationseinrichtungen bereitgestellt, die Stichprobe der „Beender“ wird nur für die stationären Rehabilitationseinrichtungen bereitgestellt. Die Einrichtungstypen sind: Typ 1 Ambulante Einrichtung, Typ 2 Stationäre Rehabilitationseinrichtung, Typ 3 Krankenhaus/-abteilung, Typ 4 Ärztliche/Psychotherapeutische Praxis, Typ 5 Soziotherapeutische Einrichtungen/Eingliederungshilfe/Hilfen zur Überwindung besonderer Schwierigkeiten, Typ 6 Einrichtung im Strafvollzug und Typ 7 Andere (z.B. Pflegeheim, Maßregelvollzug). Einrichtungen der Typen 4 und 7 beteiligen sich bislang jedoch nicht in hinreichend großer Zahl an der DSHS, so dass hier derzeit keine Daten vorliegen.

    3.2. DSHS-Berichterstattung

    Standardberichterstattung – Onlinebericht

    Im Jahresbericht der DSHS („Suchthilfe in Deutschland“; zuletzt Dauber et al., 2019) werden soziodemographische, störungs- sowie betreuungsbezogene Basisparameter der hilfesuchenden Klientel vorgestellt. Hierbei differenziert der KDS 3.0 nach ambulanten und stationären Einrichtungen. Zusätzlich erfolgt eine nach den wichtigsten Hauptmaßnahmen (unabhängig vom Einrichtungstyp) stratifizierte Berichterstattung. Der Jahresbericht wird ausschließlich online veröffentlicht. Eine kompakte Darstellung der Ergebnisse erfolgt zudem im Jahrbuch SUCHT der DHS (zuletzt Dauber et al., 2019).

    Kurzberichte/Publikationen

    In der Regel werden von der DSHS jährlich zwei Kurzberichte zu wechselnden Themen erstellt und elektronisch veröffentlicht. Diese Kurzberichte basieren meist auf Sonderläufen. Themen der letzten Jahre waren beispielsweise Analysen zu Klient*innen mit der Hauptdiagnose Pathologisches Glücksspielen (Künzel et al., 2019), Klient*innen mit Migrationshintergrund (Künzel et al., 2018) oder die Veränderung des Erwerbsstatus von Betreuungsbeginn bis Betreuungsende (Künzel et al., 2017). Teilweise entstehen aus den Sonderläufen auch wissenschaftliche Publikationen in Form von Zeitschriftenbeiträgen (Brand et al., 2015; 2016; Dauber et al., 2018; Kipke et al., 2015).

    TDI – Treatment Demand Indicator

    Auf europäischer Ebene entspricht der Treatment Demand Indicator (TDI 3.0) dem Kerndatensatz. Deutschland ist verpflichtet, an die EBDD Daten zum TDI zu liefern. Es handelt sich dabei um ein Monitoringsystem der Behandlungszugänge eines Jahres aufgrund des Konsums illegaler Drogen im gesamteuropäischen Kontext. Diese Informationen werden jährlich auf der Homepage der EBDD im Rahmen des „Statistical Bulletins“ veröffentlicht.

    4. Fazit

    Die DSHS stellt eines der umfassendsten und differenziertesten Systeme zur Datenerhebung im suchtbezogenen Beratungs- und Behandlungskontext auf europäischer Ebene dar. Am Gelingen dieses komplexen Vorhabens sind unterschiedliche Institutionen (Suchthilfeeinrichtungen, Verbände, GSDA, IFT etc.) und Gremien (Fachbeirat, Fachausschuss, AG DSHS) beteiligt.

    Weiterentwicklungen der DSHS stellen im Wesentlichen punktuelle Ausdifferenzierungen innerhalb langfristig etablierter Fragenkomplexe dar. Damit gelingt es, veränderten Versorgungs- und Lebensrealitäten Rechnung zu tragen, ohne zeitreihenbezogene Aussagen auf Itemebene grundsätzlich zu beeinträchtigen. Für die einzelnen Einrichtungen besteht der zentrale Nutzen dabei darin, dass sie die eigenen Daten einzelner Jahre, aber auch interne zeitliche Trends, mit den Bundeswerten vergleichen können. Insbesondere für den ambulanten Bereich ist auch nach Einführung des KDS 3.0 weiterhin eine Vergleichbarkeit mit den Vorzeiträumen gewährleistet (Künzel et al., 2017).

    Auf ähnliche Weise wurden auch die Prozesse der Datensammlung, -verarbeitung und -auswertung in der DSHS durch standardisierte Rückmeldeprozesse, bedarfsweise Anpassung der Manual-Erläuterungen sowie routinemäßige Prüfungen der Aggregationsvorschriften ohne grundsätzliche Veränderungen der Gesamtsystematik über die Jahre hinweg optimiert. Hierbei hat insbesondere die Beschränkung auf zertifizierte Softwaresysteme für die Dokumentation zu einer deutlichen Steigerung der Datenqualität und zur Reduktion von Schnittstellenproblemen geführt.

    Auch sich verändernde Rahmenbedingungen sind zu berücksichtigen. Beispielsweise hat das Inkrafttreten der EU-DSGVO im Mai 2018 die teilnehmenden Einrichtungen für Fragen des Datenschutzes und der Datensicherheit sensibilisiert. Da die Daten der DSHS jedoch nur in aggregierter Form die Einrichtung verlassen, bestehen aus datenschutzrechtlicher Sicht keine Bedenken.

    Die Anpassung des KDS und der DSHS an aktuelle Entwicklungen im Suchthilfesystem bleibt eine wichtige Zukunftsaufgabe. Das bedeutet nicht nur ein proaktives Aufgreifen neuer Fragestellungen im Kontext sich abzeichnender gesamtgesellschaftlicher Veränderungsprozesse. Ergänzend sind eine fortlaufende Harmonisierung des DBDD-Einrichtungsregisters mit den Einrichtungsdaten des KDS sowie eine Verfeinerung der bisherigen Methode zur Abschätzung der Beteiligungsquoten an der DSHS (Süß & Pfeiffer-Gerschel, 2011) essentiell, um eine zielgerichtete Bedarfsplanung in der Suchthilfe zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund ist perspektivisch der Wechsel von einer segmentbezogenen Beteiligungsquote (Anteil ambulante bzw. stationäre Einrichtungen) auf eine maßnahmenbezogene Beteiligungsquote (erreichte Einrichtungen, die eine bestimmte Maßnahme anbieten) verbunden mit einer näherungsweisen Berechnung der Erreichungsquote auf Personenebene angedacht. Damit sollen die Lebensrealität der Hilfesuchenden und die organisatorischen Rahmenbedingungen der Suchthilfe noch besser abgebildet werden.

    Förderhinweis und Danksagung

    Das Projekt Deutsche Suchthilfestatistik wird im Rahmen einer jährlichen Laufzeit vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert. Die Autorinnen und Autoren danken dem Fachbeirat Suchthilfestatistik in der aktuellen und früheren (bis 2017) Besetzung für ihre Unterstützung bei der Erstellung dieses Artikels: Rudolf Bachmeier, Dr. Rafael Gaßmann, Prof. Dr. Andreas Koch, Corinna Mäder-Linke, Peter Missel, Friederike Neugebauer, Dr. Peter Raiser, Dr. Daniela Ruf, Gabriele Sauermann, Gero Skowronek, Renate Walter-Hamann, Detlef Weiler, Dr. Theo Wessel.

    Kontakt:

    PD Dr. Larissa Schwarzkopf
    Dipl. Gesundheitsökonomin, Biostatistikerin (MSc.)
    Leitung Therapie- und Versorgungsforschung
    IFT Institut für Therapieforschung
    Leopoldstraße 175
    80804 München
    www.ift.de
    schwarzkopf@ift.de

    Angaben zu den Autor*innen und zum IFT:
    • PD Dr. Larissa Schwarzkopf, Dipl-Ges.ök, MSc. Biostatistics, IFT, Gruppenleiterin Therapie- und Versorgungsforschung
    • Dr. Barbara Braun, Dipl.-Psych., IFT-Arbeitsgruppe Therapie- und Versorgungsforschung
    • Sara Specht, MPH, IFT-Arbeitsgruppe Therapie- und Versorgungsforschung
    • Hanna Dauber, Mag.-Psych., IFT-Arbeitsgruppe Therapie- und Versorgungsforschung
    • Michael Strobl, Dipl.-Psych., ehem. Geschäftsführer GSDA
    • Jutta Künzel, Dipl.-Psych., IFT-Arbeitsgruppe Therapie- und Versorgungsforschung
    • Jürgen Klapper, GSDA
    • Prof. Dr. Ludwig Kraus, Dipl.-Psych., IFT Institutsleiter
    • Dr. Tim Pfeiffer-Gerschel, Dipl.-Psych., IFT Geschäftsführer

    Das IFT ist als selbstständiges, gemeinnütziges Forschungsinstitut auf dem Gebiet der Abhängigkeitserkrankungen tätig und bearbeitet grundlagen- und anwendungsbezogene Fragestellungen zu Ätiologie, Epidemiologie, Prävention, Therapie und Versorgungsforschung. In diesem Zusammenhang bildet die Deutsche Suchthilfestatistik (DSHS), die das IFT seit mehr als vierzig Jahren betreut, einen zentralen Grundpfeiler der Forschungsaktivitäten. Hierbei koordiniert die Arbeitsgruppe Therapie- und Versorgungsforschung am IFT schwerpunktmäßig die inhaltliche und methodische Weiterentwicklung der DSHS. Zudem führt die AG verschiedene länderspezifische Suchthilfestatistiken durch, evaluiert zielgruppenspezifische Interventionen im Bereich von Abhängigkeitserkrankungen (z. B. Su+Ber) und untersucht typische Versorgungsmuster für vorab definierte Klienten*innengruppen.

    Literatur:
  • „Was am Anfang verloren geht, kann man nicht mehr aufholen“

    „Was am Anfang verloren geht, kann man nicht mehr aufholen“

    Marcus Breuer

    Die Frage nach der so genannten Haltequote (d. h. nach dem Anteil derjenigen Rehabilitanden, die eine Rehabilitationsbehandlung planmäßig beenden) ist eine, wenn nicht sogar die zentrale Frage in der stationären Drogenrehabilitation. Erstaunlicherweise gibt es kaum empirische Forschung zu diesem Thema. Im Rahmen eines mehrmonatigen Projektes haben die Ordenswerke des Deutschen Ordens versucht, hierzu weitere Erkenntnisse zu sammeln. Der Autor dieses Artikels war von Januar bis April 2017 damit beauftragt, sich mit diesem Thema näher zu beschäftigen.

    Das Haltequotenprojekt sollte folgende Fragestellungen bearbeiten:

    1. Analyse der Haltequoten in den zehn Drogenfachkliniken (Reha) im Bereich Suchthilfe der Ordenswerke des Deutschen Ordens
    2. Identifikation möglicher Einflussfaktoren auf die jeweilige Haltequote
    3. Möglichst Generierung von Vorschlägen für Maßnahmen zur Verbesserung der Haltequote in ausgewählten Einrichtungen

    Folgende Umsetzungsschritte und Methoden wurden angewandt:

    1. Literaturrecherche
    2. Analyse ausgewählter Qualitätsindikatoren bzw. möglicher Einflussfaktoren auf die Haltequoten in den betrachteten Einrichtungen
    3. Erstellung eines strukturierten Interview-Leitfadens und Durchführung von Interviews mit den einzelnen Klinikleiter/innen sowie Stellvertreter/innen
    4. Vor-Ort-Besuch ausgewählter Einrichtungen
    5. Erstellung eines internen Abschlussberichtes

    Ergebnisse der Literaturrecherche

    Wie bereits erwähnt, existiert derzeit kaum Forschung zum Thema „Haltequoten in der Drogenrehabilitation“.  Die wenigen Studien, die vorliegen, wurden zunächst ausgewertet.

    Patientenmerkmale

    Wenn man sich mit den unterschiedlichen Einflussfaktoren auf die Haltequoten in der Suchttherapie befasst, stellt man zunächst fest, dass Patientenmerkmale einen wesentlichen Einfluss auf den Behandlungserfolg haben (Abbildung 1).

    Abb. 1

    Der Einfluss der Patientenmerkmale ist als Ausdruck von Patientenselektion zu verstehen, das heißt:

    1. unterschiedliche Settings behandeln unterschiedliche Patientengruppen,
    2. innerhalb eines gegebenen Settings kann man diesen Faktor als Behandler nicht direkt beeinflussen bzw. nur durch eine zukünftig veränderte Selektion im jeweiligen Setting.

    Um die Haltequote durch therapeutisches Vorgehen zu beeinflussen und zu verbessern, interessieren daher andere Einflussfaktoren als die Patientenselektion.

    Patientenzufriedenheit

    Mit irregulären Beendigungen von Drogen-Rehabilitationsbehandlungen beschäftigt sich eine Studie des IFT München (Küfner et al., 1994). Die Autoren finden folgende Gründe für Abbruchgedanken bzw. für den Verbleib in der Einrichtung:

    Gründe für Abbruchgedanken:

    1. Unzufriedenheit mit der Einrichtung
    2. Verzweiflung und Unbehagen
    3. Probleme im Therapieprozess
    4. Mitklient/innen und deren Abbruch

    Gründe für den Verbleib:

    1. Hoffnung und Nachdenken
    2. Bindung an die Einrichtung
    3. Schutzfunktion der Therapie

    Diese Aspekte nannten drogenabhängige Klienten in stationärer Behandlung als Antworten auf die Fragen, welche Gründe sie einerseits zum Infragestellen der Fortsetzung der Behandlung und andererseits zum Verbleib in der Behandlung bewogen haben.

    Therapeutisch ist es also sinnvoll, die Gründe für Abbruchgedanken in den Blick zu nehmen und möglichst zu minimieren sowie die Gründe für den Verbleib in der Rehabilitationsbehandlung möglichst zu betonen und zu stärken.

    In einer weiteren Publikation fassen Küfner et al. (2016) folgende Hinweise zur Reduzierung von Therapieabbrüchen zusammen:

    • Abbruchgedanken sind so häufig, dass dieses Thema präventiv angesprochen werden sollte.
    • Die Arbeitsbeziehung zwischen Therapeut/in und Patient/in ist von Bedeutung, aber schwierig zu beeinflussen.
    • Erlebnispädagogische Maßnahmen stärken die Bindung an die Einrichtung.
    • Strenge Regeln und Sanktionen führen zu einem häufigeren Therapieabbruch.

    Wenn man sich nun im Rahmen von Untersuchungen zur Patientenzufriedenheit möglichst vorurteilsfrei mit kritischen Beurteilungen von Rehabilitand/innen auseinandersetzt, ergeben sich als häufigste Nennungen (dichotomisiert nach einer 6-stufigen Skala; mod. n. Küfner, 2008):

    Mit „stimmt überwiegend“ beurteilt:

    • Regeln wurden stur gehandhabt: 72,2%
    • Wurde unfreiwillig zu Sachen gedrängt: 57,4%
    • War für mich nicht die richtige Einrichtung: 40,7%
    • Kann nicht profitieren von Therapie: 35,2%
    • Belastung durch Probleme anderer Patienten: 33,3%

    Mit „eher unzufrieden mit“ beurteilt:

    • Großgruppe 48,1% (andere Aussagen wurden nur zu 14,8% bis 27,8% mit „eher unzufrieden“ beurteilt)

    Aus diesen Ergebnissen lässt sich schließen, dass die Handhabung von Regeln ein wichtiger Faktor für Therapieabbrüche ist. Die therapeutische Einzelarbeit wird im Vergleich zur Gruppenarbeit unterschätzt. Einschränkend ist anzumerken, dass dies den Stand von 2008 darstellt, es gibt keine neueren Daten! Seitdem hat es in den beiden Bereichen „Regeln“ bzw. „Großgruppen“ in den Einrichtungen wesentliche Veränderungen (Verbesserungen) gegeben. Weitere Folgerungen für die Optimierung von Suchttherapien sind (mod. n. Küfner, 2016):

    • Die Thematisierung negativer Folgen des Drogenkonsums ist wichtig, vor allem für psychoedukative Ansätze.
    • Soziale Beziehungen zu Personen ohne Drogenkonsum sind von erheblicher Bedeutung.
    • Die subjektive Belastung durch andere Drogenabhängige (in der Klinik) sollte ernst genommen werden. Dies spricht für eine Verstärkung von Einzeltherapien!
    • Der Abbau von Barrieren in der Vorbereitung auf psychosoziale Interventionen bedarf einer systematischen Verbesserung. Besprochen werden sollten Stigmatisierung, negative Therapieerfahrungen und generelle Vorbehalte gegenüber psychosozialen Therapien wie Misstrauen, die Befürchtung, die eigene Autonomie zu verlieren, Angst vor dem Verlust des eigenen Lebensstils und der bisherigen Freunde.

    Bei einer vertieften Beschäftigung mit dem Thema lässt sich ein Spannungsfeld zwischen einer sach- bzw. fachgerechten Behandlung einerseits und dem Dienstleistungsaspekt der Leistungserbringung in der Rehabilitation andererseits feststellen.

    Komorbide Erkrankungen (Doppeldiagnosen)

    Ein wesentlicher Aspekt bei der Behandlung Drogenabhängiger ist das Vorkommen von und der therapeutische Umgang mit komorbiden Erkrankungen, d. h. es liegen – neben der Suchterkrankung – eine oder auch mehrere weitere psychische Erkrankungen vor. Aus der Beurteilung des Behandlungsbedarfs wissen wir (mod. n. Küfner, 2016):

    • Etwa 60 bis 70% der Opioidabhängigen und der substituierten Drogenabhängigen weisen eine komorbide Störung auf.
    • Besonders häufig sind Angststörungen und affektive Störungen. Unter den Persönlichkeitsstörungen fällt die Häufigkeit von antisozialen Persönlichkeitsstörungen auf.
    • Ein beträchtlicher Teil der komorbiden Störungen ist zeitlich vor der Suchtstörung entstanden. Dies kann als Hinweis auf die notwendige Behandlung sowohl der Sucht als auch der komorbiden Störung betrachtet werden.
    • Neben den Klassifikationsebenen I und II (Persönlichkeitsstörungen) der ICD-10 müssen die sozialen und psychosozialen Problembereiche mitbetrachtet werden.
    • Dieser Behandlungsbedarf gilt auch für die substitutionsgestützte Therapie
      (s. Ergebnisse der PREMOS Studie, Wittchen et al., 2007).

    Der Aspekt der komorbiden psychischen Erkrankungen und deren Berücksichtigung in der Behandlung spielt im Zusammenhang mit der Frage nach der Haltequote aus mehreren Gründen eine Rolle. Zum einen gibt es Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass Personen mit komorbiden psychischen Erkrankungen grundsätzlich eine schlechtere Prognose haben. Zum anderen ist es unmittelbar plausibel, dass sich diese Personen die Bearbeitung aller ihrer Probleme von einer Behandlung erwarten. Die Enttäuschung dieser Erwartung könnte zu einer Häufung von Behandlungsabbrüchen führen. Schließlich gibt es empirische Hinweise darauf, dass diese tendenziell schlechtere Prognose durch einen erhöhten Behandlungsaufwand kompensiert werden kann.

    Im Hinblick auf die Haltequote und eine erfolgreiche Behandlung gibt es noch einige zusätzlich zu berücksichtigende Aspekte, die den Rahmen dieses Artikels hier sprengen würden. Dies sind vor allem:

    • die Häufigkeit von Rückfällen und der Umgang mit Rückfällen seitens der behandelnden Klinik sowie
    • unterschiedliche Klinikstrategien im Umgang mit individuellem Fehlverhalten und Regelverstößen.

    Eigene Beobachtungen und Ergebnisse aus Kliniken des Deutschen Ordens

    Im Mittelpunkt des zweiten Teils des Haltequotenprojekts standen eigene Zahlenerhebungen bzw. Zahlenzusammenstellungen sowie die Durchführung strukturierter Interviews und deren Auswertung.

    Die nachfolgend dargestellten Zahlen stammen aus zehn Drogenrehabilitationskliniken der Ordenswerke des Deutschen Ordens. Aus Gründen der Diskretion und Vertraulichkeit wurden die Einrichtungen anonymisiert. Betrachtet wurden alle im Zeitraum von 01.01.2014 bis 31.12.2016 in diesen zehn Kliniken behandelten Patienten (n=4.223). Diese Stichprobe wurde einer ausführlichen Datenanalyse unterzogen. Hierzu hatte der Autor Zugang zu sämtlichen Daten, so wie sie in den Rehakliniken mit dem Patientenverwaltungsprogramm „Patfak“ erfasst worden waren. Ein zweiter Weg, Daten zu erheben und auszuwerten, bestand in der Durchführung von strukturierten klinischen Interviews mit jeweils zwei Leitungsvertretern aus den betrachteten Einrichtungen. Hierzu wurde ein eigener mehrseitiger Interview-Leitfaden entwickelt. Die Ergebnisse wurden qualitativ ausgewertet. Dieser zweite Teil beinhaltet daher durchaus auch subjektive Interpretationsanteile.

    Die Abbildungen 2 und 3 zeigen die Ergebnisse der Datenanalyse. Diese Zahlen zur Haltequote und zu den irregulären Beendigungen in den ersten 30 Tagen sind jedoch mit äußerster Vorsicht zu interpretieren! Sie wurden neu errechnet und sind NICHT mit Zahlen und Quoten vergleichbar, wie sie z. B. im Patientenverwaltungsprogramm ausgegeben werden. So wurden hier sämtliche Beendigungen mit der Entlassform „vorzeitig auf ärztliche Veranlassung“ nicht zu den planmäßigen Beendigungen gezählt bzw. nicht als solche bewertet. Grund hierfür ist die sehr unterschiedliche Handhabung dieser Entlassform in den verschiedenen Rehakliniken, die einen Vergleich unmöglich gemacht hätte. Die hier betrachtete „Haltequote-kons“ (für Haltequote, konservativ) beinhaltet ausschließlich die Entlassformen „regulär“ sowie „vorzeitig mit ärztlichem Einverständnis“.

    Auch die „30-Tage-irreg-Quote“ ist nicht mit einer ähnlichen Variable im Patientenverwaltungsprogramm vergleichbar. Die hier aufgeführte „30-Tage-irreg-Quote“ misst den prozentualen Anteil der irregulären Beendigungen in den ersten 30 Tagen des Aufenthaltes im Verhältnis zur Gesamtzahl aller Entlassungen in einem betrachteten Zeitraum.

    Abb. 2
    Abb. 3

    Erklärung der Variablen in Abbildung 3:
    Der Zusatz „ZR“ meint jeweils „Zeitraum“, d. h. die Quote bezogen auf die einzelnen Halbjahre
    „Haltequote-kons“: beinhaltet nur die Entlassformen „regulär“ sowie „vorzeitig mit ärztlichem Einverständnis“
    „Spannweite ZR-Haltequote-kons“: Differenz zwischen dem jeweils besten und dem jeweils schlechtesten Wert der betrachteten Einrichtung, somit ein Maß für die Schwankungen innerhalb einer Einrichtung über den Gesamtzeitraum
    „ZR-30-Tage-irreg-Q“: der prozentuale Anteil an irregulären Beendigungen in einem betrachteten Halbjahr gemessen an allen Beendigungen im gleichen Zeitraum
    „Spannweite ZR-30-Tage-irreg-Q“: Differenz zwischen dem jeweils besten und dem jeweils schlechtesten Wert der betrachteten Einrichtung, somit ein Maß für die Schwankungen innerhalb einer Einrichtung über den Gesamtzeitraum

    Die Ergebnisse in Abbildung 2 und 3 zeigen: Die Einrichtungen haben unterschiedliche Stärken und Schwächen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die betrachteten Kliniken zwar alle im Bereich der Drogenrehabilitation tätig sind, innerhalb dieses Feldes jedoch z. T. recht unterschiedliche Patientengruppen behandeln, d. h., es wurden teilweise „Äpfel mit Birnen“ verglichen. Deshalb sollte die Interpretation der Zahlen äußerst vorsichtig erfolgen, ebenso ist eine differenzierte Betrachtung notwendig. Patentrezepte für die Verbesserung der Haltequote gibt es (leider) keine. Konkretere Aussagen, die aus diesen Zahlen abgeleitet werden können, lauten:

    1. Die Haltequoten der betrachteten Einrichtungen unterscheiden sich z. T. erheblich.
    2. Dies ist nur teilweise Ausdruck von unterschiedlicher Klientel (Patientenselektion).
    3. Einrichtungen, deren Zahlen im zeitlichen Verlauf stärker schwanken, sind entweder grundsätzlich instabiler (d. h. geringere Schwankungen im zeitlichen Verlauf sind besser) oder aber einzelne Einrichtungen sind/waren zwischenzeitlich von Sondereffekten betroffen (zwei Einrichtungen).
    4. Die Haltequote innerhalb der jeweils ersten 30 Tage einer Rehabilitationsbehandlung ist zentral für die generelle Haltequote einer Einrichtung („Was am Anfang verloren geht, kann man später nicht mehr aufholen“).

    Beim Versuch, sich etwas genauer mit den Effekten hinter diesen Zahlen zu befassen, ergeben sich Hinweise auf wahrscheinliche Einflussfaktoren auf die Haltequote. Auch wenn im Rahmen des Haltequotenprojekts keine Ressourcen für eine aufwändige Pfadanalyse oder eine Faktorenanalyse zur statistischen Quantifizierung der jeweiligen Einflussfaktoren vorhanden waren, so lassen sie sich hier zumindest auflisten wie folgt.

    Mögliche Einflussfaktoren auf die Haltequote

    Etwas zugespitzt könnte man festhalten: „Alles hat einen Einfluss!“. Die Ergebnisse der Datenanalyse und der klinischen Interviews weisen darauf hin, dass folgende Faktoren die Haltequote beeinflussen:

    • 30-Tage-irreg Quote: Irreguläre Verluste in den ersten 30 Tagen der Reha wirken sich negativ auf die Gesamt-Haltequote aus.
    • Anzahl der „vom Setting abgestoßenen“ Rehabilitanden: Diese Gruppengröße dient als indirektes Maß für die Güte der Adhäsion des Settings. Dies betrifft die Aspekte Kundenfreundlichkeit sowie Bindungsgestaltung.
    • Stimmigkeit des Settings (innere Konsistenz): Passen die einzelnen Behandlungselemente gut zueinander?
    • Anzahl der Rückfälle im Setting: Die Anzahl dient als (sehr indirektes) Maß für das „Chaos im Setting“ bzw. die vorhandene Setting-Kontrolle.
    • Qualität des „Umgangs mit Fehlverhaltens“ im Setting: Werden viele Patienten disziplinarisch entlassen und wenn ja, die ‚richtigen‘? Existieren angemessene Strategien, um nicht ‚unnötig‘ Patienten zu entlassen?

    Darüber hinaus spielen noch die Bereiche Patientenzufriedenheit und Mitarbeiterzufriedenheit eine Rolle. Weil deren Einfluss sich jedoch nicht eindeutig in eine bestimmte Richtung auswirkt wie bei den oben genannten Faktoren, werden sie hier als „Ja, aber“-Einflussfaktoren auf die Haltequote bezeichnet.

    Die Patientenzufriedenheit hat natürlich einen Einfluss. Relevant ist v. a. die Patientenzufriedenheit der (späteren) Abbrecher, diese lässt sich allerdings kaum erheben. Wenn Querschnittsbefragungen durchgeführt werden (wie dies der Deutschen Orden regelmäßig tut), muss berücksichtigt werden, dass es zu einer recht zufälligen Stichprobenauswahl kommt und die Ergebnisse einer tagesaktuellen Beeinflussung unterliegen (Stichwort: Re-Test-Reliabilität). In Längsschnittbefragungen wie bei der deQus-Patientenbefragung ergibt sich ein anderes Problem: Es werden zwar gute Items abgefragt, aber es gibt hierbei einen Selektionseffekt, denn es werden nur planmäßige Beender befragt.

    Die Mitarbeiterzufriedenheit hat natürlich ebenfalls einen Einfluss auf die Haltequote. Die Interpretation von Befragungen zur Mitarbeiterzufriedenheit ist jedoch keineswegs linear und einfach. So gibt es z.B. auch Teams, die vollauf mit sich selbst zufrieden und beschäftigt sind, was sich nicht nur positiv auf die Patienten auswirkt.

    Hinweise für die Setting-Gestaltung

    Bei der Setting-Gestaltung geht es wesentlich um Bindung.  Die Maxime könnte sein: „Schaffe kein Setting, in dem du nicht selbst (gern) Patient sein möchtest.“ In der Zusammenschau aller hier betrachteten Faktoren ergeben sich folgende notwendige Grundprinzipien für sinnvolle Setting-Gestaltung (Breuer, 2017):

    • TSB – Teamorientierte stationäre Behandlung (F. Urbaniok)
    • Berücksichtigung der Anreizbedingungen im Setting (Kontingenz)
    • Bindung (K.-H. Brisch)
    • Transparenz und Berechenbarkeit
    • Nach-Erziehung
    • Waage: Akzeptanz vs Veränderung (analog DBT, M. Linehan)
    • Motivational Interviewing (Miller & Rollnick)
    • Gestaffelte Konsequenzen für Fehlverhalten
    • Perspektivübernahme seitens der Therapeuten bei der Detailausgestaltung des Settings → das Setting soll in sich stimmig sein

    Für die Zukunft gilt es, die verschiedenen, hier aufgeführten Faktoren zu den Themen „Haltequote“ sowie „Setting-Gestaltung“ in den Fachkliniken der Drogenrehabilitation möglichst umfassend zu berücksichtigen und zu implementieren.

     Literaturhinweise beim Verfasser

    Kontakt:

    Dipl.-Psych. Marcus Breuer
    Psychologischer Psychotherapeut
    Klinikleitung
    Würmtalklinik Gräfelfing
    Josef-Schöfer-Str. 3
    82166 Gräfelfing
    marcus.breuer@deutscher-orden.de

    Angaben zum Autor:

    Marcus Breuer, Dipl.-Psych. (PP), ist Leiter der Würmtalklinik Gräfelfing und des Adaptionshauses Kieferngarten, München.

    Titelfoto©Ulrike Niehues-Paas

  • Europäischer Drogenbericht 2018

    Der am 7. Juni 2018 in Brüssel vorgestellte Europäische Drogenbericht 2018: Trends und Entwicklungen der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) zeigt, dass die Verfügbarkeit von Kokain zugenommen hat. Hintergrund dieser Entwicklung ist ein dynamischer Drogenmarkt, der in der Lage ist, sich rasch auf Maßnahmen zur Drogenbekämpfung einzustellen. Die Agentur untersucht in ihrem jährlichen Überblick zudem, welche Herausforderungen Neue psychoaktive Substanzen (NPS) und die Verfügbarkeit neuer synthetischer Opioide (insbesondere hochpotenter Fentanyl-Derivate) sowie der Konsum synthetischer Cannabinoide in marginalisierten Bevölkerungsgruppen (unter anderem bei Gefängnisinsassen) mit sich bringen. Die im Bericht vorgelegten Daten beziehen sich auf das Jahr 2016 bzw. das jeweils letzte Jahr, für das Daten verfügbar sind. Außerdem erschienen sind 30 Länderberichte (in englischer Sprache) mit den jüngsten Analysen zur Drogensituation in den einzelnen Ländern.

    Laut dem Bericht der EMCDDA ist eine durchweg hohe Verfügbarkeit von Drogen zu beobachten, die in einigen Regionen sogar anzusteigen scheint. Den jüngsten Zahlen zufolge wurden in Europa (EU-28, Türkei und Norwegen) 2016 mehr als eine Million Sicherstellungen illegaler Drogen gemeldet. Über 92 Millionen in der EU lebende Erwachsene (im Alter von 15 bis 64 Jahren) haben im Verlauf ihres Lebens schon mindestens einmal irgendeine illegale Droge konsumiert, während schätzungsweise 1,3 Millionen Menschen in der EU-28 im Jahr 2016 wegen des Konsums illegaler Drogen in Behandlung waren.

    Dimitris Avramopoulos, Europäischer Kommissar für Migration, Inneres und Bürgerschaft, erklärt hierzu: „Es ist zu beobachten, dass in Europa derzeit mehr Drogen produziert und angeboten werden. Hinzu kommt, dass der Markt für illegale Drogen sehr dynamisch und anpassungsfähig – und daher umso gefährlicher – ist. Wenn wir nicht ins Hintertreffen geraten wollen, müssen wir uns verstärkt darum kümmern, die Widerstands- und Reaktionsfähigkeit zu erhöhen, nicht zuletzt wegen der zunehmenden Bedeutung von Online-Marktplätzen und der Entwicklung neuer Drogenarten. Bis zum Jahresende werden neue Vorschriften hinsichtlich neuer psychoaktiver Substanzen in Kraft treten, die Europa zusätzliche, gute Instrumente an die Hand geben werden, um die Herausforderungen wirksamer angehen zu können und den Schutz der Bürger und Bürgerinnen in Europa vor gefährlichen Drogen zu erhöhen.“

    Kokain: Erhöhte Verfügbarkeit und höchster Reinheitsgrad seit zehn Jahren

    Kokain ist das am häufigsten konsumierte illegale Stimulans in Europa. Etwa 2,3 Millionen junge Erwachsene (zwischen 15 und 34 Jahren) haben diese Droge in den vergangenen zwölf Monaten konsumiert (EU-28). Die aktuelle Analyse zeigt, dass angesichts der Hinweise auf einen steigenden Koka-Anbau und eine erhöhte Kokainproduktion in Lateinamerika der Kokainmarkt in Europa floriert. Einige Indikatoren deuten gegenwärtig darauf hin, dass die Verfügbarkeit der Droge in einer Reihe von Ländern angestiegen ist. Obwohl der Kokainpreis stabil geblieben ist, erreichte die Reinheit der Droge 2016 im Straßenverkauf den höchsten Grad seit zehn Jahren. Auch die Zahl der Beschlagnahmungen von Kokain hat zugenommen. In der EU wurden 2016 rund 98 000 Sicherstellungen der Droge gemeldet (2015 waren es 90 000). Insgesamt wurden 70,9 Tonnen beschlagnahmt).

    Auf städtischer Ebene zeigte eine kürzlich durchgeführte Untersuchung, dass die Kokainrückstände im Abwasser von 26 der 31 Städte, zu denen Daten für diesen Zeitraum vorliegen, zwischen 2015 und 2017 angestiegen sind. Die meisten Rückstände wurden in Städten in Belgien, den Niederlanden, Spanien und im Vereinigten Königreich verzeichnet, während in den untersuchten osteuropäischen Städten niedrige Werte gemessen wurden.

    Der Bericht zeigt auch, dass die Zahl der lebenszeitbezogenen Erstbehandlungen im Zusammenhang mit Kokain zugenommen hat. Im Jahr 2016 begaben sich 30 300 Personen aufgrund von Problemen mit dieser Droge erstmals in Behandlung – über ein Fünftel mehr als 2014. Insgesamt unterzogen sich 2016 mehr als 67 000 Personen einer auf Kokainprobleme zugeschnittenen Spezialbehandlung. Besonders besorgniserregend sind die schätzungsweise 8 300 Personen, die sich 2016 wegen des primären Konsums von Crack in Behandlung begaben. Zudem war Kokain 2016 die zweithäufigste Droge, die bei drogenbedingten Notfällen in den Krankenhäusern des 19 Beobachtungsklinken umfassenden Euro-DEN-Netzes nachgewiesen wurde (Euro-DEN Plus).

    Auch die Schmuggelmethoden und Schmuggelrouten scheinen sich zu ändern. Die Iberische Halbinsel – bislang Haupteinfuhrort für Kokain, das auf dem Seeweg nach Europa gelangt – ist in dieser Hinsicht zwar weiterhin von Bedeutung, steht den Daten von 2016 zufolge jedoch nicht mehr unangefochten an erster Stelle, da auch von den Containerhäfen weiter nördlich große Sicherstellungen gemeldet wurden. 2016 wurden in Belgien 30 Tonnen Kokain sichergestellt (43 % der geschätzten jährlichen Gesamtmenge des in der EU beschlagnahmten Kokains).

    Anzeichen für eine gestiegene Drogenproduktion innerhalb Europas

    Europa ist ein wichtiger Markt für illegale Drogen, die aus verschiedenen Teilen der Welt, etwa aus Lateinamerika, Westasien und Nordafrika eingeschleust werden. In dem Bericht wird jedoch auch auf die Rolle Europas als Ort der Herstellung von Drogen hingewiesen: Bei einer Vielzahl von Substanzen waren im Berichtsjahr besorgniserregende Anzeichen dafür zu beobachten, dass die Herstellung von Drogen in Europa zunimmt.

    Die Produktion findet aus mehreren Gründen näher an den Verbrauchermärkten statt, etwa aus praktischen Erwägungen heraus, wegen des geringeren Risikos, an der Grenze entdeckt zu werden, und weil die Grundsubstanzen für die Produktion je nach Droge verfügbar und kostengünstig sind. Der Bericht führt mehrere Beispiele für eine höhere Drogenproduktion in Europa und für innovative Produktionsmethoden auf. Dazu zählen Hinweise auf illegale Labore, die Kokain verarbeiten, die zahlenmäßige Zunahme entdeckter MDMA- bzw. Ecstasy-Labore, die Ausweitung der Methamphetamin- produktion unter höherer Beteiligung organisierter Banden, die Produktion von Amphetaminen in der Endphase im Land des Konsums sowie die Entdeckung einer geringen Zahl an Laboren zur Herstellung von Heroin. Einige der in der EU hergestellten synthetischen Drogen sind für Auslandsmärkte, etwa für den amerikanischen Kontinent, Australien, Nah- und Fernost sowie die Türkei, bestimmt.

    Die vermehrte Produktion von hochpotentem Cannabis innerhalb Europas hat offenbar auch Auswirkungen auf die Aktivitäten von Cannabisproduzenten außerhalb der EU, was sich daran ablesen lässt, dass Cannabisharz mit höherem Wirkstoffgehalt aus Marokko nach Europa geschmuggelt wird. Des Weiteren gibt es Hinweise darauf, dass neue psychoaktive Substanzen, die gewöhnlich in China hergestellt und zur Verpackung nach Europa geliefert werden, bisweilen auch innerhalb Europas produziert werden.

    Cannabis: Verfügbarkeit und Konsum sind weiterhin hoch

    Cannabis ist auch weiterhin die am meisten konsumierte illegale Droge in Europa. Dies zeigen die Daten zur Prävalenz, zu Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, zu Sicherstellungen und zum gestiegenen Behandlungsbedarf. Etwa 17,2 Millionen junge Europäer (zwischen 15 und 34 Jahren) haben in den vergangenen zwölf Monaten Cannabis konsumiert (EU-28), und rund ein Prozent aller erwachsenen Europäer (zwischen 15 und 64 Jahren) verwenden die Droge täglich oder fast täglich (EU-28).

    Cannabis war bei mehr als drei Viertel (77 Prozent) aller 2016 in der EU gemeldeten 800 000 Verstöße gegen die Vorschriften über den Drogenbesitz oder -konsum, bei denen die Primärdroge bekannt ist, beteiligt. Zudem ist Cannabis die am häufigsten beschlagnahmte Droge: Im Jahr 2016 wurden in der EU 763 000 Sicherstellungen von Cannabisprodukten gemeldet. Der größte Anteil (45 Prozent) von Erstbehandlungen aufgrund von Drogenproblemen in Europa (EU-28, Türkei und Norwegen) geht auf den Konsum von Cannabis zurück. Die Zahl der Erstpatienten, die sich wegen Cannabisproblemen behandeln ließen, stieg in den 25 Ländern, für die Daten zu beiden Jahren vorliegen, von 43 000 im Jahr 2006 auf 75 000 im Jahr 2016.

    Kürzlich vorgenommene gesetzliche Änderungen in Bezug auf Cannabis in Teilen Amerikas, etwa die Legalisierung in einigen Ländern, haben dazu geführt, dass sich dort schnell ein kommerzieller Cannabismarkt für den Freizeitkonsum entwickelt hat. Dies führt derzeit zu Innovationen bei den Abgabesystemen und bei der Entwicklung von Cannabisprodukten (z. B. E-Liquids, essbare Produkte und hochpotente Stämme).

    Noch ist unklar, welche Folgen es für Europa haben wird, wenn in Teilen Amerikas ein großer legaler Markt für diese Droge entsteht, allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich dies auf die Angebots- oder Konsummuster in Europa auswirken wird. Die EMCDDA beobachtet die internationalen Entwicklungen im Bereich der Cannabis-Regulierung aufmerksam, um die sich vollziehenden Änderungen erfassen und verständlich darstellen zu können und mögliche Auswirkungen auf die Situation in Europa zu ermitteln. Ein Bereich, der infolge der sich weltweit ändernden Einstellungen zur Cannabis-Regulierung größere politische Aufmerksamkeit erhält, ist der Cannabiskonsum in Verbindung mit dem Fahren unter Drogeneinfluss. Dieses Thema steht im Mittelpunkt eines kürzlich veröffentlichten EMCDDA-Berichts, der sich auf die Erkenntnisse internationaler Experten stützt.

    Geringere Zahl neuer psychoaktiver Substanzen, aber mehr Hinweise auf Schädigungen

    Neue psychoaktive Substanzen (NPS/„neue Drogen“) stellen in Europa nach wie vor ein gravierendes Problem für die Politik und die öffentliche Gesundheit dar. Diese Substanzen, die nicht vom internationalen Drogenkontrollsystem erfasst werden, umfassen ein breites Spektrum, zu dem synthetische Cannabinoide, Opioide, Cathinone und Benzodiazepine gehören. Im Jahr 2017 wurden 51 neue psychoaktive Substanzen erstmals in das EU-Frühwarnsystem aufgenommen, dies entspricht einer Quote von etwa einer Substanz pro Woche. Auch wenn die jährliche Gesamtzahl neu auf dem Markt erscheinender Substanzen die der Spitzenjahre unterschreitet – 2015: 98, 2014: 101 –, ist die Zahl der verfügbaren neuen psychoaktiven Substanzen insgesamt weiterhin hoch. Ende 2017 überwachte die EMCDDA mehr als 670 neue psychoaktive Substanzen (gegenüber etwa 350 im Jahr 2013). Gesundheitsschäden im Zusammenhang mit neuen synthetischen Cannabinoiden und neuen synthetischen Opioiden, darunter akute Vergiftungen und Todesfälle, veranlassten die EMCDDA dazu, 2017 insgesamt neun Risikobewertungen durchzuführen, so viele wie noch nie davor.

    Die größte von der EMCDDA beobachtete Gruppe chemischer Stoffe sind neue synthetische Cannabinoide, von denen seit 2008 179 nachgewiesen wurden (10 davon im Jahr 2017). Die häufig als „Kräutermischungen“ verkauften synthetischen Cannabinoide waren 2016 mit knapp über 32 000 gemeldeten Beschlagnahmungen (gegenüber 10 000 im Jahr 2015) die am häufigsten sichergestellten neuen psychoaktiven Drogen. Damit machten sie fast die Hälfte aller beschlagnahmten neuen psychoaktiven Substanzen aus, die der Agentur 2016 gemeldet wurden. Vier synthetische Cannabinoide wurden 2017 einer Risikobewertung unterzogen: AB-CHMINACA, ADB-CHMINACA, 5F-MDMB-PINACA und CUMYL-4CN-BINACA.

    Es werden zunehmend mehr hochpotente neue synthetische Opioide (insbesondere Fentanyl-Derivate) entdeckt, die die Wirkung natürlich gewonnener Opiate (wie Heroin und Morphin) imitieren. Gelegentlich sind sie in neuartiger Form erhältlich (z. B. als Nasensprays), oder sie werden mit illegalen Drogen wie Heroin oder Kokain gemischt oder als solche verkauft. Seit 2009 wurden insgesamt 38 neue synthetische Opioide auf den europäischen Drogenmärkten nachgewiesen (13 davon im Jahr 2017). Fentanyl-Derivate, die wichtigsten Substanzen in der derzeitigen Opioidkrise in den USA, sollten in Europa weiter mit Besorgnis und Wachsamkeit verfolgt werden. Diese hochpotenten Substanzen – manche sind um ein Vielfaches potenter als Morphin – machten mehr als 70 Prozent der schätzungsweise 1 600 neuen synthetischen Opioide aus, die 2016 beschlagnahmt wurden. Im Jahr 2017 wurden zehn neue Fentanyl-Derivate über das EU-Frühwarnsystem gemeldet, fünf davon wurden einer Risikobewertung unterzogen (Acryloylfentanyl, Furanylfentanyl, 4-Fluorisobutyrylfentanyl, Tetrahydrofuranylfentanyl und Carfentanil).

    Haftanstalten: Konzentration auf Gesundheitsfürsorge und neue Drogen

    Haftanstalten sind relevante Settings, wenn es um die medizinische Versorgung von Drogen- konsumierenden geht. Eine gute intramurale Versorgung kann auch der Allgemeinheit zugutekommen (etwa indem Überdosierungen nach der Entlassung vermieden oder die Übertragung drogenbedingter Infektionskrankheiten wie HIV und HCV verringert werden). Der diesjährige Bericht zeigt die Interventionsmöglichkeiten in Gefängnissen und die unterschiedlichen Versorgungsleistungen in den einzelnen Ländern auf.

    In einer neuen länderübergreifenden Studie, die gemeinsam mit dem heute vorgestellten Bericht veröffentlicht wird, untersucht die Agentur die zunehmenden Gesundheits- und Sicherheitsprobleme, die sich aus dem Konsum neuer psychoaktiver Substanzen in Haftanstalten ergeben. „Der Konsum neuer psychoaktiver Substanzen und die damit einhergehenden Schäden sind für das Strafvollzugs- system in Europa eine neue wichtige Herausforderung“, heißt es in der Studie. Unter den vier Haupttypen der in Haftanstalten entdeckten neuen psychoaktiven Substanzen stehen synthetische Cannabinoide an erster Stelle. Wichtige Faktoren, die ihren Konsum in Gefängnissen ermöglichen, sind die Leichtigkeit, mit der sie eingeschleust werden können (etwa in flüssiger Form auf Papier oder auf Textilien aufgesprüht), sowie die Schwierigkeit, sie in Drogentests nachzuweisen.

    Verkauf im Internet und das Aufkommen neuer Benzodiazepine 

    Mengenmäßig wird der Verkauf von Drogen nach wie vor von traditionellen Offline-Märkten dominiert, allerdings scheint die Bedeutung von Online-Marktplätzen zuzunehmen, was die Drogenbekämpfung vor neue Herausforderungen stellt. In einer kürzlich veröffentlichten EMCDDA/Europol-Studie wurden über 100 globale Darknet-Marktplätze ermittelt, rund zwei Drittel aller Käufe auf diesen Plattformen betrafen Drogen. Auch das sichtbare Web und die sozialen Medien spielen offenbar eine immer wichtigere Rolle, vor allem beim Angebot neuer psychoaktiver Substanzen und beim Zugang zu missbräuchlich verwendeten Arzneimitteln.

    In dem Bericht wird auch auf das besorgniserregende Aufkommen neuer Benzodiazepine – sowohl auf der Straße als auch im Internet – hingewiesen, die in der EU nicht als Arzneimittel zugelassen sind. Die EMCDDA überwacht derzeit 23 neue Benzodiazepine (drei davon wurden 2017 erstmals in Europa nachgewiesen). Einige werden unter ihrem Eigennamen verkauft (z. B. Diclazepam, Etizolam, Flubromazolam, Flunitrazolam, Fonazepam). In anderen Fällen werden diese Substanzen zur Herstellung von Fälschungen häufig verschriebener Benzodiazepine (z. B. Diazepam, Alprazolam) verwendet, die dann auf dem Schwarzmarkt angeboten werden. Im Jahr 2016 wurden mehr als eine halbe Million Tabletten sichergestellt, die neue Benzodiazepine oder ähnliche Stoffe enthielten – rund zwei Drittel mehr als noch 2015.

    In einer zusammen mit dem Bericht veröffentlichten Analyse untersucht die EMCDDA den Benzodiazepinmissbrauch bei Hochrisiko-Opioidkonsumierenden in Europa. Obwohl die Verschreibung dieser Arzneimittelgruppe an Hochrisiko-Drogenkonsumierenden größtenteils legitime therapeutische Ziele verfolgt, kommt es durchaus vor, dass sie weitergegeben und missbraucht werden, was zu einer erhöhten Morbidität und Mortalität in dieser Gruppe führt. Rund 40 Prozent aller Personen, die sich wegen des primären Konsums von Opioiden in Behandlung begaben, nannten Benzodiazepine als ihre sekundäre Problemdroge. Die Studie enthält auch eine Zeitleiste, an der sich die Meldung neuer Benzodiazepine an die EMCDDA ablesen lässt.

    Anstieg der Todesfälle durch Überdosierung und die Rolle von Naloxon bei der Prävention

    Der Bericht unterstreicht die Besorgnis über die hohe Zahl an Todesfällen durch Überdosierung in Europa, welche in den letzten vier Jahren stetig angestiegen ist. Laut Schätzungen starben in Europa (EU-28, Türkei und Norwegen) 2016 mehr als 9 000 Menschen an einer Überdosis, hauptsächlich in Verbindung mit Heroin und anderen Opioiden, die jedoch häufig in Kombination mit anderen Substanzen, insbesondere Alkohol und Benzodiazepinen, konsumiert wurden.

    Die mit alten und neuen Opioiden verbundenen Probleme rücken erneut die Rolle des Opioid-Gegenmittels Naloxon bei Maßnahmen zur Verhinderung von Überdosierungen in den Fokus. Im Bericht wird darauf hingewiesen, dass es dringend notwendig ist, „die derzeitige Naloxonpolitik zu überprüfen und die Ausbildung und Sensibilisierung sowohl der Drogenkonsumierenden als auch der Fachleute, die mit der Droge in Berührung kommen könnten, zu verstärken“.

    Die Vorsitzende des Verwaltungsrates der EMCDDA, Laura d’Arrigo, bemerkt abschließend: Die Gefahren, die von Drogen für die öffentliche Gesundheit und Sicherheit in Europa ausgehen, machen nach wie vor eine gemeinsame Reaktion erforderlich. Der 2017 verabschiedete EU-Drogenaktionsplan bildet den Rahmen für die europäische Zusammenarbeit. Es ist äußerst wichtig, dass unser Überwachungssystem mit den sich verändernden Drogenproblemen und neu aufkommenden Entwicklungen Schritt hält.“

    Pressestelle der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA), 07.06.2018

  • Bericht zur Drogensituation in Deutschland (REITOX) veröffentlicht

    Workbook Drogen
    Kurzbericht

    Seit 15. Dezember ist der jährlich erscheinende „Bericht zur Drogensituation in Deutschland“, früher unter dem Namen „REITOX-Bericht“ bekannt, online verfügbar. Das Standardwerk zur Situation illegaler Drogen in Deutschland liefert in acht thematisch in sich geschlossenen Kapiteln („Workbooks“) umfangreiche Informationen zu den verschiedenen Aspekten des Phänomens illegale Drogen in Deutschland.

    Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler: „Der heute vorgelegte Bericht zeigt, dass wir mit unseren Maßnahmen gegen den Konsum von illegalen Drogen zwar vieles, aber längst noch nicht alles erreicht haben. In weiten Teilen ist der Konsum illegaler Drogen in Deutschland stabil. Was wir in den kommenden Jahren aber ganz dringend brauchen, ist eine wirklich flächendeckende Präventionsarbeit in Sachen Cannabis. Keine andere illegale Droge ist so weit verbreitet, und keine andere führt so viele Menschen in ambulante und stationäre Therapieangebote. Ganz klar ist auch, dass die Versorgung suchtkranker Menschen in und nach der Haft besser werden muss und wir mehr gegen die Stigmatisierung suchtkranker Menschen tun müssen. Sucht ist eine Krankheit und als solche müssen wir sie behandeln.“

    Nach den Ergebnissen des Epidemiologischen Suchtsurveys 2015 hat mehr als jeder vierte erwachsene Deutsche (zwischen 18 und 64 Jahren) bereits mindestens einmal im Leben illegale Drogen konsumiert. Cannabis ist dabei unverändert die mit Abstand am häufigsten konsumierte illegale Droge: Unter den 12- bis 17-Jährigen gaben 7,3 Prozent an, in den letzten zwölf Monaten wenigstens einmal Cannabis konsumiert zu haben, bei den 18- bis 64-Jährigen waren es 6,1 Prozent. Über die letzten 25 Jahre hinweg zeigt die Cannabisprävalenz mit Schwankungen einen insgesamt zunehmenden Trend. Der Wirkstoffgehalt des in Deutschland sichergestellten Cannabis steigt seit Jahren an und hat in diesem Jahr erneut einen Höchststand erreicht. Der markanteste Anstieg von Wirkstoffgehalten ist in diesem Jahr aber bei den Amphetaminen zu verzeichnen: von 2015 auf 2016 hat er sich vervierfacht. Für MDMA lässt sich eine Verdopplung des Wirkstoffgehaltes verzeichnen.

    Unter den Stimulanzien dominieren in Deutschland bei den 18- bis 64-Jährigen die Amphetamine mit einer 12-Monats-Prävaenz von einem Prozent. Während Indikatoren aus Strafverfolgung und Behandlung in den letzten Jahren auf eine steigende Bedeutung von Amphetamin und Methamphetamin hinweisen, zeichnet sich dieser Anstieg in den bundesweiten Erhebungen in der Allgemeinbevölkerung nicht ab.

    Dr. Tim Pfeiffer-Gerschel, Leiter der DBDD: „Das Drogenangebot und die Konsumgewohnheiten verändern sich zunehmend. Dies erfordert im Sinne einer umfassenden Auseinandersetzung mit der Drogensituation ein Bündel aus verschiedenen Maßnahmen, die dieser wachsenden Komplexität gerecht werden. Dazu gehören z. B. sowohl die Entwicklung weiterer Präventionsangebote insbesondere im Bereich der neuen psychoaktiven Stoffe (NPS) als auch der Einsatz des Medikamentes Naloxon, um tödliche Überdosierungen unter Konsumentinnen und Konsumenten von Opiaten – vor allem Heroin – zu verhindern. Auch die Erweiterung der Angebote zur Cannabisprävention liegt angesichts der Verbreitung dieser Droge nahe, um negative gesundheitliche und soziale Folgen des Konsums zu minimieren.“

    Maßnahmen zur Prävention des Konsums illegaler Drogen werden in Deutschland regelmäßig und zielgruppenspezifisch auf kommunaler, regionaler und Bundesebene durchgeführt. Im Jahr 2016 haben die kommunalen Fachkräfte mehr als 34.000 suchtpräventive Maßnahmen dokumentiert. Die am häufigsten thematisierte illegale Substanz war Cannabis, gefolgt von amphetaminartigen Stimulanzien. Mit seiner hohen Reichweite trägt das Informationsportal www.drugcom.de der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) wesentlich zur Prävention des Konsums illegaler Drogen bei. Das BZgA-Portal bietet neben Wissens- und Selbsttests auch ein individualisiertes Verhaltensänderungsprogramm zur Reduzierung des Cannabiskonsums.

    Der vorliegende „Bericht zur Drogensituation in Deutschland“ wird jährlich durch die Deutsche Drogenbeobachtungsstelle (DBDD) als Beitrag zum Europäischen Drogenbericht erstellt. Die acht Workbooks, ein zehnseitiger deutschsprachiger Kurzbericht sowie die aktuellen Veröffentlichungen der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) finden Sie unter www.dbdd.de.

    Gemeinsame Pressemitteilung der Bundesdrogenbeauftragten und der DBDD, 15.12.2017

  • Zur Situation der arbeitslosen Klientel in der deutschen Suchthilfe

    Zur Situation der arbeitslosen Klientel in der deutschen Suchthilfe

    Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsneutrale Differenzierung (z. B. Klientinnen und Klienten) verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für beide Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.

    Hintergrund und Zielsetzung

    Personen, die arbeitslos sind, weisen im Vergleich zu Erwerbstätigen diverse Risikofaktoren in Bezug auf ihren Gesundheitszustand auf. So wurde in einer Metaanalyse Arbeitslosigkeit als Ursache für zahlreiche Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit Langzeiterwerbsloser gefunden (Paul & Moser, 2009). Arbeitslosigkeit gilt als Risikofaktor für die Entwicklung psychischer und psychosomatischer Symptome und ist Grund für schlechtes subjektives Wohlbefinden und ein geringes Selbstbewusstsein. Auch auf ein problematischeres Substanzkonsum- bzw. Suchtverhalten unter arbeitslosen Personen gibt es Hinweise (Hollederer, 2008). Diskutiert werden mehrere Zusammenhänge von Arbeitslosigkeit und Suchterkrankungen (Henkel, 2011):

    1. Arbeitslosigkeit erhöht das Risiko für riskanten Substanzkonsum und Abhängigkeitserkrankungen.
    2. Chronisches Suchtverhalten führt häufig zum Verlust des Arbeitsplatzes und verringert gleichzeitig die Perspektive auf ein Beschäftigungsverhältnis.
    3. Das schulisch-berufliche Qualifizierungsniveau ist bei einem hohen Anteil Suchtkranker, die sich in Behandlung befinden, gering, was bereits für sich genommen ein bedeutender Risikofaktor für Arbeitslosigkeit ist.
    4. Substanzabhängige, die nach der Suchtbehandlung arbeitslos bleiben, sind deutlich stärker gefährdet, rückfällig zu werden, als Erwerbstätige.

    Hinweise für die letzten beiden Punkte finden sich beispielsweise in der ARA-Studie (Henkel, Dornbusch & Zemlin, 2005; Zemlin, Henkel & Dornbusch, 2006), in der arbeitslose Alkoholabhängige nach Behandlung schlechtere Werte in den Bereichen Lebenszufriedenheit, Problembewältigungsstrategien, physische und psychische Gesundheit sowie in der sozialen Integration und Partizipation aufweisen und höhere Rückfallraten haben als Erwerbstätige. Unter den Arbeitslosen war der Anteil derjenigen ohne Berufsausbildung höher als bei Erwerbstätigen. Dies bestätigte sich auch in einer Untersuchung der Klientel in der deutschen Suchthilfe (Kipke et al., 2015). Arbeitslose Klienten, die aufgrund einer Hauptdiagnose im Bereich illegaler Substanzen in Beratung oder Betreuung waren, verfügten beinahe doppelt so häufig über keine abgeschlossene Hochschul- oder Berufsausbildung wie erwerbstätige Klienten.

    Auch die Daten zur Inanspruchnahme des Hilfesystems zeigen deutliche Zusammenhänge zwischen Erwerbsstatus und Suchterkrankungen. Eine Auswertung der Leistungsdaten aller AOK-Versicherten, die in den Jahren 2007 bis 2012 in ambulanter oder stationärer medizinischer Behandlung waren, zeigt, dass in der Population von Hartz IV-Empfangenden im Vergleich zu Kurzzeitarbeitslosen und Erwerbstätigen Suchtprobleme – unabhängig von Alter und Geschlecht – deutlich verbreiteter sind (Henkel & Schröder, 2015). Insgesamt 10,2 Prozent der ALG II-Bezieher (Arbeitslosengeld II) wurden mit einer Suchtdiagnose gemäß ICD-10 diagnostiziert. Bei ALG I-Empfängern betrug diese Diagnoserate 6,3 Prozent und bei Erwerbstätigen 3,7 Prozent.

    Auch im suchtspezifischen Versorgungssegment liegt eine deutliche Belastung der Klientel durch Arbeitslosigkeit vor. Die jüngsten Daten der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS) zeigen, dass über alle Hauptdiagnosen (HD) hinweg im Jahr 2015 mehr als jeder dritte Klient (38 Prozent) in ambulanten und jeder zweite Patient (53 Prozent) in stationären Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe am Tag vor Betreuungsbeginn ALG I oder ALG II bezog (Braun, Brand & Künzel, 2016a; alle Daten der DSHS sind verfügbar unter: http://www.suchthilfestatistik.de/).

    Im Rahmen dieses Beitrags soll mithilfe der Daten der DSHS die Entwicklung der letzten Jahre sowie die aktuelle Situation der arbeitslosen Klientel, die wegen suchtbezogener Probleme in Betreuung/Behandlung ist, dargestellt werden. Der Beitrag schreibt eine Arbeit fort, die Trendverläufe bis 2011 darstellte (Kipke et al., 2015).

    Alle zugrundeliegenden Daten aus der DSHS beziehen sich auf Betreuungs-/Behandlungsepisoden, die synonym auch als Fälle bezeichnet werden. Da derselbe Klient mehrere Behandlungsepisoden in einem Berichtsjahr absolviert haben kann, ist die Zahl der Fälle ungleich der Zahl der Klienten. Dasselbe gilt im stationären Setting für Patienten. Der einfacheren Lesbarkeit halber wird dennoch teilweise der Begriff Klient/Patient benutzt.

    Methodik

    Es werden wesentliche Charakteristika von arbeitslosen Klienten in ambulanten und stationären Suchthilfeeinrichtungen im zeitlichen Verlauf von 2007 bis 2015 dargestellt. Des Weiteren wird eine vergleichende Charakterisierung der arbeitslosen und erwerbstätigen Klientel im ambulanten Setting vorgenommen. Folgende Datenquellen werden herangezogen: 1) Für die Verlaufsdarstellung werden Daten der Deutschen Suchthilfestatistik (DSHS; aktuellster Tabellenband: Braun, Brand & Künzel, 2016; alle Tabellenbände verfügbar unter: https.//www.suchthilfestatistik.de/daten) genutzt, die jedes Jahr bundesweit in ambulanten Suchtberatungs-/behandlungseinrichtungen sowie (teil-) stationären Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen erhoben wurden. 2) Für die vergleichende Charakterisierung der Klientel werden Daten von Klienten mit unterschiedlichem Erwerbsstatus in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen hinsichtlich ihres soziodemographischen Hintergrunds, ihrer spezifischen Suchtproblematik und ihrer Betreuungsmerkmale gegenübergestellt (siehe Kurzbericht 2/2016 der DSHS; Künzel, Specht & Braun, 2016).

    Eine ausführliche Beschreibung der Methodik der Deutschen Suchthilfestatistik findet sich in Dauber, Specht, Künzel und Braun (2016). Die Daten der DSHS ermöglichen eine systematische Analyse von Trends in Suchthilfeeinrichtungen, insbesondere aufgrund ihrer hohen Erreichungsquote in der ambulanten (geschätzte Erreichungsquote ≥ 74 Prozent) und stationären (geschätzte Erreichungsquote ≥ 64 Prozent) Suchthilfe (Dauber et al. 2016) und der hohen Vergleichbarkeit der Daten. Diese Vergleichbarkeit wird durch die einheitliche Verwendung des Deutschen Kerndatensatzes zur Dokumentation im Bereich der Suchthilfe erzielt (KDS; DHS, 2007). Die Grundgesamtheit der vorliegenden Analyse schließt alle Fälle ein, für die eine Hauptdiagnose (HD) vergeben wurde. Sie bezieht sich in ambulanten Einrichtungen auf alle Fälle, die im jeweiligen Jahr eine Betreuung begonnen bzw. beendet haben („Zugänge/Beender“) und im stationären Bereich auf alle Fälle, die im jeweiligen Jahr eine Betreuung beendet haben („Beender“). Für die Beschreibung der Arbeitslosenanteile in der Suchthilfe zwischen 2007 und 2015 wurden alle Fälle als „arbeitslos“ definiert, bei denen in den letzten sechs Monaten vor Betreuungsbeginn Arbeitslosigkeit nach Sozialgesetzbuch (SGB) II oder SGB III vorlag. In der Vergleichsgruppe „erwerbstätig“ wurden alle Fälle der erfassten Kategorien zu Erwerbstätigkeit zusammengefasst („Auszubildender“, „Arbeiter/Angestellter/Beamter“, „Selbstständig/Freiberufler“, „in beruflicher Rehabilitation“, „Sonstige Erwerbsperson“).

    Für die vergleichende Gegenüberstellung von Klienten mit unterschiedlichem Erwerbsstatus wurden Daten zum Erwerbsstatus aus dem ambulanten Suchthilfesetting im Jahr 2015 in Gruppen zusammengefasst (Künzel et al., 2016): a) arbeitslose Klientel: Klienten, die am Tag vor Betreuungsbeginn und am Tag nach Betreuungsende arbeitslos nach SGB II oder SGB III waren, und b) erwerbstätige Klientel: Klienten, die am Tag vor und am Tag nach der Betreuung erwerbstätig waren.

    Ergebnisse

    Trends der Jahre 2007 bis 2015

    Die Zahlen aus dem Jahr 2015 zeigen, dass der Anteil an arbeitslosen Klienten, die bereits sechs Monate vor Betreuungsbeginn erwerbslos waren, bei Fällen mit HD Opioide sowohl in ambulanten als auch in stationären Einrichtungen am höchsten (ambulant: 58 Prozent; stationär: 67 Prozent) und bei Fällen mit HD Stimulanzien am zweithöchsten (ambulant: 46 Prozent; stationär: 63 Prozent) war. Insgesamt ist der Anteil der Erwerbslosen im Verlauf der Jahre 2007 bis 2015 über alle HD in ambulanten Einrichtungen um etwa vier Prozentpunkte auf 36 Prozent gesunken und in stationären Einrichtungen um etwa einen Prozentpunkt auf 48 Prozent gestiegen. Der Anteil arbeitsloser Patienten war in stationären Einrichtungen insgesamt höher als in ambulanten Einrichtungen. Der größte Unterschied zwischen ambulantem und stationärem Setting in Bezug auf die Hauptdiagnosen fand sich bei Fällen mit HD Cannabis. Bei diesen Fällen lag im Jahr 2015 der Anteil Erwerbsloser bei 31 Prozent im ambulanten und bei 60 Prozent im stationären Setting.

    Die Anteile der arbeitslosen Klienten an allen Klienten in ambulanten und stationären Einrichtungen insgesamt sowie differenziert nach den Hauptdiagnosen Alkohol, Opioide, Cannabis, Kokain, Stimulanzien und Pathologisches Glückspielen sind in Abbildung 1 dargestellt. Der Anteil an erwerbslosen Patienten ist zwischen 2007 und 2015 im stationären Bereich bei Fällen mit HD Stimulanzien am stärksten (+16 Prozentpunkte) und bei Fällen mit HD Opioide am zweitstärksten (+9 Prozentpunkte) angestiegen. In ambulanten Einrichtungen war der stärkste Anstieg der Anteile Arbeitsloser ebenfalls bei Fällen mit HD Stimulanzien (+8 Prozentpunkte) zu beobachten, während der Anteil bei Fällen mit HD Alkohol am stärksten (-7 Prozentpunkte) zurückging.

    Abbildung 1: Anteil arbeitsloser Klientel in der Deutschen Suchthilfestatistik von 2007 bis 2015 gesamt und nach Hauptdiagnosen, getrennt für ambulantes und stationäres Setting

    Merkmale der Klientel mit unterschiedlichem Erwerbsstatus in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen im Jahr 2015

    Fast alle Klienten (97 Prozent), die einen Tag vor der Betreuung erwerbstätig waren, befanden sich bereits sechs Monate vor Betreuungsbeginn in einem Arbeitsverhältnis, und 91 Prozent der arbeitslosen Klienten bezogen bereits sechs Monate vor Betreuungsbeginn Arbeitslosengeld (elf Prozent ALG I; 80 Prozent ALG II).

    Der Anteil Alleinstehender war bei arbeitslosen Klienten deutlich höher (59 Prozent) als bei Erwerbstätigen (40 Prozent). Auch das Bildungsniveau der Klienten variierte nach dem Erwerbsstatus (s. Abbildung 2). Arbeitslose Klienten verfügten deutlich seltener über eine (Fach-)Hochschulreife (acht Prozent vs. Erwerbstätige: 18 Prozent) oder über einen Realschulabschluss (27 Prozent vs. Erwerbstätige: 38 Prozent) und hatten häufiger die Schule ohne Abschluss verlassen als Erwerbstätige (13 Prozent vs. Erwerbstätige: vier Prozent). Zudem hatte beinahe die Hälfte der arbeitslosen Klienten keine abgeschlossene Berufsausbildung (46 Prozent vs. Erwerbstätige: 14 Prozent).

    Abbildung 2: Höchster Schulabschluss erwerbstätiger und arbeitsloser Klienten in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen (DSHS 2015; Künzel, Specht & Braun, 2015)

    Neben soziodemographischen Merkmalen ergeben sich auch in der spezifischen Suchtproblematik Unterschiede zwischen Klienten in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen mit unterschiedlichem Erwerbsstatus. Während eine alkoholbezogene HD häufiger bei Erwerbstätigen vorlag, wiesen arbeitslose Klienten häufiger eine HD aus dem Spektrum der illegalen Substanzen auf. Die HD Opioide fand sich bei arbeitslosen Klienten fast viermal so häufig (22 Prozent  vs. Erwerbstätige: sechs Prozent) und die HD Stimulanzien mehr als doppelt so häufig (elf Prozent vs. Erwerbstätige: fünf Prozent) wie bei Erwerbstätigen. Substanzbezogene Zusatzdiagnosen waren bei arbeitslosen Klienten häufiger als bei erwerbstätigen, insbesondere alkoholbezogene Störungen kamen deutlich häufiger vor.

    Bezüglich der Betreuung von Klienten mit unterschiedlichem Erwerbsstatus in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen ergab sich, dass bei Substituierten fast viermal so häufig eine psychosoziale Begleitbetreuung vorlag, wenn sie arbeitslos waren, als wenn sie erwerbstätig waren (elf Prozent vs. drei Prozent). Zudem war der Anteil an Klienten, die ihre Betreuung unplanmäßig beendeten, unter den Arbeitslosen deutlich höher (43 Prozent) als unter den Erwerbstätigen (32 Prozent). Arbeitslose Klienten wurden nach Betreuungsende häufiger in eine stationäre Rehabilitationseinrichtung weitervermittelt als erwerbstätige (42 Prozent vs. 30 Prozent), während bei Erwerbstätigen die Vermittlung in eine Selbsthilfegruppe am häufigsten war (34 Prozent vs. 16 Prozent). Ein positives Betreuungsergebnis am Ende der Betreuung lag, unabhängig von der Art der Beendigung, bei erwerbstätigen Klienten häufiger vor als bei arbeitslosen Klienten (bei planmäßiger Beendigung: 86 Prozent vs. 72 Prozent; bei unplanmäßiger Beendigung: 43 Prozent vs. 28 Prozent). Arbeitslosen Klienten wurde häufiger eine Verschlechterung des Zustandes nach der Behandlung als Ergebnis attestiert als erwerbstätigen Klienten (bei planmäßiger Beendigung: zwei Prozent vs. ein Prozent; bei unplanmäßiger Beendigung: acht Prozent vs. vier Prozent).

    Diskussion

    Bei erwerbslosen Klienten liegen spezifische gesundheitsrelevante Risiken vor, die in der Literatur berichtet werden (Hollederer, 2008; Paul & Moser, 2009; Henkel et al., 2005; Zemlin et al., 2006). Dies spiegelt sich bei einem hohen Anteil arbeitsloser Klienten und Patienten in deutschen Suchthilfeeinrichtungen wider. Im Jahr 2015 war mehr als jeder dritte Klient in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen und fast jeder zweite Patient im stationären Setting arbeitslos. Im Verlauf von 2007 bis 2015 zeigte sich im ambulanten Setting ein leichter Rückgang und im stationären Setting ein leichter Anstieg des Anteils der arbeitslosen Klientel.

    Der größte Unterschied im Anteil arbeitsloser Klienten zwischen ambulanten und stationären Behandlungssetting fand sich im Jahr 2015 bei der HD Cannabis (31 Prozent vs. 60 Prozent). Dieser Unterschied erklärt sich möglicherweise dadurch, dass im Vergleich zu ambulanten Klienten stationäre Cannabispatienten eine deutlich schwerere Störungsausprägung aufweisen, die im Zusammenhang steht mit auffallend hohem Konsum weiterer Substanzen und dem damit verbundenen erhöhten Risiko für die Entwicklung komorbider psychischer Störungen (Brand et al., 2016). Zusätzlich sind stationäre Cannabispatienten durch eine äußerst ungünstige (psycho-)soziale Situation belastet und scheinen im Vergleich zu ambulanten Cannabispatienten gerade in den Bereichen „Schule, Ausbildung, Beruf“ deutlich benachteiligt zu sein (Brand et al., 2016).

    Der höchste Anteil arbeitsloser Klienten fand sich sowohl im ambulanten als auch im stationären Behandlungssetting bei der HD Opioide. Bei etwa zwei Drittel der Klienten, die sich aufgrund einer opioidbezogenen Störung in Behandlung begaben, lag Arbeitslosigkeit vor. Allerdings waren nicht nur Klienten mit der HD Opioide deutlich häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen, sondern auch Klienten mit der HD Stimulanzien. So zeigten die Trendbeobachtungen seit 2007 auch einen deutlichen Anstieg des Anteils Erwerbsloser mit HD Stimulanzien, so dass im Jahr 2015 im stationären Bereich 63 Prozent der Klienten mit HD Stimulanzien erwerbslos waren. Dies könnte bedingt sein durch die schnelle Entwicklung psychischer Auffälligkeiten als Konsequenz des Stimulanzienkonsums, was auch den Verlust des Arbeitsplatzes zur Folge haben könnte (Milin, Schäfer & Mühlig, 2016). Dadurch wiederum könnte sich die Motivation für eine (insbesondere stationäre) Behandlung erhöhen (Kipke et al., 2015).

    Die Ergebnisse der Gegenüberstellung erwerbstätiger und arbeitsloser Klienten in ambulanten Einrichtungen bestätigen vorliegende Erkenntnisse zu soziodemographischen und gesundheitsrelevanten Zusammenhängen von Arbeitslosigkeit und Suchterkrankung (Henkel et al., 2005; Zemlin et al., 2006). Auch ein Vergleich des sozioökonomischen Status arbeitsloser Suchtkranker im Jahr 2009 (Kipke et al., 2015) mit der aktuellen Situation im Jahr 2015 bestätigt diese Befunde. Nach wie vor liegt bei arbeitslosen Suchtkranken eine deutlich schlechtere Qualifizierung hinsichtlich Schul- und Ausbildungsabschluss vor. Die aktuelle Situation arbeitsloser Suchtkranker zeigt auch, dass deutlich mehr arbeitslose als erwerbstätige Klienten ohne feste Partnerschaft leben. Entsprechend können fast zwei Drittel der arbeitslosen Klienten nicht auf diese wichtige Ressource zurückgreifen. Außerdem weisen Klienten, bei denen während der Suchtbehandlung Arbeitslosigkeit vorlag, häufiger eine HD aus dem Spektrum der illegalen Substanzen sowie deutlich häufiger substanzbezogene Zusatzdiagnosen auf als erwerbstätige Klienten. Diese Beobachtungen untermauern weiterhin bestehende Hinweise auf ein erhöhtes Risiko Arbeitsloser für riskanten Substanzkonsum und ein ungünstigeres Gesundheits- und Suchtverhalten (Hollederer, 2008; Henkel, 2011).

    Die spezifischen Suchtproblematiken, die bei arbeitslosen Klienten beobachtet wurden, schlagen sich offenbar auch in den Daten zum Betreuungsabschluss nieder. Klienten, die arbeitslos waren, brachen die ambulante Suchtbehandlung häufiger vorzeitig ab und bekamen, unabhängig von der Art der Beendigung, häufiger eine Verschlechterung ihres Zustandes nach Behandlungsende attestiert als erwerbstätige Klienten.

    Schlussfolgernd ist festzuhalten, dass sich die dargestellten epidemiologischen Trends in Bezug auf arbeitslose Klienten/Patienten in der Deutschen Suchthilfe (Kipke et al., 2015) weiter fortsetzen und die Unterschiede der sozioökonomischen Charakteristika zwischen Arbeitslosen und Erwerbstätigen in der Suchthilfe über die letzten Jahre eine hohe Stabilität aufwiesen.

    Danksagung

    Das Projekt „Deutsche Suchthilfestatistik“ wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Gesundheit gefördert. Unser Dank gilt den teilnehmenden Klienten/Patienten und Einrichtungen sowie den Mitgliedern des Fachbeirats Suchthilfestatistik (R. Gaßmann, A. Koch, P. Missel, G. Sauermann, R. Walter–Hamann, T. Wessel).

    Deklaration möglicher Interessenkonflikte

    Es bestehen keinerlei Interessenkonflikte im Zusammenhang mit der Erstellung dieser Publikation.

    Kontakt:

    Rebecca Thaller
    IFT Institut für Therapieforschung
    Parzivalstraße 25
    80804 München
    Tel. 089/36 08 04 63
    Fax 089 – 36 08 04 49
    thaller@ift.de
    http://www.ift.de/

    Angaben zu den Autorinnen:

    Rebecca Thaller (M.Sc. Psych.), Sara Specht (MPH) und Jutta Künzel (Dipl.-Psych.) sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am IFT Institut für Therapieforschung, München, im Bereich Therapie- und Versorgungsforschung. Dr. Barbara Braun (Dipl.-Psych.) leitet am IFT den Bereich Therapie- und Versorgungsforschung sowie den Bereich Forschung Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern.

    Literatur:
    • Brand, H., Künzel, J., Pfeiffer-Gerschel, T. & Braun, B. (2016). Cannabisbezogene Störungen in der Suchthilfe: Inanspruchnahme, Klientel und Behandlungserfolg. SUCHT, 62(1), 9 -21.
    • Braun, B., Brand, H. & Künzel, J. (2016a). Deutsche Suchthilfestatistik 2015. Alle Bundesländer. Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (Typ 3 und 4). Bezugsgruppe: Zugänge Beender ohne Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Braun, B., Brand, H. & Künzel, J. (2016b). Deutsche Suchthilfestatistik 2015. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitations-einrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Braun, B., Brand, H. & Künzel, J. (2015a). Deutsche Suchthilfestatistik 2014. Alle Bundesländer. Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (Typ 3 und 4). Bezugsgruppe: Zugänge Beender ohne Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Braun, B., Brand, H. & Künzel, J. (2015b). Deutsche Suchthilfestatistik 2014. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitations-einrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Braun, B., Brand, H., Künzel, J. & Pfeiffer- Gerschel, T. (2014a). Deutsche Suchthilfestatistik 2013. Alle Bundesländer. Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (Typ 3 und 4). Bezugsgruppe: Zugänge Beender ohne Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Braun, B., Brand, H. & Künzel, J. (2014b). Deutsche Suchthilfestatistik 2013. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
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    • Pfeiffer-Gerschel, T. Steppan, M. & Brand, B. (2013b). Deutsche Suchthilfestatistik 2012. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Pfeiffer-Gerschel, T., Kipke, I. & Steppan, M. (2012a).  Deutsche Suchthilfestatistik 2011. Alle Bundesländer. Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (Typ 3 und 4). Bezugsgruppe: Zugänge Beender ohne Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Pfeiffer-Gerschel, T., Kipke, I. & Steppan, M. (2012b).  Deutsche Suchthilfestatistik 2011. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Pfeiffer-Gerschel, T., Kipke, I. & Steppan, M. (2011a).  Deutsche Suchthilfestatistik 2010. Alle Bundesländer. Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (Typ 3 und 4). Bezugsgruppe: Zugänge Beender ohne Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Pfeiffer-Gerschel, T., Kipke, I. & Steppan, M. (2011b). Deutsche Suchthilfestatistik 2010. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Pfeiffer-Gerschel, T., Kipke, I. & Steppan, M. (2010a). Deutsche Suchthilfestatistik 2009. Alle Bundesländer. Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (Typ 3 und 4). Bezugsgruppe: Zugänge Beender ohne Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Pfeiffer-Gerschel, T., Kipke, I. & Steppan, M. (2010b). Deutsche Suchthilfestatistik 2009. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Pfeiffer-Gerschel T., Hildebrand A. & Wegmann, L. (2009a). Deutsche Suchthilfestatistik 2008. Alle Bundesländer. Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (Typ 3 und 4). Bezugsgruppe: Zugänge Beender ohne Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Pfeiffer-Gerschel T., Hildebrand A. & Wegmann, L. (2009b). Deutsche Suchthilfestatistik 2008. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitations-einrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Piontek, D., Gomes de Matos, E., Atzendorf, J. & Kraus, L. (2016). Kurzbericht Epidemiologischer Suchtsurvey. Tabellenband: Trends des Konsums illegaler Drogen und des klinisch relevanten Cannabisgebrauchs nach Geschlecht und Alter 1990 – 2015. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Sonntag, D., Bauer, C. & Eichmann, A. (2008a). Deutsche Suchthilfestatistik 2007. Alle Bundesländer. Tabellenband für ambulante Beratungs- und/oder Behandlungsstellen, Fachambulanzen und Institutsambulanzen (Typ 3 und 4). Bezugsgruppe: Zugänge Beender ohne Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Sonntag, D., Bauer, C. & Eichmann, A. (2008b). Deutsche Suchthilfestatistik 2007. Alle Bundesländer. Tabellenband für (teil-)stationäre Rehabilitationseinrichtungen und Adaptionseinrichtungen (Typ 8,9,10). Bezugsgruppe: Beender mit Einmalkontakte. München: IFT Institut für Therapieforschung.
    • Zemlin, U., Henkel, D. & Dornbusch, P. (2006). „Predictors of alcohol relapses among the unemployed 6 months after treatment. ARA-Study. Empirical results and conclusions for addiction therapy and rehabilitation in Germany.” Vortrag, The 11th International Conference on Treatment of Addictive Behaviors (ICTAB 11).
  • Katamnesen in der Ambulanten Rehabilitation Sucht

    Katamnesen in der Ambulanten Rehabilitation Sucht

    Renate Walter-Hamann
    Dr. Theo Wessel

    Der Deutsche Caritasverband (DCV) und der Gesamtverband für Suchthilfe – Fachverband der Diakonie Deutschland (GVS) haben im Jahr 2012 mit der Einführung von Katamnesen in der Ambulanten Rehabilitation Sucht (ARS) begonnen und mittlerweile Ergebnisse aus vier Erhebungsjahrgängen (2013 bis 2016 = Entlassjahrgänge 2011 bis 2014) vorliegen. Im „Jahrbuch Sucht 2015“ (hrsg. v. DHS) sind die Ergebnisse der beiden ersten Entlassjahrgänge 2011 und 2012 dargestellt (S. 199–213). Im Rahmen des verbandsübergreifenden Fachtages „Ergebnisse der Katamnesen Ambulante Rehabilitation Sucht – Wirkungsdialog und daraus abgeleitete Perspektiven“ am 15.11.2016 in Frankfurt am Main wurden die Ergebnisse aller vorliegenden Entlassjahrgänge bei alkoholbezogener Störung (F10, ICD-10) dargestellt. Vorgestellt wurden außerdem Katamnesedaten zur ambulanten Rehabilitation bei Pathologischem Glückspiel (F63, ICD-10) und bei Illegalen Drogen (F11, F12, F14, F15, F16 und F19, ICD-10). In weiteren Tagungsbeiträgen wurden die Ergebnisse einer Umfrage bei den beteiligten Einrichtungen zur Bewertung der Implementierung der Katamnesen ARS dargestellt sowie Sonderauswertungen zu Veränderungen im Erwerbsstatus im Rahmen von ARS. Vorträge zur Bewertung der Katamnesen ARS von einem Leistungsträger (DRV) und aus internationaler Perspektive ergänzten und vertieften die Ergebnisse. Eine Podiumsdiskussion unter Beteiligung von Vertretern der Leistungsträger VdEK und DRV Schwaben, der beiden Verbände DCV und GVS und des Referenten aus Amsterdam, der die internationale Perspektive vertrat, rundeten den Fachtag ab. Die Resonanz der Teilnehmenden zu diesem Fachtag war außerordentlich positiv.

    Einführung

    Schätzungen aus verschiedenen Quellen weisen auf eine Gesamtzahl von etwa 8.000 Fällen ARS (ohne ambulante Nachsorge) pro Jahr in Deutschland hin. Die Deutsche Rentenversicherung weist 369 anerkannte ambulante Fachstellen aus, die ARS anbieten. Etwa 220 Fachstellen sind in Caritas oder Diakonie organisiert. Von diesen Fachstellen konnten bis zu 95 im Rahmen des Katamnese-Projektes erreicht werden (45 Prozent). Die technische Unterstützung des Projektes erfolgt durch Redline-Data, Ahrensbök (Jens Medenwaldt). Die Ziele des Implementierungsprojektes konnten weitgehend erreicht werden.

    Ergebnisse der Katamnesen ARS aus den Entlassjahrgängen 2011 bis 2014

    In den Jahren 2011 bis 2014 bewegten sich die Fallzahlen ARS zwischen 2.350 und 3.150 pro Jahr. Davon waren etwa 41 Prozent ARS ohne stationäre Beteiligung, 23 Prozent mit stationärer Beteiligung und 36 Prozent ambulante Nachsorge. 80 bis 85 Prozent der Fälle wiesen die Hauptdiagnose Alkohol (F10) auf, sieben bis acht Prozent die Hauptdiagnose Illegale Drogen (F11, F12, F14, F15, F16, F19) und fünf bis sieben Prozent die Hauptdiagnose Pathologisches Glücksspiel (F63). Eine starke Beteiligung am Projekt erfolgte aus den Bundesländern Niedersachsen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hessen.

    Die ARS weist bei der Diagnose F10 (Alkohol) und einem Rücklauf ab 45 Prozent Abstinenzquoten nach DGSS 4 von 50 bis 54 Prozent für alle im Kalenderjahr Entlassenen auf, wenn keine stationäre Rehabilitationsmaßnahme beteiligt war. Mit stationärer Beteiligung (Kombinationsbehandlungen) liegt die Erfolgsquote bei 43 bis 52 Prozent.

    Die soziodemographischen Merkmale der Rehabilitanden in der ARS ohne stationäre Beteiligung werden deutlich günstiger beschrieben als die der Rehabilitanden in der ARS mit stationärer Beteiligung – mit den entsprechenden unterschiedlichen Auswirkungen auf die Ergebnisqualität. Somit werden verschiedene Zielgruppen erreicht. Insgesamt zeigt sich, dass die indikative Zuweisung der Rehabilitanden zum ambulanten und/oder stationären Setting zielgruppengerecht erfolgt.

    Bewertung der Implementierung von Katamnesen ARS

    Die am Katamnese-Projekt beteiligten Einrichtungen wurden gefragt, wie sie die Implementierung der Katamnesen ARS bewerten. Insgesamt haben sich 56 Einrichtungen an der Umfrage beteiligt, 43 davon haben kontinuierlich zu allen Entlassjahrgängen Daten zur Verfügung gestellt. 80 Prozent geben an, dass die Implementierung von Katamnesen ARS gelungen ist. 68 Prozent benutzen die Ergebnisse als einrichtungsbezogene Auswertung. Insgesamt haben Katamnesen eine hohe Relevanz für die eigene Arbeit (Erfolgskontrollen, Konzeptverbesserungen usw.). 44 Prozent der Umfragebeteiligten wünschen sich auch zukünftig verbandliche Unterstützung bei der Durchführung von Katamnesen (Austausch, Schulungen, Forum usw.).

    Zusatzauswertungen „Illegale Drogen“ und „Pathologisches Glücksspiel“

    In den vier Erhebungsjahrgängen 2013 bis 2016 gab es 630 ARS-Fälle „Illegale Drogen“, davon waren 65 Prozent ohne und 35 Prozent mit stationärer Beteiligung. Die Hauptdiagnose Cannabis (F12) hat einen Anteil von etwa 40 Prozent, Opioide machen 20 bis 30 Prozent aus und Kokain zwölf bis 14 Prozent.

    Der Anteil Arbeitsloser reduzierte sich bis zum Behandlungsende im Vergleich zum Behandlungsbeginn um sieben bis zwölf Prozent, der Anteil Erwerbstätiger erhöhte sich um acht bis zwölf Prozent. Zum Katamnesezeitpunkt (ein Jahr nach Beendigung ARS) reduzierte sich der Anteil Arbeitsloser nochmals um drei Prozent bei ARS ohne stationäre Beteiligung und um zehn Prozent bei ARS mit stationärer Beteiligung (Kombibehandlung).

    Insgesamt gab es 70 bis 80 Prozent planmäßige Beendigungen der ARS-Maßnahmen. Die Katamnese-Rücklaufquote lag bei etwa 30 Prozent. Bei ARS ohne stationäre Beteiligung war die Rücklaufquote höher und die Abstinenzquote nach DGSS 4 lag bei 38 Prozent. Bei ARS mit stationärer Beteiligung lag die Abstinenzquote nach DGSS 4 bei 30 Prozent. Die Gruppe der „definiert Rückfälligen“ (Nichterreichte) betrug bei ARS ohne stationäre Beteiligung 34 Prozent und bei ARS mit stationärer Beteiligung 37 Prozent.

    In den vier Erhebungsjahrgängen 2013 bis 2016 gab es 373 ARS-Fälle „Pathologisches Glücksspiel“, davon waren 75 Prozent ohne und 25 Prozent mit stationärer Beteiligung. Auch hier zeigt sich am Behandlungsende eine deutliche Reduktion des Anteils Arbeitsloser von sieben bis zwölf Prozent und eine Zunahme des Anteils Erwerbstätiger von neun bis 13 Prozent.

    Insgesamt gab es auch hier etwa 70 bis 80 Prozent planmäßige Beendigungen der ARS-Maßnahmen. Die Katamnese-Rücklaufquote lag bei acht Prozent. So sind die Fallzahlen zu gering für eine Berechnung der Abstinenzquote bzw. der Veränderungen im Erwerbsstatus zum Katamnesezeitpunkt.

    Veränderungen im Erwerbsstatus: Interferenzstatistische Analysen

    92 Prozent der zu Beginn der ARS Erwerbstätigen verbleiben in der Erwerbstätigkeit, während der ARS-Maßnahme werden acht Prozent arbeitslos. Etwa 25 Prozent der zu Beginn der ARS Arbeitslosen gelangen während der ARS-Maßnahme in Erwerbstätigkeit. Die Merkmale dieser Gruppe: Die Menschen sind jünger, beziehen häufiger ALG I als ALG II, beenden die ARS-Maßnahme regulär, bewerten die ARS-Maßnahme als erfolgreich und sie weisen weniger Vorbehandlungen auf (Entzug). Ihre Alkoholstörung war weniger schwer ausgeprägt und die Dauer der Arbeitslosigkeit war geringer. Etwa zehn Prozent der zu Beginn der ARS-Maßnahme Nichterwerbstätigen sind am Ende der Maßnahme erwerbstätig (Schüler, Studenten).

    Bewertung des Katamnese-Projektes und der Ergebnisse aus Sicht eines Rehabilitationsträgers

    Die vier gängigen Formen der ARS sind: ARS ohne stationäre Beteiligung, ambulante Entlassform zum Ende einer stationären Rehabilitation, Wechsel in die ambulante Rehabilitationsform nach Abschluss der stationären Rehabilitation, ARS als Bestandsform von Kombitherapie (ARS mit stationärer Beteiligung).

    Teilhabeaspekte stehen bei der ARS im Vordergrund, insbesondere gilt es, mit den ICF-Kontextfaktoren des sozialen Feldes des Rehabilitanden zu arbeiten. Zentrale Aufgaben der Teilhabe-Leistungen sind die Verbesserung der Erwerbsfähigkeit und das Erreichen von Erwerbstätigkeit. In diesem Zusammenhang spielen arbeitsbezogene Interventionen während der ARS-Maßnahme eine wichtige Rolle. Ein sozialmedizinischer Jahresverlauf von Rehabilitanden aus dem Jahr 2010 zeigt, dass 90 Prozent der Rehabilitanden im Erwerbsleben verbleiben (59 Prozent lückenlose Rentenversicherungsbeiträge, 31 Prozent lückenhafte Rentenversicherungsbeiträge).

    Die Rehabilitandenbefragung nach Beendigung einer ambulanten Suchtrehabilitation mit 4.287 Beteiligten in den Jahren 2013 bis 2015 zeigt, dass die subjektiv wahrgenommenen Erfolge der Rehabilitationsleistungen auf deutliche Verbesserungen in den Bereichen Gesundheitszustand, Leistungsfähigkeit und kurzzeitige Abstinenz hinweisen. Insgesamt geben 90 Prozent der Beteiligten deutliche Verbesserungen an.

    Etwa die Hälfte der Rehabilitanden gibt an, während der ARS keine Beratung und Hilfe bekommen zu haben, um die Situation am Arbeitsplatz zu erleichtern. 60 Prozent sind zu Beginn der ARS und zum Befragungszeitpunkt bei Behandlungsende voll berufstätig, 24 Prozent sind zum Befragungszeitpunkt arbeitslos. 81 Prozent geben an, dass sich die berufliche Leistungsfähigkeit durch die ARS-Maßnahme deutlich verbessert hat. Für die Zukunft gilt die Empfehlung, bei ARS-Verlängerungsanträgen die therapeutische Unterstützung für eine stabile Erwerbssituation der Rehabilitanden mehr als bisher zu berücksichtigen.

    Die Bewertung von Katamnesen aus internationaler Perspektive

    Seit etwa 30 Jahren gibt es deutsche und internationale Studien zur Bewertung von Wirkungen suchttherapeutischer Maßnahmen. Als evidenzbasierte Faustregel kann angenommen werden, dass nach stationärer oder ambulanter Suchtrehabilitation 50 Prozent der Alkoholabhängigen ein Jahr nach der Behandlung durchgehend alkoholabstinent sind. Amerikanische Studien weisen auf 19 Prozent Einjahresabstinenz hin, im ambulanten Behandlungszweig kommt es im Jahr nach der Behandlung zu etwa 80 Prozent abstinenten Tagen.

    In den Niederlanden zeigte sich in dem Projekt „Resultaten scoren“ (fünf Jahreskohorten 2005 bis 2009 mit insgesamt 15.786 behandelten und 8.326 telefonisch erreichten Klienten) eine Abstinenzrate von 23 Prozent in den letzten 30 Tagen vor dem Befragungszeitpunkt (Schippers, Nabitz, Buisman, 2009). Im Vergleich hat Deutschland eine Abstinenzquote von 75 Prozent in den letzten zwölf Monaten (Katamnesebefragung) bei 693 erreichten Klienten (nach DGSS 3).

    So kann die Suchthilfe in Deutschland, insbesondere im Bereich der ARS, ihre Effektivität mittels Routine-Katamnesen nachweisen. Mehr als 50 Prozent der Klienten sind nach der Therapie abstinent. Im internationalen Vergleich ist das ein herausragendes Ergebnis.

    Strukturelles Monitoring und Benchmarking sind ein Weg zur weiteren Verbesserung von Suchthilfe. Die Katamnese-Methodik kann der Anfang einer europäischen Standardisierung sein. Eine schnelle Rückmeldung der Katamneseergebnisse an die Einrichtungen kann zur Verbesserung der ARS-Maßnahmen führen.

    Podiumsdiskussion

    Die abschließende Podiumsdiskussion verlief sehr lebhaft und informativ. Stichworte aus der Diskussion: ARS hat eine gute Wirksamkeit, Kombitherapien sollten mehr genutzt werden, die berufliche Orientierung in der ARS sollte weiter gestärkt werden, eine Veröffentlichung der Katamneseergebnisse ist weiterhin wichtig, Verlängerungsanträge ARS sind die Regel und nicht die Ausnahme, das ARS-Rahmenkonzept aus 2008 ist überarbeitungsbedürftig, die Katamnese-Durchführung liegt im Interesse der Leistungserbringer, insgesamt steht die ambulante Suchthilfe sehr unter Druck.

    Fazit: Auch zukünftig sollten Fachveranstaltungen dieser Art durchgeführt werden.

    Kontakt:

    Dr. Theo Wessel
    Gesamtverband für Suchthilfe e.V. (GVS) – Fachverband der Diakonie Deutschland
    Invalidenstraße 29
    10115 Berlin
    Tel. 030/83 001-501
    wessel@sucht.org
    www.sucht.org

    Angaben zu den Autoren:

    Dr. Theo Wessel ist Geschäftsführer des Gesamtverbandes für Suchthilfe e.V. (GVS) – Fachverband der Diakonie Deutschland.
    Renate Walter-Hamann ist Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Katholische Suchtkrankenhilfe und Leiterin des Referats Basisdienste und besondere Lebenslagen beim Deutschen Caritasverband e.V. in Freiburg.

  • Der Kerndatensatz 3.0

    Der Kerndatensatz 3.0

    Dr. Raphael Gaßmann

    Seit dem 1. Januar 2017 gilt bundesweit der komplett überarbeitete „Deutsche Kerndatensatz zur Dokumentation im Bereich der Suchtkrankenhilfe (KDS)“. Der Kerndatensatz ist das Instrument zur einheitlichen Datenerhebung in Einrichtungen der ambulanten und stationären Suchthilfe. Nach zehnjähriger Laufzeit seines Vorgängers hat der DHS-Vorstand nunmehr diesen neuen Erhebungsstandard veröffentlicht. Da ihm auch die Bundesländer zustimmten, ist er nunmehr ‚amtlich‘.

    Während der vergangenen drei Jahre wurde der bisherige Kerndatensatz von Vertreter/innen aus Verbänden, Praxis und Wissenschaft in jedem Detail überprüft. Zu diesem Prozess haben auch viele Nutzer/innen durch eine große Zahl von Hinweisen beigetragen. Rund drei Jahre lang diskutierten die Mitglieder des Fachausschusses Statistik der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) zusammen mit externen Expert/innen weit mehr als 100 Anregungen und Überarbeitungshinweise. Das Ziel war ein neuer Kerndatensatz, der die Erfahrungen und Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre berücksichtigt und dennoch so knapp wie möglich bleibt. Dabei wurde Wert auf eine praxisgerechte Handhabung und die möglichst hohe Aussagekraft der erhaltenen Auskünfte gelegt.

    Historie

    Die erste Version des KDS entstand 1998/99 mit der Absicht, die Arbeit in Einrichtungen der Suchthilfe nach einem festgeschriebenen Kriterienkatalog zu erfassen. Auf diese Weise sollte einerseits die aktuelle Situation der Beratung, Betreuung und Behandlung von Menschen mit Suchtproblemen einheitlich dargestellt werden. Andererseits sollten die erhobenen Daten eine Einschätzung des Bedarfs an Therapieangeboten und -kapazitäten ermöglichen. Und schließlich sollten Behandlungserfolge zuverlässig erfasst werden, um daraus Rückschlüsse auf Therapieziele und -möglichkeiten zu ziehen.

    Im Jahr 2006 erschien der überarbeitete, 2. Deutsche Kerndatensatz zur Dokumentation in der Suchtkrankenhilfe mit den Modulen Klient, Einrichtung und Katamnese. Er stellte eine umfassende Aktualisierung und Präzisierung des Deutschen Kerndatensatzes von 1998 dar und galt, wie bei seiner Einführung angekündigt, für die Dauer von zehn Jahren.

    Für die neueste Version „KDS 3.0“ wurden nun sämtliche Abfragen überprüft und aktualisiert, so dass eine zeitgemäße Beschreibung des Leistungsspektrums der Suchthilfepraxis für Menschen mit Abhängigkeitsstörungen möglich ist: etwa auf Einrichtungs-, Verbands-, Länder- oder Bundesebene. Und auch die neue Version des KDS soll für zehn Jahre gelten. In diesem Jahrzehnt können zwar – wie schon bislang – Aktualisierungen der Erläuterungen im Manual erfolgen, die Item-Liste aber bleibt unverändert. Überarbeitungen des Manuals sind künftig durch die Versionsnummer noch deutlicher kenntlich: von 3.1 bis 3.x.

    Nutzen der erhobenen Daten

    Eine wichtige Aufgabe des KDS besteht auch künftig in den einrichtungs- und verbandsbezogenen Auswertungen. Auf diese Weise können die beteiligten Institutionen der Suchthilfe die Ausrichtung und Effekte ihrer therapeutischen Arbeit besser beurteilen und damit auch steuern. Zudem erhalten sie höchst relevante Daten etwa für Verhandlungen mit Kostenträgern.

    Der neue KDS 3.0 sorgt außerdem für eine bessere Vergleichbarkeit von Konsummustern, Behandlungsmöglichkeiten und -erfordernissen auf europäischer Ebene. Dazu wurden seine Abfragen mit dem europäischen Kerndatensatz abgeglichen. Die erhobenen Daten werden jährlich an die Europäische Drogenbeobachtungsstelle in Lissabon gesandt und dort auch für internationale Studien genutzt.

    Auf nationaler Ebene fließen die Ergebnisse der Erhebungen in die Deutsche Suchthilfestatistik ein, deren jährlicher Bericht seit 2007 soziodemografische Daten zu Klienten, Diagnosen, Daten zu Behandlungsbeginn, -verlauf und -ende sowie Veränderungen in diesen Bereichen aufzeigt. Die Deutsche Suchthilfestatistik ist im bundesweiten wie auch im internationalen Vergleich eine der umfangreichsten und differenziertesten Statistiken im Gesundheits- und Sozialwesen.

    Der KDS 3.0 steht sämtlichen Anbietern entsprechender Dokumentationssoftware zur Verfügung. Und beinah alle haben ihn bereits in ihre Software integriert. Die DHS wünscht allen Anwender/innen einen angenehmen Umgang mit dem KDS 3.0 und aussagekräftige Erkenntnisse.

    Kontakt:

    Dr. Raphael Gaßmann
    Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V.
    Westenwall 4
    02381/90 15 15
    59065 Hamm
    gassmann@dhs.de
    www.dhs.de

    Angaben zum Autor:

    Dr. Raphael Gaßmann ist Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) in Hamm.